Diversity-Management als Kompass im Wandel von Gesellschaft und Arbeitswelt
Wie wirkt Vielfalt nicht nur als Imagefaktor, sondern auch als Innovationstreiber? Wie können Unternehmen hier Impulsgeber für die Gesellschaft sein? Mit diesen und weiteren Fragen zu Diversity und Diversity-Management setzt sich Steinbeis-Expertin Beate Wittkopp auseinander.
„Gleich und Gleich gesellt sich gern“ – dieses vertraute und Zusammengehörigkeit verheißende alte Muster wird heute immer mehr in Frage gestellt. Denn in unserem gesamten Lebensalltag führt der Wandel in die Auflösung von Grenzen und schafft Raum für Neues. Quer über Fachdisziplinen, Branchen und Organisationen hinweg entstehen neue Verbindungen und ungewohnte Schnittstellen. Gerade aus diesen Konvergenzen wird hohe Innovationskraft geschöpft. Zwischen den Akteuren entstehen neue Formen der interdisziplinären Interaktion, vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten und Kooperation im Wettbewerb.
Die gesellschaftlichen Megatrends der Gegenwart – Globalisierung, demographische Entwicklung und die weltweite reale und virtuelle Vernetzung sind Verstärker und bedeuten gleichermaßen Chance und Herausforderung für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Hier besteht eine gemeinsame Aufgabe in der Integration und Partizipation dieser Vielfalt. Diversität macht nicht Halt vor geographischen, kulturellen, organisatorischen oder administrativen Grenzen. Daher bietet – aus meiner Sicht und ohne das Thema in seiner Bedeutung überfrachten zu wollen – eine kluge Diversity-Strategie einen Kompass im Wandel von Gesellschaft und Arbeitswelt.
Diversity-Management ist kein Minderheitenprogramm, sondern ein zukunftsgerichtetes, anspruchsvolles Denkmodell für die Zusammenarbeit und für das Zusammenleben. Diversität in ihren Dimensionen und Facetten gleicht gewissermaßen einem Eisberg: Der kleinere Teil sind die sichtbaren, messbaren Merkmale wie Gender, Alter, Herkunft, Physis – den größeren und unsichtbaren Teil machen die Prägung, die Werte, Haltung und Erfahrung aus. Mit Wertschätzung und Augenhöhe im Umgang mit den unterschiedlichen Merkmalen, Sicht- und Herangehensweisen kann diese Vielfalt wertschöpfend gestaltet, können Stereotype und Vorbehalte überwunden werden. Aber sobald Einzelaspekte überbetont werden, droht Spaltung, wie der Blick auf einzelne Gruppierungen unserer Gesellschaft in bedrückender Schärfe zeigt. Daher sind Führungspersönlichkeiten als Vorbild und Kümmerer gefragt, die die Rahmenbedingungen für diese Diversifizierung so verändern, dass sie gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die praktische Umsetzung gestalten können. Hierzu werden weniger neue Regeln als vielmehr neue Ressourcen gebraucht.
Für die passende Diversity-Strategie gibt es kein „one-size-fits-all“! Denn jedes Unternehmen hat seine eigene DNA und muss seinen eigenen Weg im Wandel finden oder braucht, um im Bild zu bleiben, den Maßanzug. Mit Blick auf den Markt erhöht dann Diversität im Team die Chancen, vielfältige Lösungen für die wachsende Vielfalt an Kundenwünschen zu finden und kundenspezifische Geschäftsmodelle zu entwickeln. Um hier auch schnell genug agieren zu können, braucht das Unternehmen zudem gegenüber dem Kunden eine Vielzahl neuer Kompetenzen und Rollen. Daher entscheiden weder die Branche noch die Größe eines Unternehmens über die Relevanz der Diversity-Strategie, sondern Kultur und Wettbewerb. Zur Veranschaulichung seien die Felder Arbeitsmodelle, Internationalität und Generationenmanagement kurz betrachtet: Die Entgrenzung in der Arbeitswelt muss sich in neuen Arbeits- und Karrieremodellen abbilden, um neue Formen der Zusammenarbeit zu ermöglichen. Aus den tradierten Strukturen und Organisationsprozessen geht die Entwicklung über agiles Projektmanagement bis in selbstorganisierende Netzwerke. Partizipation und Transparenz werden deutlich erhöht, dieser gegenseitige Einblick ermöglicht wiederum mehr Verständnis. Die richtige Wahl in der Vielfalt an Kommunikationskanälen und -werkzeugen kann die übergreifende Kommunikation sehr erleichtern. Damit kommt diese Modell-Vielfalt nicht nur im persönlichen Umfeld den Erwartungen der Belegschaft nach Vereinbarkeit und Balance entgegen. In der Arbeitswelt fördert sie die zunehmende Vernetzung und verdichtet und beschleunigt damit den Transfer entscheidend. Bekanntermaßen befinden sich gerade die höchsten Potenziale für Innovation und Wertschöpfung an den Schnittstellen von Branchen, zwischen Unternehmen und Wissenschaft. Quer zur bisherigen Wertschöpfung können im Netzwerk Querschöpfungsketten® entstehen (Querschöpfung® ist ein eingetragenes Markenzeichen der S2i und des Steinbeis-Transferzentrums TransferWerk-BW). Voraussetzung ist die fach-, standort- und organisationsübergreifende Zusammenarbeit in interdisziplinären und internationalen Teams. Wenn es gelingt, diese technologische Vielfalt mit der kulturellen zu verknüpfen, gewinnt die Diversität ihre kognitive Dimension und wird zum Motor im Innovationsgeschehen.
