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„ICH PLÄDIERE DAFÜR, BEI DER BETRACHTUNG VON DIGITALISIERUNGSPOTENZIALEN DEN KONKRETEN NUTZEN IN DEN MITTELPUNKT ZU STELLEN“

TRANSFER im Gespräch mit Prof. Dr. Claas Christian Wuttke, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Digitale Services – Innovation und Entwicklung

Die digitale Transformation stellt gerade die kleinen und mittleren Unternehmen vor besondere Herausforderungen. Doch wa­rum ist das eigentlich trotz der den KMU sonst zugute gehaltenen größeren Wandlungsfähigkeit so? Mit dieser Frage setzt sich Prof. Dr. Claas Christian Wuttke sowohl als Professor an der Hochschule Karlsruhe als auch als Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Digitale Services – Innovation und Entwicklung auseinander. Er ist im Bereich der Smart Products und Smart Services unterwegs und weiß, wie diese effizient am Markt umgesetzt werden können.

Herr Professor Wuttke, die digitale Transformation in der Industrie hat neue Produkte, Dienstleistungen und somit auch neue Geschäftsmodelle zur Folge. Welche wesentlichen Auswirkungen auf Prozesse innerhalb kleiner und mittlerer Unternehmen erwarten Sie?

Ich habe den Eindruck, dass die Digitalisierung gerade in vielen deutschen Unternehmen vor allem als Herausforderung gesehen wird – ganz anders als zum Beispiel in Ostasien, wo jede Form der Digitalisierung begeistert angenommen wird. Das erklärt sich natürlich auch dadurch, dass bei uns Daten- und Persönlichkeitsschutz einen deutlich höheren Stellenwert haben. Außerdem werden oft die mit der Digitalisierung verbundenen Aufwände in den Vordergrund gestellt. Die vielen positiven Prognosen zur volkswirtschaftlichen Wirkung der Digitalisierung helfen dem einzelnen Unternehmen dabei natürlich nicht weiter.

Ich plädiere deshalb dafür, bei der Betrachtung von Digitalisierungspotenzialen den konkreten Nutzen in den Mittelpunkt zu stellen: Die Frage also, ob auf Basis vorhandener oder kurzfristig verfügbarer Daten ein neuer Service angeboten werden kann. Besonders reizvoll ist es natürlich, wenn durch den neuen Service unmittelbar auch neue Einnahmen generiert werden können. Aber auch ein unternehmensinterner Nutzen, zum Beispiel durch Verbesserung von Wertschöpfungs- oder Planungsprozessen, sollte berücksichtigt werden. Gerade dieser Zusammenhang von Digitalisierungsaktivitäten und unmittelbarem Nutzen ist für KMU besonders wichtig, weil sich Investitionen in Innovationen schnell amortisieren müssen. Eine weitere Herausforderung für KMU besteht darin, dass es dort typischerweise keine großen Stabsabteilungen für die Entwicklung von neuen Angeboten gibt, wie zum Beispiel datenbasierte Services. Daher ist es schwer, überhaupt Kapazitäten für die Arbeit an neuen Leistungsangeboten bereitzustellen. Sollen diese von Experten aus den Linienabteilungen erdacht und entwickelt werden, besteht die Gefahr, dass die Mitarbeiter sich nicht ausreichend von den Mustern klassischer Produkte und den spezifischen Methoden lösen können.

Auf der anderen Seite sind KMU in der Regel näher am Kunden. Das ist in diesem Zusammenhang ein großer Vorteil, weil die Kunden so leichter in das Finden und die Entwicklung neuer Leistungsangebote eingebunden werden können. Wichtig ist dabei, dass die Ziele und Risiken der Kundeneinbindung bekannt sind und berücksichtigt werden. Zu den Risiken gehört zum Beispiel, dass der Kunde alle geäußerten Ideen möglichst schnell umgesetzt sehen will, oder auch, dass der Kunde gar nicht weit genug denkt, weil ihm gar nicht bewusst ist, was durch die Digitalisierung alles möglich wird. Nur wenn klar ist, welche konkreten Personen wann, wie und mit welchem Ziel eingebunden werden sollen, kann die Kundeneinbindung zielgerichtet und effizient erfolgen, sonst gibt es auf beiden Seiten Enttäuschungen. Zu erfolgreichen Digitalisierungsprojekten gehört aber, nicht nur Kunden, sondern alle Beteiligten – allen voran die Mitarbeiter – mitzunehmen. Dabei kann eine ganz ähnliche Vorgehensweise wie bei der Kundenintegration genutzt werden.

