Im Gespräch mit Professor Dr. Maren Lay, Steinbeis-Unternehmerin am Steinbeis-Beratungszentrum IPAL – Institute for People Analytics & Leadership
Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind allgegenwärtig. Auch die Arbeitswelt und somit die Personalentwicklung stehen dadurch vor tiefgreifenden Veränderungen. Doch wo Wandel stattfindet, entstehen auch Unsicherheiten: Wie kann die Personalentwicklung dazu beitragen, dass Mitarbeitende – und damit auch Unternehmen – von den neuen Technologien profitieren? Dazu hat sich die TRANSFER mit Professor Dr. Maren Lay getroffen, Steinbeis-Unternehmerin am Steinbeis-Beratungszentrum IPAL – Institute for People Analytics & Leadership sowie Professorin für Personal- und Organisationsentwicklung an der Hochschule Heilbronn. Ihr Ziel: Künstliche Intelligenz so zu gestalten, dass sie für Menschen verständlich bleibt und Vertrauen schafft. Damit möchte sie die Akzeptanz digitaler Technologien fördern und eine Digitalisierung ermöglichen, die menschennah und verantwortungsvoll gestaltet ist. Ihre Überzeugung: Dort, wo Vertrauen wächst, beginnt echte Entwicklung.
Frau Professor Lay, Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI) sind heute allgegenwärtig und verändern die Arbeitswelt spürbar. Einige empfinden das eher als Bedrohung denn als Chance. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?
Digitalisierung und KI machen derzeit unglaublich viel möglich, bringen aber auch viele Fragen und Unsicherheiten mit sich. Wer im Umgang mit KI ein gewisses Unbehagen spürt, ist damit keineswegs allein. Studien wie das KIMisstrauensbarometer zeigen, dass viele Menschen der technologischen Zukunft skeptisch gegenüberstehen.
Drei Dinge spielen dabei aus meiner Sicht eine besonders große Rolle. Erstens das Tempo und die Intransparenz: Die Entwicklungen rund um KI passieren in rasantem Tempo – manchmal schneller, als man überhaupt folgen kann. Und oft ist gar nicht klar: Was kann KI eigentlich schon? Was kommt da noch? Wenn der Nutzen nicht auf Anhieb sichtbar ist, wächst die Unsicherheit. Und wer sich plötzlich fragt, ob er fachlich noch mithalten kann, reagiert verständlicherweise erst mal mit Skepsis.
Zweitens die Entwertung von Kompetenzen: Viele haben sich über Jahre hinweg Wissen und Können aufgebaut – und nun scheint manches davon plötzlich weniger gefragt zu sein. Das macht natürlich etwas mit einem. Da taucht schnell die Frage auf: Werde ich noch gebraucht? Das ist dann eine zutiefst persönliche, identitätsbezogene Fragestellung.
Und drittens der Kontrollverlust durch unklare Spielregeln. Wenn man das Gefühl hat, es läuft ein Spiel, aber keiner sagt einem so richtig nach welchen Regeln – dann entsteht Misstrauen. Und wer ist eigentlich der Schiedsrichter? Welche ethischen oder rechtlichen Leitplanken gelten? Solche Unklarheiten lassen viele sich ausgeschlossen fühlen, statt als Teil der Veränderung.
Diese Ängste sind nachvollziehbar und verdienen es, ernst genommen zu werden. Veränderungsbereitschaft entsteht nicht durch neue Technik, sondern durch ein Gefühl der Zugehörigkeit und Sicherheit. Vertrauen bildet dabei die Grundlage: Vertrauen in sich selbst, in die Organisation – und in den Sinn des Neuen.
Genau mit diesen Fragen beschäftigen wir uns auch im Forschungsprojekt „Citizen Trust in AI Innovations“ (CITAI), in dem wir in Reallaboren untersuchen, wie Menschen KI erleben und mit ihr interagieren. Dabei zeigt sich klar: Vertrauen ist kein Zufallsprodukt. Es wächst, wenn Technologie verständlich ist, wenn Beteiligung möglich wird – und wenn Menschen sich gesehen und einbezogen fühlen. Nur dann können sich neue Kompetenzen entfalten – und aus Unsicherheit wird Gestaltungskraft.
