Im Gespräch mit Professor Dr. Ulrich Schraermeyer, Leiter des Steinbeis-Transferzentrums OcuTox
Professor Dr. Ulrich Schraermeyer hat mit der TRANSFER über den aktuellen Stand bei der Behandlung der altersbedingten Makula-Degeneration und seine Faszination für die Elektronenmikroskopie und deren Potenzial gesprochen.
Herr Professor Schraermeyer, unser Auge ist ein Wunderwerk der Natur, allerdings lässt die Sehkraft mit zunehmendem Alter nach. Sie sind neuen Wirkstoffen für die Behandlung degenerativer Erkrankungen wie der altersbedingten Makula-Degeneration (AMD) auf der Spur. Wie sieht der aktuelle Forschungsstand aus?
Das von uns zur Behandlung von trockener Makula-Degeneration entwickelte Medikament Remofuszin, welches Lipofuszin entfernen kann, wird voraussichtlich noch dieses Jahr in der Klinik eingesetzt werden, nachdem die EU die Gelder für eine klinische Studie, zunächst mit Morbus Stargardt Patienten, zur Verfügung gestellt hat. Sobald positive Ergebnisse aus dieser Studie vorhanden sind, wovon ich ausgehe, werden Investoren bereit sein, auch eine Studie mit Patienten, die an trockener Makula-Degeneration leiden, zu finanzieren.
Bei Ihren Forschungsarbeiten legen Sie großen Wert auf die Elektronenmikroskopie. Warum ist Ihnen gerade dieses Instrument so wichtig?
Die Elektronenmikroskopie ist deshalb wichtig, weil nur sie in der Lage ist, subzelluläre Strukturen sichtbar zu machen. Bedenken Sie, dass die meisten bisher bekannten Zellorganellen mit dem Elektronenmikroskop entdeckt wurden. Ich denke, es sind noch gar nicht alle entdeckt und mit Hilfe von Elektronenmikroskopie wird man neue Organellen finden. Seit etwa 40 Jahren geht die Entwicklung in der Wissenschaft in Richtung Molekularbiologie und hat viele neue Erkenntnisse erbracht. Gleichzeitig hat aber die Entwicklung der routinemäßigen Elektronenmikroskopie angefangen zu stagnieren oder ist fast vollständig eingestellt worden. Bei der Kryo-Elektronenmikroskopie ist das noch etwas anders, aber sie ist nur für bestimmte Fragestellungen (zum Beispiel zur Aufklärung von Proteinstrukturen) geeignet. Die klassischen Disziplinen der Elektronenmikroskopie wie Pathologie, Anatomie und Zellbiologie haben sich weitgehend zurückgezogen. Heutzutage können die meisten jungen Anatomen oder Pathologen ein ultrastrukturelles Bild nicht mehr beurteilen. Diese Entwicklung hat auch die Konsequenz, dass heute das technische und wissenschaftliche Personal für die Durchführung elektronenmikroskopischer Arbeiten nicht mehr vorhanden ist. Für die Elektronenmikroskopie der Zukunft bedeutet dies eine große Chance und es wird eine Renaissance geben. Vierzig Jahre molekularbiologische Forschung und deren Erkenntnisse sind von Seiten der Ultrastruktur nicht aufgearbeitet, dadurch ergibt sich heute eine andere Sicht auf neue Details als vor 40 Jahren. Eine Kombination von ultrastrukturellen und molekularbiologischen Analysen wäre ideal, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Das hat bisher aber nicht wirklich stattgefunden, mit Ausnahme der Tomographie.
Ich will das mal an einem Beispiel verdeutlichen. Die Fovea ist ein kleines Areal in der Netzhaut mit etwa 1,5 mm Durchmesser. Sie ist immens wichtig, denn nur hier ist die Anzahl der Sehzellen groß genug, dass wir damit gut sehen und zum Beispiel lesen können. Die letzten qualitativ hochwertigen elektronenmikroskopischen Untersuchungen der Fovea liegen rund 40 Jahre zurück. In der Fovea gibt es aber noch ein kleineres Areal, nämlich die Foveola mit einem Durchmesser von nur 0,35 mm. Eigentlich ist nur in der Foveola unsere Sehfähigkeit 100%ig. Trotz der Bedeutung der Foveola für unser Sehvermögen wurden wichtige anatomische Details der Foveola erst dieses Jahr durch meine Arbeitsgruppe publiziert, die ohne Elektronenmikroskopie nicht entdeckt worden wären (Tschulakow et al., 2018).
Mit Elektronenmikroskopie gibt es noch und immer wieder unendlich viel zu entdecken. Stellen Sie sich vor, ein Organismus wird mit einem neuen Medikament behandelt. Das hat sehr oft Einfluss auf die subzelluläre Ultrastruktur und bei den Analysen solcher behandelter Gewebe betritt der Forscher in der Regel Neuland. Diese Beobachtungen sind faszinierend, aber schwer zu kommunizieren. Aus solchen Veränderungen lassen sich Rückschlüsse auf den Wirkmechanismus ableiten, was mit anderen Methoden oft nicht so leicht möglich ist. Der Informationsgehalt eines Ultradünnschnittes ist gigantisch. Ein quadratischer Ultradünnschnitt mit 1 mm Kantenlänge hat bei 20.000-facher Vergrößerung eine Länge von 20 m und eine Fläche von 400 qm. Schon alleine deshalb ist klar, dass nicht alle ultrastrukturellen Details bereits bekannt sein können, wie gelegentlich behauptet wird. Wegen ihres riesigen Potenzials neue Erkenntnisse zu gewinnen, fasziniert mich die Elektronenmikroskopie nach wie vor.
