Im Gespräch mit Bert Overlack, Geschäftsführer der bert.overlack GmbH
Über 20 Jahre hat Bert Overlack sein europaweit agierendes Unternehmen geführt, hat expandiert und Erfolge erlebt. Dann kamen 2011 der Marktzusammenbruch, die Insolvenz und bisher nicht gekannte Existenzängste. Doch Bert Overlack hat sich davon nicht unterkriegen lassen. Heute berät er Unternehmer, die wie er den Neubeginn wagen, und begleitet sie auf diesem von Gesellschaft und Wirtschaft oft noch stigmatisierten Weg. Gemeinsam mit der TEAM U-Restart gGmbH und orientiert an einem Projekt aus dem Steinbeis-Verbund hat er im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg nun ein Konzept entwickelt, dass diesen „Re-Startern“ tatkräftig unter die Arme greifen soll. Im Gespräch mit der TRANSFER berichtet er von diesem Projekt und der in Deutschland so dringend notwendigen Akzeptanz des Scheiterns.
Herr Overlack, privat wie auch beruflich besteht unser ganzes Leben aus einer Reihe von Erfolgen und Misserfolgen. Warum fällt es uns dann hierzulande so schwer das eigene Scheitern zu akzeptieren und daraus zu lernen?
Wir leben in einer Erfolgsgesellschaft und da ist es normal, dass sich die Menschen an erfolgreichen Beispielen orientieren. Wirtschaftlicher Erfolg hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert und dabei tun wir so, als ob es den Misserfolg nicht gäbe. Das ist meines Erachtens ein Fehler. Damit Sie mich bitte nicht missverstehen: Ich habe nichts gegen Erfolg und erfolgreiche Menschen. Und ich bin auch gerne selbst erfolgreich. Aber Erfolg und Scheitern sind zwei Seiten derselben Medaille. Und eine der beiden Seiten zu ignorieren halte ich für bedenklich. Wir können sowohl aus Erfolgen wie auch Misserfolgen lernen, manchmal mehr aus Misserfolgen. Wenn wir den Misserfolg allerdings stigmatisieren und verpönen, werden Betroffene kaum zu ihm stehen. Und damit entgehen uns Lernchancen.
Sicherlich spielen kulturelle Faktoren auch eine wichtige Rolle. In der Schule geht es darum, keine Fehler zu machen, so gut wie möglich zu sein. Ausgehend vom Preußischen Königreich wurden das Militär, die öffentliche Verwaltung und das Schulwesen perfektioniert. Die Industrialisierung hat ihr Übriges dazu beigetragen, das Räderwerk der Maschinen und Fabriken musste möglichst fehlerfrei laufen. Themen wie Qualitätsmanagement und Rationalisierung sind hieraus entstanden. Die Kreativität des Einzelnen war in der Regel nicht gefragt, sondern vielmehr das Einhalten von Vorgaben und Anweisungen. Ein Fehler oder sogar ein Scheitern entsprach nicht den Ansprüchen dieses Systems.
Insbesondere bei den gescheiterten Unternehmern und speziell bei Start-ups scheint das Scheitern in unserem Kulturkreis nach wie vor sehr nahe einer „Brandmarkung“ zu sein. Woran liegt das?
Scheitern hat bei uns gerne auch etwas mit Schuld zu tun. Wer seine Schulden nicht bezahlen kann, ist schuldig – bleibt also in der Schuld stehen. Darin liegt die Unterstellung, dass einer Insolvenz ein schuldhaftes, fahrlässiges oder kriminelles Verhalten vorangeht. Das ist aber nachweislich bei über 95% der Fälle nicht so. Schuldige wurden in den meisten Gesellschaften ausgestoßen oder zumindest gebrandmarkt.
Natürlich spielt auch unser Wunsch nach Erfolg und dem damit verbundenen Gefühl von Status, Anerkennung und Achtung eine Rolle. Da wir in einer sehr materiellen Welt leben, führt Scheitern mit dem damit verbundenen materiellen Verlust zu Statusverlust, Missachtung bis hin zu Stigmatisierung. Wir stellen nicht den Menschen mit all seinen Stärken und Schwächen, Erfolgen und natürlich Misserfolgen in den Mittelpunkt, sondern seinen materiellen Erfolg. Viele haben Angst aus ihrer sozialen Umgebung ausgeschlossen zu werden – ich hatte diese Angst 2011 auch. Und es gab leider Menschen, die mir bewusst aus dem Weg gingen. Und ich ihnen vielleicht auch. Dafür gab es aber viele, für die die Insolvenz meines Unternehmens nur ein einzelnes Ereignis war und für die meine Erfolge, Kompetenzen und Erfahrungen viel wichtiger waren.
