Alle reden über Gesundheit – wir (auch) über Technologie!
Nach dem erfolgreichen Auftakt der #techourfuture-Veranstaltungsreihe zu aktuellen und zukünftigen Entwicklungen im Bereich des autonomen Fliegens Ende 2019 widmete sich das zweite vom Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI) organisierte Event im Sommer 2020 der Zukunft unserer Gesundheit und kam gerade zum richtigen Zeitpunkt, auch wenn in anderem Format als geplant. Drei Wochen lang hatten die Teilnehmer in mehreren Online-Events die Möglichkeit, sich mit Zukunftstechnologien in Gesundheit und Medizin auseinanderzusetzen und mit Experten ins virtuelle Gespräch zu kommen.
Auch wenn die Themen, mit denen sich das vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg geförderte Steinbeis-Projekt Technologie*Begreifen schwerpunktmäßig befasst, lange vor der Corona-Pandemie festgelegt worden waren, hätte der Zeitpunkt für den Fokus auf Gesundheit und Medizin kaum passender sein können. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie waren insbesondere mit Einschränkungen der sozialen und physischen Kontakte sowie daraus resultierenden wirtschaftlichen Einbußen verbunden. Gleichzeitig hat diese Ausnahmesituation die Chancen der Digitalisierung für unsere Gesellschaft und Wirtschaft und den Alltagsnutzen neuer Technologien verdeutlicht. Exponentiell gestiegen ist nicht nur die Anwendung digitaler Kommunikations- und Kollaborationstechnologien für effizientes Arbeiten im Homeoffice, auch im Gesundheitsbereich wurden die Möglichkeiten der Telemedizin verstärkt von den Patienten selbst und zur digitalen Anamnese vor dem Arztbesuch genutzt. Roboter werden vermehrt für Desinfektion und Reinigung in Krankenhäusern eingesetzt (zum Beispiel in Dänemark) oder verteilen Medikamente und lesen Gesundheitsdaten aus, wie in einem vollautomatisierten Krankenhaus im chinesischen Wuhan.
Zusammenspiel von Medizin, Menschen und Technologie
Welche Auswirkungen neue Technologien in den Bereichen Gesundheit und Medizin in Deutschland haben und ob deren Nutzung durch die Corona-Pandemie beschleunigt wurde, hat das FSTI-Team im Rahmen der #techourfuture-Veranstaltung „Zukunft Gesundheit – Medizin, Mensch, Technologie“ hinterfragt. Wegen der Corona-bedingten Einschränkungen und insbesondere des Physical Distancings fand die zweite Veranstaltung der #techourfuture-Reihe nicht wie ursprünglich geplant im März 2020 als Präsenzveranstaltung an der Hochschule Pforzheim statt, sondern online im Rahmen der #techourfuture-Wochen vom 26. Juni bis zum 17. Juli 2020. Die Teilnehmer hatten in drei Tracks die Möglichkeit, Zukunftstechnologien in Gesundheit und Medizin virtuell kennenzulernen, ihre Funktionsweise zu verstehen, ihre Einsatzgebiete genauer unter die Lupe zu nehmen und Chancen und Risiken mit Experten aus Wissenschaft und Praxis zu diskutieren. Gestreamt wurde live aus dem Ferdinand-Steinbeis-Institut im Haus der Wirtschaft in Stuttgart sowie einem Studio in Ludwigsburg.
„In Zeiten, in denen die Corona-App in Deutschland in aller Munde ist, aber noch lange nicht bei jeder und jedem auf dem Handy landet, wird einmal mehr klar, wie wichtig es ist, sich selbst ein fundiertes Bild machen zu können über die Möglichkeiten und Fortschritte durch digitale Technologien für die Gesundheit. Die Veranstaltung mit den Schwerpunkten IoT beziehungsweise IoMT – Internet of Medical Things – und KI in der Medizin weckte daher sofort mein Interesse. Das Online-Format ermöglichte mir eine unkomplizierte Teilnahme und das Ganze noch ohne Corona-Risiko! Die Vorträge haben meine Erwartungen übertroffen“, so eine Teilnehmerin der Veranstaltungsreihe.