Wie können Unternehmen Vertrauen und Akzeptanz im Umgang mit Digitalisierung und KI fördern – insbesondere im Blick auf die Mitarbeitenden? Welche Rolle spielt dabei die Personalentwicklung?
Vertrauen entsteht vor allem dann, wenn Menschen ganz konkret erleben: Dieses neue Tool hilft mir – es nimmt mir Arbeit ab, es unterstützt mich, ohne mich zu ersetzen. Solche positiven Erfahrungen sind oft der beste Türöffner. Dafür braucht es Transparenz, Beteiligung und echte Lernräume. Mitarbeitende müssen verstehen: Warum wird diese Technologie eingeführt? Was verändert sich konkret für mich – und was habe ich davon?
Was man dabei nicht unterschätzen sollte: Vertrauen ist auch eine bewusste Entscheidung. Manchmal braucht es den Moment, in dem man sagt: „Okay, ich gebe dem Neuen eine Chance – auch wenn ich es noch nicht vollständig durchblicke.“ Wer mit Neugier statt mit Abwehr reagiert, bleibt handlungsfähig – und das ist enorm wichtig, gerade in Veränderungsprozessen.
Ich persönlich finde es auch hilfreich, den Blick einmal zurück zu richten: Was würden wir heute denn ohne Taschenrechner machen? Ohne Bücher, Fernseher oder das Navigationssystem? All diese Neuerungen wurden anfangs äußerst kritisch gesehen – aus Sorge, dass wir dadurch bestimmte Fähigkeiten verlieren. Heute wissen wir: Sie entlasten uns – und schaffen Raum für Neues. Auf diese Weise können wir im Prinzip auch auf künstliche Intelligenz schauen: nicht als Bedrohung, sondern als Erweiterung. Natürlich dürfen und sollten wir kritisch bleiben – aber eine konstruktive Haltung hilft uns, Gestaltungsspielräume zu nutzen, statt uns zu verschließen.
Die Personalentwicklung sehe ich dabei als einen zentralen Schlüssel. Sie unterstützt Mitarbeitende dabei, neue Technologien fachlich zu verstehen und sicher anzuwenden. Und noch viel wichtiger ist, dass sie die richtige Haltung fördert: Offenheit, die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, und Vertrauen in die eigene Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln. Außerdem stärkt Personalentwicklung Kompetenzen, die heute besonders gefragt sind – etwa den Umgang mit Unsicherheiten. Ganz entscheidend ist zudem, dass sie eine Unternehmenskultur fördert, in der Fehler nicht als Misserfolg, sondern als Lernchance gesehen werden. Nur so können Mitarbeitende dem Wandel mit Zuversicht und Mut begegnen.
Ihr Steinbeis-Unternehmen legt einen Schwerpunkt auf Change-Management in der Personal- und Organisationsentwicklung. Was sind aus Ihrer Erfahrung die größten Hürden?
Die Hürden sind unterschiedlich und hängen stark vom jeweiligen Kontext ab. Was ich aber immer wieder beobachte, ist, dass Widerstand oft zu schnell als bloßes „Nein“ wahrgenommen wird. Dahinter stecken meist aber ganz andere Dinge – etwa Unsicherheit, das Gefühl, nicht verstanden zu werden, Zweifel daran, ob die Veränderung wirklich sinnvoll ist, oder auch die Angst, den eigenen Platz zu verlieren. Manchmal geht es einfach um den Wunsch nach Orientierung, Sicherheit und Wertschätzung. Darum ist es im Change-Management so wichtig, wirklich zuzuhören und zu versuchen, die Botschaften hinter dem Widerstand zu lesen – statt ihn direkt zu bekämpfen.
