Im Gespräch mit Wirtschaftsförderer Reiner Lohse
Die Aufgabe der Wirtschaftsförderung scheint mit der Förderung der Wirtschaft klar definiert zu sein, die Wege dahin sind aber so vielfältig, wie es die Wirtschaft selbst ist. Darüber hat sich die TRANSFER mit Reiner Lohse unterhalten, der sowohl die Geschäftsführung der WIF – Wirtschafts- und Innovationsförderungsgesellschaft für den Landkreis Göppingen mbH innehat als auch das Steinbeis-Transferzentrum Technologie- und Innovationsmanagement im gleichen Landkreis verantwortet. Wie die Unternehmen im Landkreis von diesem Zusammenspiel profitieren, wie das Tagesgeschäft der WIF aktuell aussieht und welche Trends die Zukunft bestimmen werden, stand im Mittelpunkt des Gesprächs.
Herr Lohse, Sie sind sowohl Steinbeis-Mitarbeiter als auch Geschäftsführer der WIF – Wirtschafts- und Innovationsförderungsgesellschaft für den Landkreis Göppingen mbH: Welche Vorteile, aber auch Herausforderungen bringt diese Doppelrolle mit sich?
Zunächst gilt es festzuhalten, dass man diese (Doppel)Rolle bewusst vor 30 Jahren bei der Gründung der WIF von beiden Seiten – also vom Landkreis Göppingen und Steinbeis – gewählt hat, weil die Vorteile einer solchen Konstellation den Unternehmen im Landkreis Göppingen zugutekommen sollten, und das ist bis heute der Fall.
Ganz praktisch gesehen bin ich von Steinbeis in den Landkreis Göppingen entsandt. Ich kann mich als Wirtschaftsförderer auf Kreisebene in der Rolle des WIF-Geschäftsführers besser mit dem Landkreis identifizieren und werde von den Unternehmen auf Augenhöhe akzeptiert. Dies gilt im Übrigen auch für die Politik, da die WIF eine 100 %-ige Tochtergesellschaft des Landkreises Göppingen ist. Das heißt, die WIF ist Teil des Haushalts der Kreisverwaltung mit Rechten und Pflichten, wie zum Beispiel die Berichterstattung in den Gremien des Kreistages oder die operative Steuerung durch den WIF-Aufsichtsrat. Ihm gehören alle drei Säulen der Zuschussgeberschaft an die WIF an – Landkreis, Kreissparkasse sowie Städte und Gemeinden des Landkreises.
Ein weiterer Vorteil ist, dass ich in der Wahrnehmung der Wirtschaft ein Vertreter des Landkreises bin, der keine wirtschaftlichen Interessen in der Unterstützung der Unternehmen verfolgt, weil ich neutral und unabhängig bin. Bei einem Berater – und das meine ich jetzt nicht negativ – könnte das durchaus anders verstanden werden, auch wenn es so nicht ist.
Eine Herausforderung ist manchmal, dass auf beiden Seiten eine gewisse Bürokratie erledigt werden muss…(lacht)
2025 feiert die WIF ihr 30-jähriges Jubiläum, was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Meilensteine in dieser Zeit?
Die Gründung der WIF selbst war der wichtigste Meilenstein. Damit bewiesen die Entscheider des Landkreises politische Weitsicht, die Unternehmen im Landkreis mit einem besonderen Angebot zu unterstützen. Die WIF konzentrierte sich von Anfang an auf die individuelle Beratung und Begleitung von Unternehmen.
Hinzu kamen die Entwicklung und Durchführung von Veranstaltungen mit überregionaler Strahlkraft zur Vernetzung zahlreicher Akteure. So hatte das WIF-Team gemeinsam mit den jeweiligen Akteuren im Landkreis unter anderem mit den Göppinger Maschinenbautagen, Gesundheits-, Hochschul- und Genussmessen sowie vielen weiteren Ideen zahlreiche bemerkenswerte Events etabliert, die auch über die Kreisgrenzen hinaus große Beachtung fanden. Fachsymposien und zahlreiche Netzwerkveranstaltungen rundeten dieses anspruchsvolle Programm ab.
Bei allen Veränderungen in den vergangenen Jahren und den aktuellen Rahmenbedingungen bleibt der Kern der Herausforderung für die WIF derselbe: Unsere grundlegende Aufgabe besteht darin, eine starke Wirtschaftsregion und die Unternehmen voranzubringen und zukunftsfähig zu gestalten.
Ab 2009 rückten die Themen „Technologie“ und „Innovation“ immer stärker in den Fokus. Mit dem Namen „Wirtschafts- und Innovationsförderungsgesellschaft des Landkreises“ begann eine Neuausrichtung, die den veränderten Ansprüchen an die Wirtschaftsförderung gerecht wurde. Die Potenziale der WIF liegen verstärkt auf der zielgerichteten Arbeit mit Unternehmen und einer engeren Betreuung einzelner Betriebe. Ein klein wenig „zurück zu den Wurzeln“, denn der Wunsch nach einer bedeutenderen Vernetzung von Hochschulen und Steinbeis mit den Unternehmen im Landkreis, nach Technologietransfer und nach der Begleitung der Betriebe im Technologiewandel, ist groß – bis heute.
Welche aktuellen Herausforderungen beschäftigen die Unternehmen im Landkreis Göppingen und wie unterstützt die WIF sie dabei?
