Im Gespräch mit Professor Dr. habil. Gernot Barth, Steinbeis-Unternehmer am Steinbeis-Beratungszentrum Wirtschaftsmediation
Die aktuelle Pandemie verändert das Leben jedes Einzelnen. Die Menschen, aber auch die Unternehmen brauchen Zeit, um die veränderte Situation wahrnehmen, darauf reagieren, aber auch in ihr agieren zu können. Und dort, wo es Aktionen gibt, gibt es auch Konflikte. Wie diese sich verändern und was diese Veränderungen für den Bereich Mediation und Konfliktmanagement bedeuten, darüber hat sich die TRANSFER mit Professor Dr. habil. Gernot Barth unterhalten.
Herr Professor Barth, Mediation und Konfliktmanagement bilden die Kernexpertise Ihres Steinbeis-Unternehmens. Wie hat sich die Nachfrage nach Ihren Dienstleistungen in den aktuell herausfordernden Zeiten verändert, in denen sowohl das wirtschaftliche als auch das gesellschaftliche Leben stark eingeschränkt sind?
In den letzten Wochen ist die Nachfrage nach Dienstleistungen im Bereich des Konfliktmanagements erheblich zurückgegangen. Dies liegt eindeutig daran, dass wir uns in einem großen Changeprozess befinden. Die Gesellschaft, die Unternehmen, viele Institutionen und auch die einzelnen Individuen befinden sich in einem Schockzustand: Es ist eine Starre und Lähmung eingetreten. Für die Einen ist es ein Kampf ums Überleben. Andere wiederum können gar nicht kämpfen, weil ihre „Kampfplätze“ schlicht geschlossen sind.
Es geht also zunächst darum, die veränderte Situation einfach wahrzunehmen und anzuerkennen. Die menschliche Psyche wie auch die Psyche der Institutionen braucht dazu eine gewisse Zeit. Der nächste Schritt wird sein, sich den neuen Bedingungen gegenüber zu öffnen und offen zu sein. Wir können nicht wissen, ob es im Wesentlichen bei alten Verhaltensmustern bleibt oder ob sich neue etablieren und wenn ja, welche.
In welchen Bereichen sehen Sie Veränderungen und gestiegenen Bedarf an Ihrem Angebot?
Die Veränderungen, die gerade vor sich gehen, beziehen sich zunächst wesentlich auf den Bereich der Digitalisierung. Viele Mitarbeiter lernen zum ersten Mal virtuelle Plattformen kennen, auf denen sie einander in die Augen schauen können. Sie sitzen zu Hause und haben „Stöpsel“ im Ohr, das überfordert viele. Denn fortwährend „online zu sein“ ist eine Herausforderung. Wir sind mit unseren technischen Ausstattungen, der Kapazität der Leitungen und unserem wenig „digitalisierten Habitus“ den Herausforderungen eines Zusammenlebens unter den Risiken eines jederzeitigen Ausbruchs einer Pandemie noch nicht gewachsen.
Viele Konflikte sind im Moment ruhiggestellt. Unternehmer sagen, seit die Konfliktparteien im Homeoffice sind, ist „Ruhe“. Sie haben weniger Berührungspunkte. Ironisch könnte man sagen, dann behalten wir diesen Zustand doch lebenslang bei. Aber Spaß beiseite, die Nachfrage nach Konfliktbewältigung wird nach dem Erwachen aus dem Schockzustand erheblich steigen. Das betrifft jetzt schon das Coaching und die Mediation in der Online-Umgebung.
Meine Beobachtungen zeigen aber auch, dass die Konflikte, die „vor Corona“ in einem eskalierten Zustand waren, nach der Öffnung noch schärfer eskalieren beziehungsweise viele weitere hinzukommen werden. Die innere Eskalation, die innere Angespanntheit sowohl von Unternehmern wie auch von Mitarbeitern nimmt ob der riskanten Lage erheblich zu. Das betrifft auch den Gegensatz zwischen den Generationen, insbesondere den zwischen der Generation „55 plus“ und den Jüngeren. Erstere ist durch die deutsche Geschichte zahlenmäßig, historisch gesehen, unverhältnismäßig groß und sie richtet sich oft schon auf den „wohlverdienten Ruhestand“ ein. Jetzt kommt allerdings eine große Transformation in der Arbeitswelt auf sie zu, was vielen von ihnen nicht leicht fallen wird. Die Jüngeren wiederum müssen und wollen diesen Wandel aktiv gestalten, denn es wird für Jahrzehnte ihre Arbeitswelt sein, die sie jetzt mit entwickeln.
