Steinbeis ist Problemlöser in der Transformation, bewegt sich aber gleichzeitig selbst seit vier Jahrzehnten innerhalb permanenter Transformation. Welche Auswirkungen hat das auf die Idee Steinbeis?
Dualitäten sind Innovationspool und Herausforderung gleichermaßen, meint unser Autor Dr. Michael Ortiz. Er wirft im folgenden Beitrag einen Blick auf die sich über die Jahrzehnte veränderten Alleinstellungsmerkmale des Steinbeis-Verbunds. Den Fokus legt er dabei auf die Governance-Strukturen des Wissens- und Technologietransfers mit Steinbeis, er ordnet das sich daraus ergebende spezifische Steinbeis-Modell in seinen systemisch-institutionellen Kontext ein und diskutiert Herausforderungen und Chancen für dieses Modell. Michael Ortiz ist Wirtschafts- und Organisationssoziologe und beschäftigt sich in der Steinbeis-Zentrale unter anderem mit Unternehmensentwicklung, wertschöpfenden Netzwerken, vergleichender Unternehmenskompetenzanalyse, Transformationsprozessen und Technologieakzeptanz. Er befasst sich seit seiner Dissertation „Varieties of Innovation Systems in Europe – The Governance of Knowledge Transfer in International Comparison“ mit regionalen und nationalen Innovationssystemen sowie den theoretischen Grundlagen von Steinbeis und dem Beitrag der praktischen Umsetzung für Wissens- und Technologietransfersysteme.
Steinbeis und die Dualität von Wachstum und Transformation
Die multiplen Krisenerscheinungen und Transformationsprozesse von Wirtschaft und Gesellschaft in der Gegenwart werfen einmal mehr die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz nationaler und regionaler Ökonomien, gewachsener Wirtschaftsräume sowie weiter Teile des Unternehmenssektors auf. Erneut rücken die Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit nicht nur von Unternehmen, sondern vor allem auch der sie umgebenden Institutionengefüge in den Mittelpunkt des Interesses (Rothgang 2022; Archibugi/Iammarino 2010; Streeck 2004). Dabei kommt dem Wissens- und Technologietransfer eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von Krisen- und Transformationserscheinungen zu (Audretsch et al. 2022; Borrás/Edquist 2019; Edquist 2005). Dieser Transfer als rekursive Verknüpfung von wissenschaftlicher Forschung und unternehmerischer Praxis erfährt dabei seinerseits eine wesentliche Transformation, bedingen anhaltende Krisen und Transformationen der ökonomischen, technologischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen doch die Notwendigkeit eines sich immer weiter beschleunigenden, professionalisierenden und vernetzt-eingebetteten Wissens- und Technologietransfers.
Auch Steinbeis ist als systemischer Akteur des Wissens- und Technologietransfers Gegenstand der beschriebenen Prozesse: Mit seinen Alleinstellungsmerkmalen und dem seit seiner Gründung realisierten Wachstum hat es den Anspruch und die Verantwortung zugleich, Lösungsanbieter und Gestalter in der gegenwärtig von Krisen und Transformationen geprägten Wirtschaft und Gesellschaft zu sein (Auer 2023). Gleichzeitig ist es selbst erheblichen Transformationsprozessen ausgesetzt, die sich aus den veränderten Rahmenbedingungen der Gegenwart, aber auch aus der Entwicklung des Steinbeis-Verbunds selbst in den letzten Jahrzehnten ergeben.
Ferdinand von Steinbeis – Dualität und Einzigartigkeit
Die Wurzeln der heutigen Steinbeis-Stiftung gehen zurück auf ihren Namensgeber Ferdinand von Steinbeis (1807-1893). Er wird vor allem in Verbindung gebracht mit der Entwicklung der dualen Ausbildung, proaktiver Gewerbeförderung mit Fokus auf das Land, erfolgreichen Unternehmensgründungen und ersten Ansätzen des Wissens- und Technologietransfers über kompetente Experten. Dualität prägt dabei die Konzepte von Ferdinand von Steinbeis: Die Verbindung von Theoriewissen und Praxiserfahrung, die gezielte Unterstützung von Gewerbe- und Gründungsaktivitäten bei gleichzeitiger Wahrung unternehmerischer Freiheitsgrade, sowie der Transfer von Fach- und Expertenwissen in die mehrwertstiftende wirtschaftliche Anwendung (Auer 2023; von Alberti 2016).
