Steinbeis-Experten entwickeln eine Pricing-Software für den B2B-Vertrieb
Jeder, der schon im Vertrieb tätig war, kennt diese zwei Probleme: zum einen die Schwierigkeit, Kostensteigerungen an den Kunden weiterzugeben. Und zum anderen der Umgang mit Kunden, die einen sehr hohen Betreuungsaufwand verursachen, diesen aber durch die Preise nicht kompensieren. Dieser Thematik sind die Experten des Steinbeis-Beratungszentrums Vertriebs- und Marketinginstitut zusammen mit ihrem Kunden nachgegangen und haben eine Software entwickelt, mit der Preisentscheidungen automatisiert werden können.
Schon vor der aktuellen Inflationsphase hatte der Vertrieb Schwierigkeiten, Kostensteigerungen angemessen weiterzureichen. Doch die Versäumnisse einer systematischen Preisanalyse und -durchsetzung kommen besonders jetzt zum Vorschein, da die Kosten massiv und schnell steigen. Neben der Komponente der Kostensteigerungen ist noch eine weitere relevant: Zahlen die Kunden das, was sie im Vergleich zu anderen Kunden zahlen sollten? Wie viele Kunden verursachen einen Aufwand, den sie aber auf der Preisseite nicht kompensieren? Und dann wären da ja auch noch diejenigen Kunden, die im Vertriebsjargon „historische“ Preise zahlen – also solche, die bei der Anbahnung der Kundenbeziehung hohe Absatzmengen oder ein großes Projekt versprochen haben, es dann aber nicht einhalten konnten. Diese besonders kritischen Kunden verursachen nicht selten einen höheren Aufwand als bestehende große Kunden. Letztere sind häufig sogar so gut eingespielt, dass der Aufwand überschaubar ist.
Betreuungsaufwand: Was steckt dahinter?
Zum einen bedeuten viele kleine Bestellungen je nach Digitalisierungsgrad im Innendienst einen unverhältnismäßigen Bearbeitungsaufwand. Kommen dann noch Spezialanforderungen an Produktion, Transport und Lagerung, Retouren und Reklamationen sowie Zahlungsbedingungen hinzu, wird es immer teurer, besonders dann, wenn der Kunde dafür nicht aufkommt. Bei mangelnder Attraktivität des Kunden – wenig beziehungsweise unregelmäßiger Umsatz gepaart mit hohem Aufwand – könnte es sich irgendwann nicht mehr lohnen, diesen persönlich zu betreuen. Eine Übergabe an den eigenen Webshop oder einen Großhändler könnte sinnvoll sein. Alternativ müsste der Kunde womöglich für lieb gewonnene Sonderleistungen in Zukunft zahlen. Aber ist der Vertrieb in der Lage, hier konsequent entweder den Betreuungsaufwand oder die Preise anzupassen?
Um diese Frage zu beantworten, hat das Steinbeis-Beratungszentrum Vertriebs- und Marketinginstitut (VMI) um Steinbeis-Unternehmer Professor Dr. Rainer Elste mit einem Kunden eine Systematik entwickelt, die final in einer Software gemündet ist.
Ausgangslage: Fehlende Struktur
Der Kunde des Steinbeis-Beratungszentrums ist auf drei Kontinenten in der Verarbeitung und im Vertrieb von Kunststoffen tätig. Es waren zwei wesentliche Gründe, die die Unternehmensleitung dazu bewogen haben, sich bereits im Herbst 2020 aktiv mit der Frage der Automatisierung von Preisentscheidungen auseinanderzusetzen: Zum einen waren schon zu diesem Zeitpunkt Kostensteigerungen über der normalen Volatilität am Rohstoffmarkt auszumachen. Zum anderen wurden die Kunden zwar durch den Vertrieb sehr persönlich, jedoch wenig strukturiert bedient, denn eine nachvollziehbare und messbare Segmentierung existierte nicht. Genauso wenig wurde bei der Preisdifferenzierung strukturiert vorgegangen.
Von der Datenanalyse zur Kundensegmentierung
Im ersten Schritt hat das Team des Steinbeis-Beratungszentrums VMI anhand der Transaktionsdaten eines Geschäftsjahres (ca. 250.000 Datensätze) jeden einzelnen fakturierten Preis pro Kunde und Produkt analysiert, dabei dauerte allein die Bereinigung falscher oder fehlender Daten im System fast zwei Wochen. Bei der Datenanalyse kam unter anderem heraus, dass ein nicht unerheblicher Teil an kleinen Kunden zu niedrige Preise zahlte. Außerdem konnte das Team zeigen, dass die in den Produktpreisen inkludierten Transportleistungen für einige Regionen in Europa nicht kostendeckend waren.
