Bürger nehmen die Energiewende in die Hand

Steinbeis-Experten begleiten den Aufbau einer Energiegenossenschaft auf der Insel Borkum

Der Klimawandel erfordert zunehmend konkrete Maßnahmen, um die schwerwiegenden Folgen einzudämmen. Besonders Inseln sind von den Auswirkungen, wie dem Anstieg des Meeresspiegels und dem erhöhten Risiko von Überschwemmungen sowie der Zunahme extremer Wetterereignisse, betroffen. Im Rahmen des EU-Projekts ISLANDER begleitet das Steinbeis Europa Zentrum die Gründung einer Energiegenossenschaft auf der Nordseeinsel Borkum und unterstützt die Insel auf ihrem Weg zur CO2-Neutralität. Auf diese Weise werden Borkums Bürgerinnen und Bürger aktiv in die Energiewende eingebunden.

Die Energiewirtschaft befindet sich weltweit im Umbruch. Damit verbunden ist sowohl eine technologische als auch gesellschaftliche Wende. Mit dem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien ist auf dem Energiemarkt eine Vielfalt von Akteuren aktiv geworden, darunter Privathaushalte, Landwirte und Genossenschaften als Energieversorger. Die Umstellung auf erneuerbare Energien erfordert eine sorgfältige Planung und eine umfassende Strategie. Städte, Inseln und Unternehmen müssen dabei ihre Energiebedarfe analysieren, geeignete Energiequellen identifizieren, die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen und die Finanzierung sicherstellen. Eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen, Energieversorgern und der Bevölkerung ist wichtig. Das Steinbeis Europa Zentrum unterstützt Städte, Gemeinden und Unternehmen dabei, Potenziale und Finanzierungsmöglichkeiten zu identifizieren, geeignete Maßnahmen einzuleiten und umzusetzen. Dazu gehört die Suche nach geeigneten internationalen Partnern, aber auch die Umsetzung von der Idee bis zum Geschäftsmodell und zur Markteinführung.

Energiewende auf der Insel Borkum

Bereits seit 2015 begleitet das Steinbeis Europa Zentrum die Insel Borkum bei der Energiewende: zunächst im EU-Projekt NETfficient und aktuell im Rahmen des ISLANDER-Projekts. Darin geht es um die Entwicklung einer effizienten Energiemanagementplattform, die verschiedene Energiequellen integriert und zentral verwaltet, um Fluktuationen in der Energieerzeugung und -nachfrage auszugleichen. Dabei werden lokale Flexibilitätsoptionen wie Speichertechnologien und Lastmanagement mit erneuerbaren Energiequellen kombiniert. Zudem wurde ein innovatives Konzept zur Wärmeversorgung auf Grundlage einer Meerwasser-Wärmepumpe und eines Wärmespeichers in einem neu errichteten Stadtteil in der Nähe des Hafens von Borkum installiert. Auch ein großer Wasserstoffspeicher kam zum Einsatz. Das Projekt liefert einen Leitfaden für die vollständige Dekarbonisierung der Insel und stellt die Weichen für ein kohlenstofffreies Energiesystem bis 2030.

Energiegemeinschaften: Bürgernah und nachhaltig

In Zusammenarbeit mit der Nordseeheilbad Borkum GmbH (NBG) hat das Steinbeis Europa Zentrum den Aufbau einer Energiegemeinschaft begleitet. Die Gründungsversammlung der Genossenschaft mit dem Namen Energiewelle Borkum eG (i.G.) fand am 8. März 2025 in Borkum statt. Hierfür wurde im Rahmen des ISLANDER-Projekts eine Analyse der technischen Machbarkeit und der wirtschaftlichen Tragfähigkeit sowie der Bürgerbeteiligungsprozesse auf der Insel durchgeführt. Die Steinbeis-Experten haben die möglichen Technologiepfade technisch und wirtschaftlich bewertet und so das größte Potenzial sowie den besten Weg für eine Energiegemeinschaft identifiziert. Im Dialog mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern und in enger Absprache mit den Stadtwerken wurde damit der Grundstein für eine Bürgergenossenschaft gelegt. Das Ziel ist klar: Die Borkumerinnen und Borkumer sollen durch aktive Teilhabe an der Energiewende mitwirken und die lokale Energieproduktion direkt in die eigene Hand nehmen.

Eine Energiegemeinschaft bietet den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, gemeinsam Energie zu produzieren und nachhaltige Energielösungen zu erarbeiten. Sie ist ein wichtiger Baustein für die Energiewende, da sie die lokale und dezentrale Energieversorgung fördert, Energieunabhängigkeit unterstützt und so soziale sowie ökonomische Vorteile für die Gemeinschaft schafft. „Mit dem Modell der Energiegenossenschaft kann eine demokratische und gemeinschaftsorientierte Struktur geschaffen werden, in der die Mitglieder gemeinsam in erneuerbare Energieprojekte investieren. Im Gegenzug profitieren sie nicht nur durch Dividenden, sondern auch von einem nachhaltigen Energiemodell, das Versorgungssicherheit schafft und die regionale Wertschöpfung fördert“, fasst Karoline Haack vom Steinbeis Europa Zentrum die Vorteile des Vorhabens zusammen.