Diese Dualitäten prägen auch die Alleinstellungsmerkmale der heutigen Steinbeis-Stiftung: Unternehmerischer und rekursiver Wissens- und Technologietransfer von Expertenwissen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, duale wissenschaftliche Forschung und Aus- bzw. Weiterbildung von Fach- und Führungskräften, sowie systemische Wirtschaftsförderung als eine der zentralen Gründungsplattformen des Landes (Auer 2023). Der unter dem Dach der Steinbeis-Stiftung entstandene Unternehmensverbund ist in seiner Struktur, Vielfalt und Reichweite einzigartig und zieht aus seinen multiplen Dualitäten anhaltend Energie, Kreativität und Innovation, muss sich aber in seinem Wirken auch fortlaufend auf die Herausforderungen der beschriebenen Dualitäten einstellen (Ortiz 2016).
Aus analytischer Perspektive ist der Governance-Ansatz geeignet, sich komplexen Organisationen und Organisationsverbünden zu nähern (Ortiz 2013). Im vorliegenden Beitrag wird er dazu herangezogen, die einzigartigen Systemelemente des Steinbeis-Verbunds anhand seiner spezifischen Governance-Struktur zu beschreiben, Veränderungen im Zeitverlauf sowie daraus resultierende Chancen und Herausforderungen zu betrachten.
Das Steinbeis Governance-Modell: Dualität von Markt und Organisation
Wissens- und Technologietransfer sind als systemische Prozesse zu verstehen, die in komplexe soziale Innovations- und Produktionssysteme eingebettet sind. Wie viele andere sozio-ökonomische Prozesse, sind auch Wissens- und Technologietransfersysteme von spezifischen Governance-Modellen gekennzeichnet, um die Transaktionen ihrer Akteure zu koordinieren. Das für die vorliegende Analyse zugrunde gelegte heuristische Modell konzeptualisiert Wissens- und Technologietransfersysteme als spezifische Konfigurationen der sechs Idealtypen sozialer und ökonomischer Governance: Staat, Markt, Organisation, Netzwerk, Verband und Gemeinschaft (Ortiz 2013; Hollingsworth et al. 1994; Voelzkow 2007). Dieses Modell geht davon aus, dass alle Strukturen, Mechanismen und Akteure, die ein Wissens- und Technologietransfersystem konstituieren, einem dieser Idealtypen zugeordnet werden können, wodurch die Analyse und der Vergleich dieser Systeme auf der Basis ihres jeweiligen Governance-Modells möglich werden. Auch ermöglicht es die Rekonstruktion und Analyse von Transformationsprozessen innerhalb dieser Systeme als Veränderungen der Konfiguration ihrer Governance-Modelle (Ortiz 2013).
Das Steinbeis-Modell des Wissens- und Technologietransfers kann als dezentral, wettbewerblich und unternehmerisch beschrieben werden (Auer 2007). Es basiert auf unternehmerischer Eigeninitiative und den Bottom-up-Aktivitäten von Akteuren an den Wissens- und Technologiequellen der Hochschulen und Universitäten, den Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sowie bei Unternehmen und Experten außerhalb von institutionellen Wissens- und Technologiequellen. Steinbeis bietet diesen Akteuren den strukturellen, organisatorischen und rechtlichen Rahmen, transferorientierte Projekte mit wirtschaftlichem Mehrwert unternehmerisch umzusetzen. Grundgedanke des Steinbeis-Transfermodells ist wie schon in Ansätzen bei Ferdinand von Steinbeis der „Transfer über Köpfe“, also über Menschen, mit ihrem Know-how, ihrem Engagement und ihren Netzwerken (Ortiz 2016).
In das beschriebene heuristische Modell eingeordnet, ist Steinbeis von einem markt- und organisationsgeprägten Governance-Modell gekennzeichnet. Einerseits unterstreichen Charakteristika wie dezentrale, unternehmerische Freiheitsgrade, freiberufliche Transfertätigkeit, marktbasierte Akquise und Preisbildung, sowie der mehrwertorientierte, atomistische Wettbewerb von Geschäftsmodellen den marktartigen Charakter des Steinbeis-Modells, bei dem letztlich Wissen, Technologien und Kompetenzen nach Marktpreisen gekauft und verkauft werden. Zentrale Mechanismen des marktbasierten Transfers sind Beratungsleistungen, Gutachtertätigkeiten, Fort- und Weiterbildungen, oder der Kauf und Verkauf sowie die Lizensierung von Schutzrechten, Patenten und Lizenzen (Ortiz 2013).
