Im Gespräch mit Prof. Dr. med. Marc O. Schurr, Leiter des Steinbeis-Transfer-Instituts Healthcare Industries, Vorstand der Ovesco Endoscopy AG, Geschäftsführer der novineon CRO GmbH und der Tuebingen Scientific Medical GmbH
Er weiß, wie man ein Unternehmen erfolgreich gründet und wie der Wissens- und Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft gelingen kann. Für die TRANSFER hat Prof. Dr. med. Marc O. Schurr auf seine 25 Jahre Steinbeis-Erfahrung und seinen Weg als Forscher und Unternehmer zurückgeblickt und dabei festgestellt, dass der Zufall auch ein Teil des Erfolgs sein kann. Er hat außerdem die Rolle des Experimentierens für den nachhaltigen Unternehmenserfolg beleuchtet und auch ein paar Tipps für akademische Gründer parat.
Herr Professor Schurr, seit fast 25 Jahren sind Sie ein Steinbeiser und haben in der Zeit auch weitere erfolgreiche Unternehmen aufgebaut. Wie haben Ihre Steinbeis-Erfahrungen Ihnen dabei geholfen?
Meine frühen Berufsjahre in der Kombination aus fortbestehender Tätigkeit in der akademischen Forschung an der Universität Tübingen und Leiter eines Steinbeis-Unternehmens waren sicherlich essentiell für meinen weiteren Berufsweg, auch als Unternehmer.
Im Grunde hat mir Steinbeis den „Erfahrungsraum“ geboten, in dem ich die marktnahe Umsetzung von Forschungsergebnissen in Projekten mit der Industrie lernen und dabei Erfahrungen sammeln konnte, von denen ich bis heute profitiere. Damals, in den späten 1990er-Jahren, war die Kombination aus wissenschaftlichem und unternehmerischem Handeln an den Universitäten noch etwas eher ungewöhnliches und Steinbeis hat meiner Meinung nach mit der Gründung von Transferzentren an den Universitäten in Baden-Württemberg auch eine Tür aufgestoßen, die wirksam zur Umsetzungsorientierung der Hochschulforschung beigetragen hat – bei denen, die sich dafür interessiert haben.
Für mich hat meine Steinbeis-Erfahrung das unternehmerische und marktorientierte Handeln erfahrbar und das kaufmännische Wirtschaften erlernbar gemacht und mir damit auch die Grundlage gegeben, mich für das berufliche Wirken an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Wissenschaft zu entscheiden und keine weitere klinische Laufbahn – ich bin ja Arzt – einzuschlagen. Ich habe das nie bedauert, obgleich mich die klinische Medizin auch weiterhin sehr interessiert. Heute bin ich natürlich weit mehr auf der Seite der Wirtschaft an dieser Schnittstelle tätig. Dennoch habe ich meine fortbestehende Arbeit als Forscher nie als Widerspruch dazu empfunden. Auch das sehe ich im Kontext von Steinbeis, da sich dieser vermeintliche Konflikt für mich schon früh aufgelöst hat: Man kann erfolgreich nach den Regeln beider Welten handeln.
Sie sind das, was in der englischsprachigen Literatur als „Academic Entrepreneur“ bezeichnet wird. Als akademischer Gründer sind Sie nach Walter/Sienknecht auch ein Innovation Champion. Wieviel klassische Planung und wieviel systematischer Zufall spielte beim Erfolg eine Rolle?
Das kann ich nicht eindeutig beantworten. Zufall spielt im Leben immer eine große Rolle. Bei mir sicher auch, indem ich mich schon im zweiten Semester des Medizinstudiums, in den frühen 1990er-Jahren, der Arbeitsgruppe meines langjährigen Chefs, Prof. Dr. Gerhard Bueß, angeschlossen habe, der einer der Wegbereiter der minimal invasiven Chirurgie war. Von ihm habe ich gelernt, dass grundlegende Innovation in der interventionellen Medizin auch immer Innovation in der dazugehörigen Medizintechnik braucht. Das war damals ungeheuer faszinierend und wir haben in unserer Arbeitsgruppe etliche Nächte in Labor und Werkstatt verbracht, um neue Ideen in Prototypen umzusetzen. Die haben wir dann am nächsten Tag experimentell erprobt und in weiteren Schritten beharrlich zum Ergebnis, also ihrem für den Patienten Nutzen stiftenden klinischen Einsatz, geführt. Das ist im Grunde das, was ich im erweiterten Sinn mit allen Mitarbeitern unserer Unternehmen auch heute noch tue.