Sie haben es schon deutlich gemacht: Die Digitalisierung von Produktion und Produkten soll zuallererst einen Nutzen bringen, für Unternehmen wie auch Kunden. Wie sieht aber das konkrete Vorgehen für eine zielgerichtete und effiziente Umsetzung neuer Funktionen digitalisierter Produkte (Smart Products) und datenbasierter Dienstleistungen (Smart Services) aus?

Am Markt sehen wir nur die neuen und die dauerhaft erfolgreichen Smart Products und Smart Services. Man kann aber davon ausgehen, dass bis zu 80% der neuen Dienstleistungen am Markt scheitern. Dafür gibt es natürlich viele Gründe. Einer ist aber definitiv, dass für datenbasierte Produkte und Services andere Entwicklungsprozesse und -methoden benötigt werden als für klassische Sachgüter. Zu Beginn eines jeden Projektes muss natürlich eine Analyse der Ist-Situation vorgenommen werden. Reifegradmodelle für die Digitalisierung, wie zum Beispiel der Leitfaden Industrie 4.0 des VDMA, sind sicher eine gute Basis, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sie sind aber meiner Ansicht nach sehr am Technology Push orientiert, das heißt sie sind auf das technisch Machbare fokussiert. Unser Ansatz orientiert sich eher am Market Pull, dabei steht sehr früh der Kundennutzen durch Digitalisierungsmaßnahmen im Mittelpunkt.

Die Analyse der eigenen Kompetenzen sollte nicht auf Industrie 4.0-Technologien in Produktion und Produkten beschränkt sein. Die Frage, in welchen Produktlebensphasen Kunden bisher welche Angebote gemacht werden und wie jeweils die Geschäftsmodelle dazu aussehen, hilft schon erste Ansätze für neue Angebote abzuleiten. Bei der Ideengenerierung halte ich es auch für sehr wichtig zu wissen, welche datenbasierten Services am Markt schon erfolgreich sind. Dazu pflegen wir eine strukturierte Sammlung von Smart Services für den Maschinenbau, die sich natürlich kontinuierlich erweitert. Wenn dann mehrere Ideen da sind, ist es wichtig diese so zu formulieren, dass sie in all ihren Aspekten verstanden und ausprobiert werden können. Dazu werden spezifische Prototypen von digitalen Services genutzt. Neben der Customer Journey Map ist das zum Beispiel ein Offering Diagram, mit dem erarbeitet werden kann, welche Funktionen und Subfunktionen das Angebot enthalten soll. Viele digitale Services werden in einem Ecosystem von mehreren Partnern erbracht. Eine Motivation Map verdeutlicht die jeweiligen Interessen der Partner und auf einer Systemplattform wird die Zusammenarbeit visualisiert. Mit einem Product-Service-­Blueprint lässt sich schließlich das Zusammenwirken des Sachgutes mit dem Service bei der Leistungserbringung detailliert abbilden. So sind Probleme rechtzeitig erkennbar. Die frühzeitige und intensive Nutzung von Prototypen ist Basis für einen agilen Entwicklungsprozess.