Andererseits zeigt der Steinbeis-Verbund auch Elemente einer organisationsbasierten Governance (Ortiz 2013). Seine Organisationsstruktur mit der Steinbeis-Stiftung für Wirtschaftsförderung als Dach und der Steinbeis GmbH & Co. KG für Technologietransfer darunter als formeller Rahmen für die wirtschaftlichen Aktivitäten des Verbunds zeigt eine Form der „hierarchischen“ Integration sowie einer gewissen Koordinierung durch spezifische formalisierte (auch gesellschafts- und stiftungsrechtliche) und informelle Rechte und Pflichten. In diesem Zusammenhang kann die Gründung neuer Steinbeis-Unternehmen im Sinne einer vertikalen Integration von Expertise und technologischem Wissen in den Verbund betrachtet werden, vergleichbar mit einem Start-up oder Spin-off aus der Wissenschaft, bei dem es vorwiegend um die Anbindung hochqualifizierter technischer und wissenschaftlicher Experten an den Verbund geht.
Darüber hinaus sind im Steinbeis-Verbund auch netzwerk- und verbandsorientierte Governance-Elemente erkennbar (Ortiz 2013). So ist die vertikale Integration in den Verbund weder strikt noch umfassend, und die einzelnen Steinbeis-Unternehmen (SU) behalten die unternehmerische Freiheit, unter sich sowie mit externen Partnern zu interagieren, ohne ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Zudem werden die geschäftlichen Transaktionen mit einer Verbundgebühr belegt, die der Bereitstellung des zentralen organisatorischen Rahmens sowie der Verbundleistungen für den gesamten Verbund dient. Hiermit zeigt der Verbund bestimmte Eigenschaften von Reziprozität und damit netzwerkbasierter Governance, auch wenn gegenseitigkeitsbasierte Interaktion zwischen einzelnen SU oder kollaborative F&E-Projekte eher selten vorkommen. Daher kann Steinbeis nur bedingt als formalisiertes Netzwerk kollaborierender und kooperierender individueller Akteure betrachtet werden.
Ähnlich verhält es sich mit der gemeinschaftsbasierten Governance-Dimension. Auch wenn der Steinbeis-Verbund eine relevante und anhaltende Attraktivität auf seine Mitglieder und externe Akteure ausübt und hierüber den Wunsch erzeugen kann, zum Verbund dazuzugehören (Ortiz 2013), nicht zuletzt aufgrund der erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung, der etablierten Marke und historischen Tradition, lässt sich nur eine bedingte gemeinschaftlich geteilte Identität unter den Mitgliedern des Verbunds wahrnehmen. Dennoch gibt es Verbundaktivitäten auf der Basis von informeller, freiwilliger und teils spontaner Solidarität und Interaktion zwischen den Akteuren. Zudem tragen auch die verschiedenen Plattformangebote des Steinbeis-Verbunds zu einem informellen Wissens- und Technologietransfer bei.
Eine nur marginale Rolle spielen staatliche Governance-Elemente für den Steinbeis-Verbund. Auch wenn das Land Baden-Württemberg bei der Neugestaltung der Steinbeis-Stiftung 1983 einen wichtigen Beitrag geleistet hat, und auch wenn Steinbeis an den Hochschulen und Universitäten des Landes auf der Basis von Rahmenvereinbarungen operieren kann, wirken Mechanismen der öffentlichen Hand bislang nur bedingt direkt auf die Organisation und die Struktur des Steinbeis-Modells ein (Ortiz 2013).
Entwicklungsdynamik: Dualität von Chancen und Herausforderungen
Der Steinbeis-Verbund hat in den vergangenen 40 Jahren eine beachtliche Entwicklung realisiert, die vor allem von quantitativem Wachstum und qualitativer Verbreiterung gekennzeichnet ist. Mit den 16 Technischen Beratungsdiensten 1983 begonnen (Steinbeis 2006), sind im Jahr 2023 mehr als 1.100 Steinbeis-Unternehmen aktiv. Darunter finden sich Angebote zu nahezu allen technologischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen. Zudem findet sich auch eine breite Vielfalt an Leistungsangeboten auf den Feldern der Management-, Organisations- und Strategieberatung sowie der Aus- und Weiterbildung, letztere vorwiegend zusammengefasst unter dem Dach der verbundeigenen Steinbeis Hochschule. Hinzukommen zahlreiche Unternehmensbeteiligungen in unterschiedlichen Ausprägungen sowie Franchise-Unternehmen im Ausland (Ortiz 2016). Diese positive Entwicklungsdynamik hinsichtlich der Breite und Tiefe des Steinbeis-Portfolios als Ergebnis des Erfolgs und der Anziehungskraft des Modells bringt neben neuen Chancen sicher auch Herausforderungen mit sich. Beides bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Organisation sowie auf die Governance-Struktur des Steinbeis-Verbunds.
