Kreislaufpizza und Bürgerrat

Innovation im Kleinen für die Zukunft urbaner Lebensmittelsysteme

Nachhaltige, inklusive und gesunde Ernährungssysteme in zwölf europäischen Städten stehen im Zentrum des EU-Projekts FUSILLI. Das Steinbeis Europa Zentrum sorgt als Projektpartner dafür, dass die Lernerfahrungen aus den Projektaktivitäten, die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die politischen Empfehlungen international verbreitet werden. Darüber verantwortet es im Projekt das Innovationsmanagement und ergreift Maßnahmen, damit die entstandenen Produkte, Dienstleistungen und Ressourcen mittelfristig den Markt erreichen. Die EU fördert mit FUSILLI über 30 Partner aus 13 europäischen Ländern mit 12,8 Millionen Euro von 2021 bis 2024.

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Rückblick auf den 27. Juni 2023 in Turin: Pizzabäcker Aldo hat im Community-Treffpunkt „Locanda nel Parco“ viel zu tun, denn an diesem Mittag backt er rund 30 Pizzen. Die Besonderheit: Das Menü besteht nicht etwa aus den Klassikern Margherita oder Prosciutto e Funghi – es gibt nur die Pizza Circolare (auf Deutsch Kreislaufpizza). Sie besteht aus lokal produzierten, saisonalen Zutaten und verarbeitet insbesondere Teile von Lebensmitteln, die normalerweise im Müll landen, wie Schalen oder Kerne. Zugegeben, das klingt ungewöhnlich und Fans der traditionellen Pizza werden höchstwahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie mit Brokkoli, Karotten und einer Art Mayonnaise aus Aquafaba (Kochwasser von Hülsenfrüchten wie Bohnen oder Kichererbsen) kunstvoll dekoriert wird. Doch die Kreislaufpizza ist nicht nur schmackhaft, sie ist auch gesund und vor allem nachhaltig. Entwickelt wurde sie im Rahmen des EU-Projekts FUSILLI und feierte Ende 2022 ihre Premiere. Seitdem werden regelmäßig neue saisonal angepasste Rezepturen getestet und von der Universität für gastronomische Wissenschaften in Pollenzo begleitet.

Die Kreislaufpizza ist nur eines von zahlreichen Beispielen für Innovationen, die die Lebensmittelsysteme in Städten nachhaltiger gestalten sollen. Was nach Nische klingt, ist von größerer Bedeutung als man vermuten mag, denn 80 % der weltweit produzierten Lebensmittel werden in Städten konsumiert.[1] Jeder Teil der Lebensmittelkette hat große Auswirkungen auf das Klima und bietet daher Ansatzpunkte für Innovationen, um diese Auswirkungen zu minimieren. Das betrifft die Produktion der Lebensmittel, deren Verarbeitung und Verpackung, die Logistik, die Verteilung auf die Märkte, das Konsumieren der Lebensmittel und ihr Abfallmanagement. Städte und ihre Einwohner sind mächtige Akteure in dieser Kette und können viel in Bewegung setzen.

Living Labs als offene Innovationssysteme

Im Rahmen des FUSILLI-Projekts arbeiten zwölf Städte an der Transformation von Ernährungssystemen hin zu mehr Nachhaltigkeit, darunter Athen, Castelo Branco, Differdange, Kharkiv, Kolding, Nilüfer, Oslo, Rijeka, Rom, San Sebastián, Tampere und Turin. In jeder Stadt entsteht ein Living Lab, das als offenes Innovationsökosystem agiert. Living Labs basieren auf der Idee, dass die wichtigen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit nur beantwortet werden können, wenn verschiedene Bereiche – Wissenschaft, Politik, Industrie und Gesellschaft – zusammenarbeiten. Sie sind Orte des Experimentierens, an denen Hypothesen getestet werden können, und befinden sich nicht in einer sterilen, isolierten Laborumgebung, sondern in der realen Welt, damit eine Interaktion mit dem Nutzer stattfindet. Wenn es also beispielsweise das Ziel der FUSILLI-Projektstadt Oslo ist, in Kantinen ein umweltfreundliches attraktives Essensangebot für die täglichen Besucher anzubieten, wird das Living Lab direkt in einer Kantine eingerichtet. Durch diesen nutzerzentrierten Ansatz sind die Kantinenbesucher in diesem Beispiel nicht von Experten beobachtete Forschungsobjekte, sondern aktive Partner im Innovationsprozess, die in die Mitgestaltung des neuen Speisenangebots einbezogen werden. Dadurch wird sichergestellt, dass das Ergebnis den Bedürfnissen der Nutzer entspricht.