Sind Ideen für neue digitale Services mit all ihren Aspekten greifbar geworden, lässt sich sowohl der Kundennutzen als auch der Umsetzungsaufwand – nicht nur Kosten, sondern auch Zeiträume und mögliche Barrieren – besser abschätzen. Dabei ist wichtig, Zusammenhänge der Aufwände für die Umsetzung einzelner Services zu erkennen und zu berücksichtigen. Nehmen wir den Maschinenbau als Beispiel: Der Anschluss der eigenen Maschinen – sei es als Nutzer oder Anbieter – an eine IoT-Plattform ist ein großer Schritt, ermöglicht in der Regel aber auch gleich eine ganze Palette neuer Services. So lässt sich eine Digitalisierungsstrategie ableiten, die auch schrittweise zusätzliche Erträge und/oder Einsparungen erbringt und so finanzierbar wird.

Was zeichnet Ihrer Meinung nach zukunftsfähige Produktionssysteme aus, welche Anforderungen müssen sie erfüllen, um erfolgreich zu sein?

Bei allen Veränderungen werden auch weiterhin die hohe Verfügbarkeit und robuste Qualität zentrale Anforderungen an Produktionssysteme sein. Dies zeigt sich auch darin, dass eine Vielzahl von industriellen Smart Services auf Sicherstellung und Verbesserung von Verfügbarkeit und Qualität abzielen: Condition Monitoring, Predictive Maintenance, Remote Service, intelligente Prozessoptimierung etc. Daneben wird die Forderung nach einer flexiblen Fertigung weiterhin an Bedeutung gewinnen. Auch hierfür gibt es bereits Services am Markt, die intensiv die Vernetzung nutzen und häufig auf neuen Geschäftsmodellen basieren, wie zum Beispiel Performance Based Contracting, Smart Factory as a Service oder auch Plattformen für den Handel mit Produktionskapazitäten.

Vor gut zehn Jahren habe ich erlebt, wie in einer Teilefertigung pro Woche eine Gitterbox voll Daten physisch abgelegt wurde, um den Vorschriften der Produkthaftung Genüge zu tun – Datenerzeugung und Ablage ohne echten Nutzen. Heute protokollieren schon viele Unternehmen ihre vielfältigen Produktionsdaten, um sie im Nachhinein – zum Beispiel bei Qualitätsproblemen – zu nutzen. In Zukunft wird die Nutzung von Daten sicher unmittelbarer und konsequenter erfolgen. Viele Anforderungen an Produktionssysteme werden erhalten bleiben – die schrittweise Digitalisierung wird uns aber helfen, sie besser zu erfüllen.

Smart Products, Smart Services, Smart Factory – welchen Einfluss nehmen diese Entwicklungen Ihrer Meinung nach auf die Wertschöpfung im Unternehmen?

Ich bleibe beim Beispiel Maschinenbau, weil ich mich dort gut auskenne: Die Betreiber von Smart Factories werden durch Effizienzsteigerungen Kostenvorteile und in Folge auch Umsatzwachstum erwarten dürfen. Über kurz oder lang werden diese Effekte aber durch wachsenden Wettbewerbsdruck von anderen Smart Factories kleiner. Die durch Digitalisierung unterstützte Produktion wird zur Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg, insbesondere in einem Hochlohnland wie Deutschland.

Anders sieht es meiner Meinung nach bei Smart Products und Smart Services aus: Erfolgreiche Unternehmen haben schon erkannt, dass hier im Gegensatz zu klassischen Sachgütern noch große Wachstumspotenziale und höhere Renditen möglich sind und auch erzielt werden. Einzelne Unternehmen erwirtschaften jetzt schon etwa ein Drittel des Umsatzes mit Services – wenn auch nicht alle datenbasiert. Frau Leibinger-Kammüller, Vorsitzende der Geschäftsführung von Trumpf, hat die Erwartung, in absehbarer Zeit die Hälfte des Umsatzes von aktuell etwa drei Milliarden Euro mit Services und neuen Geschäftsmodellen zu machen. Das zeigt, wo die Reise hingeht.

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Prof. Dr. Claas Christian Wuttke (Autor)
Leiter
Steinbeis-Transferzentrum Digitale Services – Innovation und Entwicklung (Karlsruhe)