© istockphoto.com/Kisa-Murisa

Unternehmertum verpflichtet!?

Die Nachfahren von Otto Steinbeis zeigen, dass sich familiäre unternehmerische Wurzeln weg von der Verpflichtung hin zur Verbundenheit entwickeln können.

Vor 160 Jahren, im Jahr 1863, brach Ferdinand von Steinbeis‘ Sohn Otto aus dem damaligen Königreich Württemberg auf, um im Inntal sein unternehmerisches Glück zu suchen. Die drei folgenden Generationen seiner Familie haben erfolgreich und nachhaltig ein Unternehmen gegründet, geformt und geprägt. Stephanie Ecker vertritt die fünfte Generation heute als Aufsichtsratsvorsitzende der Steinbeis Holding GmbH – und hat in dieser Funktion die Entscheidung der Familie mitforciert, sich aus dem aktiven Unternehmertum zurückzuziehen. In ihrem Essay setzt sie sich mit den Unternehmereigenschaften auseinander, die ihre Familie prägten und, so viel sei vorweggenommen, auch heute noch ausmachen.

Als ich mich für diesen Beitrag mit der Frage der Unternehmer-DNA, der Gene, die den klassischen Unternehmer ausmachen, begann auseinanderzusetzen, war ich zunächst skeptisch: Im eigentlichen Sinne verstehen sich meine Familie und ich nicht mehr als Unternehmer, steht es mir da zu und kann ich die Eigenschaften meiner Vorgänger beurteilen, die wir nun nicht mehr mitbringen oder auch nicht mehr bereit sind einzubringen? Was ist denn überhaupt ein Unternehmer und können das Unternehmertum oder das Unternehmen mit Eigenschaften versehen und diese vererbt werden?

Der ideale Unternehmer: zielstrebig, kreativ und charismatisch

Wenn man dem Ökonomen und Nobelpreisträger Friedrich August Hayek glauben möchte, so ist ein Unternehmer jemand, der einen Gefallen daran findet, Hindernisse zu überwinden. Weiter ist er ein Künstler, der nicht nur kreativ neue Ideen erzeugen, sondern diese auch praktisch umsetzen und noch viel wichtiger: seine Umgebung davon überzeugen kann. Die benötigte finanzielle Ausstattung hält Hayek dagegen für keine zwingende Voraussetzung, sondern lediglich für ein weiteres zu überwindendes Hindernis.

Als unser Urahn Otto Steinbeis 1863 in Oberbayern die Handelsgesellschaft Otto Steinbeis & Consorten gründete, nutzte er die finanziellen Mittel eines Finanzkonsortiums, das er aber bald ausbezahlte. Mit Sicherheit brachte er Hayeks unternehmerische Charaktereigenschaften mit. Er engagierte sich in vielen Geschäftsfeldern rund um die Forstwirtschaft, kyanisierte Bahnschwellen, kaufte eine Brauerei und betrieb mit Partnern ein Bauunternehmen. Was ihn aber zu einem echten Unternehmer und Pionier und weit über die Grenzen Bayerns hinaus bekannt machte, war der Bau von Schmalspurbahnen mitten durch unwegsames Gelände, wie beispielsweise in Bosnien-Herzegowina zur Verwertung der Forste oder auf den Wendelstein im heimischen Oberbayern. Das waren absolut visionäre Vorhaben, die nicht nur Kreativität und Überzeugungskraft, sondern vor allem Durchhaltevermögen und technische sowie wirtschaftliche Expertise voraussetzten.

Über Generationen hinweg: Die unternehmerische Leidenschaft für das Papier

Seitdem ist viel geschehen, drei weitere Generationen der Familie Steinbeis haben die Geschicke des Unternehmens aktiv geleitet und mit Neugier, Klugheit und Voraussicht die Weichen für eine sich permanent wandelnde Zukunft gestellt. An Hindernissen und Widrigkeiten fehlte es zu keiner Zeit. Der ehemalige Forstbetrieb wurde eingestellt und die Papierproduktion rückte in den Vordergrund. Von Spezialpapieren verabschiedete man sich in den 1970er-Jahren, um als erstes Unternehmen grafische Papiere auf der Basis von Altpapieren herzustellen. Wieder eine Pionierleistung, die am Unternehmenssitz Glückstadt eine der ersten und modernsten Altpapieraufbereitungen ermöglichte.