Workshops mit Bürgerbeteiligung

In einer Reihe von Bürgerworkshops wurden die Inselbewohner über die Vorteile und die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Energiegemeinschaft informiert. Es wurde schnell klar, dass sich das erste Pilotprojekt auf die Installation von Solaranlagen konzentrieren sollte – ein Vorhaben, das einfach und schnell umzusetzen ist. In weiteren monatlichen Treffen wurde eine Auswahl geeigneter Standorte und Objekte für Photovoltaikanlagen (PV) auf Borkum erarbeitet.

Nach intensiver Beratung mit verschiedenen Elektrobetrieben und Experten entschied sich die Energiegenossenschaft für ein erstes Projekt mit PV-Anlagen auf den Dächern der Kläranlage Borkum. Der produzierte Strom soll zu einem fairen Preis an die Stadt Borkum verkauft und direkt vor Ort verbraucht werden. Dieses Projekt bringt allen Beteiligten Vorteile: Die Stadt profitiert vom günstigen grünen Strom, ohne sich um Planung, Finanzierung, Installation oder Wartung der PV-Anlagen kümmern zu müssen. Die Energiegenossenschaft erzielt Einnahmen aus dem Stromverkauf, die sie in weitere Projekte zur Förderung erneuerbarer Energien investieren kann. Auf diese Weise wird die lokale Energiewende gestärkt und ein langfristiger Mehrwert für die Gemeinschaft geschaffen.

Geschäftsplan und Satzung legen die Grundlagen fest

Für die Gründung der Energiegenossenschaft entwickelten die Beteiligten mit der Unterstützung von Steinbeis-Experten einen umfassenden Geschäftsplan, der detaillierte Investitions-, Finanzierungs- und Liquiditätspläne enthält und zur Überprüfung an den Genossenschaftsverband übermittelt wurde. Ein Vorteil der Genossenschaftsform liegt in ihrer hohen Insolvenzsicherheit, die durch die Prüfung des Verbands gewährleistet ist. Darüber hinaus begleitete das Steinbeis-Unternehmen die Ausarbeitung der Satzung als wesentlicher Bestandteil der Gründungsphase. Sie regelt die rechtlichen Beziehungen zwischen der Genossenschaft und ihren Mitgliedern und legt unter anderem die Höhe der Geschäftsanteile, die Bildung gesetzlicher Rücklagen sowie die Rechte und Pflichten der Mitglieder fest. Ebenso sind Regelungen zur Generalversammlung enthalten, in der jedes Mitglied über eine Stimme verfügt und so aktiv bei wichtigen Entscheidungen zur Entwicklung und Projektauswahl der Genossenschaft mitwirken kann.

Auf der Zielgeraden

Ende November 2024 fand auf Borkum eine öffentliche Informationsveranstaltung statt, bei der die Bürgerinnen und Bürger über die Gründung der Energiegenossenschaft mit Namen „Energiewelle Borkum“ informiert wurden. Ziel war es, möglichst viele neue Mitglieder für die Energiegenossenschaft zu gewinnen, denn auf Basis der Mitgliederzahl und der voraussichtlich verkauften Geschäftsanteile konnte die finale Ausarbeitung des Geschäftsplans erfolgen. „Der letzte Schritt zur Gründung ist dann die Prüfung des Geschäftsplans durch den Genossenschaftsverband und eine offizielle Gründungsversammlung. Danach steht die Umsetzung des ersten Projektes im Vordergrund, um noch im Frühjahr 2025 die ersten PV-Anlagen zu installieren und von den ersten Sonnenstunden zu profitieren“, so Karoline Haack.

Mit der Unterstützung des Steinbeis Europa Zentrums und vor allem dem Engagement der Borkumer Bürgerinnen und Bürger ist die Insel auf einem guten Weg, ein leuchtendes Beispiel für eine nachhaltige Insel zu werden.


EU-Projekt ISLANDER

Die Ergebnisse auf Borkum werden auf weiteren europäischen Inseln repliziert, um den Einsatz von erneuerbaren Energien und Speichertechnologien auf Inseln zu fördern: die Orkney Inseln in Schottland, Cres in Kroatien sowie Skopelos und Lefkada in Griechenland. Im ISLANDER-Projekt erhalten elf Organisationen aus sieben europäischen Ländern von Oktober 2020 bis September 2025 rund sieben Millionen Euro Fördergelder von der EU.

Kontakt

Karoline Haack (Autorin)
Project Consultant
www.steinbeis-europa.de
Steinbeis 2i GmbH (Stuttgart)

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