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„Second chance entrepreneurship“ hat Potenzial!

Steinbeis-Expertin Samantha Michaux im Gespräch über Chancen und Herausforderungen von Unternehmer-Re-Starts

Eine Kultur, in der das Scheitern akzeptiert wird, das fehlt uns in Deutschland. Insolvenz und Scheitern werden zu wenig als Chance betrachtet und stattdessen als Makel angesehen. Davon ist Samantha Michaux überzeugt, die als Senior Project Manager bei der Steinbeis 2i GmbH Unternehmern Hilfestellung für den Re-Start gibt. Als Expertin für den Bereich Unternehmensentwicklung und Beteiligungsinvestitionen und Botschafterin für die EU-Initiative „Startup Europe“ hat sie sich mit der TRANSFER über notwendige Veränderungen in der deutschen Unternehmenskultur unterhalten.

Frau Michaux, an gestrauchelten Unternehmern bleibt das Stigma des Scheiterns oft auch bei einer zweiten Gründung hängen. Im Silicon Valley hingegen scheint das Scheitern erster Projekte zum Erfolgsrezept zu gehören. Wie stehen die Chancen in Deutschland, um eine Kultur der zweiten Chance zu etablieren?

Samantha Michaux: Ein Re-Start nach dem Scheitern ist in Deutschland mit einigen Hürden und Schwierigkeiten verbunden, vor allem wenn eine Insolvenz und ein Schufa-Eintrag vorliegen. Viele Re-Starter versuchen daher ihre Vorgeschichte zu vertuschen, was auch in unserer gesellschaftlichen Stigmatisierung des Scheiterns begründet ist. Es gilt daher, vor allem auf der gesellschaftlichen Ebene einen offeneren Umgang mit dem Scheitern zu etablieren und an Modellen und Vorbildern zu zeigen, dass Scheitern nicht das Ende der Gründerkarriere darstellen muss. Ein Kulturwandel in Deutschland ist nötig.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang vom „geschützten Raum“. Worum geht es in diesem Konzept, das Steinbeis 2i für Unternehmer in der Krise anbietet?

Das Konzept hat Steinbeis 2i zusammen mit dem Sozialunternehmen TEAM U Restart gGmbH entwickelt, die erste gemeinnützige Organisation in Deutschland, die sich speziell um selbstständige Unternehmerinnen und Unternehmer in Krisen kümmert. Unser Konzept besteht aus einem Seminar im geschützten Raum für Menschen in oder nach einer unternehmerischen Krise. Sie werden von krisenerfahrenen Trainern dabei unterstützt, mit einer unternehmerischen Krisen- oder Insolvenzerfahrung proaktiv umzugehen, um einen erfolgreichen Re-Start zu ermöglichen. Sie dürfen dabei anonym bleiben.

Mit welchen Herausforderungen haben Re-Starter zu kämpfen?

Zum einen muss der Ausstieg aus dem ersten Unternehmen möglichst sauber vonstattengehen, um eine zweite Chance zu haben: rechtzeitig, unter Beachtung aller gesetzlichen Vorschriften und mit offenen Karten gegenüber der Bank und allen anderen Gläubigern. Gerade weil es für Re-Starter schwierig ist ihr neues Vorhaben zu finanzieren, ist es umso wichtiger Kreditgeber und Lieferanten davon zu überzeugen, dass sie aus ihren Fehlern gelernt haben. Die größte Hürde für einen erfolgreichen Re-Start stellt oft der fehlende Zugang zum erforderlichen Startkapital dar. Aufgrund der vorherigen Pleiten und der persönlichen Haftung – insbesondere bei Bankkrediten – sind private Rücklagen aufgebraucht, Sicherheiten verwertet und vorhandenes Vermögen zur Schuldenregulierung eingebracht. Solange noch Verbindlichkeiten bestehen oder die Restschuldbefreiung noch nicht erteilt wurde, müssen Re-Starter daher davon ausgehen, dass sie bei Banken als „nicht kreditfähig“ gelten. Daher müssen andere Finanzierungswege gefunden werden, wie nicht rückzahlbare Zuschüsse, Beteiligungen oder Bürgschaften.

