Steinbeis-Experten untersuchen massenspektrometrisch Epitope von Schlüsselproteinen aus Plasma genesener Covid-19-Patienten
Der Ausbruch des SARS-CoV-2-Virus Ende 2019 hat zu einem weltweiten Gesundheitsnotstand geführt: Millionen Menschen sind infiziert, mehrere hunderttausend sind daran gestorben. Die Situation hat sich durch die bisher kaum vorhandenen Therapieansätze zusätzlich verschärft. Wissenschaftler weltweit forschen aktuell intensiv nach Medikamenten und Impfstoffen. Eine der möglichen Therapien ist die passive Immunisierung mit Rekonvaleszenzplasma neutralisierender Antikörper von genesenen Patienten. Diesen Ansatz verfolgen die Experten am Steinbeis-Transferzentrum Biopolymeranalytik und Biomedizinische Massenspektrometrie.
Das Virus SARS-CoV-2 ist eines von drei neuen pathogenen Coronaviren, die in den letzten 20 Jahren die Artengrenzen vom Tier zum menschlichen Wirt überschritten haben. Impfstoffe und antivirale Therapeutika werden aktuell dringend benötigt, validierte Impfstoffe sind für die aktive Immunisierung derzeit aber noch im Anfangsstadium und werden erst in rund ein bis zwei Jahren für die klinische Erprobung und breite therapeutische Anwendung verfügbar sein. Einen alternativen Therapieansatz stellt die passive Immunisierung mit Rekonvaleszenzplasma neutralisierender Antikörper von genesenen Patienten dar. Erste positive therapeutische Studien liegen dazu bereits vor.
Gesucht: Molekulare Proteinstrukturdaten
Was für das SARS-CoV-2-Virus bisher aber noch fehlt, sind molekulare Proteinstrukturdaten, vor allem im Hinblick auf unterschiedliche Zeitpunkte nach Infektion und Bildung von Antikörpern. Ebenso sind Spezifität und Effizienz der passiven Immunisierung durch Antikörper nicht im Detail geklärt und auch Antikörperepitope der Klasse Immunglobulin G (IgG), die erst in einer späten Phase nach der Infektion gebildet werden, wurden bisher nicht identifiziert. B-Zell-Antigenepitope sowie deren Sicherheit und Stabilität wurden zwar aus prädiktiven Ansätzen mit bioinformatischen Verfahren abgeleitet, aber bisher wurden keine experimentellen Methoden zur molekularen Charakterisierung von SARS-CoV-2-Antikörperepitopen entwickelt und angewendet.
Grund genug für das Team am Steinbeis-Transferzentrum Biopolymeranalytik und Biomedizinische Massenspektrometrie vor Kurzem ein transdisziplinäres Forschungs- und Entwicklungsprojekt mit folgenden Zielen zu starten:
- Entwicklung von neuen Massenspektrometrie (MS)-Methoden der Proteomanalytik, die die derzeitigen genomischen Ansätze ergänzen, sowie die Identifizierung von virusspezifischen Schlüsselproteinen als Biomarker zur Entwicklung von molekularen Diagnostikverfahren;
- Entwicklung molekularer Methoden der Massenspektrometrie zur Identifizierung von Epitopen der neutralisierenden IgG-Antikörper von SARS-CoV-2-Schlüsselproteinen aus Plasma von Rekonvaleszenzpatienten nach einer SARS-CoV-2-Infektion. Die spezifischen Antikörperepitope bilden eine wesentliche Grundlage als diagnostische Biomarker sowie für die Charakterisierung und Entwicklung von virusspezifischen Inhibitoren (Hemmstoffen) und die Differenzierung von möglichen Mutationen des SARS-CoV-2-Virus.
Epitopenidentifizierung mit Hilfe von Massenspektrometrie
Das Steinbeis-Team führte vor Kurzem erste massenspektrometrische Untersuchungen zum spezifischen Nachweis von SARS-CoV-2-Virusproteinen durch den proteolytischen Abbau mit Trypsin und die anschließende Proteomanalyse durch. Hauptzielsetzung des Projekts ist die molekulare Aufklärung der Epitope neutralisierender Antikörper aus Patientenplasma und die Bestimmung ihrer Bindungsaffinitäten. „Wir wollen insbesondere Epitope von viralen Oberflächenproteinen der Rezeptorbindungsdomäne identifizieren und ihre molekulare Spezifität mit Antikörpern von SARS-CoV- und MERS-CoV-Proteinen in früheren Untersuchungen vergleichen“, erläutert Steinbeis-Unternehmer Prof. Dr. Michael Przybylski. Zur Isolierung von Antikörpern aus Patientenplasma setzt das Team die hochauflösende Protein-G-Affinitätschromatographie ein, die es in früheren Arbeiten schon mit Erfolg angewendet hat. Die Identifizierung von Peptidepitopen wird mit einer Kombination von Affinitätsmassenspektrometrie und Oberflächenplasmonresonanz (Surface Plasmon Resonance, SPR)-Biosensoranalyse durchgeführt, die im Steinbeis-Transferzentrum entwickelt und bereits erfolgreich in kürzlichen Untersuchungen zur Epitopidentifizierung von Antikörpern eingesetzt wurde.
