Der zweite Steinbeis-Dialog@Adlershof im Rückblick
Berlin-Adlershof ist Deutschlands größter Wissenschafts- und Technologiepark, der ein vielfältiges Ökosystem aus Forschungseinrichtungen, Start-ups und etablierten Unternehmen beherbergt. Er verbindet innovative Forschung mit Unternehmensentwicklung und fördert die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie. Das macht ihn zu einem wichtigen Knotenpunkt für den Wissenstransfer und den technologischen Fortschritt in Deutschland. Im Steinbeis-Haus in Adlershof sitzt das Team des Steinbeis Transfer-Hubs Berlin, Gastgeber des zweiten Steinbeis-Dialogs@Adlershof im Dezember 2024. Die Veranstaltung fand in Verbindung mit einer Delegationsreise von Forschungsmanagern und leitenden Hochschulangehörigen im Rahmen des Horizon Europe Projekts ERA-Shuttle statt [1].
Wie können wir ein gesundes Innovationsökosystem fördern und wirkungsvolle Verbindungen zwischen verschiedenen Akteuren herstellen? Diese Frage diskutierten die rund 45 Teilnehmenden des Steinbeis-Dialogs aus Kroatien, Italien, Malta, Polen und der Ukraine mit Steinbeis-Partnern und -Nachbarn aus Berlin, Brandenburg und Sachsen. Fünf Gastbeiträge zeigten spannende Perspektiven aus Ost- und Südeuropa, die deutlich machten, wie lokale Innovationsstrukturen den globalen Wandel gestalten können.
Professor Dr. Oleksandra Antoniouk (Kyiv Academic University) führte in die Theorie der Innovationsökosysteme ein. Gleichzeitig gab sie einen Überblick über ihre Bemühungen, den Wissenschaftspark „Academ.City“ in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw ohne ein Anfangsbudget und während der Invasion ihres Landes aufzubauen [2]. Ihr Vortrag beleuchtete die Zusammenarbeit zwischen Academ.City und dem Wissenschaftspark Adlershof sowie die jüngere Zusammenarbeit mit dem Steinbeis Transfer-Hub Berlin. Professor Paweł Antonowicz stellte einen neuartigen Ansatz zur Strategieentwicklung an der Universität Gdańsk vor, bei dem die polnischen Kollegen unter Einbindung von Interessengruppen und KI-Tools innerhalb von nur drei Workshop-Tagen eine Hochschulstrategie entwickeln.
Rawad Chammas von der Berliner WISTA Management GmbH betonte die Bedeutung der Schaffung von inklusiven Plattformen zur Förderung des Austauschs in reifen Innovationsökosystemen und bezeichnete dies als das „menschliche Element des Technologietransfers“ am Beispiel des Campus-Clubs Adlershof [3].
Die Förderung des Transfers während historisch turbulenten Zeiten wie auch in der Gegenwart ist vielen Dialogteilnehmenden, insbesondere den Delegierten aus Ost- und Südeuropa, vertraut. Madlen Köhler, Geschäftsführerin der Steinbeis Wissens- und Technologietransfer GmbH, gab Einblicke in Industrieschwerpunkte wie Mikroelektronik und in die Innovationsförderung in Sachsen und stellte als ein Best-Practice-Beispiel die Innovationsplattform des Freistaates Sachsen, FutureSAX, vor [4].
Referentin Dr. Angela Zennaro schließlich sprach über die Herausforderungen des transnationalen Transfers. Sie ist Leiterin der Industriekontakte bei CERIC-ERIC, einem europäischen Konsortium für Forschungsinfrastrukturen in sieben Ländern Mitteleuropas [5]. Sie zeigte auf, wie wichtig es ist, dass die Industriepartner ein Verständnis der verfügbaren Spitzentechnologien haben, um effektiv auf das Wissen der Forschungsinfrastrukturen zugreifen zu können.
Der Name ist Programm und so stand im Mittelpunkt des Nachmittags im Steinbeis-Haus der Dialog. Frank Graage, Geschäftsführer der Steinbeis Wissens- und Technologietransfer GmbH, und Dr. Sonia Utermann ( Steinbeis Transfer-Hub Berlin) moderierten eine lebhafte Diskussion über die Stärkung der sozioökonomischen Wirkung von Innovationen und die Gewinnung jüngerer Zielgruppen für die Naturwissenschaften.
Oleksandra Antoniouk erläuterte, wie sie die Kluft zwischen der akademischen Welt und dem Unternehmertum in Kyjiw überwindet. Als Mathematikerin an der ukrainischen Nationalen Akademie der Wissenschaften kennt sie die Kultur des elitären intellektuellen Strebens, die in der akademischen Welt oft vorherrscht. Als Praktikerin im Bereich des Wissenstransfers weiß sie, dass es darauf ankommt, die Interessen und Fähigkeiten des einzelnen Forschenden einzuschätzen und zu entscheiden, welche Art von Innovations-Spillover für ihn am besten geeignet ist – nicht jeder ist dafür geschaffen Unternehmer zu sein! An der Kyiv Academic University werden „wirtschaftsferne“ Fakultätsmitglieder nicht aus ihrer Komfortzone gedrängt. Stattdessen werden Studierende für die unternehmerischen Aspekte des Innovationstransfers gewonnen und das Fakultätsmitglied hat eine beratende Funktion. „Das Verständnis für die Kultur und die Menschlichkeit des Einzelnen auf einer tiefen Ebene ist die Wurzel jedes Ökosystems“, ist Oleksandra Antoniouk überzeugt.
