Kooperationen, Netzwerke und Innovationen im Fokus
Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland bis heute hat sich die Wirtschaftsförderung in ihrer Bedeutung und in ihren Aufgaben stark verändert [1], ihre Zielausrichtung aber beibehalten. Der Einsatz unternehmens- und wirtschaftsfördernder Instrumente und Maßnahmen mit dem wirtschaftspolitischen Ziel, Strukturen und Rahmenbedingungen von Volkswirtschaften, Regionen und Standorten von der Konjunktur unabhängiger und wettbewerbsfähiger aufzustellen, ist demnach keine Erfindung der letzten Jahrzehnte. Steinbeiser Professor Dr. Norbert Zdrowomyslaw und Christian Wulf (Assecor GmbH) geben einen Überblick über den aktuellen Stand und die Herausforderungen der modernen Wirtschaftsförderung.

Dimensionen der Wirtschaftsförderung. Quelle: Lahner, J.: Entwicklung der Wirtschaftsförderung, in: Stember, J./Vogelgesang, M./Pongratz, P./Fink. A.: Handbuch innovative Wirtschaftsförderung – Moderne Konzepte kommunaler Struktur- und Entwicklungspolitik, Wiesbaden 2020, S. 10.
Gesetze und Förderprogramme sind wichtige Instrumente zur Entwicklung von Regionen und Standorten und zum Aufbau wettbewerbsfähiger existenzfördernder Unternehmensstrukturen (Unternehmensansiedlungen, -gründungen, -nachfolgen) sowie allgemeiner infrastruktureller Projekte. 1994 wurde in Deutschland als Erweiterung des mit dem Stabilitätsgesetz aus dem Jahre 1967 eingeführten magischen Vierecks das magische Sechseck als Leitbild für wirtschaftspolitische Maßnahmen etabliert. Die vier quantitativen Ziele des Stabilitätsgesetzes – Preisniveaustabilität, Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und ein stetiges Wirtschaftswachstum – wurden durch die zwei qualitativen Ziele der Erhaltung einer lebenswerten Umwelt sowie der gerechten Einkommens- und Vermögensverteilung ergänzt. Der Begriff der Herstellung „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ im Sinne des derzeit geltenden Art. 72 Abs. 2 GG wurde im Jahr 1994 in das Grundgesetz aufgenommen.
Das Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) vom 27. März 2024 ist ein aktuelles Beispiel zur Konjunkturunterstützung und Stabilisierung der deutschen Volkswirtschaft. In den letzten Jahren gewinnt auch die Unterstützung der Regionalität zusehends an Relevanz. Das deutsche Fördersystem bietet den Wirtschaftsfördereinrichtungen und anderen Regionalakteuren die Möglichkeit, die Standortattraktivität ihres Verantwortungsbereichs zu verbessern. Denn Regionen, Standorte, Städte und Unternehmen befinden sich im internationalen, nationalen und regionalen Wettbewerb um Investoren, Arbeitskräfte, Touristen, Studierende sowie Zuwanderer und Neubürger. Vor diesem Hintergrund sind die Wirtschafts- und Unternehmensförderung nicht nur ein Schutzschirm in schwierigen volkswirtschaftlichen Zeiten, sondern grundsätzlich ein Stabilitätsfaktor für das Investieren, Arbeiten und Leben in strukturschwachen Regionen. Heute gilt deshalb das Motto: Global denken, lokal und regional handeln! [2] Ausdruck der Unterstützung der regionalen Strukturpolitik ist unter anderem der Bundeswettbewerb „Zukunft der Region“.
Standortattraktivität und Mittelstandsunterstützung werden vor Ort gestaltet
Die Attraktivität eines Wirtschafts- und Lebensstandorts hängt zum einen von den harten Standortfaktoren, wie zum Beispiel Verkehrsanbindung, Flächenangebot, Forschungsinstitute, und weichen Faktoren ab, zu denen unter anderem innovatives Milieu der Region, Wohnen und Umweltqualität gehören. Zum anderen wird die Standortattraktivität vom strategiegeleiteten und zielorientierten Handeln der Wirtschaftsfördereinrichtungen und Regionalakteure beeinflusst. Die neue und besondere Rolle der Wirtschaftsförderung ist darin zu sehen, dass sie zusehends die Regionalpolitik als Standortpolitik von und für Regionen begreift beziehungsweise begreifen sollte. [3]
EU, Bund und Länder schaffen den Rahmen für die Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik sowie die Umsetzung der Fördersysteme. Die Landesregierungen und Förderbanken sorgen mit Förderprogrammen und sonstigen Instrumenten für die Rahmenbedingungen im Hinblick auf die Umsetzung vor Ort. Regionale und kommunale Wirtschaftsfördereinrichtungen agieren eher standortorientiert. Dabei stehen Information, Beratung, Ansiedlung, Vernetzung etc. im Fokus der Aktivitäten.