Ihr Steinbeis-Transferzentrum OcuTox ist spezialisiert auf experimentelle Glaskörper- und Netzhautchirurgie, mit welchen Fragestellungen sind Sie aktuell beschäftigt?
Viele Augenerkrankungen – zum Beispiel retinale Venenthrombosen, Makula-Degeneration, diabetische Retinopathie oder Optikus Neuropathien – werden mitverursacht durch eine Verminderung des retinalen oder choroidalen Blutflusses, wodurch der Sauerstoffpartialdruck stark abfallen kann, so dass retinale Zellen sterben. Dieses kann in kurzer Zeit zur Erblindung des Auges führen. Eine Therapie-Option, die den Sauerstoffpartialdruck schnell wieder auf physiologische Werte einstellt, gibt es nicht. Beim Einleiten von Sauerstoff durch einen Katheter in den retroorbitalen Raum diffundiert der Sauerstoff in die Netzhaut und erhöht dort den Sauerstoffpartialdruck, so dass die Netzhautzellen länger überleben können, obwohl die retinale Durchblutung vollständig oder teilweise blockiert ist. Diese Maßnahme überbrückt zum Beispiel bei retinalen Venenthrombosen die Zeit, bis die Gefäße wieder durchblutet werden, und ermöglicht das Überleben der Photorezeptoren. Mit Hilfe einer von uns entwickelten Vorrichtung konnte der retinale Sauerstoff- Partialdruck auf physiologische Werte durch Einleitung von Sauerstoff in den retroorbitalen Raum reguliert werden. Das Steinbeis-Transferzentrum OcuTox entwickelt zur Zeit einen Prototyp, mit dessen Hilfe der Proof of Concept zur Vermeidung der Erblindung nach retinalen Venenthrombosen erbracht werden soll. Für die weitere klinische Entwicklung der Apparatur werden noch Investoren und Kooperationspartner gesucht.
Herr Professor Schraermeyer, welche Entwicklungen in der Augenheilkunde erwarten Sie in den kommenden zehn Jahren?
Die Zukunft der AMD-Forschung wird meiner Meinung nach darin bestehen, die Funktion der Pigmente Melanin, Lipofuszin und Melanolipofuszin im retinalen Pigmentepithel zu verstehen. Das Pigment Melanin spielt eine zentrale Rolle beim Schutz vor oxidativem Stress, dem das Pigmentepithel massiv ausgesetzt ist, und bei der lysosomalen Detoxifizierung von Bisretinoiden und anderen toxischen Metaboliten. Die Pigmente Melanolipofuszin und Lipofuszin erhöhen dagegen den Stress für die Pigmentzellen unter anderem durch Aktivierung von Komplement. Die Antwort auf die Frage, wie der Lipofuszinanteil in den RPE Zellen reduziert oder entfernt werden kann, wird die Forschung bei altersbedingten Netzhautdegenerationen dominieren und wird neue Therapieoptionen hervorbringen. Ein weiteres Forschungsthema der Zukunft wird das Verständnis der Wechselwirkung des Pigmentepithels mit dem einzigartigen Endothel der Choriokapillaris sein, welches sich bei trockener AMD zurückbildet oder bei feuchter AMD zu proliferieren beginnt. Das Verständnis der Faktoren, die diesen Schalter betätigen, wird entscheidend für zukünftige Therapieentwicklungen sein. Schon jetzt ist es in der Präklinik möglich das Gleichgewicht zwischen pround anti-angiogenen Faktoren, ohne und in Kombination mit anti-VEGF Therapeutika, so zu beeinflussen, dass die Gefäßleakagen geschlossen werden und gleichzeitig die unerwünschten atrophischen Effekte vermieden werden. An solchen Therapieoptionen arbeiten wir. Sie in die Klinik zu bringen ist im Wesentlichen ein finanzielles Problem. Bei der Gentherapie ist es von Bedeutung zu verstehen, wie und wo die viralen Vektoren Zugang zu den Zielzellen bekommen und wie die neuen Gene in das Genom integriert werden. Bei Photorezeptoren ist das bis heute unbekannt.
Kontakt
Professor Dr. Ulrich Schraermeyer ist Leiter des Steinbeis-Transferzentrums OcuTox an der Universitätsklinik Tübingen. Das Dienstleistungsangebot des Steinbeis- Unternehmens umfasst Elektronenmikroskopie/ Lichtmikroskopie, biochemische Analytik, Sehfunktionsprüfungen an Versuchstieren und Toxizitätsprüfungen.
Professor Dr. Ulrich Schraermeyer
Steinbeis-Transferzentrum OcuTox (Hechingen)