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Transformieren – und innovieren

Ein Exposé über das Zusammenspiel von neuen Technologien, Bildung und Innovationen in KMU

In seiner Jugend hat Steinbeis-Experte und Steinwurf-Autor Professor Fritz J. Neff den Bäckern, Metzgern, Schreinern, Uhrmachern oder Glasern zuschauen können, wie sie ihre Produkte, meist Unikate, herstellten. Auch in der Schule wurden praktische Tätigkeiten gefördert, man entdeckte früh seine eigenen Stärken und Schwächen. Heutzutage sind immer weniger junge Menschen in handwerklichen Berufen aktiv, der Mittelstand leidet darunter, denn: Er braucht gut ausgebildeten Nachwuchs für Innovationssprünge.

Wir haben heute, bedingt durch den ausufernden Neoliberalismus der vergangenen 20 Jahre, eine Situation, die weit weg vom Prinzip der „sozialen Marktwirtschaft“ ist, und genau das ist der Irrweg unseres sozioökonomischen Systems. Der Nachteil ist, dass die politischen Kräfte fehlen, die ein einigermaßen ausbalanciertes Wirtschaftssystem herstellen möchten. Es zählen Wachstum und Gewinn in kurzer Zeit – der Stress wird immer größer. Großunternehmen werden begünstigt, dabei erkennt niemand die Herausforderungen, die sich daraus für KMU ergeben. Bildung wird vernachlässigt, was der Industrie und ebenso dem Handwerk schadet. Vor diesem Hintergrund muss der Mittelstand mehr ins Zentrum der Bemühungen gestellt werden, denn dort entstehen die meisten Innovationen. Jegliche Bürde, die ihm auferlegt wird, mindert die Gesundheit der Gesellschaft sowie der Wirtschaft und es ergeben sich Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland.

Maue Ausgangslage

So stellt zum Beispiel die Nichtnutzung neuer Technologien und neuer Wege im Rahmen der digitalen Transformation ein großes Problem dar. Viele, vor allem Verwaltungsprozesse, hätten schon längst digitalisiert werden müssen. Diese Digitalisierung scheitert aber eher am Menschen als an der Technik. Neue Arbeitsmodelle stehen bereits auf der To-do-Liste vieler Unternehmen, sie trauen sich aber nicht diese umzusetzen. Abwanderung von wissenschaftlichem Personal oder bedeutenden Unternehmen ist ebenfalls ein Thema. Erschwerend kommen der Krieg im Osten Europas, große Veränderungen der Wirtschaftsbeziehungen, Klimaveränderung und Umweltverschmutzung durch Verschwendung hinzu, was negativen Einfluss auf die Entwicklungsaktivitäten nimmt. Die Motivation, sich einzubringen, sinkt. Keine zu gute Ausgangslage, was die Frage überflüssig macht, warum die junge Generation nicht in die fachliche Ausbildung drängt.

Freie Bahn für Innovatoren

Innovationssysteme und neue Methoden mit modischen englischen Managementbegriffen sind in den vergangenen Jahren wie Sand am Meer entstanden. Meine Kritik daran: Ich habe immer wieder versucht, das Neue darin zu finden. Die Vorgehensweise war teilweise umfangreicher hinsichtlich der zu nutzenden Daten, aber ansonsten ist es meist alter Wein in neuen Schläuchen. KMU brauchen hohe Effizienz in jeglichem Handeln und jedem Prozess. Innovationen benötigen den Innovator, den Ideengeber, der wiederum Freiraum braucht. Auch der Rückhalt durch die Unternehmerfamilie und die Führungskräfte ist entscheidend. Das bedeutet, Arbeitsumfeld und -modell müssen mit besonderem Geschick ausgelegt sein. Gut ausgewählte Arbeitsbedingungen sind notwendig, damit Entwickler von Innovationen stressfrei arbeiten können. Dazu gehören Kenntnisse über die wichtigsten Kenngrößen des Unternehmens, ohne deren Berücksichtigung eine Entwicklung nur Kosten erzeugt.

Das Wichtigste sind vor allem die Fähigkeiten sowie Fertigkeiten des Innovators und die objektorientierte Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit seinem Team. Ein gutes Innovationsteam benötigt keinen Zeitdruck von oben, es findet seine eigene Gangart, welche sich sehr stark beschleunigen kann, je mehr erkennbar wird, dass die neue Technologie oder das neue Produkt die Anforderungen weit übererfüllen wird und sicher funktioniert. Negative und somit lähmende Einflüsse auf die Entwicklungsaktivitäten müssen ausgeblendet werden.

