Das Ferdinand-Steinbeis-Institut gestaltet das Genossenschaftsprinzip im digitalen Raum
Die Digitalisierung schafft Abbilder der Realität in der Virtualität – in einem Produktionskontext beispielsweise das digitale Abbild einer Bearbeitungsmaschine. Die Daten digitaler Abbilder unterscheiden sich von klassischen Stamm- oder Planungsdaten: Sie bilden vor allem den Zustand des realen Objekts, auch Asset genannt, sowie Abhängigkeiten verschiedener Messwerte in Form digitaler Modelle ab. Bei einer Bearbeitungsmaschine sind relevante Zustandsdaten beispielsweise der Vorschub oder die Werkzeugtemperatur. Der Zustand des digitalen Abbilds lässt sich durch Funktionen und Services beeinflussen, die Änderung am Zustand des digitalen Abbilds wird wiederum auf das reale Objekt übertragen. Der Schlüssel zum Erfolg neuer Wertschöpfungsszenarien durch digitale Abbilder besteht darin, dass mit deren Hilfe die Steuerung komplizierter Prozesse und anderer Abläufe in der Realität möglich wird. Dem Erfolg steht der in Deutschland stark mittelständisch geprägten Wirtschaft eine wesentliche Herausforderung gegenüber: Wie können Mittelständler von der Digitalisierung und den daraus entstehenden neuen Wertschöpfungsmöglichkeiten profitieren, ohne dabei in die Abhängigkeit großer, internationaler Plattformen zu geraten? Das Team des Ferdinand-Steinbeis-Instituts (FSTI) erforscht mit dem Konzept der Datengenossenschaften eine mögliche Lösung.
Die Unternehmenspraxis in Deutschland ist von proprietären Einzellösungen geprägt. Der Fokus liegt auf der Optimierung der unternehmensinternen Produkte und Prozesse. Deutsche Unternehmen verbessern mit ihrem großen, fachspezifischen Know-how kontinuierlich die eigenen Produkte und Prozesse. Die unternehmenseigenen Daten werden als Grundlage für die Optimierung sowie für KI-Anwendungen, wie beispielsweise Predictive Maintenance, verwendet. Die übergreifende Vernetzung digitaler Abbilder und kontextsensitive Steuerung kommt dabei häufig zu kurz.
International dominieren kommerzielle Plattformen und staatliche Datentreuhänder
Im internationalen Umfeld sind gegenwärtig andere Trends erkennbar: Branchenbezogene, digitale Plattformen im Umfeld des Industrial Internet of Things (IIoT) haben zum Ziel, die Wertschöpfung ganzer Sektoren virtuell abzubilden und so besser plan-, steuer- und kontrollierbar zu machen. Gut beobachten lässt sich dies unter anderem im asiatischen Raum, wo Unternehmen große Plattformen aufbauen, die das Orchestrieren ganzer Wertschöpfungsketten, beispielsweise in der Baubranche oder in der Landwirtschaft, ermöglichen. Diesem Ansatz liegt das Verständnis zugrunde, dass Wertschöpfungspotenziale vor allem dann realisiert werden können, wenn große Mengen vernetzter, digitaler Abbilder auf Plattformen zusammengebracht und gesteuert werden. Methoden der künstlichen Intelligenz können so auf eine ungleich größere und homogene Menge an Daten zugreifen und Optimierungspotenziale aufzeigen.
Ein anderer Ansatz, der insbesondere in Europa stark thematisiert wird, sieht den Staat oder suprastaatliche Institutionen in der Rolle eines Datentreuhänders. Dieser Ansatz ist besonders aus wirtschaftspolitischer Sicht interessant, da wirtschaftliche Interessen aus der Plattformebene herausgenommen werden und somit der tendenziell monopolistischen Vormachtstellung einzelner Anbieter entgegengewirkt wird. Gleichzeitig sollen die Vertrauenswürdigkeit der Plattformlösung gesteigert und Vorbehalte abgebaut werden.
Dass beide Ansätze nicht jeweils exklusiv sind und sich somit nicht gegenseitig ausschließen, zeigen zahlreiche Anwendungsfälle datengetriebener Lösungen. Werden beispielsweise stark personenbezogene Daten oder gar Gesundheitsdaten verarbeitet, dann erzeugen staatliche Datentreuhänder womöglich ein größeres Vertrauen als gewinnorientierte Unternehmen. In einem anderen Kontext sollen Produktdaten zusammenfließen und die Grundlage für weiterführende Analysen und Benchmarkings bilden, dabei ist die unternehmerisch getriebene Plattformlösung die richtige Wahl. Die Art der verarbeiteten Daten, das Ziel sowie der Kontext der angestrebten Lösung entscheiden also über den jeweiligen Ansatz. Beide Varianten verbindet darüber hinaus, dass der Plattformbetreiber selbst nicht mit den nötigen anwendungskontextspezifischen Fähigkeiten ausgestattet ist, um das Wertschöpfungspotenzial vernetzter, digitaler Abbilder und der damit befähigten Steuerung von Wertschöpfung voll auszuschöpfen. Diese Fähigkeiten liegen vor allem bei den der Plattform angeschlossenen Unternehmen.
