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„Die Erkenntnis, dass wir mit Technologien neue Mehrwerte schaffen können, ist in der Gesellschaft angekommen“

Im Gespräch mit Matthias Struck, stellvertretender Abteilungsleiter Smart Sensing and Electronics am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen

Ein T-Shirt, das unsere Herzfrequenz misst, ein Schuh, der die von uns gelaufenen Kilometer zählt, ein Fitnesstracker, der unseren Schlaf überwacht – das sind keine Zukunftsvisionen mehr, das ist Realität. Welche Chancen, aber auch Herausforderungen diese Entwicklungen mit sich bringen, und warum der persönliche Kontakt mit dem Arzt auch in Zeiten der KI unabdingbar ist, darüber hat sich die TRANSFER mit Matthias Struck unterhalten, der im Rahmen der zweiten #techourfuture-Veranstaltung zum Thema „Roboter in der Pflege“ Rede und Antwort gestanden hat. Die Schwerpunkte seiner Forschung am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen liegen in der Entwicklung alltagsgerechter und in die häusliche Umgebung integrierter Technologien zur Erfassung, Analyse und Vernetzung gesundheitsrelevanter Vitaldaten.

Herr Struck, welche Anforderungen bringt die Digitalisierung, insbesondere in den Bereichen Medizin und Medizintechnik, für Ihre Arbeit mit sich?

Wir sind eine Abteilung für Bildverarbeitung und Medizintechnik, die in den Bereich Smart Sensing and Electronics eingebettet ist. In diesem Bereich bearbeiten wir, was die Medizintechnik angeht, drei große Themen: Das ist zum einen die medizinische Sensorik, die sich mit der Frage beschäftigt, wie man Biosignale von Menschen und Patienten im Alltag erfassen und bewerten kann. Das zweite Thema betrifft künstliche Intelligenz. Dabei führen wir die sensorischen Daten zusammen, werten diese ganzheitlich aus und können dann auf deren Basis eine Vorhersage machen. Und der dritte Bereich ist der der medizinischen Datenkommunikation. Hier beschäftigen wir uns mit der Frage, wie wir Daten aus der häuslichen Umgebung zum Hausarzt schicken können, vom Hausarzt zum Facharzt, vom Facharzt ins Krankenhaus etc. Wir konzentrieren uns dabei auf ganzheitliche Lösungen, um diese Daten auch möglichst standardisiert austauschen zu können.

Ist es aus Ihrer Sicht wichtig die Gesellschaft über Zukunftstechnologien zu informieren? Welche Aspekte gilt es dabei zu berücksichtigen?

Das ist eine sehr wichtige Frage, vielen Dank dafür. Es ist aus meiner Sicht enorm wichtig, die Gesellschaft über solche Themen zu informieren: Was sind die Potenziale der künstlichen Intelligenz, aber auch wo sind die Grenzen? Wenn man deutlich Grenzen aufzeigt, dann kann man auch für mehr Sicherheit sorgen. Gerade in Deutschland herrscht oft Skepsis, das Stichwort dazu lautet „der gläserne Patient“. Die darin zum Ausdruck kommende befürchtete Durchleuchtung des Menschen ist aber nicht das Ziel von künstlicher Intelligenz im Medizinbereich. Das Ziel ist den Arzt darin zu unterstützen, bessere Diagnosen zu stellen und bessere Therapien einzuleiten. Jeder weiß, dass ein Arzt auch nur ein Mensch ist. Und wo Menschen arbeiten, entstehen auch Fehler. Mithilfe der künstlichen Intelligenz, die große Datenmengen auswerten, analysieren und dann die Ergebnisse auf andere Patienten übertragen und mit deren Krankheitsverläufen vergleichen kann, gelingt es uns die Fehlerquote zu reduzieren. Das ist der Mehrwert der künstlichen Intelligenz.

Glauben Sie, dass die Toleranz gegenüber einer Technologie geringer ist als gegenüber einem Menschen?

Ich glaube, dass sich das Vertrauensverhältnis zum Arzt durch die KI definitiv nicht verschlechtern wird, weil die KI den Arzt nicht ersetzen soll. Sie soll ihn unterstützen und im Hintergrund zusätzliche Fragen stellen beziehungsweise zusätzliche Möglichkeiten aufzeigen, ob zum Beispiel noch eine zusätzliche Differenzialdiagnose sinnvoll wäre. Damit soll sichergestellt werden, dass nichts übersehen wird. Aber die eigentliche Diagnose und das aufklärende Gespräch mit dem Patienten wird auch in Zukunft der Arzt persönlich führen.

Welche Vorbehalte gegenüber Zukunftstechnologien begegnen Ihnen im Rahmen Ihrer Arbeit und wie gehen Sie damit um?