Übersichtlichkeit und Auffindbarkeit des Leistungsportfolios, Qualitätssicherung, die passende Ausrichtung verbundeigener Plattformangebote aber auch die zentrale Verbundorganisation werden zu wesentlichen Herausforderungen in einem wachsenden Verbund. Hierdurch verändert sich auch die Verbundzentrale in ihrer Ausgestaltung sowie in der Breite und Tiefe der angebotenen Dienstleistungen. Intensiver als bisher ist mit der markanten Fragmentierung der Verbundstruktur, aber auch mit dem Ungleichgewicht bei der Leistungsfähigkeit der Verbundunternehmen umzugehen (Ortiz 2016). Wichtiger denn je wird hierbei eine Orientierung an einem Grundsatz von Johann Löhn sein, der die dynamische Synergie von Polen auch als Organisationsprinzip eingeführt hat (Auer 2023), also Produktivität aus der Spannung von Gegensätzlichkeiten und Verschiedenartigkeiten zu ziehen. Dabei wird heute der Fragmentierung der Verbundstruktur vermehrt mit Koordinierung sowie Ermöglichung von Netzwerkaktivitäten begegnet, dem Ungleichgewicht der Leistungsfähigkeit vor allem mit gezielter Kompetenzentwicklung und einem intensivierten Portfoliomanagement.
Wachstum, Größe und Heterogenität stellen neben organisatorischen und strukturellen Herausforderungen aber auch Chancen dar. So zeigt sich der Verbund mit seinen 1.100 Verbundunternehmen als ein einzigartiges Portfolio atomistisch strukturierter Expertise und Transferangebote (Steinbeis 2023). Aus der Vielzahl an Klein- und Kleinsteinheiten können Kunden für sich passgenaue und hochspezialisierte Leistungsangebote auswählen. Jedoch lässt sich in der gegenwärtigen Phase der tiefgreifenden Transformation von Wirtschaft, Gesellschaft und Technologien beobachten, dass nicht die fragmentierte und auf spezifische Disziplinen fokussierte technologische Entwicklung dominiert, sondern vor allem die vernetzte Entwicklung an den Schnittstellen von Branchen, Disziplinen und technologischen Feldern. Da die zentralen technologischen Herausforderungen der Gegenwart in den Leitsektoren Mobilität, Energie, IKT und Gesundheit stark disziplinen- und sektorübergreifend geprägt sind, wird verstärkt zu berücksichtigen sein, dass es die Leistungsangebote vieler einzelner Verbundunternehmen sowohl hinsichtlich ihrer Reichweite als auch ihrer Größe zunehmend schwerer haben werden, der hieraus resultierenden veränderten Nachfrage zu entsprechen. Daraus entsteht auch ein Handlungsdruck für den Verbund, eigene Kompetenzen stärker als zuvor in strategisch relevanten und interdisziplinären Themenfeldern zu vernetzen, um so Technologietransferprojekte akquirieren zu können, die eine größere Bandbreite an Kompetenzen und inhaltlicher Expertise, aber auch ein höheres Maß an Ressourcen erfordern.
In vergleichender Perspektive kann die Herausforderung eines fragmentierten Verbunds also durchaus auch als Wettbewerbsvorteil betrachtet werden, der anderen Anbietern von Wissens- und Technologietransferleistungen in dieser Form nicht zur Verfügung steht. Mehr noch: Insofern es gelingen könnte, zu strategisch relevanten Feldern nicht nur Mikronetzwerke und Kollaborationen zwischen Verbundunternehmen zu initiieren, zu stabilisieren und zu koordinieren, sondern diese Kompetenzen im Kontext einer sich dynamisch verändernden technologischen Nachfrage zudem flexibel bzw. modular zu kombinieren und zu rekombinieren, könnten wesentliche Wettbewerbsvorteile entstehen.