Die Suche nach einem günstigen Rohstoff, der darüber hinaus noch Wasser und Energie sparend verarbeitet werden konnte, führte nicht nur zu einem neuen Produkt, sondern auch zu einer neuen inhaltlichen Ausrichtung. Mit der ökonomischen und ökologischen Alternative zu Frischfaserpapier rückte das erste Mal die Nachhaltigkeit in den Fokus. Es ist vielleicht kein Zufall, dass eine Familie, die ihren Ursprung und ihr Glück in der Bewirtschaftung von Wäldern gefunden hatte, den Gedanken des nachhaltigen Handelns als verpflichtend empfunden hat, wurde doch just in der Forstwirtschaft bereits im 18. Jahrhundert die Forderung nach einem funktionierenden Kreislauf, also einem Gleichgewicht von Abholzung und Nachpflanzung der Wälder erhoben. Der Kreislaufgedanke passte gut zu dem in den 1970er-Jahren entstandenen Umweltbewusstsein. Außerdem ermöglichte er einem mittelständischen Unternehmen wie dem unserer Familie in einer Nische eine Vorreiterrolle zu spielen, die von den großen globalen Playern nicht besetzt war.

Die Papierindustrie verbraucht sehr viel Strom und Wasser, so ist es folgerichtig, dass im Zuge der zunehmenden Nachhaltigkeitsdebatte auch diese beiden Bereiche in den Fokus gerieten. Bereits in den 1970er-Jahren hat meine Familie die Wasserkreisläufe im Unternehmen optimiert und seitdem kontinuierlich verbessert. Inzwischen ist der Kohlekessel durch ein neues Ersatzbrennstoff-Kraftwerk ersetzt worden, sodass am Standort der gesamte Dampf und die Hälfte des Stroms erzeugt werden können. Außerdem werden noch ein Altholzkraftwerk, Biogasanlagen, Windmühlen und Solaranlagen betrieben. Ziel ist es den gesamten Energiebedarf des Unternehmens in Deutschland selbst zu decken. Es gelingt uns noch nicht ganz, aber es fehlt nicht mehr viel.

Ein neues und weiteres folgerichtiges Betätigungsfeld von hoher politischer Relevanz ist seit einigen Jahren das Kunststoffrecycling. Unser Anspruch ist, ausgehend von unseren Erfahrungen mit Altpapier und dessen Sortierung, sowie der Aufbereitung von Ersatzbrennstoffen und deren thermischer Verwertung eine möglichst effiziente Sortierung von Abfallströmen. Auch hier steht der Nachhaltigkeitsgedanke im Vordergrund, die Verlängerung des Lebenszyklusses von Ressourcen an deren Ende erst die thermische Verwertung folgt. Wir wollen Vorreiter in der Sortiertechnik und damit auch regionaler Partner der Gemeinden werden, ähnlich einer Urban Mill. Auch die gemeinsame Nutzung von Wärme ist angedacht.

Steinbeis’sche Unternehmer-Gene: Sparsamkeit, Findigkeit, Verbundenheit

Wenn ich mich frage, ob es in unserem Unternehmen noch einen weiteren „genetischen Abdruck“ gibt, der auf die Ursprünge von Otto Steinbeis hinweist, kommen mir neben der inhaltlichen Ausrichtung die üblichen mittelständischen Attribute in den Sinn: Sparsamkeit, weil für das Bestehen im Markt die Mittel meist zu knapp waren und die Abhängigkeit von Banken aufgrund schmerzlicher Erfahrungen gescheut wurde, und daraus folgend eine notwendige Findigkeit im Erspüren von Nischen, in denen ein Auskommen abseits der großen Player möglich war. Aber auch die Verbundenheit zu langjährigen ebenfalls mittelständischen Lieferanten und Kunden gehört dazu, im Umkehrschluss also eine gewisse Skepsis gegenüber großen Kapitalgesellschaften. Ein Vorbehalt gegenüber Marketing und öffentlichem Auftreten und eher ein Vertrauen auf Techniker und Ingenieure führte zu einem eher introvertierten Selbstverständnis.