Ein menschenzentrierter Ansatz bedeutet, unterschiedliche Motivationen und Bedürfnisse anzuerkennen
Dieser Meinung war auch Rawad Chammas. Er meint, dass verschiedene Akteure in einem Ökosystem verschiedene Möglichkeiten der Interaktion mit ihren Gemeinschaften benötigen – aber nicht jeder muss mit jedem interagieren. Mit seinem Ansatz, den er „Pre-Transfer“ nennt, bietet er Plattformen mit einer niedrigen kulturellen Eintrittsbarriere. Der WISTA Campus Club ist eine solche Initiative: Um die Komplexität gesellschaftlicher Herausforderungen zu bewältigen und das nachhaltige Wachstum von Organisationen zu fördern, ist es wichtig, die Vielfalt der Talente im Innovationssystem zu stärken. Der Club bietet verschiedene interaktive Formate, um die Interaktion in neuen Wissensgebieten und Produktentwicklungen fördern. Er initiiert in Zusammenarbeit mit den Adlershofer Unternehmen und Forschungseinrichtungen gezielte Vernetzungs-, Kooperations-, Lehr- und Innovationsformate für Forschende, Fachkräfte, Studierende und Schüler.
Madlen Köhler griff diesen ganzheitlichen Ansatz auf. „Wir müssen den Fokus mehr auf Kinder im MINT-Bereich legen“, betonte sie und verwies auf die wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen des Klimawandels und die enorme Popularität der Wissenschaftsnacht in ihrer Heimatstadt Dresden. Ihre Meinung wurde von vielen Dialogteilnehmenden geteilt. Sie berichteten über die vielfältigen Aktivitäten, an denen sie beteiligt sind: So hob der Biophysiker Dr. Helge Neumann die Initiative Stem Learning Ecologies in Adlershof hervor, die von der Humboldt-Universität und WISTA geleitet wird, sowie eine Initiative im polnischen Wissenschaftspark Wrocłow mit dem Namen „Technology kids“, die sich an Kinder im Kindergartenalter richtet. Tonka Petricević von der Universität Split koordinierte die Europäische Nacht der Forscher für ganz Kroatien, eine einwöchige Veranstaltung, die sich mit unterhaltsamen Experimenten an Kinder aller Altersgruppen richtete, aber auch Veranstaltungen zur Berufsberatung für Jugendliche anbot. Ihre Veranstaltung umfasste mehr als 200 Aktivitäten und 1.000 Besuche in Schulen, aber Tonka Petricević möchte noch mehr tun. CERIC-ERIC bietet italienischen Schülern Zugang zu Labors und Projektmanagement-Workshops im Rahmen von Langzeitprojekten, die sich über das gesamte Schuljahr erstrecken, erläuterte Projektleiterin Marina Coricciati.
Dennoch scheint es einen gewissen „Übersetzungsverlust“ zu geben, findet Professor Dr. Najla Shafighi von der BBW Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und verwies auf die Kluft zwischen Forschungsergebnissen und sinnvollen Veränderungen für die Gesellschaft. Hier knüpfte Evita Milan vom KI Park e. V. an, die sich fragte, wie die Gesellschaft sinnvoll in die KI eingebunden werden kann und Forschungsergebnisse zum Nutzen der Gesellschaft aktiviert werden können. Najla Shafighi hält in diesem Zusammenhang die Wissenschaftskommunikation für das wichtigste Instrument für die „Übersetzungsarbeit“ von Forschung und Innovation.
Wissenstransfer und Wissenschaftskommunikation helfen, Forschung in sinnstiftende Anwendung umzusetzen
Wohin gehen wir als nächstes, fragten Sonia Utermann und Frank Graage daran anschließend. „Wir bewegen uns vom Technozentrischen hin zum Humanzentrischen“, sagte Rawad Chammas. Evita Milan betonte, wie wichtig es ist, dass die Fachleute für Wissenstransfer als Kontaktpunkte in den Ökosystemen fungieren und aktiv und informiert bleiben. „Wenn Transferleute nicht aktiv sind, handelt es sich gar nicht wirklich um ein Ökosystem“, lautete ihre Botschaft. Kevin Hildebrandt verfolgt bei der Förderung von Ökosystemen den Ansatz eines Produktdesigners und betrachtet sie als eine Reise mit einer menschlichen, einer digitalen und einer kreativen Ebene. Kreative Beziehungen sind der Schlüssel für seine Arbeit beim Aufbau des Lausitz Science Parks. Widerstand gegen Veränderungen, gegen die Weitergabe von Erfahrungen und gegen Beratung sind nach übereinstimmender Meinung der Teilnehmenden häufige Hindernisse für Technologietransferfachleute an Universitäten, Forschungseinrichtungen und in der Privatwirtschaft. Diese Widerstände zu überwinden, ist deren zentrale Aufgabe.
Der zweite Steinbeis-Dialog hat eindrücklich gezeigt: Für die Zukunft wird es von entscheidender Bedeutung sein, die kollektive Verantwortung zu erkennen, die Transferpartner wie Steinbeis als Vermittler, Ausbildende und Vorreiter bei der Gestaltung der Transferlandschaft haben. Die Ergebnisse des Dialogs fordern dazu auf, umsetzbare, auf den Menschen ausgerichtete Veränderungen anzugehen, die einen nachhaltigen Einfluss auf die Zukunft von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Regionen haben werden.
Kontakt
Frank Graage (Autor)
Geschäftsführer
Steinbeis Wissens- und Technologietransfer GmbH (Berlin)
Dr. Sonia Utermann (Autorin)