Living Labs eignen sich für viele Schritte des Innovationsprozesses: Entwicklung von Ideen, Testen von Prototypen und Bewertung. Da sie bereits in realen Umgebungen angesiedelt sind, können Lösungen einfacher und schneller als bei anderen Innovationsmethoden skaliert werden und lassen sich leicht auf andere Umgebungen übertragen. Daher sind lokale Lösungen, die in Projekten wie FUSILLI entwickelt werden, wertvolle Ressourcen für andere Städte. In dem EU-Projekt werden innovative Maßnahmen implementiert, die an unterschiedlichen Stufen der Lebensmittelkette ansetzen: Produktion und Verarbeitung, Vertrieb, Logistik und Konsum. Weiterhin werden Lebensmittelverschwendung und rechtliche Rahmenbedingungen der Lebensmittelsysteme adressiert. Beispiele für diese Ansätze sind die Kreislaufpizza in Turin, nachhaltige Kantinen in Oslo, urbane Gärten in Differdange oder lokale politikberatende Food Councils in Kolding. Die Forschungspartner des FUSILLI-Projekts evaluieren die getesteten Ansätze und teilen die gewonnenen Erkenntnisse international, um andere Städte zu motivieren, besonders erfolgreiche Aktivitäten zu übernehmen oder erfolglose zu vermeiden. Gleichzeitig werden Empfehlungen aus den Living Labs zu rechtlichen Rahmenbedingungen in Form von Politikempfehlungen an die EU kommuniziert und damit die Gestaltung neuer Gesetze beeinflusst.

Innovationen für die Nachhaltigkeit

Das Testen neuer Ansätze und das Teilen von Lernerfahrungen ist die klassische Funktionsweise von EU-geförderten Wissenschafts- und Innovationsprojekten, die die Experten im Steinbeis Europa Zentrum seit über 30 Jahren mitgestalten. Im Projekt FUSILLI verantworten die Steinbeis-Expertinnen die internationale Verbreitung der Lernerfahrungen und die Unterstützung für neue Geschäftsmodelle für Innovationen, die nach Ende des Projekts weiterhin Bestand haben und weiterwachsen sollen. „Wir setzen uns zum Ziel, europäische Innovationen für eine nachhaltige Gesellschaft zu stärken. Neben zahlreichen anderen Themenfeldern steht die Transformation von Städten und Kommunen hin zu mehr Nachhaltigkeit für uns im Fokus“, erklärt Regine Wehner vom Steinbeis Europa Zentrum, die an dem Projekt mitarbeitet. „Und wer weiß, vielleicht folgt auf die Kreislaufpizza eine nachhaltige Neuinterpretation der schwäbischen Maultasche.”


Die Food 2030-Strategie der EU

Die Förderung von FUSILLI ist in eine übergeordnete EU-Strategie eingebettet, die über mehrere Jahre Gültigkeit hat und Handlungsleitlinien festlegt. Die Food 2030-Strategie adressiert vier Kernthemen:

  • Ernährung: Der Zugang zu gesunden Lebensmitteln muss garantiert werden.
  • Klima: Lebensmittelsysteme müssen ihre negativen Auswirkungen auf das Klima verringern und Wege finden den Klimawandel zu bekämpfen.
  • Kreislaufansatz: Die Nutzung von Ressourcen wie Energie und Wasser muss effizient und verantwortungsvoll gestaltet werden, Abfallprodukte müssen minimiert oder in den Kreislauf miteinbezogen werden.
  • Gemeinschaft: Lokale Gemeinschaften müssen gestärkt werden. Rahmenbedingungen müssen es ermöglichen Geschäftsmodelle für Lösungen zu entwickeln, die der Gesellschaft dienen.

Erfahren Sie mehr über das Projekt FUSILLI auf https://fusilli-project.eu/ und https://ow.ly/e6u550Q2vAe

Kontakt

Regine Wehner (Autorin)
Team Manager Energy Use & Mobility Transition for Cities & Communities
Steinbeis Europa Zentrum
Steinbeis EU for YOU (Stuttgart)

Quellen
[1] EAT. (2022). EAT – Cities.
Letzter Zugriff 11.08.2023
https://eatforum.org/initiatives/cities/
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