Wie sieht es nun mit der unternehmerischen Prägung der Familie aus? In Hayeks Definition des Unternehmers fällt doch auf, dass diesen wohl ein ziemlich unbeirrbarer Geist prägt, unabhängig von der Meinung anderer, durchsetzungsstark und visionär. Man könnte diese Eigenschaften auch anders benennen, nämlich eher egozentriert, wenig teamfähig und unfähig sich von außen gesetzten Regeln zu beugen. In Unternehmerfamilien tendiert man dazu seine Vorfahren mit der positiveren Brille zu betrachten. So werden die Geschichten zu Abenteuererzählungen und das Scheitern zu notwendigen Zutaten, die den Spannungsbogen erhalten.

Der Generationenwechsel: Vom Akteur zum Begleiter

Was aber, wenn das Unternehmen im Laufe der Zeit wächst und die einzelnen handelnden Personen notgedrungen in den Hintergrund treten, um einer stabileren Organisation Platz zu machen? Die positiv tradierten Vorbilder finden in einer festen Struktur keinen Platz, sie stören sogar. In unserer Familie hat der klassische Unternehmer vier Generationen bestimmt und geprägt, immerhin eine Generation länger als viele, auch internationale Sprichwörter wie „From clogs to clogs in three generations“ prognostizieren. Es war der letzten unternehmerisch aktiven Generation meiner Familie in weiser Voraussicht viel daran gelegen, das Unternehmen zwar mit einem klaren Kompass auszustatten, aber unabhängig von zu starken familiären Persönlichkeiten zu machen. Die Suche nach externen Managern, die zwar den Wertekanon und die inhaltliche Ausrichtung übernehmen, sonst aber frei agieren, hat sich als überaus erfolgreich gelungen herausgestellt. Die Zusammenarbeit mit den auch von Familienmitgliedern besetzten Gremien entwickelt sich vertrauensvoll und fruchtbar.

Unsere Familie wurde gut auf diese neue Rolle vorbereitet. Wir fühlen uns wohl in dem gegebenen inhaltlichen Rahmen, es gibt nach wie vor eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen und dessen Zielen. Keines der Familienmitglieder strebt nach der Unternehmerrolle, die aber auch gar nicht mehr vorgesehen ist. Auffallend ist allerdings, dass es innerhalb der Gesellschafter ein Fremdeln, oder sogar einen Widerwillen gibt, die eigene Unabhängigkeit aufzugeben. So gibt es niemanden in unserer Familie, der sich in einem Konzern oder anderen sehr starren Strukturen wohlfühlt. Ich vermute, dass dies in vielen Familienunternehmen der Fall ist. Die positive Darstellung von Unabhängigkeit und Unangepasstheit wird vielleicht doch weitergegeben.

 


Steinbeis Holding GmbH

Nachhaltigkeit ist der Industriewert der Zukunft. Ressourcen- und Energieeffizienz sichern die Produktivität der Wirtschaft und fördern die Biodiversität. Mit ihrem Beteiligungsengagement konzentriert sich die Steinbeis Holding auf Unternehmen in den Industriezweigen Energiewirtschaft, ökologische Papierproduktion, Kunststoffrecycling und Kreislaufwirtschaft. Eine vom Werteverständnis der Unternehmerfamilie Steinbeis über Generationen geprägte Investitionsstrategie.

Die mehr als 150-jährige Unternehmensgeschichte ist von der Papierindustrie sowie der Holz- und Forstwirtschaft geprägt, weitere bedeutende Kapitel der Familienchronik sind große Ingenieursleistungen wie beispielsweise der Bau der ersten Zahnradbahn in Deutschland 1912 oder die Produktion grafischer Papiere auf Basis des Sekundärrohstoffes Altpapier.

Autorin

Stephanie Ecker
Aufsichtsratsvorsitzende der Steinbeis Holding GmbH (München)

223476-01-04