Steinbeis-Team und Fachmagazin Acquisa stellen Digitalisierungsindex 2017 vor
Wie digital sind deutsche Unternehmen in Marketing und Vertrieb aufgestellt? Wo liegt die Benchmark der Digitalisierung oder besser: Wie weit sind die digitalen Champions? Gibt es ein digitales Optimum und wie weit ist der Weg dorthin? Wer führt – wer folgt? Diesen Fragen widmet sich der Digitalisierungsindex 2017, den das Fachmagazin Acquisa und das Steinbeis-Beratungszentrum Vertriebs- und Marketinginstitut (VMI) aus Göppingen auf Basis der Antworten von 114 Marketing- und Vertriebsmanagern erhoben haben.
„Mit diesem Instrument möchten wir eine Standortbestimmung vornehmen“, erläutert Prof. Dr. Rainer Elste, Leiter des Steinbeis-Beratungszentrums VMI. „In den nächsten Jahren können wir dann ablesen, wohin die digitale Reise geht“. Erfreulich sei, so Elste, dass die Befragten mit sich selbst schonungslos ins Gericht gehen. Deutschlands Entscheider in Marketing und Vertrieb haben erkannt, dass noch viele Hausaufgaben zu erledigen sind, will man den digitalen Anschluss nicht verlieren.
Und die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Über 40% der Befragten können nicht sagen, ob sie bei der Digitalisierung hinter ihrem Wettbewerb stehen oder sogar selbst den digitalen Champion der Branche bilden. 46% sehen sich selbst als zum Teil deutlich hinter dem Wettbewerb, wenn es um die Digitalisierung in Marketing und Vertrieb geht. Nur 14% der Befragten sehen sich selbst als digitale Vorreiter. Schwer zu sagen, was bedenklicher ist: Follower bei einem so wichtigen Thema wie der Digitalisierung zu sein oder gar nicht zu wissen, wo man steht. Hier besteht großer Nachholbedarf.
Erstaunlich ist auch die Einschätzung, wie stark die Digitalisierung bislang die jeweiligen Branchen verändert hat: 59% sehen eine leichte bis gar keine Veränderung und nur 4% nehmen eine komplette Veränderung wahr. Die zukünftige Bedeutung in verschiedensten Vertriebs- und Marketingbereichen ist umso größer. Wenn Marketing- und Vertriebsmanager einen Blick in die Glaskugel werfen, dann sehen sie eine besondere Zunahme der Bedeutung der Digitalisierung in den Bereichen Sales Lead Gewinnung (69%), Werbung (64%), Akquisition von Neukunden (64%), Beschwerde- und Garantiemanagement (61%) sowie Kundeninformation und -schulung (58%). Eine weitere Automatisierung bei Konditionsverhandlungen und Vertragsabwicklung wird nicht erwartet.
Mehr als die Hälfte der Befragten (58%) gibt sich selbst 2-3 von 5 Sternen bei der Einschätzung, in wie weit sie schon ihr gestecktes Ziel erreicht haben. 20% geben sich selbst maximal einen Stern. Nur 9% sehen sich schon kurz vor dem Optimum angekommen – also insgesamt noch ein längerer Weg, um die eigenen Ziele zu erreichen.
Einer der vordergründig relevanten digitalen Gradmesser ist sicherlich der Umsatz, der online erzielt wird. Dieser liegt bei 69% der Befragten unter 10%. Der Wettbewerb wird mit 12 Prozentpunkten Unterschied als deutlich aktiver im Internet eingeschätzt: So ist der wahrgenommene Online-Anteil der Wettbewerber der Befragten, die bereits über 50% Onlineumsatz erzielen, bei immerhin schon 21%. Bei den Befragten selbst geben nur 6% an, einen so hohen Onlineanteil zu erzielen.
Mehr ist nicht immer auch besser. Daher wurden die Befragten mit einem wahrgenommenen Optimum der Digitalisierung konfrontiert. Einen optimalen Onlineumsatz sieht ein Viertel der Befragten bei über 50%. Ein weiteres knappes Viertel hält die 10% Barriere für weiter erstrebenswert. Zwei Interpretationen drängen sich aus Sicht von Rainer Elste auf: Die Befragten sehen in einer starken Abhängigkeit vom Online-Umsatz kein erstrebenswertes Ziel. Gleichwohl gilt es mit dem Wettbewerb, der höhere Umsatzanteile online erzielt, gleichzuziehen. Das gute alte CRM – quasi Ur-Vater der Digitalisierung – hat für die Unterstützung von Marketing und Vertrieb trotz all der Kritik an Funktionsfähigkeit und Aussagekraft von CRM-Systemen eine hohe Relevanz (81%); übrigens gleichauf mit den unternehmensweiten ERP-Systemen. Wie sieht es mit internen Prozessen aus? Von einer reinen digitalen Prozesswelt sind die Unternehmen in Marketing, Vertrieb & After Sales sowie Produktentwicklung und Supply Chain Management noch weit entfernt. Nur 13% geben an, dass ihre Marketing- und Vertriebsfunktionen auf digitalen Prozessen beruhen, die lediglich einer manuellen Kontrolle bedürfen. 38% geben an, dass diese eher noch manuell ablaufen und nur durch beispielsweise E-Mail-Kommunikation unterstützt werden. Hier wird es sehr spannend zu sehen, wie die Entwicklung der nächsten Jahre aussieht.