Kann eine „Kultur des Scheiterns“ diese Wahrnehmung und den Umgang mit Misserfolg ändern?
Ja, davon bin ich überzeugt. Die Kultur hat sich ja schon geändert. Jüngere Menschen gehen ganz anders mit diesem Thema um. Für sie ist die Möglichkeit des Scheiterns normal. 70 bis 90% aller Start-ups scheitern in den ersten drei Jahren. Es wäre für jeden Gründer fahrlässig anzunehmen, dass es ihn nicht treffen könnte. Dafür gibt es zu viele Hürden und Unabwägbarkeiten. In einer unsicheren Welt, heute ja auch gerne als VUCA-Welt bezeichnet, lassen sich Erfolge nicht planen. Dafür verändern sich zu viele Dinge zu schnell. Unternehmen müssen sich deutlich schneller an sich verändernde Umweltbedingungen anpassen als früher – in einer volatileren, unsichereren, komplexeren und mehrdeutigeren Welt.
Ich beobachte auch einen offeneren Blick der Älteren. Nach meinen Vorträgen kommen regelmäßig gestandene Unternehmer auf mich zu und bedanken sich, dass ich die schlaflosen Nächte, die Angst und Unsicherheit, die Sorgen, die mit dem Unternehmertum einhergehen, explizit nenne. Ich kenne keinen Unternehmer, der nicht auch mal sehr schwierige Zeiten erlebt hat. Und oft war viel mehr der Zufall im Spiel, dass es zu keiner Insolvenz kam, als das eigene Können und Handeln. Scheitern hat sehr viel mit Zufall zu tun. Wir sind es gewohnt Perfektion anzustreben. Das ist der Maßstab für „made in Germany“ und unseren eigenen Anspruch an unsere Produkte und Dienstleistungen. Da wir heute viel agiler, schneller, anpassungsfähiger und flexibler reagieren müssen, kann es sein, dass gestern getroffene Annahmen heute schon hinfällig sind. Ist die Idee deswegen gescheitert, ist ein Projektteam oder ein Unternehmer deswegen gescheitert? Nein. Wir lernen gerade, dass es keine Garantie auf Erfolg gibt – für niemanden.
Eine „Kultur des Scheiterns“ oder „Fehlerkultur“ muss sich allerdings differenziert mit den Ursachen des Scheiterns beschäftigen. Es gibt unterschiedliche Formen von Fehlern oder Scheitern. Für mich haben sich hier zwei Kriterien bewährt: die Vorhersehbarkeit eines Ereignisses oder Ergebnisses und dessen Vermeidbarkeit. Wenn ich ein Ergebnis wie beispielsweise einen Produktionsfehler vorhersehen und vermeiden kann und ich tue nichts dagegen, dann ist das ein Vorsatz oder Faulheit – und beides ist natürlich nicht akzeptabel. In einem Innovationsprojekt ist das Ergebnis weder vorhersehbar noch vermeidbar: Das liegt in der Natur solcher Projekte und muss von der Führung ganz anders behandelt werden. Dann geht es darum, dass das Scheitern zu einer Lernerfahrung werden kann. Und das geschieht durch Annehmen, Reflektieren und den Erkenntnissen daraus.
Start-ups und deren Förderung stehen häufig im Fokus der Öffentlichkeit, aber wie sieht es mit den Re-Startern aus? Welche Rolle nehmen sie in der deutschen Wirtschaft ein?
