Vertrauen ist unabdingbar
Die allgegenwärtige Digitalisierung führt zu tiefgreifenden Veränderungen nicht nur in Wertschöpfungsprozessen sondern auch in ganzen Ökosystemen, was zur Entstehung von neuen Geschäftsmodellen führt. Eine Herausforderung, mit der nur wenige Unternehmen umzugehen wissen. Das Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI) hat das Problem erkannt und bildet für Unternehmen einen geschützten Wissens-und Vertrauensraum, damit neue Geschäftsmodelle entstehen und erprobt werden können.
Einer der Indikatoren der Digitalisierung im Alltag ist ein regelmäßig überlaufender Papiercontainer, äußerlich ein kleines aber auffälliges Zeichen eines sich dramatisch verändernden Konsumverhaltens. Onlinehändler erzielen Wachstumsraten jenseits der 20 %, dem gegenüber stehen dramatische Umsatzrückgänge vor allem im stationären Einzelhandel. Daraus eine 1:1 Substitution abzuleiten wäre zu einfach: Onlinehändler sind eben nicht nur Händler, die ein meist sehr breites Warensortiment (vom Buch bis zum Lebensmittel) anbieten, sondern auch Versand- und Transportlogistiker, Banken, BigData-Analysten und viel mehr. Die Digitalisierung beschränkt sich selbstverständlich nicht auf den (Online-)Handel, aber an diesem Beispiel lässt sich ein wesentliches Merkmal der Digitalisierung aufzeigen: Wertschöpfungsketten verändern sich und ganze Ökosysteme treten mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Geschäftsfähigkeiten miteinander in den Wettbewerb. Es ist nur schwer möglich, auf diesen Veränderungsprozess mit den gleichen Methoden wie in der Vergangenheit zu reagieren, nur wenige Unternehmen in unserem Wirtschaftssystem sind in der Lage, ganze Ökosysteme neu zu denken und selbst neu zu gestalten.
Digitalisierung ist keine technologische Herausforderung, sondern der extreme Wandel unseres gesamten sozialen und wirtschaftlichen Umfeldes. In der Wirtschaft wird sich dieser auf die Organisation und Führung von Unternehmen, auf ganze Unternehmensprozesse und die Wertschöpfung auswirken: Der radikale Veränderungsprozess der Wertschöpfungsstrukturen stellt die bisherigen Organisations- und Führungsstrukturen in Frage und bringt in der Folge einen Kontrollverlust auf allen Ebenen mit sich. Das Ferdinand-Steinbeis-Institut ist durch die Mitarbeit an nationalen und internationalen Projekten in der Lage Muster der Digitalisierung zu erkennen und zu abstrahieren. Durch die darauf aufbauende Entwicklung und Anwendung von Methodik kann Wissen über Digitalisierung transferiert und für kleinere und mittelständische Betriebe in Form von Micro Testbeds umsetzbar gemacht werden: Bei deren Initiierung werden regelmäßig Konsortien aus verschiedenen Unternehmen zusammengestellt, in denen alle im Ökosystem potenziell gebrauchten Geschäftsfähigkeiten abgebildet sind. Durch die Neutralität von Steinbeis ist es möglich, mittelständische Unternehmen mit komplementären Fähigkeiten zu finden und zu einer vertrauensvollen Arbeit in einem geschützten Raum zusammen zu bringen.
Die Mitarbeit in einem Micro Testbed ist immer eine unternehmerische Entscheidung, die auf dem Vertrauen in die Fähigkeit von Steinbeis beruht: Vertrauen in wissenschaftliche und methodische Kompetenz und in die Fähigkeit, die richtigen Unternehmen für ein Ökosystem zu identifizieren und zur Mitarbeit zu animieren. Da in der Initiierungsphase eines Micro Testbeds weder Problem noch Lösung bekannt sind, besteht die Herausforderung für Unternehmen darin, sich auf ein Projekt einzulassen, dessen konkreter wirtschaftlicher Nutzen für den Einzelnen noch nicht greifbar ist. Die gewohnten Rituale der Wirtschaftlichkeitsrechnung oder einer Kosten-Nutzen-Analyse greifen nicht. Der potenzielle Veränderungsdruck des (digitalen) Marktes und vor allem die Reputation des FSTI senken jedoch die Hürden für die Unternehmen, sich in ein Micro Testbed einzubringen.
Das Denken in Ökosystemen ist keine Erfindung der Digitalisierung, für Unternehmen ist es jedoch alles andere als geübte Praxis. Selbst den großen Unternehmen in Deutschland gelingt es nicht, Projektteams über ein Kunden-Lieferanten-Verhältnis hinaus zusammen zu stellen. Grund hierfür ist der Mangel an einer neutralen Instanz. Dafür bildet das Ferdinand-Steinbeis-Institut einen idealen und einzigartigen Wissens- und Vertrauensraum. Es klingt trivial, dass eine Lösung in einem Ökosystem grundlegend anders aussieht als die in bilateraler Zusammenarbeit, da dort niemals das gesamte Prozess- und Markt-Know-how versammelt sein kann. Auch wenn es den Unternehmern zu Beginn schwerfällt, den potenziellen Nutzen eines Systems zu erkennen und diesen mit anderen Systempartnern teilen zu müssen, so gelingt es durch die Moderation von Steinbeis doch, einen Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen.
