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Wenn die Geopolitik am längeren Hebel sitzt

Innovationen müssen nicht nur gut sein – sondern auch geopolitische Hürden überwinden

Eine Innovation ist nicht schwer zu erkennen, denn durch sie wird irgendetwas grundlegend besser, schneller oder klarer. Aber wo kommt das Neue her? Wie entsteht es? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht eindeutig, auch wenn es zahlreiche Innovationsforscher gibt, die eine Systematik zu erkennen glauben. Wenn es aber so einfach wäre, würde es nicht nur konsistent verlässliche Innovationswerkstätten geben, sondern auch patentierbare Lösungen für innovative Personen, sagt Steinbeis-Unternehmer Dr. Andrej Heinke.

Nun mag man einwenden, dass es Innovationssysteme gibt, in denen die Wahrscheinlichkeit von neuen Lösungen höher ist als im Durchschnitt. Spontan kommen einem das Silicon Valley, der Großraum von Boston, die Mündung des Perlflusses, Bayern und Baden-Württemberg oder die Start-up-Nation Israel in den Sinn. Innerhalb dieser Systeme sind es sogar einzelne Orte und Institutionen, die beispielhaft für das stehen, was wahrhafte Institutionen ausmachen, etwa die Stanford University, die zur Keimzelle für das Silicon Valley wurde, oder die Max-Planck-Institute, die auf dem Erbe der Kaiser-Wilhelm-Institute aufbauend eine Vielzahl an Nobelpreisgewinnern hervorgebracht haben.

Stanford University: Von der Stiftung zum Innovationssystem

Am Beispiel von Stanford wird aber klar, dass die Anfänge der Universität weit entfernt davon waren, eine klare Entwicklungslinie zu Hewlett-Packard, Google oder OpenAI zu ziehen: Sie begann als Stiftung eines Eisenbahnmagnaten im Andenken an seinen früh verstorbenen Sohn Leland Stanford Junior und hatte die damals führenden Universitäten von Heidelberg und Berlin als Vorbild, die dem Humboldt’schen Credo einer Einheit aus Wissenschaft und Forschung folgen. Damit wurde der Grundstein für Erfolg inmitten einer eher kargen Landschaft aus Obstplantagen gelegt. Früh nahm die Stanford University auch den Wahlspruch Ulrich von Huttens zum Motto: „Die Luft der Freiheit weht.“ Das waren vielversprechende Vorzeichen, aber wie ein guter Wein brauchte auch die Institution Zeit, um sich zu entwickeln und die richtigen Talente anzuziehen. Hinzu kommt, dass ohne die staatlichen Fördergelder in Millionenhöhe, die im Kalten Krieg in den Ausbau der MINT-Fächer und Grundlagenforschung flossen, der Name Stanford heute nahezu unbekannt wäre. Ähnliches lässt sich auch über das MIT, Caltech und sogar Harvard herausfinden.

Aber trotz dieser Oasen in der Landschaft ist es bei der Innovation ähnlich wie vor Gericht: Es sitzen nie Institutionen auf der „Anklagebank“, sondern immer Einzelpersonen. In Stanford unterrichten 21 Nobelpreisträger, weitere neun sind mittlerweile verstorben. In Erinnerung bleibt der Gedenkgottesdienst für den Chemie- und Friedensnobelpreisträger Linus Pauling, bei dem seine Studenten die Vielfalt seiner Einflüsse und Ideen schilderten und seine Unangepasstheit würdigten. Oder der Physiknobelpreisträger Douglas Osheroff, der eines Nachts die Suprafluidität von Helium-3 entdeckte, was anfänglich als Fehler betrachtet wurde, der sich aber als hartnäckige Wahrheit erwies. Allen diesen Personen ist zu eigen, dass sie nicht als Genie geboren wurden, aber mit sehr viel Neugier und dem Willen den Dingen auf den Grund zu gehen. Vor allem haben sie sich nie von den Argumenten anderer ablenken lassen, die davon sprachen, dass es so „nicht gehe“ oder „noch nie gemacht wurde“.

