Neue Forschungsergebnisse zur Vermeidung von Immunreaktionen nach Implantateinsatz und zur Risikobewertung von Biomaterialien
Um die häufigen unerwünschten Immunreaktionen bei Implantaten zu vermeiden oder zu verringern, wurde im EU-Forschungsprojekt IMMODGEL ein innovatives System aus chemischen und biologischen Komponenten entwickelt. Die Steinbeis 2i GmbH hat das Projekt koordiniert und ein Folgeprojekt zum Thema Risikobewertung von Biomaterialien erfolgreich bei der EU eingereicht.
Implantate verursachen beim Patienten häufig Nebenwirkungen. Für Implantate im Zahn- und Kehlkopfbereich gibt es nun Fortschritte, die dank des EU-Projekts IMMODGEL auf dem Weg in die medizinische Praxis sind. In IMMODGEL wurde ein innovatives System aus chemischen (Hydrogel) und biologischen Komponenten (Zellen des Immunsystems) für Zahn- und Kehlkopfimplantate aus Titan entwickelt. Deren Design ist so anpassungsfähig, dass es für beliebige Implantate, medizinische Geräte oder Transplantate eingesetzt werden kann. Darüber hinaus wurde ein diagnostischer Test in Form eines „on-chips“ Systems erstellt, der die Immunreaktionen von einzelnen Patienten vorhersagen kann. Die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Designs werden dann so verändert, dass Abstoßungsreaktionen vermieden und Implantate zum ersten Mal individuell angepasst werden können.
Die Universität Heidelberg hat in Kooperation mit der estnischen Firma Protobios spezifische Marker detektiert, mit denen die Reaktion auf Titan auf personalisierter Basis beschrieben werden kann. Die Ergebnisse wurden verwendet, um die optimale Kombination von Biomaterial und Zytokinen zu entwickeln, die die Entzündungsreaktion hemmen. Um diesen Effekt zu potenzieren, hat die Universität Nottingham die Topographie der Oberflächen analysiert und optimale Mikrostrukturen ausgewählt, die im finalen therapeutischen System integriert werden sollen. Weitere Partner haben die Gelformulierung verbessert und eine adhäsive Schicht, die die Titanoberfläche mit dem Gel zusammenhält, entwickelt. Die Partner haben unerwartete antimikrobielle Eigenschaften in dieser Schicht festgestellt, was zu dem ersten eingereichten Patent des Projekts im Bereich Polypeptid- und Hyaluronsäurebeschichtungen geführt hat. Zwei weitere Patente wurden vor Projektende eingereicht, eine weitere Einreichung ist geplant. Um nachhaltig von den Projektergebnissen zu profitieren, plant der wissenschaftliche Koordinator Protip Medical im Herbst 2018 die Gründung eines Start-ups, das sich hauptsächlich mit den in IMMODGEL entwickelten Lösungen und Methoden zur Eindämmung von Immunreaktionen bei Zahn- und Kehlkopfimplantaten aus Titan beschäftigen wird. Die US-amerikanische Forschungsgruppe von Professor Khademhosseini am Brigham and Women’s Hospital in Boston hat ein „Foreign Body Response on-a-chip“-System entwickelt, das die Reaktion gegenüber Titan unter in-vivo-ähnlichen Bedingungen analysieren kann.
Die Forschungsergebnisse bieten ein großes Innovationspotenzial, das nicht nur die Stärke und Dauer von Entzündungen, die durch Implantate ausgelöst werden, verringern kann. Auch der Heilungsprozess nach dem Einsetzen eines Implantates wird verbessert. Das Projekt trägt somit dazu bei, die negativen Folgen von Implantationen zu reduzieren, Schmerzen bei den Patienten zu lindern und senkt die damit verbundenen medizinischen Kosten in Europa. Darüber hinaus schuf das IMMODGEL-Projekt mit der Forschung zur Einbettung von Makrophagen gute Ausgangsbedingungen für weitere Forschung auf diesem Gebiet, das zuvor in der Literatur noch keine Berücksichtigung fand. Das im Projekt entwickelte Behandlungssystem wurde erfolgreich mit vielversprechenden Ergebnissen in Tierversuchen getestet und validiert.
In IMMODGEL, das im September 2017 endete, arbeiteten die Universitäten Heidelberg, Nottingham und Straßburg, das Brigham and Women´s Hospital (USA) und mehrere KMU zusammen, darunter Protip (Frankreich), Protobios (Estland) und Contipro (Tschechien). Als Projektkoordinator führte die Steinbeis 2i GmbH das administrative und finanzielle Projektmanagement durch und unterstützte die Partner beim Schutz geistiger Eigentumsrechte sowie der Verbreitung der Projektergebnisse.