Digitalisierung beschränkt sich nicht auf eine Branche oder gar auf die Produktion. Sie ist das Einbringen von Fähigkeiten in Ökosystemen, um an deren Erfolg zu partizipieren. Zunächst steht in allen Micro Testbeds die Frage im Vordergrund, welche Geschäftsfähigkeiten die einzelnen Unternehmen auszeichnen und wie diese in neuen Geschäftsmodellen Anwendung finden können. Dazu werden Muster und Mechanismen aufgezeigt, wie sie in anderen Branchen oder Anwendungsfällen vorkommen. Die Erfahrung und das Wissen aus dem Industrial Internet Consortium (IIC) und anderen Micro Testbeds bilden hierfür die Basis. Diese Muster zu erkennen und sie in anderem Kontext anzuwenden ist eine wichtige Transferleistung des Projektteams. Die Aufgabe ist es, durch die Integration aller Teilnehmer und deren Fähigkeiten einen oder mehrere Anwendungsfälle zu entwickeln, die für alle Mitglieder und das System Nutzen stiften. Einer oder mehrere dieser Use cases werden durch die beteiligten Unternehmen im realen Umfeld (Brownfield) gemeinsam erprobt. Erst danach wird die Ebene des Geschäftsmodells des Ökosystems verlassen: Mit Hilfe unterschiedlicher Technologien wird ein Proof of Concept durchgeführt, der zur Überprüfung der Annahmen aus der Geschäftsmodellgestaltung dient.
Die in 15 Micro Testbeds über viele Branchen hinweg (Einzelhandel, Handwerk, Dienstleistung, Maschinenbau, Hotel & Gaststätten, Produktion, Großhandel, Automotive) gemachten Erfahrungen zeigen deutlich, dass die mittelständischen Unternehmen Wissen und Methodik der Digitalisierung kennen und anwenden lernen und die eigenen Geschäftsfähigkeiten im Kontext der Digitalisierung überprüfen und neu justieren. Dabei erkennen die Unternehmen schnell, dass sich nicht alle Fähigkeiten zur Gestaltung von Ökosystemen aus eigenen Ressourcen ableiten lassen und dass Lösungen, die in einem Ökosystem erarbeitet werden können, weit mehr sind als das, was im eigenen Unternehmen leistbar ist. Von der Zusammenstellung des Testbeds über die Findung von Use cases bis hin zur Überprüfung kommt es zu einem Wissensgewinn und zur Erprobung neuer kultureller Fähigkeiten. Die Modellierung eines neuen Ökosystems mit konkreter Überprüfung der Annahmen und das Erkennen eigener Fähigkeiten bilden die Basis für eine erfolgreiche Positionierung der Unternehmen im Wettbewerb der Ökosysteme von morgen. Micro Testbeds sind gleichzeitig Forschungs- und Transferlabore und stiften dabei Nutzen für die Wissenschaft und die Wirtschaft. Als wissenschaftlicher Begleiter, als Gestalter des Ökosystems und als neutraler Moderator des Vertrauensraums hat sich das Ferdinand-Steinbeis-Institut eine einzigartige Position als Forschungs- und Transferinstitut im deutschsprachigen Raum erarbeitet.
Kontakt
Michael Köhnlein ist Leiter und Peter Wittmann Projektleiter im Steinbeis Digital Business Consortium. Das Steinbeis-Unternehmen bietet seinen Kunden die Initiierung und Koordination von Konsortien zur Entwicklung und Umsetzung von Digitalisierungsstrategien in Industrie, Handel, Handwerk und im Dienstleistungssektor, die Analyse von Wertschöpfungsprozessen sowie die Entwicklung von Geschäftsmodellen und das Organisieren von Mittelstandsallianzen zur Bewältigung des digitalen Wandels (Micro Testbeds). Die wissenschaftliche Begleitung erfolgt durch das Ferdinand-Steinbeis-Institut, in dem Michael Köhnlein und Peter Wittmann als Projektleiter mit dem Schwerpunkt Micro Testbeds tätig sind.
Peter Wittmann
Steinbeis Digital Business Consortium (Stuttgart)
http://steinbeis-digital.de
Simon Hiller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ferdinand- Steinbeis-Institut. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Industrial Internet & Industrie 4.0, speziell im Themengebiet Additive Manufacturing.
Ferdinand-Steinbeis-Institut (Stuttgart)
www.steinbeis-fsti.de