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Normen schränken nicht zwangsläufig ein – mit unterneh­merischer Kreativität führen sie auch zu mehrwertstiftenden Lösungen

Egal in welchem Marktsegment und auf welcher internationalen wie nationalen Ebene: Gesetze, Normen und Vorschriften bestimmen den Unternehmensalltag. Nicht immer sind sie aufeinander abgestimmt, oft schränken sie sich sogar gegenseitig ein. Da kann die eine oder andere gute Idee schon einmal Schiffbruch erleiden – nicht weil sie schlecht ist, sondern weil formale Vorgaben sie verkomplizieren oder gar verhindern. Und dennoch ist es möglich, trotz vieler Normen eine Innovation mit hohem unternehmerischem Nutzen erfolgreich zu entwickeln und umzusetzen. Wie das gelingen kann und welche Rolle die Digitalisierung dabei spielt, zeigt Steinbeis-Unternehmer Stefan Wilke am Beispiel des digitalen Leitsystems MindTags.

„Zu häufig liegt der Fokus auf dem Problem, statt auf der Lösung“, bringt Stefan Wilke die Krux auf den Punkt. Der veränderte Blickwinkel hat eine maßgebliche Rolle bei der Umsetzung von MindTags gespielt, an der Stefan Wilke selbst sowohl aus Entwickler- wie auch Nutzerperspektive mitgewirkt hat: Denn er selbst ist blind und hatte als Betroffener schon einiges an skurrilen digitalen Lösungen erlebt. Bei der Umsetzung von MindTags stand die Nutzbarkeit im Mittelpunkt, trotzdem wurden die geltenden Normen für Bau, IT-Sicherheit, Barrierefreiheit und Datenschutz eingehalten.

Der zentrale Nutzen eines Leitsystems ist die selbstständige Orientierung und Informationsaufnahme für jeden Menschen in Gebäuden. Dies ist insbesondere für Menschen mit Sinneseinschränkungen häufig schwierig. Die gesetzlich vorgeschriebene Barrierefreiheit findet sich nur selten in Gebäuden, eine selbstständig mögliche Orientierung und Informationsaufnahme noch seltener.

Dabei muss die zentrale Norm für die Barrierefreiheit, die DIN 18040, bis 2030 in der gesamten EU in Gebäuden umgesetzt werden. Noch sieht die Realität oft ernüchternd aus: Trotz der zum Teil sehr hohen Investitionen hat man am Ende oft nur eine veraltete, unausgereifte oder teilweise funktionierende Lösung.

Für ein mehrwertstiftendes Ergebnis, das Normen und Interessen aller Zielgruppen optimal berücksichtigt, spielen folgende Aspekte eine Rolle:

  • Eine gute und umfassende Planung: Dafür müssen das Ziel des Projekts sowie die Anforderungen an das Ergebnis klar definiert und Bedarfs- sowie Datenanalysen durchgeführt werden.
  • Welche Normen sind involviert und wie sehen hier die Vorgaben aus?
  • Welche kritischen Punkte gibt es im Hinblick auf meine Lösung?
  • Wer hat einen Nutzen und welcher Mehrwert entsteht in anderen Bereichen?

Sind diese Fragen geklärt, kann nach dem passenden Anbieter auf dem Markt gesucht werden.

MindTags liefert flexibel Orientierung in Gebäuden

Zurück zu MindTags: Ausgangspunkt für das neue Leitsystem war die Idee, eine Lösung für blinde und sehbehinderte Menschen zu entwickeln. Denn die bisherigen Lösungen, wie beispielsweise taktile Leitsysteme, bieten nur Wege, aber keine Informationen und sind zu unflexibel bei räumlichen oder baulichen Veränderungen. Mit welcher flexibel einsetzbaren Technik konnten also Wege beschrieben und weitere Informationen zur Verfügung gestellt werden?