„Die durch Oberflächenplasmonresonanz bestimmten Affinitätsbindungskonstanten neutralisierender, monoklonaler SARS-CoV-Antikörper vergleichen wir für verschiedene virusspezifische Proteine, um so mögliche strukturelle Unterschiede zwischen SARS-CoV-2-Oberflächenproteinen und den zuvor bekannten SARS-CoV-Proteinen zu ermitteln“, erklärt Prof. Dr. Wolfgang Kleinekofort, Professor an der Hochschule RheinMain, das weitere Vorgehen. Die identifizierten Epitope von monoklonalen Antikörpern liefern für künftige Untersuchungen wesentliche Grundlagen für die Aufklärung der Spezifität von Antikörpern aus Blutplasma von SARS-CoV-2-Patienten sowie für die Entwicklung von diagnostischen Verfahren mit hoher molekularer Spezifität.
Das Projekt soll mit der molekularen Bestimmung von IgG-Antikörperepitopen von SARS-CoV-2-spezifischen Proteinen einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung von diagnostischen Verfahren hoher Spezifität und zur Charakterisierung von Antikörpern zur Therapie durch passive Immunisierung leisten. Hierfür kooperiert das Steinbeis-Transferzentrum mit der Sunchrom GmbH (Friedrichsdorf) und der Sulfotools GmbH (Darmstadt).
„Wir wollen einen schnellen und molekülspezifischen Nachweis von Antikörpern entwickeln“
Im Gespräch mit Professor Dr. Michael Przybylski
Herr Professor Przybylski, wie erfolgversprechend ist Ihr Therapieansatz der passiven Immunisierung zur Bekämpfung der aktuellen Pandemie?
Die passive Immunisierung ist an sich nichts Neues, sie hat sich bereits vor mehr als 100 Jahren als eine erfolgreiche Therapie erwiesen: Ende des 19. Jahrhunderts wütete die Diphtherie. Um 1890 begann Emil von Behring Blutplasma von Schafen an Diphtherie Erkrankte zu geben und hatte damit Erfolg. Auf diese Weise ist die Methode der passiven Immunisierung entstanden. Dafür bekam Emil von Behring auch den ersten Nobelpreis für Medizin.
Auf diese Weise funktioniert prinzipiell auch die passive Immunisierung gegen SARS-CoV-2: Viele Patienten haben die Krankheit nach ungefähr drei Wochen überstanden und bilden Antikörper gegen das Virus. Es ist wissenschaftlich noch nicht bewiesen, aber es besteht die Hoffnung, dass diese Antikörper langfristig vorhanden sind und immun machen. Daher wird das Blutplasma von Genesenen den Erkrankten gespritzt. Passive Immunisierung ist kein Impfstoff, sondern eine Behandlungsmethode. In der aktuellen Situation kann sie auch kurzfristig zur klinischen Therapie von ernsthaft erkrankten COVID-19-Patienten eingesetzt werden und wird auch bereits an Kliniken in den USA und in Deutschland angewendet, zum Beispiel am Klinikum der Uni Regensburg.
Sie untersuchen Epitope von Schlüsselproteinen aus Plasma genesener COVID-19-Patienten mittels Massenspektrometrie, welche Erkenntnisse erwarten Sie im Hinblick auf mögliche Therapien?
Forscher in der ganzen Welt sind auf der Suche nach einem Impfstoff gegen COVID-19, aber die Entwicklung eines Vakzins ist ein kompliziertes und langwieriges Verfahren. Den anderen Ansatz bietet wie bereits erwähnt die Behandlung mit Blutplasma, das die Antikörper enthält. Wir untersuchen im ersten Schritt zunächst die Epitope von rekombinanten Proteinen von SARS-CoV-2 im Vergleich zu denen des früheren SARS-CoV-1. Mit diesen Erkenntnissen wollen wir dann im zweiten Schritt die Hauptepitope von polyspezifischen Antikörpern aus Patientenplasma isolieren und identifizieren.