Zugleich haben die Projektergebnisse die Grundlage für das neue Horizont 2020-Forschungsprojekt PANBioRA (Personalised and/or Generalised Integrated Biomaterial Risk Assessment) geschaffen. Fünf der insgesamt acht Partner aus IMMODGEL führen nun ihre Forschung zu Immunreaktionen in PANBioRA fort. Das vierjährige Projekt wird seit Anfang 2018 unter dem Horizont 2020-Thema „Development of a reliable methodology for better risk management of engineered biomaterials in Advanced Therapy Medicinal Products and/or Medical Devices“ (Grant Agreement No 760921) von der Europäischen Kommission gefördert.
Biomaterialien gewinnen im medizinischen Bereich zunehmend an Bedeutung, da sie als Implantats- und Verbandsmaterial zur Wundabdeckung oder zum Organersatz ein vielfältiges Anwendungsfeld finden. Es gibt verschiedene Biomaterialien auf dem Markt, die für die gleiche Behandlung verwendet werden können. Für Ärzte ist es jedoch schwierig zu entscheiden, welches Material für welchen Patienten am besten geeignet ist, da jeder Patient unterschiedlich auf die gleichen Biomaterialien reagieren kann. Bislang fehlt es noch an einer angemessenen und umfassenden Risikobewertung für den Einsatz von Biomaterialien. Seit Januar 2018 arbeiten unter der administrativen Koordination der Steinbeis 2i GmbH 17 Partner aus elf europäischen Ländern an einer Lösung zu diesem Problem. Ziel ist es, eine Methode zur standardisierten Bewertung von Biomaterialien zu entwickeln, um das Risiko des Eingriffs auf verschiedenen Ebenen bewerten zu können. Die neue Methode wird es erstmalig erlauben, die Reaktion eines Patienten auf ein bestimmtes Biomaterial vorherzusagen, bevor es implantiert wird. Dies ermöglicht die Minimierung von Kosten sowie die Verbesserung gesundheitlicher Resultate. Die modulare Plattform wird die Analyse von Antikörperreaktionen, Zyto- und Gentoxizität, systemische und lokale Auswirkungen auf Gewebe und angrenzendes Gewebe (organ-on-a-chip) ermöglichen. Außerdem wird das Endprodukt durch physikalisch-chemische und biochemische Untersuchungen sowie Vorhersagemodelle auf Systemebene ergänzt. Dies soll durch die Vernetzung von Testmodulen und Risiko-Radar-Instrumenten gemeinsam mit einem biomechanischen Testsystem erreicht werden. Eine der größten Herausforderungen des Projekts liegt in der Integration der verschiedenen Analysetechnologien in ein System. Demnach zählte zu Projektbeginn die Festlegung der Anwenderbedürfnisse für das integrierte PANBioRA System zu einer der wichtigsten Aufgaben. Das multidisziplinäre Konsortium setzt sich aus KMU, wissenschaftlichen Forschungsorganisationen, Kliniken sowie Technologietransfer-Experten zusammen, was das komplexe und innovative Projektvorhaben unterstreicht.
Beide Projekte, IMMODGEL und PANBioRA, sind Wegweiser für zukünftige Forschung und Entwicklungen im Bereich der personalisierten Medizin. Durch die Minimierung der Abstoßungsreaktionen bei Implantateinsatz sowie die umfassende Risikobewertung von Biomaterialien werden effiziente Behandlungsmethoden geschaffen, um Kosten und Zeit zu sparen. Dadurch werden Komplikationen reduziert, was zur Verbesserung der klinischen Ergebnisse führt und langfristig auch zu einer Minimierung der Ausgaben im Gesundheitswesen. Zudem werden neue Standards für den Evaluierungsprozess von Biomaterialien gesetzt und diese Behandlungsart einem größeren Patientenkreis zugänglich gemacht.
Kontakt
Melanie Ungemach ist Mitarbeiterin bei der Steinbeis 2i GmbH. Steinbeis 2i verpflichtet sich den Themen Innovieren und Internationalisieren und ist Partner im Enterprise Europe Network der Europäischen Kommission mit rund 600 Partnern in über 50 Ländern. Ziel des Netzwerks ist es, den Unternehmen bei allen Fragen zu Europa, zu Innovation, Forschung und Technologietransfer zur Seite zu stehen sowie die Nutzung der Ergebnisse europäischer Forschung zu fördern. Steinbeis 2i agiert als Partner im baden-württembergischen Konsortium in Kooperation mit Handwerk International, bw-i, dem Wirtschaftsministerium und sechs Industrie- und Handelskammern.
Aktuelle Projektergebnisse, wissenschaftliche Publikationen oder die Teilnahme an Veranstaltungen werden über die PANBioRA Social Media-Profile auf Twitter, Facebook und LinkedIn sowie auf der Projektwebsite bekannt gegeben.