Das Ergebnis ist eine App mit Bluetooth-Systemen und einer Datenbank, in der alle benötigten Informationen hinterlegt sind. Diese Lösung bot sich unter anderem an, weil die Nutzungsrate eines mobilen Gerätes selbst bei 70-Jährigen noch bei 68 % liegt und Blinde und Sehbehinderte ohnehin fast alles mit mobilen Geräten erledigen. Entscheidend war dabei die zu erwartende Entwicklung der Nutzerzahl: Die Nutzer mit einem hohen Alter und ohne Erfahrung mit mobilen Geräten werden weiter abnehmen. Somit besteht ein Mehrwert in der Kostenreduzierung bei anderen Unterstützungsangeboten wie beispielsweise Assistenz.

Synergien für weitere Nutzergruppen

Da die Nutzung von mobilen Geräten bei über 95 % in der Bevölkerung liegt, war es nur logisch ein System zu entwickeln, das Wege und Informationen auch in anderen Formaten für weitere Zielgruppen und in anderen Sprachen anbietet. Dies kann im Content-Management-System von MindTags einfach umgesetzt werden, damit gibt es keine Zielgruppe mehr, die MindTags nicht nutzen kann. Das System ist sowohl für iOS als auch für Android verfügbar, das führt zu hohen Nutzerzahlen. Ein weiterer Mehrwert: Vielsprachige Informationen in allen Formaten sind sofort digital verfügbar, was Einsparungen bei der Produktion von visuellen Informationen zur Folge hat.

Normen erfüllt – Mehrwert für Kunden erzeugt

Bei der Barrierefreiheit gilt es das Zwei-Sinne-Prinzip zu beachten, was in einem Gebäude zu zahlreichen Schildern in verschiedenen Ausführungen führt – mit und ohne Blindenschrift, farbige Leitsysteme sowie Piktogramme. Da in MindTags alle Formate verfügbar sind, werden alle diese Normenvorgaben erfüllt, was zum nächsten Mehrwert führt: Alles aus einer Hand beziehungsweise auf einem Gerät, bedeutet wiederum eine Kostenersparnis. Blinde Nutzer profitieren davon, dass die Navigation übers Headset erfolgen kann, da so eine Hand für Blindenstock oder Führhund freibleibt.

Zur Nutzung von MindTags in einem Gebäude sind keine baulichen Veränderungen nötig. Es müssen lediglich Bluetooth-Systeme angeklebt oder aufgehängt werden, sodass Baunormen keine Rolle spielen und nicht zum Problem werden. Hier liegt der Mehrwert in der Einfachheit bei den Ausschreibungen und der Umsetzung sowie in einer erheblichen Zeit- und Kostenersparnis. Auch die Datenschutzanforderungen sind erfüllt, da keine personenbezogenen Daten benötigt und gespeichert werden. Auch die IT-Sicherheit wurde berücksichtigt, indem Server in Europa und teilweise Deutschland ausgewählt wurden.

Dem Entwicklungsteam war wichtig, dass der Kunde das Produkt in hohem Maße eigenständig pflegen und aktualisieren kann. Somit ist er vom Anbieter unabhängig und hat geringe Folgekosten. Das System funktioniert auch offline, nur für das erstmalige Herunterladen der Daten und bei Aktualisierungen wird eine Internetverbindung benötigt.

Das System kann sich mit jedem Gerät verbinden und dessen Informationen über MindTags verfügbar machen, wie zum Beispiel die Fahrpläne an Haltestellen, die über die digitalen Hinweistafeln angeboten werden. Darüber hinaus können die heruntergeladenen Informationen erst später benutzt werden. Somit werden keine Doppelstrukturen benötigt und Informationen sind überall nutzbar. Kosten fallen nur einmal im Jahr für das Hosting an.

MindTags bietet somit eine komfortable, kostengünstige und mehrwertstiftende Lösung für verschiedene Zielgruppen. Zahlreiche Normen waren im Projekt keine Einschränkung, sondern haben Möglichkeiten aufgezeigt – der Blick über den Tellerrand liefert bei Planung und Entwicklung häufig die besten Lösungen.

Kontakt

Stefan Wilke (Autor)
Geschäftsführer
MindTags Group GmbH (Durmersheim)
www.mindtags.net

227255-24