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VON KONTROLLVERLUST UND NOTWENDIGER TECHNOLOGIEAKZEPTANZ

Das Ferdinand-Steinbeis-Institut untersucht die Ursachen für die vielfach geringe Akzeptanz technologischer Entwicklungen

Baden-Württemberg gilt gemeinhin als Technologieland, das Technologien und technischen Neuerungen sehr offen gegenübersteht. Doch auch hier existieren technologiekritische, ja geradezu technologiefeindliche Stimmen. Vor allem in der aktuellen Phase der digitalen Transformation und des tiefgreifenden technologischen Wandels besteht daher die Sorge, dass die Akzeptanz für technologische Neuerungen in verschiedenen Teilen von Wirtschaft und Gesellschaft abnimmt und das im Wettbewerb um Innovationen nötige Maß an Akzeptanz nicht mehr erreicht wird. Mit dem vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg geförderten Projekt #techourfuture hat sich das Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI) der Frage nach der Technologieakzeptanz in Baden-Württemberg angenommen.

In themenspezifischen Technologieforen testet das Team des FSTI experimentelle Formate, um Wirtschaft und Gesellschaft neue technologische Entwicklungen näherzubringen. Dabei steht neben der Vermittlung von Wissen und dem praktischen Erfahren neuer Technologien auch die wissenschaftliche Analyse von Technologieakzeptanz im Vordergrund.

ABLEHNUNG VON NEUEN TECHNOLOGIEN AUS ANGST VOR KONTROLLVERLUST

Ausgangspunkt des Projekts war die Erkenntnis, dass Vorbehalte gegenüber neuen Technologien, vor allem solchen, die in Zusammenhang mit der Digitalisierung und Autonomisierung stehen, ihren Ursprung häufig in der Sorge vor einem wahrgenommenen „Kontrollverlust“ haben. Dieser bezieht sich dabei zunächst auf den Übergang von Kontrolle zwischen zwei unterschiedlichen Entitäten. Quellen dieses Kontrollverlustes können unter anderem weitere Personen und eben Technologien sein, auf die die Kontrolle (teilweise) übergeht, oder aber natürliche Umstände/Faktoren, die einen Kontrollverlust implizieren. Auch lassen sich mehrere Modi dieses Übergangs von Kontrolle unterscheiden, zum Beispiel die freiwillige und die unfreiwillige Aufgabe von Kontrolle oder aber der Fall, dass etwas zuvor Unkontrolliertes ab einem bestimmten Zeitpunkt (von einer anderen Entität) kontrolliert wird.

Bei diesen verschiedenen Modi ist zusätzlich zu bedenken, ob der betroffenen Person ein Interventionsrecht eingeräumt bleibt oder nicht. Berücksichtigt werden muss zudem, dass auch Technologie und technische Systeme per Definition stets auf menschliches Handeln und Schaffenskraft zurückgehen, deren Bereitstellung, Einrichtung und Vermarktung folglich ebenfalls in direktem Bezug zu konkreten Personen oder Personengruppen stehen. Ob im Falle eines Kontrollverlusts durch Technologien also die Kontrolle letztlich doch auf Personen oder Gruppen übergeht, ist im Einzelfall zu spezifizieren, insbesondere weil dies substanzielle Implikationen auf das Ausmaß der Wahrnehmung des Kontrollverlusts haben dürfte. Einen besonderen Stellenwert nehmen hierbei autonome Agenten ein, also zum Beispiel Sprachsteuerungen wie Siri oder Alexa, die als eigenständig handelnde Individuen Kontrolle übernehmen können.

ZYKLISCHES MODELL VON KONTROLLE ALS UNTERSUCHUNGSBASIS

Das FSTI legt für seine Untersuchungen im Rahmen von #techourfuture ein zyklisches Modell von Kontrolle und somit auch vom Verlust derselben zugrunde: Das Verstehen und Überblicken von Technologien und technischen Systemen unterstützt den Akteur durch Grundlagenwissen (abstrakt, technisch) bei der Steuerung derselben und das (partielle) Steuern von Technologien und technischen Systemen generiert praktisches Erfahrungswissen in der Anwendung, das wiederum das Ausmaß des Verstehens und Überblickens erhöht usw. Das Team des FSTI geht daher von einem Steuerungskreislauf aus, bei dem der Akteur zumindest das grundlegende Prinzip einer Technologie beziehungsweise eines technischen Systems verstehen, überblicken oder steuern können muss, um einen Zustand von Kontrolle zu empfinden. Wird dieser Steuerungskreislauf an einer beliebigen Stelle durchbrochen – kann der Akteur eine Technologie oder ein technisches System also nicht mehr oder nicht mehr ausreichend verstehen, überblicken oder steuern – dann kann, vermittelt über Vorbehalte, Sorgen oder Ängste, ein Zustand von Kontrollverlust eintreten.