Ein ganz großes Thema ist natürlich der Datenschutz. Wenn ich sensible Daten über meinen Körper, über meine Verfassung und damit natürlich auch über potenzielle Krankheiten preisgebe, dann müssen der Benutzer und der Patient Gewissheit haben, dass damit sorgfältig umgegangen wird. Und vor allem muss sichergestellt werden, dass der Patient derjenige ist, der entscheidet, welche Person, welcher Arzt welche Daten zu welchem Zeitpunkt für welchen Zweck auch einsehen darf, und dass diese Daten nicht missbraucht werden. Diesen Aspekt nehmen wir bei Fraunhofer sehr ernst: Wir haben zum Beispiel eine Technologie, womit man auf Basis von Bilddaten ein Gesicht analysieren und basierend auf dieser Gesichtsanalyse Emotionen in Echtzeit bewerten kann, also ob jemand traurig ist, ob er zornig ist, ob er Angst hat etc. Das sind natürlich sehr sensible Informationen. Daraus kann man herauslesen, dass jemand zum Beispiel häufig schlechte Laune hat, was ein Indiz für Depressionen oder Burnout sein kann. Deswegen haben wir Privacy-by-Design-Technologien entwickelt, mit denen wir sicherstellen, dass die Bildinformation und damit auch die Zuordnung von Gesichtern zu konkreten Personen und Namen im Speicher auch sofort wieder gelöscht werden, sobald die Auswertung stattgefunden hat und dann nur noch das Ergebnis preisgegeben wird. Das Gleiche machen wir auch, wenn wir Biosignale, wie Blutdruck oder Herzrate, erfassen: Diese Daten werden so verschlüsselt, dass sie nach außen geschützt sind und dass nur die authentifizierte Person, zum Beispiel ein Arzt, Zugang zu diesen Daten hat. Ich glaube, dass Deutschland durch die strengen Datenschutzvorgaben einen großen Vertrauensvorsprung zum Beispiel gegenüber amerikanischen Playern erarbeitet hat, die viel weniger sorgfältig damit umgehen. Ich glaube auch, dass insbesondere in den letzten Monaten durch die Corona-Pandemie die Akzeptanz solcher Anwendungen gestiegen ist. Die Erkenntnis, dass wir mit Technologien neue Mehrwerte schaffen können, ist in der Gesellschaft angekommen.

An dieser Stelle ist mir sehr wichtig nochmals zu betonen, dass Technologien den physischen, persönlichen Kontakt nicht ersetzen können. Aber gerade jetzt, in Pandemiezeiten, gibt es bestimmte Einschränkungen beziehungsweise Vorgaben, beispielsweise sollen Besuche in Pflegeeinrichtung reduziert oder ganz vermieden werden. An dieser Stelle bieten Technologien wie Skype die Möglichkeit trotzdem visuell im Kontakt mit seiner Familie zu bleiben und live zu interagieren. Aber ein „Ersetzen“, denke ich, wird nicht stattfinden.

Welche neuen Technologien in den Bereichen Gesundheit und Medizin würden Sie selbst anwenden und welche vielleicht für bestimmte Bereiche ausschließen?

Ich fange umgekehrt an: Ich mag es persönlich nicht, wenn ich das Gefühl habe, rund um die Uhr „gemonitort“ zu werden, ohne dass es vielleicht nötig ist. Ich will nicht rund um die Uhr ein T-Shirt anhaben, das meine Herzfrequenz und meinen Blutdruck misst. Ich möchte selbstbestimmt und unabhängig sein und nicht, dass meine Daten rund um die Uhr erfasst werden. Deswegen kann ich Menschen verstehen, die bestimmten Technologien gegenüber skeptisch sind. Aber ich habe das große Glück, dass ich mich gesund fühle, selten zum Arzt muss und hoffentlich auch gesund bin. Wenn ich aber merke, dass das nicht mehr so ist, wäre ich der Erste, der Technologien einsetzen würde, weil ich deren Mehrwert kenne. Wenn ich beispielsweise meine Vitalparameter in der häuslichen Umgebung erfasse, sind sie aussagekräftiger. Beim Arzt habe ich immer einen hohen Blutdruck. Das sogenannte Weißkittel-Syndrom bringt mich in eine Situation, die nicht alltäglich ist und mich unter Stress setzt. In dieser Situation sind Vitalparameter, wie ein hoher Blutdruck, nicht aussagekräftig im Gegensatz zu den Werten, die in der häuslichen Umgebung gemessen werden. Zweitens habe ich dadurch viel mehr und kontinuierliche Daten. Beim Arzt haben Sie immer nur eine Punktmessung und jeder hat schon mal eine schlechte Verfassung an dem Tag des Arztbesuches gehabt. Das heißt aber nicht, dass man krank ist. An dieser Stelle bieten uns die Technologien viele Möglichkeiten.

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Matthias Struck (Autor)
Stellvertretender Abteilungsleiter im Bereich Smart Sensing and Electronics
Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (Erlangen)