Die Abhängigkeit des Landkreises von der Automobilwirtschaft und die rasante Transformation in dieser Branche führen dazu, dass die Suche nach neuen, zukunftsträchtigen Betätigungsfeldern für die betroffenen Unternehmen im Landkreis immer mehr in den Vordergrund rückt.
Außerdem ist die gesamte Wirtschaft von der fortschreitenden Digitalisierung mit all ihren Chancen, aber auch Risiken sowie von Nachhaltigkeitsthemen betroffen. Der Aufbau eines Gründungsökosystems ist unter dem Aspekt der Erneuerung der Wirtschaft durch Start-ups ebenfalls eine große Herausforderung. Die einzelbetriebliche Technologie- und Innovationsberatung spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn jeder Fall ist anders. Darüber hinaus sind Netzwerke ein wichtiges Instrument, um die Unternehmen im Wandel zu unterstützen und zu begleiten.
Stichwort Netzwerke: Welche Rolle spielen diese bei Ihrer Arbeit?
Neben den Einzelberatungen sind es auch Veranstaltungen zum konkreten Netzwerken, die von der WIF organisiert oder begleitet werden. Allen voran der „Unternehmerzirkel“, in dem sich Inhaber und Geschäftsführer namhafter Firmen austauschen. Personalführung, Entwicklung von USPs, IT-Infrastrukturen im eigenen Unternehmen, Umgang mit Krisensituationen – das sind nur einige der Themen, mit denen sich die Teilnehmer beschäftigen. Etwa sechsmal im Jahr trifft sich der Unternehmerzirkel – persönlich oder auch virtuell. Ein weiteres Netzwerkinstrument ist der etwas offenere, aber dennoch sehr praxisorientierte „Innovationszirkel“. Er richtet sich an Fach- und Führungskräfte, insbesondere aus dem technischen Bereich. Regelmäßig treffen sich viele Interessierte und tauschen sich im Fachdialog aus. Daraus entstehen immer wieder neue, zukunftsorientierte Geschäftspartnerschaften. Und: Ein externer Referent gibt den Teilnehmern in einem Impulsvortrag Denkanstöße. Die WIF organisiert die Veranstaltung, Gastgeber ist jeweils die Firma eines der Teilnehmer – die Betriebsbesichtigung ist dabei ein fester Programmpunkt.
Last but not least: Seit zwei Jahrzehnten ist ein Cluster, das sich mit der Gesundheitswirtschaft im Allgemeinen und der Medizintechnik im Speziellen beschäftigt, ein wichtiger Bestandteil der Vernetzung der Unternehmen untereinander.
Welche Entwicklungen werden Ihrer Meinung nach die Wirtschaftsförderung in der Zukunft maßgeblich prägen und welche Rolle kann hier die WIF einnehmen?
Die Wirtschaftsförderung befindet sich im Wandel und wird in Zukunft stärker auf Digitalisierung, Nachhaltigkeit und innovative Förderformate setzen. Wir als WIF verstehen uns auch in der neuen Welt der Wirtschaftsförderung als Motor, der Projekte vorantreibt.
Lassen Sie mich einzelne Handlungsfelder der WIF aufzeigen: Zum einen müssen passgenaue Unterstützungsangebote für die individuellen Bedürfnisse einzelner Unternehmen zukünftig auch mithilfe von KI generiert werden. Mit „One fits for all“-Angeboten kann man allenfalls noch den „Köder“ für das Förderangebot auslegen. Das bedeutet aber auch, dass die Wirtschaftsförderung ein breitgefächertes Expertennetzwerk im Hintergrund benötigt, um schnell und maßgeschneidert reagieren zu können. Bei der WIF ist das durch Steinbeis und die Hochschulen vor Ort jederzeit möglich.
Den anderen Schwerpunkt bilden nachhaltige Unternehmen und der Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft. Unternehmen, die ihre Hausaufgaben in diesem Bereich bereits gemacht haben, werden nicht nur in Lieferketten, sondern auch durch die Wirtschaftsförderung leichter von Förderangeboten profitieren. Auch müssen die Gründerökosysteme weiterentwickelt werden. Aktuell besteht ein Bedarf an öffentlich-privaten Partnerschaften zur Finanzierung von Start-ups und so wird die WIF hier zukünftig noch stärker die beiden Seiten zusammenbringen.
Auch die Resilienzförderung für Unternehmen ist ein wichtiges Zukunftsthema. Die Wirtschaftsförderung muss sich folgende Frage stellen: Wann wird sie initiativ tätig, um Unternehmen bei der Verbesserung ihrer Widerstandskraft zu helfen? Es muss also rechtzeitig geschaut werden, wo Risiken von Märkten, Kunden etc. bestehen und wie gegebenenfalls gegengesteuert werden kann.
Zukunftsfähige Wirtschaftsförderung wird also agiler, digitaler und nachhaltiger und verstärkt auf Vernetzung, datengetriebene Entscheidungen und resiliente Geschäftsmodelle setzen. Was sich allerdings nicht ändern wird, ist, dass die Unternehmen die Angebote auch für sich nutzen müssen. Es gilt nach wie vor der Grundsatz: Die Verwaltung kann Wirtschaft nicht „machen“, sie kann aber optimale Rahmenbedingungen und Anreize zum Handeln der Unternehmen schaffen.
Kontakt
Reiner Lohse (Interviewpartner)
Steinbeis-Transferzentrum Technologie- und Innovationsmanagement im Landkreis Göppingen (Ulm)
Geschäftsführer
WIF – Wirtschafts- und Innovationsförderungsgesellschaft für den Landkreis Göppingen mbH (Göppingen)
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