Track A: Gesund vernetzt
Eröffnet wurden die #techourfuture-Wochen „Zukunft Gesundheit“ mit dem Thema „Gesund vernetzt“. Professor Dr. Sascha Seifert, der medizinische Informatik und Bioinformatik an der Hochschule Pforzheim lehrt, erläuterte die Funktionsweise sogenannter Wearables, wie Armbänder oder Smartwatches, mit denen die Träger die eigenen Vitaldaten messen können, um ihre Gesundheit zu überwachen. Doch auch klassische Medizinprodukte wie Hörgeräte oder Herzschrittmacher fallen unter diese Definition und werden zunehmend über das Internet der Dinge miteinander vernetzt. Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz unterstützen Ärzte zunehmend bei Therapieentscheidungen. Inwiefern sich selbstlernende Diagnoseassistenzsysteme insbesondere im Bereich der Onkologie bereits als wichtige Helfer im ärztlichen Alltag etabliert haben, erklärte Professor Dr. Tobias Preckel, Medizintechnik-Experte an der Hochschule Pforzheim.
Track B: OP 4.0 und Pandemieprognosen
Fortgeführt wurde die Veranstaltungsreihe mit dem Thema „OP 4.0 und Pandemieprognosen“. Im Fokus stand dabei die Rolle von Robotern bei chirurgischen Eingriffen. Professor Dr. med. Stephan Kruck, Chefarzt Urologie am Zentrum für minimal-invasive Therapie und urologische Robotik am Siloah St. Trudpert Klinikum Pforzheim, gewährte den Teilnehmern einen Blick in den „intelligenten Operationssaal“ und erläuterte anschaulich, unter welchen Bedingungen und mit welchen Vorteilen Roboter schon heute im OP assistieren. Professor Dr. Raphael Volz, der angewandte Informatik an der Hochschule Pforzheim lehrt, stellte im Anschluss Modelle zur Prognose von Fallzahlen in Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie sowie Anwendungsbeispiele vor und zeigte deren Grenzen auf.
Track C: Gesundheit im Alltag
Zum Abschluss stand die „Gesundheit im Alltag“ im Vordergrund. Moderiert von Stefan Lob, systemischer Coach und Geschäftsführer der Praxis für Führung – X.0 GmbH, stellten fünf Experten insbesondere aktuelle Entwicklungen im Bereich der Telemedizin und von Robotern in der Pflege vor. Welche besonderen Anforderungen die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum mit sich bringt und welche digitalen Lösungen helfen können, berichteten Dr. Matthias Proske, Verbandsdirektor des Regionalverbands Nordschwarzwald, und Professor Dr. Joachim E. Fischer, Director Mannheim Institute of Public Health, Social and Preventive Medicine der Universitätsmedizin Mannheim, aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Bürgerpartizipationsprojekt „Digital Black Forest“. Die Chirurgin Angelika Walliser stellte konkrete Fälle vor, die sie in den vergangenen Monaten im Rahmen des docdirekt-Projektes telemedizinisch beraten hatte, darunter auch einen Patienten aus dem chinesischen Wuhan. Wie die ganzheitliche Versorgung der Patienten mittels neuer technologischer Entwicklungen verbessert werden kann, erläuterte der niedergelassene Orthopäde Dr. med. Thomas Wüst. Matthias Struck, stellvertretender Abteilungsleiter im Bereich Smart Sensing and Electronics am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen, ging abschließend insbesondere auf die Rolle von Sensorik und Robotik bei der Betreuung von Patienten im Alltag ein: Schon heute ermöglichen Roboter neue Interaktionsstrategien in der Therapie von Kindern mit eingeschränkten emotionalen Fähigkeiten. Zukünftig wären auch Assistenzsysteme insbesondere für Demenzpatienten denkbar, so Matthias Struck.
Technologie*Begreifen
Ziel des vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg geförderten Projektes Technologie*Begreifen ist es nicht nur linear Wissen über Zukunftstechnologien zu vermitteln, sondern aktuelle und zukünftige Anwendungen für Bürger erlebbar zu machen und diese darüber in Austausch zu bringen. Dem Erleben via einem Standard-PC, Laptop oder Smartphone sind derzeit sicherlich noch Grenzen gesetzt. Die rege Diskussionsbeteiligung, auch online, zeigt jedoch, dass Bedarf und Interesse besteht, sich mit Zukunftstechnologien aktiv auseinanderzusetzen.