Im nächsten Schritt wurde mit dem Vertrieb und dem Controlling eine Systematisierung der Kundensegmente vorgenommen. Anhand dieser wurden Kriterien definiert, die Kunden erfüllen mussten, um zu einem der Segmente zu gehören. Dabei kamen zum einen das Volumen des Kunden und zum anderen dessen Profitabilität zum Tragen. Gleichzeitig wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass neue Kunden häufig Wachstum versprechen und damit in einer Übergangsphase wie Topkunden behandelt werden dürfen.
Schließlich wurde festgelegt, welches Servicelevel mit der jeweiligen Segmentzugehörigkeit einhergeht: So wurden beispielsweise das Betreuungskonzept angepasst sowie Kulanzregeln und Zahlungskonditionen je Segment definiert.
Ergebnis: Toolbasierte und strukturierte Lösung
Bei der Umsetzung war dem Unternehmen wichtig, an den Kostensteigerungen bei seinen Kunden nichts zu gewinnen, aber auf keinen Fall etwas zu verlieren. Bereits nach der ersten Preisrunde, die besonders wenig profitable Kleinkunden im Fokus hatte, konnte eine signifikante Verbesserung erzielt werden: Trotz Preissteigerungen im zweistelligen Bereich waren weder Kunden abgewandert noch hatten diese ihre schon geringen Mengen weiter reduziert. Daneben erlangte der Vertrieb selbst ein anderes Bewusstsein. Anfängliche Vorbehalte wichen dem Wunsch nach einer toolbasierten und strukturierten Lösung. Es wurde erkannt, dass hiermit eine höhere Transparenz und vereinfachte Steuerung der Kundenpreise erreicht wurde.
In der zweiten Projektstufe entwickelten Steinbeis-Experten eine Software, die webbasiert an jedem Ort der Welt funktioniert. Die Daten werden automatisch aus dem ERP-System gespeist und können auch wieder zurückgespielt werden. Aus Datensicherheitsgründen werden die Daten beim Unternehmen inhouse „gelagert“.
Die deutlichste Erfolgsbestätigung für das Projekt lieferte der CEO: „Mit der Software des Steinbeis-Beratungszentrums waren wir die einzigen in der Branche, die die Kostensteigerungen komplett durchreichen konnten.“
Wirtschaft und Forschung profitieren voneinander
Rainer Elste baute bei der Projektumsetzung auf die Erkenntnisse des Digitalisierungsindex Marketing & Vertrieb auf, die er im Rahmen seiner Forschung an der Hochschule Esslingen gewonnen hatte. Dabei kam unter anderem heraus, dass Unternehmen im B2B-Bereich verhältnismäßig zurückhaltend auf eine digitale Unterstützung bei der Preissetzung und -kontrolle zurückgreifen. Bei einer Marktanalyse anderer Pricing-Softwareanbieter fiel weiterhin auf, dass gerade die Verbindung aus Kundensegmentierung und Preiskontrolle häufig durch Unternehmensberatungen quasi händisch und einmalig durchgeführt werden.
Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickelte das Team des Steinbeis-Beratungszentrums Vertriebs- und Marketinginstitut das Pricingtool Price-Hive. Ähnlich der perfekten Organisation eines Bienenstocks – auf Englisch „hive“ – werden die Daten in dem Tool organisiert, ausgewertet und liefern klare Ziele für die Preissetzung. Die Software kann mit entsprechenden Prämissen auch einen möglichen Preisdruck nach unten berücksichtigen. Der Vertrieb wird von entsprechenden Algorithmen unterstützt, unter anderem für die Kundensegmentierung und die Berücksichtigung von Kostenänderungen. Umgekehrt kann das Erreichte zurück in das Tool gespielt werden. Dadurch werden diverse Schritte automatisiert, damit kostengünstiger und vor allem wiederholbar umgesetzt. Besonders Unternehmen im Mittelstand, die viele Kunden managen, profitieren hiervon.
Umgekehrt konnten durch dieses Projekt auch Inhalte zurück in die Forschung fließen, denn die Automatisierung von Preisentscheidungen, unterstützt von lernenden Systemen, ist ein noch weites Forschungsgebiet.
Kontakt
Prof. Dr. Rainer Elste (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Beratungszentrum Vertriebs- und Marketinginstitut (VMI) (Göppingen)
www.steinbeis-vmi.de
Literatur
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Elste, R., Digitalisierungsindex Marketing & Vertrieb. Ein Zugang zur Messung des Digitalisierungsgrades, März 2021, DOI: 10.26273/he-opus-1309, Esslingen, ISBN 978-3-00-068367-1
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Elste, R., Pricing: Kostentreiber richtig weitergeben, in Springer Professional, 30.04.2021,
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https://www.springerprofessional.de/pricing/vertriebsmanagement/kostentreiber-richtig-weiterreichen/19120428