Alternativlösung: Die Micro Testbeds des FSTI
Wie ein dritter Ansatz aussehen kann, hat das Ferdinand-Steinbeis-Institut im Rahmen der sogenannten „Micro Testbeds“ erfolgreich evaluiert, deren Entwicklung initial durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg gefördert war. Das FSTI bringt in Micro Testbeds größere und kleinere Unternehmen in kooperativen Ökosystemen zusammen. In den Micro Testbeds wird die internetbasierte Vernetzung auf Basis offener Standards dazu genutzt, branchenübergreifend und partnerschaftlich neue Wertschöpfungsszenarien zu identifizieren und diese umzusetzen. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass durch die Kombination der Fähigkeiten verschiedener Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen und den Austausch von Daten virtueller Abbilder ein zusätzlicher Nutzen für die beteiligten Unternehmen entstehen kann, der bislang noch nicht zugänglich war. Auf Basis der kooperativen Nutzung von virtuellen Abbildern konnten stets mehrere Nutzenszenarien und daraus potenzielle Geschäftsmodelle für das Ökosystem generiert werden. Hierfür muss ein Vertrauensraum zwischen den Partnern geschaffen werden, in dem die Daten für alle Partner zugänglich sind.
Datengenossenschaften als Lösungsansatz
Basierend auf den Micro Testbeds nimmt das Team des Ferdinand-Steinbeis-Instituts in anknüpfenden Forschungsaktivitäten in kooperativ-genossenschaftlichen Ökosystemen neue Formen der Partizipation in den Fokus. Wesentliche Kriterien sind dabei die Wahrung der freien Datenverfügbarkeit bei gleichzeitiger Informationseigentümerschaft und -souveränität. Dazu hat sich ein Konsortium aus dem Ferdinand-Steinbeis-Institut, dem Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband (BWGV) sowie den Lehrstühlen Wirtschaftsinformatik 1 und Controlling der Universität Stuttgart gebildet, das den Ansatz der Datengenossenschaften evaluiert. Gefördert wird das Vorhaben bis Ende 2021 durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg.
Ziel der Datengenossenschaften ist es, durch die gemeinsame Nutzung digitaler Abbilder neue, nutzenstiftende Szenarien für alle beteiligten Unternehmen sowie Verbundvorteile und Skalenerträge zu realisieren. In der ersten Projektphase werden zunächst Interviews mit zahlreichen Genossenschaftsvertretern und IIoT-Experten geführt. Die Ergebnisse aus diesen Interviews bilden die Grundlage für die Ausarbeitung des Konzepts zur Gestaltung von Datengenossenschaften. In der zweiten Projektphase wird dieses Konzept durch die Gründung und Begleitung von drei experimentellen Datengenossenschaften in der Praxis erprobt und weiter ausgearbeitet werden.
Die Rechtsform der Genossenschaft bietet gleich mehrere Vorteile: Genossenschaften sind seit jeher ein etabliertes Konzept zur Umsetzung von Verbundvorhaben, in denen Ziele gemeinsam und gemeinschaftlich verfolgt werden. Zudem wird durch das Identitätsprinzip sichergestellt, dass die Interessen der Mitglieder in den Mittelpunkt gestellt werden – ein Prinzip, das die Genossenschaften von anderen Formen der kooperativen Zusammenarbeit abgrenzt. All diese Vorzüge bilden eine gute Grundlage für die Bildung eines Vertrauensraums, in dem beteiligte Partner selbstbestimmt und gleichberechtigt zusammenkommen; getreu der Aussage von Friedrich Wilhelm Raiffeisen: „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“
Zum Weiterlesen: Steinbeis Transfer-Magazin 3/2018: Fokus Transfer zwischen Unternehmen – Schwerpunkt Micro Testbeds
Kontakt
Maximilian Werling (Autor)
Research Assistant
Ferdinand-Steinbeis-Institut (Stuttgart)
www.steinbeis-fsti.de
Patrick Weber (Autor)
Research Assistant
Ferdinand-Steinbeis-Institut (Stuttgart)
www.steinbeis-fsti.de
Sebastian Renken (Autor)
Research Trainee
Ferdinand-Steinbeis-Institut (Stuttgart)
www.steinbeis-fsti.de