Das Konzept des FSTI bezieht auch eine techniksoziologische Perspektive mit ein. Wenn autonome Technik in einer Weise an Entscheidungen mitwirkt, wie sie bislang dem Menschen vorbehalten war, wird aus dem instrumentellen Verhältnis von Mensch und Technik schrittweise ein interaktives Verhältnis, in dem die Technik zu einem Partner und Mitentscheider in kooperativen Prozessen wird, die sich in verteilten, hybriden Systemen abspielen (Weyer 2006). Ein wesentlicher Aspekt (unter vielen) dieses über Technologien und technische Systeme induzierten Kontrollverlusts ist der Übergang/die Übertragung technischer Funktionen von hilfreichen, beherrschbaren und akzeptierten Applikationen auf risikoreiche oder bedrohliche Anwendungen, wie zum Beispiel Waffentechnologien, Überwachungstechnik und Wahlbeeinflussung (Böll-Stiftung 2019).

Dies wirft die Frage auf, wie sich in Interaktions- und Entscheidungsprozessen eine Steigerung der Beteiligung von Technologie oder eine Steuerung durch Technologie auf die Eingriffschancen, also die Handlungs- und Gestaltungschancen, der beteiligten menschlichen Akteure auswirkt. Die Experten am FSTI stellten sich auch die Frage, ob damit ein zunehmender Kontrollverlust verbunden ist, der die Eingriffs- und Steuerungspotenziale verringert. Vielfach wird festgestellt, dass die fortschreitende Beteiligung autonomer Technologien und technischer Systeme eher zu Lasten der Partizipationschancen der handelnden Menschen geht und einen weit gehenden Ausschluss des Menschen aus Entscheidungsprozessen in hybriden oder gänzlich autonom gesteuerten Systemen befördert. Die sich weiter entwickelnde Automatisierung, Autonomisierung und Hybridisierung von Technologien, Systemen und Prozessen führt somit zu einer Verminderung der Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten des Menschen und drängt ihn tendenziell dazu, sich an Vorgaben durch die Technologie anzupassen (Weyer 2006). Eine wissenschaftliche Unterlegung subjektiver Wahrnehmungen von Kontrollverlust liegt aus techniksoziologischer Perspektive also vor.

ERSTE ERKENNTNISSE: VORWISSEN IST ENTSCHEIDEND

Dieses Konzeptmodell von Kontrollverlust ist Grundlage der empirischen Untersuchungen im Rahmen der #techourfuture-Foren. Die Teilnehmer der Veranstaltungen sind dabei die Zielgruppe einer quantitativ-empirischen Befragung auf der Basis standardisierter Fragebögen. Ein vorläufiger Blick auf die Ergebnisse des ersten #techourfuture-Forums Ende 2019 in Sinsheim offenbart bereits erste Zusammenhänge. Zum einen ist zu erwarten, dass sich die Wahrnehmung von Kontrollverlust im Kontext neuer Technologien zwischen verschiedenen soziodemographischen Gruppen markant unterscheidet. Messbare Unterschiede lassen sich beispielsweise für die Geschlechtergruppen, aber auch für Alters-, Ausbildungs- und Berufsgruppen ausmachen. Die Sorge von Kontrollverlust ist dabei über die gesamte untersuchte Gruppe hinweg insgesamt durchschnittlich bis stärker ausgeprägt, also weder extrem hoch, aber auch keinesfalls marginal. Wichtiger Einflussfaktor hierbei ist allerdings das Ausmaß an Vorwissen über die jeweilige neue Technologie. Vor allem Grundlagen- und Überblickswissen zu den jeweiligen Technologien lässt die Sorge vor Kontrollverslust abnehmen. Dies gilt auch für den Nachweis der Sicherheit und Zuverlässigkeit einer neuen Technologie. Unklarheit über die genaue Verwendung der bei der Nutzung neuer Technologien erhobenen Daten und vor allem deren Sicherheit lassen die Sorge vor Kontrollverlust hingegen markant zunehmen.

Vor allem die umfassende und interaktive Betrachtung der jeweiligen Technologiethemen im Rahmen der #techourfuture-Foren werden von der Zielgruppe positiv wahrgenommen. Auch die Vermittlung durch relevante und glaubwürdige Experten sowie einschlägige und nachvollziehbare Beispiele werden sehr positiv bewertet. Zudem wurde die Möglichkeit, sich direkt in die Diskussion mit den Experten und weiteren Teilnehmern einbringen zu können und dafür ausreichend Zeit und Raum zur Verfügung zu haben, sehr positiv bewertet.

Mit diesen und den weiteren Ergebnissen der folgenden #techourfuture-Foren wird es dem FSTI-Team möglich, wichtige Anhaltspunkte für mögliche Handlungsempfehlungen in Bezug auf das Thema Technologieakzeptanz abzuleiten. Aus diesen werden zum einen Leitkonzepte für zukünftige Veranstaltungen mit dem Ziel Technologie*Begreifen entstehen. Zum anderen sollen darüber Instrumente und Vorgehensmodelle bei der Vermittlung neuer Technologien in Wirtschaft und Gesellschaft gestaltet werden.

Kontakt

Dr. Michael Ortiz (Autor)
Senior Research Fellow
Leitung Forschungsbereich Innovations- und Transfermanagement
Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI) (Stuttgart)
www.steinbeis-fsti.de


Quellen
  • Böll-Stiftung (2019): Dem Kontrollverlust vorbeugen.
  • Weyer, Johannes (2006): Die Kooperation menschlicher Akteure und nicht-menschlicher Agenten. Ansatzpunkte einer Soziologie hybrider Systeme. Arbeitspapier Nr. 16 (August 2006) des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Industriesoziologie. Universität Dortmund.