Hier entstehen neue Aufgaben und ein wachsender spezifischer Fachkräftebedarf. Er wird durch die demographische Entwicklung, den Fachkräftemangel gerade in den neuen Technologiefeldern und durch die Internationalisierung verschärft. In diesem Wettbewerb müssen sich die Unternehmen als attraktive Arbeitgeber mit ihren Angebote an ganz unterschiedliche Zielgruppen richten, das erfordert schon hier die gewünschte Diversität zu bieten. Je stärker ein Unternehmen im globalen Markt agieren möchte, umso wichtiger werden interkulturelle Kompetenzen, denn die Kultur prägt das Denken und Handeln. Diese Internationalität muss daher adäquat in der Belegschaft einschließlich der Geschäftsführung aufgebaut werden. Denn gerade die Internationalisierung spitzt den Wettbewerb um Kunden und Fachkräfte zwar zu, eröffnet hier aber auch Ressourcen. Voraussetzung zur Erschließung dieser Potenziale wiederum ist der Ausbau von interkulturellen Kompetenzen und Verständnis in den Teams. Auf dieser Basis kann die standortübergreifende Zusammenarbeit in die erfolgreiche Erschließung neuer Märkte führen. Das ist übrigens keine Einbahnstraße. Denn heute kehrt auch weit über die Hälfte der ausländischen Studierenden nach Abschluss direkt oder indirekt in ihre Heimatländer zurück. So bietet sich den Unternehmen die Möglichkeit der „umgekehrten“ Integration an ihren internationalen Standorten, ebenfalls eine Form von Diversity- Management.
Unterschiedliche Prägungen in Denken und Handeln zeigen sich auch im Vergleich zwischen den Generationen. Diese werden von allen Beteiligten in der Regel zunächst eher als Herausforderungen wahrgenommen, bieten aber ein besonderes Potenzial für das innerbetriebliche Wissens- und Informationsmanagement. Das Generationenmanagement stellt ein Wachstumsfeld dar, arbeiten doch schon heute bis zu vier Generationen in einem Betrieb zusammen – dieser Zeitraum wird demographisch bedingt weiter zunehmen. Hier muss die Geschäftsführung ein Arbeitsklima sicherstellen, in dem neue Themen nicht trennen und zum gegenseitigen Ausschluss führen. Es gilt zunächst allen Beteiligten chancengleich die Möglichkeit zu bieten, sich leistungsbereit und -fähig zu halten. Das bedeutet einen bunten Strauß zielgruppengerechter Maßnahmen in der Weiterqualifizierung, im Gesundheitsmanagement, lebensphasenorientierter Personalpolitik und vielfältiger Arbeitsmodelle zur Life Balance und Karriereplanung. So vielfältig aufgestellt kann ein Unternehmen nach innen und außen wirken. Eine gut gewählte Diversity-Strategie kann damit im Betrieb zum elementaren Baustein der Unternehmenskultur und als Wertekompass zum Vorbild in der Gesellschaft werden. Die Fähigkeit, über den eigenen Horizont, Kultur und Funktion hinweg zu sehen, bedeutet – übrigens ganz im Sinne der Steinbeis-Philosophie – die individuellen Kompetenzen auszubauen, zur gemeinsamen Lösung komplexer Probleme einzusetzen und dabei Trennendes in den Hintergrund zu stellen. Dann kann die Vielfalt an Expertisen und Perspektiven große Kraft entfalten.
Kontakt
Beate Wittkopp leitet das Steinbeis- Transferzentrum Transfer- Werk-BW. Das Dienstleistungsangebot des Steinbeis-Unternehmens umfasst Transfermodelle in der Digitalisierung, Strategien für Chancengleichheit im Kulturwandel von Unternehmen und Gesellschaft, Talentscouting im MINT-Sektor und Projektinitiativen in technologiegetriebenen Netzwerken. Innerhalb des Steinbeis- Verbundes ist Beate Wittkopp aktiv in der DaSi- und der UKC-Group sowie in der Just-Testbed- IT-Initiative. Sie ist im Landesverband der Baden-Württembergischen Industrie (LVI) und im Forum Luft- und Raumfahrt Baden-Württemberg e.V. (LR BW) und vertritt den LVI in der Landes-Initiative „Frauen in MINT-Berufen“ und im Beirat der Landesagentur Leichtbau. Beate Wittkopp arbeitet mit in Strategiegruppen des baden-württembergischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau zur Digitalisierung und Chancengleichheit. In der Wirtschaftsinitiative „Baden- Württemberg: Connected e.V. (bwcon)” zur Förderung des Hightech- Standortes Baden-Württemberg und dort im Board der Special Interest Group „Future Work“ befasst sie sich mit der Entwicklung agiler Arbeits- und Karrieremodelle.
Beate Wittkopp
Steinbeis-Transferzentrum TransferWerk-BW (Schönaich)