Wie Innovation von Geopolitik abhängt

Auffällig ist, dass alle innovativen Orte von Toleranz, Vielfalt und Austausch geprägt sind. Denkverbote und ideologische Vorgaben gibt es dort nicht. „Bei meinem Besuch auf dem Google-Campus in Mountain View, in der unmittelbaren Nachbarschaft von Stanford, begegnete ich Russen, Israelis, Indern, Chinesen und Europäern – viele haben inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft“, berichtet Steinbeis-Unternehmer Andrej Heinke. Wie unter einem Brennglas wird hier deutlich, was den Erfolg der Vereinigten Staaten als Hort der Innovation über viele Jahrzehnte ausmacht: Sie sind der Sehnsuchts- und Erfüllungsort für die talentiertesten Menschen weltweit. Die Kombination aus Freiheit, Finanzierungsmöglichkeiten, Laborausrüstung und Gründermentalität erweist sich als schwer kopierbar. Umso stärker ist diese Mischung durch Visahürden, Einreisequoten für einzelne Nationalitäten oder aus Geopolitik stammenden Vorgaben bedroht. Was ist damit gemeint?

Etwa seit 2016 ist innerhalb des Dreiklangs aus Partnerschaft, Wettbewerb und Rivalität in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen zunehmend der negative Aspekt gestärkt worden, der sich in der Biden-Doktrin des „small yard, high fence“ abbildet. Und spätestens die Sanktionen vom 7. Oktober 2022, die die Ausfuhr von Technologien zur Fertigung von Halbleitern unter 14 Nanometern verbieten, wurden von chinesischer Seite als ökonomische Kriegserklärung aufgefasst. Dieser Tag ist in seiner Bedeutung noch nicht in Gänze verstanden worden, aber er teilt auch die Welt der Innovation in eine Zeit des „davor und danach“. Innovation lässt sich seither nicht mehr von Geopolitik trennen.

„Wie oft habe ich in Unternehmen Ingenieure getroffen, die fest davon überzeugt sind, dass sich eine Technologie durchsetzen muss, nur weil sie gut ist“, sagt Andrej Heinke. Das ist eine notwendige, aber nicht mehr hinreichende Voraussetzung. Denn ohne die Beachtung von geopolitischen Vorgaben, die sich etwa in industriepolitischen Förderungen oder harten Sanktionen äußern, wird für lange Zeit auch eine noch so gute Technologie nicht erfolgreich sein können.

Multipolare Innovationslandschaft

Erschwerend kommt hinzu, dass neben den amerikanischen Sanktionen die Welt der Geopolitik zunehmend multipolar ist, denn es gibt chinesische, europäische, russische, japanische, südkoreanische und allerhand weitere Vorgaben, die sich nicht nur überschneiden, sondern auch direkt widersprechen können. All das gilt es von Anfang an in der Innovationslandschaft zu berücksichtigen, denn wer erst nach Abschluss von Projekten dann noch kurz abgleichen will, ob irgendwelche Hürden entstehen könnten, sieht sich zunehmend mit bösen Überraschungen konfrontiert, die Zeit und Ressourcen verschlingen und dem Erfolg entgegenstehen.

Das Team des Steinbeis-Beratungszentrums Corporate Foresight berät und informiert über entsprechende Chancen und Risiken im geopolitischen Kontext. Dabei sind oft die Fragen wichtiger als vorschnelle Antworten, denn erst wenn das Problem erkannt ist, lassen sich die richtigen Fachleute identifizieren, die Probleme lösen und nicht größer werden lassen. Zur Bestandsaufnahme gehört aber auch die Einsicht, dass die Hürden in den kommenden Jahren eher größer werden und Lösungen schwieriger. Wer von Zeitenwende spricht, muss sich vor Augen führen, dass auch die Welt der Innovationen nicht neutral bleiben kann.

 

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Dr. Andrej Heinke (Autor)
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