Re-Starter spielen bisher in der deutschen Wirtschaftspolitik und bei den Förderprogrammen noch keine Rolle. Sie existieren nicht als eigene Gruppe. Dabei gibt es entscheidende Unterschiede zu Erst-Gründern. Der emotionale und identitäre Verlust, der mit einem unternehmerischen Scheitern einhergeht, muss verarbeitet werden, um aus einer solchen Erfahrung lernen zu können. Dies braucht Zeit und Angebote, die diese Verarbeitung begleiten. Untersuchungen zeigen, dass die Re-Starter, die aus ihrer Erfahrung gelernt haben, im Durchschnitt erfolgreicher bei einer erneuten Gründung sind als Erst-Gründer. Entgegen den Parolen vieler Motivationsgurus ist das aber keine Selbstverständlichkeit und an Voraussetzungen gebunden. Zu diesen Voraussetzungen zählt die Anerkennung des erlebten Scheiterns, das Reflektieren und das Gespräch über diese Erfahrung. Dies alles braucht etwas Zeit und die Bereitschaft sich den eigenen Emotionen wie Angst, Wut, Schuldgefühle und Zweifel zu stellen.
Daher freuen wir uns sehr, dass das Wirtschaftsministerium in Baden-Württemberg das Thema Re-Starter und Second Chance Entrepreneurship im letzten Jahr aufgegriffen hat und meinem Kooperationspartner TEAM U-Restart gGmbH und mir den Auftrag erteilt hat, auf Basis von zehn sogenannten Re-Starter-Trainings ein Konzept für die gezielte Unterstützung von unternehmerischen Re-Startern zu entwickeln. Ursprung dieses Projekts ist übrigens das Europa-Projekt Danube Chance 2.0, für das in Deutschland das Steinbeis-Europa-Zentrum in Karlsruhe und die Steinbeis 2i GmbH verantwortlich sind. Wir erfahren hier sehr viel Unterstützung durch den Steinbeis-Verbund.
Sie haben selbst das Scheitern Ihres Unternehmens erlebt und trotzdem den Neuaufbau gewagt – was raten Sie Menschen, die heute in dieser Situation sind und an einen Neuanfang denken?
Haben Sie Mut die notwendigen Schritte zu gehen. Es braucht Mut sich der Erfahrung zu stellen, sich mit den eigenen Ängsten, Schuldgefühlen und Zweifeln auseinanderzusetzen und diese zu verarbeiten, weil dies oft schmerzhaft ist. Es braucht Mut, das eigene Selbstvertrauen und den Selbstwert wieder zu entdecken, um die Energie für einen Neustart zu haben. Und es braucht Mut, zur eigenen Erfahrung zu stehen, zu den Reflektionen und Erkenntnissen und über diese Lernerfahrung offen zu sprechen. Ich habe für mich die Erfahrung gemacht, dass das darüber Sprechen weit weniger „schlimm“ ist, als ich gedacht habe. Vielmehr erfahre ich viel Zuspruch und sogar Dank, weil ich das Offensichtliche, das sehr viele schon einmal durchmachen mussten, offen anspreche. Das hat mich dann auch motiviert meine Erlebnisse in meinem Buch „FuckUp – Das Scheitern von heute sind die Erfolge von morgen“ zu verarbeiten und über meine Erfahrungen zu berichten. Je mehr wir alle über unsere Fehler und Scheiter-Erfahrungen sprechen, desto leichter wird es uns fallen, diese anzunehmen und aus unseren eigenen und den Erfahrungen anderer zu lernen. Und dann hätten wir umgesetzt, was eigentlich mit den Begriffen Fehler- oder Lernkultur gemeint ist. Ich spiele gerne Klavier und improvisiere gerne. Daher hat mich ein Zitat von Miles Davis sehr angesprochen: „Keine Note, die du spielst, ist falsch. Erst die Note, die du danach spielst, macht sie richtig oder falsch.“
DEN „RE-START“ WAGEN
Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg hat ein Pilotprojekt gestartet, das ein Konzept der zweiten Chance zur Unterstützung von Unternehmern entwickelt. In Kooperation mit der TEAM U-Restart gGmbH finden im Rahmen von zehn Pilotworkshops von März bis Mai 2020 erstmals Re-Starter-Trainings statt. Dabei wird erarbeitet, welche Unterstützung für Re-Starter wichtig ist und wie sich diese in die Gründerförderung in Baden-Württemberg integrieren lässt. Ziel ist es, das Potenzial zu nutzen, das in der zweiten Chance steckt.
Zum Weiterlesen:
„Second chance entrepreneurship“ hat Potenzial!
Im Gespräch mit Samantha Michau Senior Project Manager bei Steinbeis 2i GmbH
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Bert Overlack (Autor)
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bert.overlack GmbH (Rastatt)
TEAM U-Restart gGmbH (Köln)