Thomas R. Villinger plädiert im „Steinwurf” für mehr Geschwindigkeit bei Forschung und Technologie
Landauf, landab mehren sich die Stimmen, dass Deutschland in den Bereichen Forschung und Technologie abgehängt wird. Die langen Diskussionen über den Bildungspakt oder die schlechte Qualität der mobilen Funknetze zeigen, dass es Handlungsbedarf gibt. Es bringt aber wenig, nur an einer Klagemauer zu stehen und mit dem Finger auf den jeweils anderen zu zeigen. Mit gegenseitigen Vorwürfen lassen sich keine Probleme lösen. Natürlich muss die öffentliche Hand in einigen Bereichen ihre Hausaufgaben machen, aber Leistungsträger aus Wirtschaft und Wissenschaft dürfen bis dahin keinesfalls die Hände in den Schoß legen. Schauen wir ein wenig über den Tellerrand hinaus.
Der ZFHN Zukunftsfonds Heilbronn kooperiert seit vielen Jahren mit Start-ups und VC-Gesellschaften in den USA, Israel und China. Was machen Unternehmen und Regierungen dort anders, was läuft besser, wo können wir uns in Deutschland ein Vorbild nehmen?
WIR MÜSSEN SCHNELLER WERDEN
In China erfolgen Produktentwicklungen und das Going-to-the-Market um ein Vielfaches schneller als in Deutschland. „Die Schnellen fressen die Langsamen“ gilt besonders in Zeiten von Industrie 4.0, Automatisierung und künstlicher Intelligenz (KI). Bis zu einem gewissen Punkt sollten wir uns in Deutschland nach dem Motto „Schnelligkeit vor Gründlichkeit“ bewegen. Wir können Entwicklungen vorantreiben ohne dass wir zu 100 % sicher wissen, dass ein Produkt auch wirklich 50 Jahre lang hält. Die Produktzyklen werden kürzer, die Technologiesprünge größer und das Interesse der Kunden wandelt sich schnell. Das soll kein Appell für Schludrigkeit und Fehlerhaftigkeit sein, aber viele Produkte lassen sich auch zusammen mit Kunden entwickeln und dabei mit hohem Speed zur endgültigen Marktreife bringen.
Die weitere Lehre aus dem Erfolg vieler chinesischer Unternehmen ist: „mobile first“. Ein Großteil der täglichen Wertschöpfungskette in China wird mit dem Smartphone abgewickelt. Der kleine Helfer aus der Hosentasche erledigt Einkäufe, Buchungen, Finanzen und viele andere Dinge des täglichen Lebens. Desktop-PC und Laptops sind auf dem Rückzug. Auch hier gibt es in Deutschland noch „Luft nach oben“, wir sollten die entsprechenden Geschäftsmodelle verstärkt vorantreiben. Charakteristisch für junge Unternehmen in Israel ist eine beinahe kindliche Neugier, man möchte hier den Dingen immer auf den Grund gehen: Muss man dieses Problem wirklich akzeptieren? Gibt es da nicht einen anderen Weg? Diese innovative Anarchie treibt den Fortschritt mit einer großen Geschwindigkeit voran. Weiterhin haben die Israelis aufgrund ihrer „Insellage“ gelernt, mit den vorhandenen Ressourcen auszukommen. Man improvisiert lieber, als auf eine neue teure Maschine zu warten. Es gilt das Motto: „Impossible is irrelevant“. Dies erhöht die Geschwindigkeit bei der Entwicklung neuer Technologien. Schließlich gibt es ein typisches Wort für die israelische Mentalität – auch in der Wirtschaft: „Chuzpe“. Das steht für Mut, eine gewisse Bauernschläue, Agilität und Risikobereitschaft. Auch dies kann uns ein Vorbild sein.
MEHR BILDUNG IST DER SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG
Insbesondere in Israel legt man großen Wert auf die Bildung, vor allem in den MINT-Fächern. Der Zugang zu den mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern bereits in der frühen Jugend legt die Basis für ein ausreichendes Verständnis der modernen Technologie. Hier geht Israel ganz sicher den richtigen Weg und sorgt somit nachhaltig für den nachwachsenden Rohstoff „Bildung“. Moderne Tablets und WLAN in unseren Schulen, bezahlt aus dem neuen Topf des Digitalpaktes in Deutschland, sind sicher ein Anfang – aber auch hier dürfen wir nicht locker lassen.
Wenn ich die derzeitigen Vorteile von jungen Unternehmen aus China und Israel aufzeige, dann geht es mir nicht darum, die bekannten „deutschen Tugenden“ abzuschaffen. Der richtige Weg wird sein, das Beste aus beiden Welten zu vereinigen. Möglich wird dies, indem junge Unternehmen aus China oder Israel mit etablierten Unternehmen aus Deutschland kooperieren. Ein aktuelles Beispiel ist das KI-Start-up INSPEKTO aus Israel, in das der ZFHN vor mehr als einem Jahr investiert hat. Das Unternehmen arbeitet inzwischen intensiv mit Produktionsunternehmen in Süddeutschland zusammen. Der ZFHN strebt weitere solche Kooperationen an.
Kontakt
Thomas R. Villinger hat mehr als 25 Jahre Erfahrung im Venture-Capital-Bereich. Bevor er 2006 Mitgründer und CEO beim ZFHN Zukunftsfonds Heilbronn wurde, absolvierte er zahlreiche nationale und internationale Stationen in verantwortlicher Position. Sein Schwerpunkt lag dabei auf Mergers & Acquisitions sowie Venture Capital-/Private Equity-Kapitalbeschaffung für Wachstumsunternehmen in Europa, den Golfstaaten und den USA.
Thomas R. Villinger ist in zahlreichen Aufsichtsratsgremien von Early-Stage-Beteiligungen vertreten und ein international gefragter Experte bei der Finanzierung von technologieorientierten Start-ups. Zuletzt begleitete er als Gründer und Geschäftsführer den Unternehmensaufbau der Innovationsfabrik Heilbronn GmbH, einem großen Business-Incubation-Center. Thomas R. Villinger ist seit vielen Jahren selbst als Investor in internationale Technologie-Start-ups aktiv.
Thomas R. Villinger | CEO
zfhn Zukunftsfonds Heilbronn GmbH & Co. KG (Heilbronn)