Da die Sinneswahrnehmung virtuell nach dem jetzigen Stand der Technik meist auf das Sehen und Hören beschränkt ist und bei der kommenden #techourfuture-Veranstaltung eventuell auch die Geschmacksorgane gefordert sind, wird es hoffentlich wieder möglich sein, Zukunftstechnologien in einem entsprechenden Rahmen auch wieder real erlebbar zu machen. Denn nach „Zukunft Autonomes Fliegen“ und „Zukunft Gesundheit“ geht #techourfuture im Herbst in die dritte Runde: Im Fokus steht das Thema „Zukunft Ernährung – Blick über den Tellerrand hinaus“. Seien Sie dabei, wenn wir einen Blick in die Zukunft unserer Ernährung werfen und personalisierte und geneditierte Nahrungsmittel sowie Fleisch aus dem Labor genauer unter die Lupe nehmen!
Standpunkte
Welche Auswirkungen haben neue Technologien auf Gesundheit und Medizin?
Im Rahmen von #techourfuture haben wir die Stakeholder gefragt und um ihre Meinung gebeten.
Katrin Tomaschko | e-Health-Expertin der AOK Baden-Württemberg
„Digitalisierung sollte nicht um ihrer selbst willen zum Einsatz kommen, sondern dann, wenn ein wirkliches Potenzial
zur Verbesserung der Versorgung gegeben ist.“
Jonas Sewing | Geschäftsführer des Diakonissen-Stiftungs-Krankenhauses Speyer
„Der Krankenhausbetrieb der Zukunft wird sich erheblich von dem im Jahr 2020 unterscheiden. Besonders sichtbar wird
der Einzug der Robotik sein. Ob ein autonomer Pflegewagen oder ein humanoider Roboter: Die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen erhalten neue Instrumente zur Bewältigung des Alltags. Dabei ist es wichtig, Patienten und Mitarbeiter mitzunehmen.“
Dr. Christiane Kohler-Weiß | Abteilungsleiterin Theologie und Bildung, Diakonisches Werk der evangelischen Kirche in Württemberg e.V.
„Die Digitalisierung bietet vielfältige Chancen für die soziale Arbeit: Digitale Technologien können Pflegebedürftige in ihrer Selbstbestimmung stärken, die Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen befördern, Pflegekräfte und pflegende Angehörige entlasten und Arbeitsprozesse effektiver gestalten.“
Prof. Dr. Dr. Sabine Meck | Steinbeis-Unternehmerin am Steinbeis-Transfer-Institut für Persönlichkeitsforschung und Ethik
„Die digitale Revolution stellt insbesondere das Gesundheitswesen mit allen Beteiligten vor große ethische Herausforderungen. Eine der großen Aufgaben der Ethik dürfte deshalb sein, die Würde und das Wohlergehen des Menschen ebenso im Blick zu behalten wie die Bedeutung des Vertrauens, das grundlegend ist für die Gesundheit, das heißt für das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden des Einzelnen.“
Prof. Dr. Jörg Hübner | Geschäftsführender Direktor Evangelische Akademie Bad Boll
„Ob KI zum Fluch oder zum Segen werden kann, hängt davon ab, was wir aus dieser Technik machen, wie wir sie gestalten und prägen! Die gesellschaftliche Verantwortung im Umgang mit dieser Technik sowie die individuelle Verantwortung bleibt uns erhalten.“
Dr. Dietmar Merz | Studienleiter für Medizinethik und Gesundheitspolitik Evangelische Akademie Bad Boll
„Es wäre sicherlich falsch, jeden Fortschritt im Bereich des Digitalen kategorisch abzulehnen. Für genauso falsch halte ich es aber, ungeprüft und unkritisch jeden Modernisierungsschritt einfach mitzugehen. Für mich ist entscheidend danach zu fragen, was dem Leben und den Menschen wirklich dient.“
→ Mehr dazu finden Sie unter hier
Kontakt
Dr. Marlene Gottwald (Autorin)
Senior Research Fellow
Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI) (Stuttgart)
www.steinbeis-fsti.de
www.techourfuture.de