Es bedarf meines Erachtens der breiten Einführung von Konfliktmanagementsystemen und der Weiterbildung von mediativen Fähigkeiten von Mitarbeitern und Unternehmern. Diese Entwicklung zeichnet sich auch schon seit Längerem ab. Schließlich kann man nicht andauernd einen Mediator holen. Konfliktmanagementsysteme werden in Kliniken, Krankenhäusern und ähnlichen systemrelevanten Organisationen ein Muss sein: Einige Elemente der Konfliktbearbeitung lehre und trainiere ich derzeit auch online. Unternehmen sind hier aufgeschlossener geworden.
Die aktuelle Situation stellt neue Herausforderungen an Ihre Arbeit, da ein Treffen von Angesicht zu Angesicht mit den betroffenen Parteien nicht mehr möglich ist. Wie gehen Sie und Ihre Gesprächspartner damit um?
Treffen in Eins-zu-Eins-Situationen sind auch weiter face-to-face möglich. Wir im Steinbeis-Beratungszentrum Wirtschaftsmediation haben bereits viele Jahre Erfahrungen in der Online-Arbeit. Schon vor acht Jahren hatten wir ein von der Europäischen Union über zwei Jahre gefördertes Projekt zur Entwicklung von Online-Mediation für Cross Border Mediation mit einer Projektsumme von ca. 400.000 Euro. Auch aktuell bringen wir ein neues Projekt zur Weiterentwicklung der grenzüberschreitenden Konfliktlösung und ein Blended-Learning Programm für diese Thematik voran.
Neu ist jetzt die Aufgeschlossenheit gegenüber Videoplattformen. Hier kann man sich schon „in die Augen sehen“, somit kann auch Beziehungsklärung stattfinden. Gesprächssituationen, in denen man auch in die „Tiefe“ gehen kann, sind möglich. Was erheblich abnimmt, sind Telefonkonferenzen und Telefonate.
Was können Unternehmen Ihrer Meinung nach aus der aktuellen Situation gerade in Bezug auf die Konfliktlösung lernen?
Wie bereits erwähnt, scheint mir die Einführung eines Konfliktmanagementsystems unerlässlich. Dies kann in einfacher, auch kostensparender Form die Ausbildung ausgewählter Mitarbeiter sein, um dann „Konfliktlotsen“ als Ansprechpartner für niederschwellige Konflikte zu haben. Vielleicht gibt es diese Ausgebildeten auch schon, weil sie auf eigene Kosten solche Fortbildungen genossen haben. Auch ein externer Konfliktberater zum Krisenmanagement scheint mir angebracht.
Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage werden zudem viele Unternehmen am Rand einer Insolvenz lavieren. Hierfür bilden wir gerade Teams mit Mediatoren, Bankern und Insolvenzanwälten. In diesen Teams gehen wir auf die multiplen Anforderungslagen, die aus den psychischen sowie wirtschaftlichen Ausnahmezuständen der Unternehmer resultieren, professionell und konfliktdeeskalierend ein.
Und ein ganz einfacher Tipp, der oft schwer zu realisieren ist: Bevor Sie etwas gegen die andere Seite unternehmen, versuchen Sie zumindest sich in deren Lage zu versetzen und sie zu verstehen! Oder mit den Worten des buddhistischen Philosophen Nagarjuna ausgedrückt: „Es gibt nur eine falsche Sicht der Dinge: Der Glaube, meine Sicht sei die einzig richtige.“
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Professor Dr. habil. Gernot Barth (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Beratungszentrum Wirtschaftsmediation (Leipzig)
www.steinbeis-mediation.com