Auch im Ungleichgewicht der Leistungsfähigkeit mit seiner Pareto-Verteilung der Wertschöpfung im Verbund (20% der Verbundunternehmen erwirtschaften 80% des Umsatzes) können wesentliche Entwicklungschancen liegen (Auer 2007). Diese Verteilung kann als wertvoller Nährboden für die Inkubation von erfolgreichen und werthaltigen Ideen sowie von Geschäfts- und Dienstleistungsmodellen des Wissens- und Technologietransfers im Sinne eines Marktlabors betrachtet werden (Ortiz 2016). Wenn zudem noch der Aufwand für die Gründung, die Entwicklung sowie das notwendige Verbundmanagement berücksichtigt wird, wird deutlich, welche Bedeutung vor allem in der gezielten und portfolioorientierten Entwicklung der Leistungsangebote der einzelnen Verbundeinheiten liegt. Hinzukommt der generelle Trend zu einer immer stärkeren Professionalisierung von Akteuren und Ansätzen im Wissens- und Technologietransfer, insbesondere in Bezug auf den Einsatz von fundierten und validierten Strategie- und Technologiekonzepten, Mechanismen und Instrumenten. Hierin liegt für den Verbund ein enormes Potenzial, wenn es gelingt, die Professionalität und Qualität seines Leistungsportfolios auch im Vergleich mit Wettbewerbern hochzuhalten und ggf. sogar noch auszubauen.
Steinbeis als systemprägendes und „systemfremdes“ Element
Mit seiner spezifischen Struktur, seinen Alleinstellungsmerkmalen und Leistungsangeboten bringt Steinbeis für den deutschen Systemkontext bemerkenswerte Systemelemente ein. Ist das deutsche Wissens- und Technologietransfersystem stark von den Aktivitäten und der Finanzierung durch die öffentliche Hand geprägt (Abramson et al. 1997), ist Steinbeis eher von einem unternehmerischen und marktförmigen Modell gekennzeichnet. Haben andere Transferakteure in Deutschland eine öffentliche Grundfinanzierung und richten ihren Fokus auf Großunternehmen, ist Steinbeis ein wirtschaftlich sich selbsttragendes Transfermodell, das seinen Fokus auf die kleinen und mittleren Unternehmen legt.
Damit steuert Steinbeis ein von den dominierenden Mustern des deutschen und baden-württembergischen Innovations- und Wissens- bzw. Technologietransfersystems abweichendes Modell bei, was wiederum von Dualitäten begleitet ist. Einerseits stellt dieses Modell ein attraktives Alternativangebot im Gesamtsystem sowohl für transferorientierte Expertinnen und Experten als auch für nachfragende Unternehmen und Organisationen dar und bietet zusätzliche Transferoptionen, die andernfalls möglicherweise nicht angeboten werden würden. Andererseits entsteht auch die Wahrnehmung eines systemfremden Modells im Gesamtsystem, das privatwirtschaftliche Ansätze und Gewinnorientierung an ein im Wesentlichen von der öffentlichen Hand getragenes und finanziertes Wissenschafts- und Forschungssystem legt. Ein Spannungsfeld, in das sich auch Vorbehalte seitens einzelner Hochschulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen sowie Forschender einordnen lassen.
Durch die Breite seiner unternehmerischen Transferangebote ist Steinbeis zumindest im Land Baden-Württemberg zu einem systemischen Akteur im Wissens- und Technologietransfer geworden (Braczyk et al. 1998; Cooke et al. 2004; Krauss 2009; Heidenreich/Krauss 2004; Fuchs/Wassermann 2004; Heidenreich 2001). Dabei verschiebt Steinbeis die Ausrichtung des regionalen Wissens- und Technologietransfersystems Baden-Württembergs insgesamt und in besonderer Weise in eine unternehmerische und marktförmigere Richtung (Ortiz 2013). Ein nicht geringer Anteil des wissens- und technologieintensiven Unternehmenssektors, aber auch der transferorientierten Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen im Land profitiert hiervon. Dabei versteht sich Steinbeis heute als moderner Dienstleister und nimmt seine (auch systemische) Rolle für das Transferunternehmertum im Land bewusst an. Als eng in das Innovationssystem des Landes eingebetteter Akteur agiert der Verbund als technologischer Lösungsanbieter und Ermöglicher unternehmerischer Ideen. Werthaltigkeit und Nutzenstiftung für Wirtschaft und Gesellschaft sind dabei wesentliche Leitbilder.