Mit deren Identifizierung verfolgen wir zwei Ansätze: Der erste besteht darin, mithilfe des Epitops ein zielgerichtetes Target zu entwickeln, das die Bindung des Virusproteins an die Andockstelle im menschlichen Organismus verhindert. Das ist die therapeutische Seite, die andere ist die diagnostische Seite: Hier wollen wir einen schnellen und molekülspezifischen Nachweis von Antikörpern entwickeln.
Warum sind gerade spezifische Antikörperepitope sowohl als diagnostische Biomarker als auch für die Entwicklung von virusspezifischen Inhibitoren von großem Interesse?
Eigentlich aus zwei Gründen: Die Peptidepitope lassen sich diagnostisch zur Herstellung von Antikörpertests mit sehr hoher Spezifität entwickeln. Der zweite Aspekt besteht darin, dass sich mit diesen Peptidepitopen, zumindest potenziell, auch neue Inhibitoren von virusspezifischen Proteinen entwickeln lassen, wie zum Beispiel das sogenannte SARS-CoV-2 Spike Protein. Dieses wird vom Virus dazu verwendet, um in menschliche Zellen einzudringen.
Für die Isolierung der Antikörper aus Patientenplasma nutzen Sie die hochauflösende Protein-G-Affinitätschromatographie, was ist das Besondere an diesem Verfahren?
Bei dieser Methode wird Protein G nach Immobilisierung auf einer Oberfläche an den konstanten Sequenzteil des Antikörpers gebunden. Nach der Affinitätsbindung wird der Antikörper kovalent mittels Dimethyl-Pimelimidat vernetzt und somit permanent gebunden. Damit lassen sich Epitope an den variablen Strukturteil des Antikörpers stabil fixieren und isolieren.
Kontakt
Prof. Dr. Michael Przybylski (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Biopolymeranalytik und Biomedizinische Massenspektrometrie (Rüsselsheim)
www.affymslifechem.de
Prof. Dr. Wolfgang Kleinekofort (Autor)
Hochschule RheinMain (Wiesbaden)
Loredana Lupu (Autorin)
Mitarbeiterin
Steinbeis-Transferzentrum Biopolymeranalytik und Biomedizinische Massenspektrometrie (Rüsselsheim)
www.affymslifechem.de
Pascal Wiegand (Autor)
Mitarbeiter
Steinbeis-Transferzentrum Biopolymeranalytik und Biomedizinische Massenspektrometrie (Rüsselsheim)
www.affymslifechem.de
Eigene Publikationen:
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Rinaldi, F., Lupu, L., Rusche, H., Kukacka, Z., Tengattini, S., Bernardini, R., Piubelli, L., Bavaro, T., Maeser, S., Pollegioni, L., Calleri, E., Przybylski, M., Temporini, C.: Epitope and affinity determination of recombinant Mycobacterium tuberculosis Ag85B antigen towards anti-Ag85 antibodies using proteolytic affinity-mass spectrometry and biosensor analysis, Anal Bioanal Chem. 2019, 411: p. 439-448.
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Kukacka, Z., Iurascu, M., Lupu, L., Rusche, H., Murphy, M., Altamore, L., Borri, F., Maeser, S., Papini, A.M., Hennermann, J., Przybylski, M.: Antibody Epitope of Human alpha-Galactosidase A Revealed by Affinity Mass Spectrometry: A Basis for Reversing Immunoreactivity in Enzyme Replacement Therapy of Fabry Disease, ChemMedChem. 2018, 13(9): p. 909-915.
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Lupu, L., Wiegand, P., Hüttmann, N., Rawer, S., Kleinekofort, W., Shugureva, I., Kichkailo, A., Tomilin, F., Lazarev, A., Berezovski, M., Przybylski, M. (2020): Molecular Epitope Determination of Aptamer Complexes of the Multi-domain Protein C-Met by Proteolytic Affinity-Mass Spectrometry, ChemMedChem. 2020 Doi: 10.1002/cmdc.201900489.
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Mihoc, D., Lupu, L., Wiegand, P., Kleinekofort, W., Müller, W., Völklein, F., Glocker, M.O., Barka, F., Barka, G., Przybylski, M.: Antibody Epitope and Affinity Determination of the Myocardial Infarct Marker Myoglobin by SPR-Biosensor Mass Spectrometry, J.Am. Soc. Mass Spectrom., 2020, submitted.