Zum Zweiten ist die sorgfältige Analyse der Gründe des Scheiterns eine Voraussetzung für einen erfolgreichen zweiten Versuch. Es geht um Selbstkritik: Wo liegen meine persönlichen und beruflichen Schwachstellen, wie kann ich diese bei der zweiten Gründung ausgleichen und zukünftige Herausforderungen meistern? Wichtig ist auch unternehmerisches Denken! Wem unternehmerische Fähigkeiten fehlen, der wird auch bei einem zweiten Projekt scheitern.

Das Angebot ist Teil des europäischen Projekts „DanubeChance2.0“. Welche Ziele verfolgt die Europäische Kommission mit dem Projekt?

Während über die Gründungsfreundlichkeit von Regionen und Ländern verschiedene Studien und Indexe Auskunft geben, mangelt es bislang an Analysen, die die Bedingungen für Re-Starter und Unternehmer in der Krise in den Fokus rücken. Vor diesem Hintergrund verfolgt die Europäische Kommission mit dem geförderten Interreg-Projekt „DanubeChance2.0“ das Ziel, bislang ungenutzte Potenziale von Re-Startern für die Donauregion freizusetzen. Das Konsortium besteht aus elf Partnern aus dem Donauraum: aus Bosnien, Deutschland, Österreich, Kroatien, Serbien, Moldawien, der Slowakei, Slowenien, Ungarn und Rumänien. Die Partner haben einen breit angelegten Dialog mit Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sowie mit betroffenen Unternehmern und Unternehmerinnen initiiert und die rechtlichen, sozioökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen von Unternehmensneugründungen untersucht. Ziel der Initiative ist es, die Bedingungen für Re-Starter in den beteiligten Regionen nachhaltig zu verbessern.

Welche Tools oder Programme stehen Re-Starter oder Unternehmern in der Krise zur Verfügung?

Im Rahmen von „DanubeChance2.0“ wurde die „Trial-and-Error“ Re-Design Transnational Academy ins Leben gerufen, die Unternehmern und Unternehmerinnen beim Entwurf von Strategien für den Re-Start konkrete Unterstützung anbietet. Die Themen der Akademie reichen von (Re-)Finanzierung und Verhandlungen mit Investoren bis hin zu Fragen der Unternehmensführung und des Teamaufbaus. Das in Online-Kursen und Experten-Workshops angebotene Toolset ist individuell anpassbar und stellt damit ein einzigartiges Angebot für Re-Starter dar. Implementiert und weiterentwickelt werden soll die Academy durch ein Netzwerk von etablierten Experten im Donauraum.

Für Coaches und Trainer, die sich mit diesen Themen beschäftigen, stehen die Modulinhalte online frei zur Verfügung. Die Inhalte dürfen unter der Bedingung verwendet werden, dass die Logos des Projekts DanubeChance 2.0 und die EU-Flagge mit aufgeführt werden.

Im Oktober 2020 haben wir ein Inkubationsprogramm für Re-Starter als Pilotprojekt aufgesetzt, indem Re-Starter bei ihrem neuen Start und ihrer Geschäftsentwicklung von unseren Experten gecoacht werden. Unser lokaler Partner, die TEAM U Restart gGmbH, bietet im November und Dezember 2020 in Kooperation mit den regionalen Industrie- und Handelskammern kostenlose Sensibilisierungstrainings an, um Kompetenzen zur frühzeitigen Krisenbewältigung zu stärken. Diese Maßnahmen werden vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg im Rahmen der Landeskampagne „Start-up BW“ gefördert und finden in Zusammenarbeit mit den regionalen Industrie- und Handelskammern statt. Weitere Informationen über die Trainings finden Sie auf unserer Website.


Zum Weiterlesen:

„SCHEITERN HAT BEI UNS AUCH GERNE ETWAS MIT SCHULD ZU TUN“
Im Gespräch mit Bert Overlack, Geschäftsführer der bert.overlack GmbH


Termine der Sensibilisierungstrainings finden sich unter www.startupbw.de/themen/re-starter

Hier geht es zum Video-Interview mit Samantha Michaux: www.youtube.com/watch?v=kF19Dp1sCfU&feature=youtu.be

Weitere Infos zu „DanubeChance2.0“ finden sich hier: www.steinbeis-europa.de/danubechance2-0

Kontakt

Samantha Michaux
Senior Project Manager Unternehmensentwicklung und Beteiligungsinvestitionen
Steinbeis 2i GmbH (Stuttgart)
www.steinbeis-europa.de