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Big Data? Big Data!

Daten im Gesundheitswesen: Ein Essay über Potenziale und Herausforderungen

Daten sind der Rohstoff des 21. (unseres!) Jahrhunderts. Kaum ein Satz fällt im Zusammenhang mit Big Data so regelmäßig wie dieser. Aber was versteht man eigentlich darunter? Und was bedeutet Big Data für das Gesundheitswesen? Die Steinbeis-Experten Dr. Martin Vogel und Jürgen Blume vom Steinbeis-Forschungszentrum Medizintechnik und Biotechnologie haben sich für die TRANSFER mit diesen Fragen auseinandergesetzt.

Für die beiden Steinbeiser steht fest, dass mit Big Data nicht allein eine Größenangabe gemeint ist, denn das Auftreten riesiger Datenmengen ist in der bildgebenden Wissenschaft und Medizin seit Jahrzehnten eine bekannte Tatsache (und Herausforderung). Unter Big Data versteht man daher das eher neue Phänomen der permanenten Erhebung großer Datenmengen und die damit einhergehenden Anforderungen an Systemdesign, Speicherung, Analyse und Darstellung. Ein bekanntes Beispiel ist der Google-Kartendienst „Maps“, der aus den zurückgemeldeten Positionsdaten unzähliger Mobiltelefone Angaben zum aktuellen, aber auch zum prognostizierten Verkehrsaufkommen an bestimmten Wochentagen oder Tageszeiten ableitet.

Als Expertenbezeichnung für alle technischen Themen um Big Data hat sich der Begriff des Data Scientist etabliert. Sie oder er arbeitet an vielfältigen He­rausforderungen:

  • eine zur Fragestellung passende Systemtopologie zu wählen (zum Beispiel welche System­komponente – Zentralrechner, Peripherierechner, Mobiltelefon etc. – übernimmt welche Aufgaben),
  • Speichermodelle vorzuschlagen, die auch zukünftige Entwicklungen des Systems einbeziehen (zum Beispiel normalisierte Speicherung in SQL-Datenbanken oder dokumenten­zentriert in NoSQL-Datenbanken)
  • oder passende Analysen zu entwickeln (zum Beispiel klassische Analysemodelle oder sich selbstanpassende, selbstlernende Algorithmen, künstliche Intelligenz).

Künstliche Intelligenz: Chancen und Risiken
Insbesondere KI-Algorithmen bieten aus der Sicht von Dr. Martin Vogel und Jürgen Blume die größten Anwendungschancen für Big Data: Das Computersystem kann auf große Datenmengen – Erfahrungswissen – zurückgreifen und leitet daraus Prognosen ab. Der Erfolg jeder neuen Entscheidung, die das System trifft, wird zur Optimierung der Entscheidungsfindung genutzt. So entstehen sich permanent verbessernde Systeme, deren Vorhersagepräzision die der klassischen Modelle übertrifft. In Einzelfällen sind diese Systeme in ihrem speziellen Feld sogar bereits „besser“ (genauer: präziser und schneller) als menschliche Experten.

An diesem Punkt muss man jedoch auch die Risiken betrachten: Die in KI-Algorithmen entstehenden Entscheidungsketten oder „-bäume“ sind zum Teil sehr umfangreich (Millionen von untereinander abhängigen Einzelentscheidungen) und entziehen sich damit jeder Nachvollziehbarkeit für Menschen. Mit anderen Worten: Wir wissen dann in den meisten Fällen nicht, worauf die Prognose oder Entscheidung des Computersystems beruht. Dies ist insbesondere dann kritisch, wenn das System über „ungewohnte“ Randfälle (im Sinne seines Erfahrungsspeichers) zu entscheiden hat.

Daher sind nach der Auffassung der beiden Steinbeis-Experten KI-Systeme im Gesundheitswesen sinnvoll nur dann einzusetzen, wenn sie entweder rein unterstützend wirken, das heißt, die letzte Entscheidung trifft hier immer ein Experte (wobei dann Mechanismen gegen gewohnheitsmäßiges „Durchklicken“ gefunden werden sollten) oder eine Risikoanalyse stellt sicher, dass autonom arbeitende Systeme keine irreversiblen Schäden an Leib und Leben verursachen können.

Vom Rohstoff und Datenschutz
Werden diese Aspekte beachtet, können KI-Algorithmen jedoch sehr hilfreich dabei sein unbekannte Zusammenhänge in Daten zu entdecken. Allerdings hinkt die Modellvorstellung von „Daten als Rohstoff“ an dieser Stelle. Im Gegensatz zum klassischen Rohstoff können Daten nicht einfach gewonnen und verkauft werden, denn gerade im Gesundheitswesen gehören sie oft bereits jemandem: in der Regel dem Patienten, möglicherweise auch noch anderen relevanten Stakeholdern, wie Krankenkassen, Ärzteschaft oder anderen Leistungserbringern. Sogar der Gesetzgeber kann durch nicht sauber formulierte neue Gesetzgebungen einen wichtigen, möglicherweise aber gar nicht beabsichtigten Einfluss haben.

In jedem Fall ist daher nicht nur die Analyse der Daten spannend, sondern auch die eindeutige Klärung, wem welche Daten gehören und wessen Einverständnis Voraussetzung für die Verwendung der Daten ist.

Dies ist eine unmittelbare Folge des Datenschutzes, insbesondere der seit Mai 2018 geltenden EU-Datenschutz-Grundverordnung. Sie führt letztendlich auf den Stand zurück, den die deutsche Datenschutzgesetzgebung früher hatte und der sich mit ihrem Ruf verband, die strengste weltweit zu sein.

Ganz allgemein muss aus Sicht der Steinbeis-Experten das Ziel bei jeglicher Nutzung von Big Data immer sein, dass die Menschen verstehen, was man tun will und wie es sie tangiert beziehungsweise tangieren wird. Darüber hinaus muss gerade im Gesundheitswesen sichergestellt werden, dass die entsprechenden flankierenden rechtlichen wie vertrauensbildenden Maßnahmen nicht im Nachhinein gestartet werden, sondern bereits so früh wie möglich greifen.

Big Data-Projekte unter diesen beiden Blickwinkeln – technisch wie rechtlich und sozial – übergreifend von Anfang an zu betrachten, ist gewiss eine He­rausforderung, im Ergebnis aber lohnend!

Kontakt

Dr. Martin Vogel (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Forschungszentrum Medizintechnik und Biotechnologie (Weinheim)

Jürgen Blume (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Forschungszentrum Medizintechnik und Biotechnologie (Weinheim)