Es ist daher zunächst auch nicht widersprüchlich, dass Steinbeis in vielfältigen Förderkontexten der öffentlichen Hand als Partner engagiert ist. Zu beobachten ist jedoch in den vergangenen Jahren, dass zu spezifischen Zukunftsthemen mit scheinbar unbegrenzten Mitteln überdominante öffentliche Förderkulissen aufgezogen werden, die kaum mehr Raum für privatwirtschaftliche Transferinitiative lassen. Teilhabe an diesen Förderkulissen wird daher zu einer wesentlichen Herausforderung für das unternehmerische Transfermodell, aber auch das sich Einstellen auf die Möglichkeit des plötzlichen Zusammenfallens dieser Kulissen. Hinzukommen ein stetig zunehmender bürokratischer Aufwand sowie ein immer enger gewobener Vorschriftenkanon, die das transferunternehmerische Engagement immer aufwendiger werden lassen und teils auch unterminieren. Dezentralität, unternehmerische Freiheit und schlanke Organisation als Grundlage und Philosophie des Steinbeis-Verbunds werden hierdurch zunehmend herausgefordert (Auer 2007; Steinbeis 2009; Ortiz 2016).
Weitere wesentliche Herausforderungen für das transferunternehmerische Modell zeigen sich auch in den abnehmenden Freiräumen von Forschenden an Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen, sowie den markant sinkenden Studierendenzahlen in den technischen Disziplinen, die einen weiteren Rückgang qualifizierter und transferorientierter Experten gerade in den technologieorientierten Feldern in den kommenden Jahren erwarten lassen. Auch hierauf wird mit einer verstärkten Ausrichtung des Verbunds als potente Gründungsplattform und Ermöglicher für Lösungsangebote und unternehmerische Ideen von Experten außerhalb der Wissenschaft reagiert. Nicht unwesentlich wird hierbei aber auch sein, inwiefern die weitere Entwicklung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen die Ermöglichung eines unternehmerischen Wissens- und Technologietransfers mitberücksichtigt, und Freiräume für das Transferunternehmertum bestehen lässt bzw. wieder freigibt oder auch neu schafft.
Schließlich bringen Wachstum und Breite des Verbunds auch die Notwendigkeit mit sich, verstärkt über die Regionalisierung der Verbundstrukturen nachzudenken. In zahlreichen Regionen manifestieren sich schon heute wesentliche Kontextverdichtungen von Gruppen von Steinbeis-Unternehmen, sei es in bestimmten Bundesländern außerhalb Baden-Württembergs oder auch um Standorte einzelner Wissensquellen herum. Regionale Präsenz sowie die regionale Ausrichtung und Positionierung von Leistungsangeboten der Steinbeis-Unternehmen, aber auch regionalisierte Leistungen der Verbundzentrale werden hierüber an Bedeutung gewinnen. Über die Gründung von Landesgesellschaften, aber auch von Hochschultransfergesellschaften zusammen mit den Hochschulen werden regionale Partnerschaften vor Ort eingegangen und auch regionale Ansprechpartner vor Ort etabliert. Das Management eines sich in dieser Form regionalisierenden Verbunds dürfte eine der wesentlichen Herausforderungen der mittelbaren Zukunft sein.
Ausblick: Stabilität und Veränderung
Steinbeis zeigt sich als in seiner Struktur, Ausprägung und Funktionsweise einzigartiges Governance-Modell, das nach wie vor stark markt- und auch organisationsgeprägt ist. Wachstum und Vielfalt, aber auch veränderte wirtschaftliche, gesellschaftliche und politisch-rechtliche Rahmenbedingungen führen jedoch zunehmend Elemente auch einer netzwerkgeprägten Governance sowie solche der öffentlichen Hand an das Modell heran. Zudem wird die Notwendigkeit, Verbundaktivitäten zielgerichtet zu koordinieren, zunehmen. Dies wird Auswirkungen auf das gewachsene Gleichgewicht der zentral-dezentralen Verbundsteuerung haben. Die zielgerichtete Vernetzung von Steinbeis-Unternehmen untereinander und mit Partnern wird an Bedeutung gewinnen, genauso wie die Rolle und Ausgestaltung der Verbundzentrale bei der Initiierung, Ermöglichung und Integration strategisch bedeutsamer Verbundaktivitäten mit entsprechender Reichweite, Volumen und Qualität. 40 Jahre Steinbeis als dynamisch lernendes System stimmen optimistisch, dass diese Transformation auch weiterhin erfolgreich gemeistert werden kann und dabei die einzigartigen Dualitäten seiner Ursprünge bei Ferdinand von Steinbeis nutzenstiftend fortgeschrieben werden können.
Autor
Dr. Michael Ortiz
Geschäftsführer Steinbeis Beratungszentren GmbH
Quellen
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