Patentrezepte für die richtige Organisationsstruktur und Rechtsform sowie die Finanzierung einer Wirtschaftsfördergesellschaft gibt es nicht. Ob sich eine GmbH, ein eingetragener Verein oder eine kommunale Wirtschaftsfördergesellschaft empfiehlt, hängt nicht zuletzt von den tragenden Regionalakteuren, den Aufgabenfeldern und Finanzierungsmöglichkeiten ab. [4] Vielmehr schafft eine koordinierte, kooperative, strategieorientierte und gezielte Standort- und Mittelstandspolitik die Voraussetzung für die ausgewogene Entwicklung eines Wirtschafts- und Lebensstandorts.
Aufgaben einer modernen Wirtschaftsförderung
Im Verlauf der letzten Dekaden hat sich die Wirtschaftsförderung in ihren Aufgaben stark verändert. Moderne Wirtschaftsförderer setzen stark auf die weichen Faktoren eines Standorts und auf Information, Kommunikation, Netzwerkbildung, Betreuung und Beratung. Aber unabhängig davon, ob eine Wirtschaftsfördereinrichtung mehr strategisch oder operativ in ihren Aufgaben ausgerichtet ist, kann sie ohne die Berücksichtigung der existierenden Rahmenbedingungen und der Einbindung von Regionalakteuren nicht agieren. Damit sind zum einen die vorhandenen Entscheidungseinschränkungen zu beachten und zum anderen die relevanten Stakeholder zwingend in Entscheidungsprozesse einzubinden. Ein aktives Beziehungsmanagement zwischen Wirtschaftsförderern und Regionalakteuren ist also ein Muss. [5]

Wirtschaftsförderung in einem dynamischen Umfeld. Quelle: Modifiziert nach Kost, Klaus: Belegschaften als Frühwarnsysteme, in: Kost, Klaus (Hrsg.): Wir retten, was zu retten ist. Arbeitsplatzerhalt durch Belegschaftsinitiativen, Marburg 2004, S. 76.
Auch die aktuellen Entwicklungen im Bereich Umwelt und auf der europäischen Ebene spiegeln sich im Prozess der Regional-, Standort-, Stadt-, Branchen- und Unternehmensentwicklung sowie im Rahmen der Mittelstandsförderung wider. Die moderne Wirtschaftsförderung in einem dynamischen Umfeld umfasst eine enorme Aufgabenvielfalt und erfordert eine Professionalisierung. Wirtschaftsförderer und Regionalmanager sind gefordert bei der Ansiedlung eines Unternehmens, der Branchenpflege und -entwicklung (Clusterbildung), der Unternehmensbestandspflege, der Unterstützung von Existenzgründern, der Begleitung von Unternehmen bei der Nachfolgeregelung, der Arbeitskräftesicherung und „Entwicklung des Humanpotenzials“, der Unterstützung der Akquise von Projektfördermitteln für die Stadt- und Regionalentwicklung oder bei Maßnahmen des Vermarktens der Standortattraktivität. Somit werden die Wirtschaftsfördergesellschaften zu Standortentwicklern und -vermarktern sowie wichtigen Lotsen für Investoren und Unternehmensgründer.
Fördersystem als Treiber regionaler Wirtschafts- und Strukturentwicklung
Wirtschafts- und strukturfördernde Projekte werden unter anderem unter der Mitwirkung von Wirtschaftskammern, Forschungseinrichtungen sowie Hochschulen in Kooperation mit Unternehmen beantragt und umgesetzt. Die Mittel aus den unterschiedlichen Förderprogrammen des deutschen Fördersystems stärken die Wirtschaftsstrukturen einer Region oder eines Bundeslandes. Das deutsche Fördersystem mit 22 Förderprogrammen des Bundes zur Förderung strukturschwacher Regionen mit den sechs Förderbereichen Unternehmensförderung, Forschung und Innovation, Fachkräfte, Breitbandausbau und Digitalisierung, Infrastruktur und Daseinsvorsorge sowie Nachhaltigkeit und Transformation ist mehr als ein finanzieller Schutzschirm. [6] Betrachtet man beispielsweise die Fördersummen für realisierte und zukünftige Projekte in Mecklenburg-Vorpommern, so ist die Bedeutung der Fördermittel aus Förderprogrammen für die Städte- und Regionalentwicklung enorm. Die Bundesregierung sieht staatliche Förderprogramme als wichtige Stütze einer erfolgreichen Regional- und Mittelstandspolitik, wie die „Eckpunkte der Mittelstandsstrategie“ zeigen. Mit den Programmen zur Förderung eines innovativen Mittelstands und einer aktiven Gründungs- und Unternehmensnachfolgeszene misst man seitens der Politik der regionalen Strukturentwicklung eine besondere Bedeutung bei. [7]
Dazu kommen noch die Fördermittel aus verschiedenen EU-Programmen. So ist zum Bespiel Mecklenburg-Vorpommern aufgrund seiner Strukturschwäche einer der Hauptprofiteure der Fördermittelzahlungen der EU, die über die EU-Strukturfonds ins Land kommen.