Dann kam Steinbeis hinzu, einige Jahre später auch meine Berufung an die Steinbeis-Hochschule und zeitgleich die Gründung unserer Unternehmen, um die entwickelten Medizinprodukte auch zu produzieren und weltweit zu vermarkten.
Ich denke, was uns auf dem Lebensweg begegnet ist in vielem Zufall, was wir davon aufgreifen und wie wir es nutzen, darin folgen wir unserer inneren Neigung und Begeisterungsfähigkeit. Aus heutiger Sicht erscheint mir mein Berufsweg völlig plausibel, auch wenn er nie geplant und „beschlossen“ wurde.
Welche Rolle in der Unternehmensentwicklung spielt der Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und warum ist gerade das Experimentieren für den Unternehmenserfolg sehr wertvoll?
Aus meiner Sicht spielt das eine essentielle Rolle. Einmal natürlich als Werkzeug, um gute Ideen mit geringen administrativen Hürden aus den Hochschulen heraus zu luxieren und ihnen eine Chance für die Umsetzung zu geben. Steinbeis tut hier weiterhin sehr viel, andere auch, dennoch: Diese Transferkultur muss unbedingt gestärkt und gepflegt werden. Die Realisierungsrate, also die tatsächlich wirtschaftliche Umsetzung von Forschungsergebnissen am Markt, ist in der deutschen Wissenschaftsszene – sowohl in den Hochschulen als auch in der außeruniversitären Forschung – noch zu gering. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands würde von einer noch aktiveren Kommerzialisierungskultur in der Wissenschaft und Forschung meiner Meinung nach sehr profitieren. Die Umsetzung von Forschungsergebnissen sollte als eines der Qualitätsmerkmale und als Erfolgsparameter öffentlich geförderter Projekte und Institutionen noch stärker herausgestellt werden.
Experimentieren mit Innovation, Vermarktung und Unternehmertum, der zweite Teil Ihrer Frage, ist deshalb so wichtig, da Angehörige von Forschungseinrichtungen damit zumeist keinerlei Erfahrung haben. Steinbeis ist dafür ein sehr praxistaugliches Modell.
Durch dieses Experimentieren und sich an Vermarktungsfragen zu erproben kann man herausfinden, ob ein unternehmerischer Berufsweg, mit einem Steinbeis-Transferzentrum oder auch darüber hinaus, eine attraktive berufliche Option ist und einem selbst Freude macht. Ohne ein solches berufliches Experimentierfeld würde mancher den Mut dazu vielleicht nicht schöpfen – ich hätte das vermutlich auch nicht.
Was empfehlen Sie akademischen Gründern, um jenseits des „Start-up-Hypes“ nachhaltig Erfolg haben zu können?
Ich finde es wichtig, dass man sich fortbildet. Alle technologischen Kompetenzen, Motivation und Durchhaltevermögen sind nur Teilvoraussetzungen für möglichen Erfolg, wenn auch vermutlich die wichtigsten. Man muss sich ebenso mit den Grundzügen der Wirtschaftswissenschaften befassen, meines Erachtens vor allem mit Marketing und Rechnungswesen, später dann auch mit Recht und Personalwesen. Selbst wenn man Mitstreiter aus dem kaufmännischen Bereich hat, so ist man als Unternehmer unabdingbar darauf angewiesen hier zumindest über einen soliden Grundstock an Wissen zu verfügen. Es gibt dazu verschiedene gute Weiterbildungsangebote und es muss auch nicht immer ein voller MBA sein. Aber ignorieren darf man das auf keinen Fall, wenn man eigenverantwortlich handeln will.
Das Zweite ist, dass man sich nicht zu spät auf einem Innovationsweg intensiv mit dem Markt auseinandersetzt, dem Kunden und seinen Bedürfnissen und wirtschaftlichen Möglichkeiten und damit auch mit Fragen der Preis- und Margengestaltung. Das wird oft erst zu spät bedacht. Irgendwann muss jedes Unternehmen ertragsorientiert arbeiten können und dafür ist das Verständnis von Preis- und Absatzstrukturen im eigenen Markt aus meiner Erfahrung erfolgsentscheidend.
Kontakt
Prof. Dr. med. Marc O. Schurr (Autor)
Leiter
Steinbeis-Transfer-Institut Healthcare Industries (Berlin/Tübingen)