Ein weiterer Stolperstein ist, dass Veränderungen häufig zu schnell, zu umfangreich und zu unübersichtlich angegangen werden. Mitarbeitende fragen sich dann: Was ändert sich konkret? Was bleibt gleich? Wie wirkt sich das auf meinen Alltag aus? Viele denken bei Wandel an ein Projekt mit Anfang und Ende – dabei ist es vielmehr eine langfristige Entwicklung: eine Haltung und Kultur, die Zeit und auch mal Pausen zum Durchatmen braucht.
Was ich ebenfalls immer wieder sehe: Der Anspruch an Führungskräfte ist extrem hoch – sowohl von außen als auch von ihnen selbst. Das Bild der Führungskraft als „Superheld“, der alle Unsicherheiten abfängt und immer den genauen Plan hat, ist überholt. Stattdessen geht es darum, authentisch zu bleiben und auch mal zu sagen: „Ich weiß es noch nicht, aber wir finden gemeinsam eine Lösung.“ Oder auch: „Ich hole mir Unterstützung, wenn ich sie brauche.“ Führungskräfte stehen dabei nicht allein da: Externe Begleitung kann helfen, neue Perspektiven zu bringen, schwierige Themen anzusprechen und Wandel insgesamt leichter und wirksamer zu gestalten.
Ein Format, das ich in diesem Zusammenhang sehr schätze, sind Future Experience Groups. Dort erarbeiten wir gemeinsam verschiedene Szenarien für die Zukunft – fast wie ein Navigationssystem mit verschiedenen Routen. So wird Zukunft konkret und greifbar und Unternehmen können besser verstehen, was sich für Geschäftsmodelle, Kunden, Rollen und Kompetenzen der Mitarbeitenden ändert. Das nimmt den Schrecken aus dem Unbekannten und macht Wandel handhabbar.
Wenn wir den Blick in die Zukunft richten: Was muss sich in der Personalentwicklung verändern, damit Unternehmen auch morgen erfolgreich sind?
Personalentwicklung muss näher am Arbeitsalltag, individueller und mutiger werden – sonst bleibt sie gut gemeint, aber wirkungslos. In meiner Arbeit zeigt sich immer wieder: Es sind vor allem drei Punkte, die darüber entscheiden, ob Personalentwicklung künftig einen echten Unterschied macht.
Erstens: Weg vom Gießkannenprinzip – hin zu individuellen Lernpfaden. Menschen lernen unterschiedlich: im Tempo, in der Tiefe, im Zugang. Standardisierte Formate greifen da zu kurz. Gefragt sind Lernangebote, die anschlussfähig sind – etwa Microlearning, Learning-on-Demand oder persönliche Lernziele. Und vor allem: eine Kultur, in der Lernen nicht als Zusatzaufgabe gilt, sondern als selbstverständlicher Teil der Arbeit.
Zweitens: Zukunftskompetenzen wie digitale Souveränität, kritisches Denken und emotionale Intelligenz müssen gezielt entwickelt werden. Dafür braucht es Lernformate, die wirklich etwas bewegen: simulationsbasiertes Lernen, interdisziplinäre Projekte, ehrliches Feedback – und Räume, in denen Menschen sich ausprobieren, reflektieren und über sich hinauswachsen können.
Drittens: Führung muss neu gedacht werden – als Ermöglicherin von Entwicklung. Immer wieder sehe ich in der Praxis: Wo Führung Vertrauen schenkt, Orientierung gibt und selbst Lernprozesse vorlebt, entsteht echte Veränderung. Die Rolle der Kontrollinstanz greift in komplexen Kontexten nicht mehr. Stattdessen braucht es Führung, die Mut macht, offen kommuniziert – und psychologische Sicherheit schafft, damit Neues entstehen kann.
Kontakt
Prof. Dr. Maren Lay (Interviewpartnerin)
Steinbeis-Unternehmerin
Steinbeis-Beratungszentrum IPAL – Institute for People Analytics & Leadership (Stuttgart)