Die Krux mit der Innovation

Gift für wirkliche Innovationen ist sowohl der Termindruck als auch der Kostendruck auf die Entwickler. Innovationsprozesse binden Kapital und Zeit. Verschiedene Erhebungen zeigen, dass etwa 70 % der Start-ups nach rund drei bis vier Jahren nicht mehr existieren. Das ist ein sehr kostspieliger Weg, um eine angeblich gute Idee marktfähig zu machen. Außerdem wird vergessen, dass von 1.000 Ideen häufig nur eine zur Innovation führt. Häufig entstehen Innovationen auch als Nebenprodukt einer Entwicklungsarbeit. Ein Beispiel dafür ist die Mikrostrukturtechnik, die die Mikrosystemtechnik regelrecht beflügelte und heute in der Fahrzeugtechnik, der Medizintechnik, der Robotik oder der Sicherheitstechnik nicht mehr wegzudenken ist.

Unternehmerisches Denken: Mehr Neues wagen

Viele mittelständische Unternehmen denken und handeln sehr innovativ und progressiv – es gibt dem entgegengesetzt jedoch auch die Seite der Zurückhaltung: Manche Unternehmer sind weniger kommunikativ, verlassen sich auf die Aussagen der Bilanzen, um die notwendigen strategischen Entscheidungen zu treffen. Das ist zu wenig und führt selbst bei besten Marktbedingungen zu Problemen, die sich zumindest in abnehmender Aktualität der Produkte darstellen. Man will es nicht wahrhaben, man hatte doch immer so viel Erfolg! Der Verweis auf die historischen Meilensteine des Unternehmens ist ein fatales Fehlverhalten. Dabei muss aber klar sein: Eine Innovation bindet Kapital, jedoch wird nicht jede vermeintlich vielversprechende Idee tatsächlich zum Markterfolg und führt somit zu Umsatzsteigerung und Wachstum. Unternehmerisches Denken bedeutet unter anderem das ständige Hinterfragen des eigenen Handelns unter der Berücksichtigung der aktuellen und zukünftigen Entwicklungen: Werden wir durch bestimmte Wirtschaftsmodelle in die Irre geführt? Muss stetiges Wachstum sein? Wie kann ich eine Effizienzsteigerung mit innovativen Lösungen herbeiführen und so das Unternehmen zum Erfolg leiten? Eine Antwort bietet zum Beispiel das nachhaltige Erfolgsrezept des Schweizer Messerherstellers Victorinox, das auf verantwortungsbewussten Lieferketten, der Motivation der Mitarbeitenden, der Kundenzufriedenheit, der Ausstrahlung der Marke sowie dem schonenden Umgang mit Ressourcen basiert.

Der Mittelstand braucht Junge Menschen und gute Bildung

Heute gibt es trotz des Multi-Krisenszenarios einige Lichtblicke und Alleinstellungsmerkmale in unserer Wirtschaft, welche als Orientierungspole dienen können. Dazu zählen unter anderem die zukünftige (auch autonome) Mobilität im urbanen und ländlichen Bereich, Lithiumgewinnung über Geothermie, neue Energiespeicher, neue Halbleiterwerke, Nutzung von Wasserstoff oder Umsetzung der Nachhaltigkeit in den Unternehmensaktivitäten. Ob Abwanderung das Innovationsproblem betroffener Unternehmen löst, wage ich zu bezweifeln. Wichtig ist der Blick nach innen, damit das KMU als kleine sozioökonomische Gruppe funktioniert. Dann werden Unternehmen zu Hoffnungsträgern für die Zukunft und neue, unternehmensspezifisch sinnvolle Arbeitsmodelle können sich entwickeln, die vor allem auch den Vorstellungen unserer jungen Generation deutlich näherkommen. Wenn man am Markt erfolgreich bleiben will, nützt es nichts, den Termindruck und das Gehalt zu erhöhen. Der Mittelstand benötigt viel mehr gut ausgebildete junge Leute, die dann in Kooperationen Innovationssprünge ermöglichen. Die digitale Transformation kann dabei sehr behilflich sein, sofern man sie umsetzt und stetig weiterentwickelt. Jede Krise bietet auch Chancen zu neuen Wegen, dabei darf aber die Innovationsaktivität nicht auf null absinken.

Kontakt

Prof. Fritz J. Neff (Autor)
Freier Projektleiter
Steinbeis-Beratungszentrum Analysen und Expertisen (Stuttgart)

Professor Fritz J. Neff ist freier Projektleiter am Steinbeis-Beratungszentrum Analysen und Expertisen. Dort bringt er sein Know-how zu den Themen Strategie und Organisation, Innovationsmanagement sowie Produktion und Prozesse ein.

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