Ohne Netzwerke kein Erfolg
Staatliche Förderprogramme, diverse Initiativen, Beziehungsmanagement, Netzwerke, Kooperationen, Cluster und Wissenstransfer sind also Treiber einer positiven Wirtschafts- und Strukturentwicklung. Ein langfristig angelegtes und erfolgreiches Gründungs- und Unternehmensnachfolgeökosystem mit dem Fokus auf einen „neuen Mittelstand“ [8] ist jedoch stark von der Fähigkeit sowie der Innovationsbereitschaft der Akteure abhängig, Netzwerke zu bilden und Kooperationen einzugehen. Diese schaffen eine Plattform für den Austausch von Wissen und Ressourcen, was die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Region stärkt. Insbesondere Kooperationen zwischen Forschungseinrichtungen, Universitäten, Hochschulen und Unternehmen spielen dabei eine zentrale Rolle, da sie den Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis fördern und Gründer sowie Unternehmensnachfolger dabei unterstützen, ihre Ideen in marktfähige Produkte und Dienstleistungen umzuwandeln.
Die Wirtschaftsförderung der Zukunft
Da die Herausforderungen und der Veränderungsdruck auf Regionen und Unternehmen auch in den nächsten Jahren bestehen bleiben werden, müssen Wirtschaftsförderer ihre Angebote insbesondere in den Bereichen der Energiewende, der Nachhaltigkeit und der Digitalisierung weiterentwickeln. Sie werden auch weiterhin als Lotsen und Dienstleister zwischen Unternehmen, allen Regionalakteuren des Standortes oder der Kommunal- und Stadtverwaltung agieren, wobei die Bedeutung der Wirtschaftsfördereinrichtungen vor Ort für die regionale und unternehmensbezogene Wertschöpfung weiterwachsen wird. Denn es gilt: Koordinierte und kooperative Standort- und Mittelstandsstrategien sowie gemeinschaftliche Projektumsetzungen mit Begleitung durch Wirtschaftsfördergesellschaften sind zentrale Instrumente für die Zukunft des Unternehmertums. [9]
Kontakt
Prof. Dr. Norbert Zdrowomyslaw (Autor)
Freiberuflicher Projektleiter
Steinbeis-Transferzentrum Projektierung und Evaluierung von Netzwerken (Stralsund)
Christian Wulf (Autor)
Standortleitung
Assecor GmbH (Stralsund)
Quellen
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[1] Vgl. Zdrowomyslaw, N./Grundke, T./Wulf, Ch./Heine, J. und Team: Management des Standortmarketings von Wirtschafts- und Lebensräumen. Raumplanung, Standortentwicklung und Regionalmarketing am Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, Greifswald 2022, S. 52–65.
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[2] Vgl. Zdrowomyslaw, N./Bladt, M.: Regionalwirtschaft. Global denken, lokal und regional handeln, Gernsbach 2009.
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[3] Vgl. Zdrowomyslaw, N./Grundke, T./Wulf, Ch./Heine, J. und Team: Management des Standortmarketings von Wirtschafts- und Lebensräumen. Raumplanung, Standortentwicklung und Regionalmarketing am Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, Greifswald 2022, S. 28–39.
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[4] Vgl. Zdrowomyslaw u. a.: Regionalwirtschaft kennen und gestalten, Greifswald 2021, S. 74.
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[5] Vgl. Zdrowomyslaw, N./Grundke, T./Wulf, Ch./Heine, J. und Team: Management des Standortmarketings von Wirtschafts- und Lebensräumen. Raumplanung, Standortentwicklung und Regionalmarketing am Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, Greifswald 2022, S. 101–105.
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[6] Vgl. Zdrowomyslaw, N./Grundke, T./Wulf, Ch./Heine, J. und Team: Management des Standortmarketings von Wirtschafts- und Lebensräumen. Raumplanung, Standortentwicklung und Regionalmarketing am Beispiel Mecklenburg-Vorpommern, Greifswald 2022, S. 66–71.
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[7] Vgl. Zdrowomyslaw, N./Blank, W./Auerbach, H./Wulf, Ch. und Team: Gründungs- und Unternehmensnachfolge. Mecklenburg-Vorpommern: Attraktivität, Akteure und Aktionen, Greifswald 2024, S. 117-122.
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[8] Vgl. Zdrowomyslaw, N./Auerbach, H./Wulf, Ch.: Neue Denkmuster sind gefragt: Der Mittelstand im Wandel, in: Transfer. Das Steinbeis-Magazin 2/2023, S. 13–15.
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[9] Vgl. Zdrowomyslaw, N./Wulf, Ch.: Kooperationen als Strategie für die Zukunft des Unternehmertums, in: Transfer. Das Steinbeis-Magazin 3/2024, S. 32–34.