Auch Datenflüsse können einen digitalen Vorsprung bedeuten. Für den Datenaustausch mit den Kunden sind zur Zeit besonders Online-Rechnungen und EDI-Standards relevant: 58% bzw. 54% der Befragten sehen hier eine mindestens hohe Relevanz. Formen der digitalen Auftragsnachverfolgung, die einen erhöhten Komfort für die Kunden bedeuten, werden von den Befragten vergleichsweise weniger bedeutend eingeschätzt. Das ist interessant, denn selbst wenn ein Unternehmen nur bedingt Online- Handel betreibt, wollen Kunden trotzdem proaktiv über den Auftragsstand und Verzögerungen informiert sein. Die Digitalisierung erzieht Kunden heute dazu, diesen Komfortgrad als selbstverständlich anzusehen.
Macht die Digitalisierung die persönliche Kommunikation obsolet? Sprechen bald nur noch Maschinen miteinander oder bleibt der persönliche Austausch eine der dezentralen Differenzierungsfaktoren eines guten Vertriebs? In der Tat: Die E-Mail – 76% der Befragten sehen diesen Kommunikationskanal als hoch relevant an – hängt das Telefon (69%), das Face-to-face-Verkaufsgespräch im allgemeinen (64%) und damit die Außendienstbesuche im besonderen (51%) in der Bedeutung als Kommunikationsmedium zum Kunden ab. Man darf dabei nicht unberücksichtigt lassen, dass die E-Mail eine zeitversetzte Form der Kommunikation ist. Der Effekt des unmittelbaren Interagierens existiert nicht. Eine Gewöhnung hieran könnte die Tür zur Entfremdung öffnen. Ist das der Anfang vom Ende der persönlichen unmittelbaren Kommunikation mit dem Kunden? So weit geht es sicher noch nicht. Weitere digitale Kommunikationsformen spielen noch eine untergeordnete Rolle: Als eher irrelevant werden Online-Chats von 69% der Befragten und Blogs, Communities, Foren etc. von 60% eingestuft. Zum Thema Pricing verhalten sich die Befragten tendenziell sehr traditionell – um es vorsichtig auszudrücken. 59% setzen tatsächlich noch eine kostenbasierte Preisbildung ein. So verwundert es auch nicht, dass die gedruckte Preisliste auch noch von 80% eingesetzt wird. Preise werden von 50% der Befragten nicht nach ihrem erwarteten Produktwert differenziert. Auch nachfrage-, zeit- oder nutzerbasierte Preise werden überwiegend nicht eingesetzt (80%/77%/58% Ablehnung). Die Chancen, die sich mit digitaler Unterstützung durch Pay-per-use, Freemium- Modelle, Coupons oder Auktionen ergeben, werden heute noch nicht genutzt (80%/85%/67%/91%). 50% der Befragten geben zudem an, dass nach ihrer Einschätzung ihre Endpreise für den Markt intransparent sind. 36% meinen, dass ihre Preise transparent seien. Diese Erkenntnis ist besonders in Zeiten der digitalen Suche, dem Austausch und der Vergleichbarkeit von Preisen interessant. Sind Preise erst einmal transparent, müssen Preis- und sonstige Differenzierungsstrategien gefunden werden, um einem Preiswettbewerb zu entkommen.
Vertriebsprofi Rainer Elste zieht ein deutliches Fazit aus dem Digitalisierungsindex: Die wahrgenommene Auswirkung der Digitalisierung auf Marketing & Vertrieb ist überraschend gering. Die meisten Teilnehmer sehen sich als digitale „Follower“ und haben das Gefühl, die digitale Entwicklung nicht aktiv zu steuern. Alte Ansätze sind noch in erstaunlichem Maß an der Tagesordnung und dementsprechend werden digitale Chancen noch nicht hinreichend genutzt – die Digitalisierung bleibt auch für 2018 eine zentrale Herausforderung für Unternehmen.
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Prof. Dr. Rainer Elste
Steinbeis-Beratungszentrum Vertriebs- und Marketinginstitut (VMI) (Göppingen)