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Erfolgreicher Technologietransfer: Vom Start-up zum innovativen Produzenten

Eine Unternehmensgeschichte, wie sie wohl auch Ferdinand von Steinbeis begleitet hätte

Die Bildverarbeitung stellt das technische Analogon zum menschlichen Sehsinn dar. Sie hat in der Technik eine ähnliche Bedeutung wie die Fähigkeit des Menschen, Bilder aufzunehmen und zu verarbeiten: Mehr als 90% der Informationen über seine Umwelt nimmt der Mensch über seinen Sehsinn auf. Mit dem technischen Pendant in Form digitaler Bildverarbeitungssensoren als Schlüsseltechnologie befasst sich in Ilmenau das Team des Steinbeis-Unternehmens Qualitätssicherung und Bildverarbeitung. Die Thüringer Experten sind mit ihrer fachlichen Expertise Innovationstreiber für Großunternehmen auf nationaler wie internationaler Ebene. Anfang der 1990er-Jahre haben Prof. Dr.-Ing. Gerhard Linß und Dr. Peter Brückner unter dem Dach der Steinbeis-Stiftung das Steinbeis-Transferzentrum Qualitätssicherung und Bildverarbeitung in Ilmenau gegründet und sind damit wirtschaftlich erfolgreich in den Technologietransfer gestartet.

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Wie alles begann

Wenn die Chemie stimmt, dann braucht es oft nicht viel für eine erfolgreiche Initialzündung – diese Erfahrung haben wir mit unseren Anfängen im Steinbeis-Verbund gemacht. Gezündet, um im Bild zu bleiben, hat es bei uns im Juni 1992 als bei der IHK Erfurt in Thüringen das Steinbeis-Modell in den neuen Bundesländern vorgestellt wurde. In dieser sehr bewegten Zeit, während der Transformation eines ganzen Staates, haben wir für den von uns angedachten Technologietransfer Chancen erkannt. Wir sind mit Steinbeis ins Gespräch gegangen, ob auch wir das Steinbeis-Transfermodell nutzen können. Wie unbürokratisch das möglich war, haben wir in den darauffolgenden Wochen erlebt. Nur zwei Monate später, im August 1992, waren wir voll geschäftsfähig mit unserem Steinbeis-Transferzentrum Qualitätssicherung und Bildverarbeitung, das wir in Ilmenau unter dem Steinbeis-Dach gegründet hatten.

Für ein erstes Projekt erhielten wir noch im Jahr 1992 unkompliziert einen Liquiditätskredit, den wir bereits nach einem halben Jahr wieder zurückzahlen konnten. Und nicht ohne Stolz können wir heute sagen, dass die Entwicklung unserer unternehmerischen Aktivitäten seitdem in großen Schritten steil bergauf ging. Maßgeblich gefördert haben dieses Wachstum unserer Transferaktivitäten auch die Synergien zwischen unserem Steinbeis-Unternehmen Qualitätssicherung und Bildverarbeitung und den Fachgebieten an der Technischen Universität Ilmenau. Auch die Universitätsleitung hat uns unterstützt und die Gründung weiterer Steinbeis-Unternehmen in Ilmenau maßgeblich gefördert. Mit dieser positiven Haltung im Rücken, entstanden am Standort Ilmenau weitere Steinbeis-Zentren mit Professoren.

Von der Entwicklung in die Produktion

Zwölf Jahre Transferarbeit und eine Vielzahl von Projekten später gelang uns der entscheidende Schritt hin zu einem produzierenden Zentrum unter dem Steinbeis-Dach: Als Innovationstreiber entwickelten wir in enger Zusammenarbeit mit der Carl Zeiss Industrielle Messtechnik GmbH ein neues optisches Sensorsystem für die hochgenaue, flexible optische Koordinatenmesstechnik, den videooptischen Sensor „ViSCAN”, und haben ihn in die Produktion überführt. Damit konnten wir das vorhandene taktile Messsystem um die Option der Bildverarbeitung ergänzen.

Der im Messvolumen frei positionierbare videooptische Sensor ermöglicht im Gesamtsystem die kombinierte taktile und berührungslose Messung komplexer Teile. Die schnelle und flexible elektronische Steuerung der Beleuchtung des ViSCAN-Sensors lieferte weltweit erstmalig die innovative Möglichkeit der vollautomatischen Einstellung der Parameter der Bildaufnahme.

Mit dem ViSCAN-Sensorsystem steht nun seit vielen Jahren ein umfangreiches und vielseitiges Baukastensystem zur Bildaufnahme, Bildauswertung und optischen Messung für die Koordinatenmessgeräte-Serie von Carl Zeiss zur Verfügung und wird bis heute produziert und weltweit eingesetzt.

Antrieb Innovation

Diesen Status als Entwickler und Produzent galt es in den darauffolgenden Jahren zu festigen. Das ist uns insbesondere mit unserem Transferprojekt 2008 mit der Reutlinger WAFIOS AG gelungen. Gemeinsam mit dem Spezialisten für Drahtverarbeitungsmaschinen entwickelten wir das Bildverarbeitungssystem „SpringTest“ für dessen Federwindemaschinen. Das System vermisst bis zu 900 Federn/Minute geometrisch, vergleicht sie mit den Toleranzen und sortiert sie.

Das Ziel des Projektes war die wesentlich vereinfachte Bedienung des Bildverarbeitungssystems an Federwindemaschinen, gleichzeitig sollte sich die Messgenauigkeit erhöhen. Ergebnis war das innovative und benutzerfreundliche Bildverarbeitungssystem „SpringTest“ für die hundertprozentige Qualitätsprüfung in der Federnproduktion. Der gewonnene Bedienkomfort für den Anwender lieferte WAFIOS einen deutlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz.

Unser Steinbeis-Transferzentrum konnte sich gleichzeitig als Produzent festigen, da wir neben der Entwicklung der neuen Bildverarbeitungssoftware auch kontinuierlich das gesamte Bildverarbeitungssystem zulieferten. Dafür entwickelten wir parallel zur Software eine industrietaugliche Messkamera mit Kabel und Beleuchtungen in verschiedenen Größen. Damit hat WAFIOS einen einheitlichen Zulieferer für das gesamte Bildverarbeitungssystem.

Braucht Innovation Zeit? Nicht unbedingt: Nur ein Jahr verging zwischen den ersten konkreten Gesprächen mit WAFIOS Anfang 2007 und der Fertigstellung der Prototypensysteme im März 2008, die nahtlos in die Serienproduktion in unserem Steinbeis-Transferzentrum übergingen. Die schnelle und erfolgreiche Implementierung des neuartigen Bildverarbeitungssystems in die Maschine war nur durch die enge Zusammenarbeit mit dem Steinbeis-Transferzentrum Federntechnik aus Ilmenau sowie dem Fachgebiet Maschinenelemente der Fakultät für Maschinenbau an der Technischen Universität Ilmenau möglich. Deren Unterstützung bei der Bedienung, Umrüstung und Testphase war ein wesentlicher Beitrag zur schnellen und erfolgreichen Realisierung des Projektes.

Es geht auch international

Als Entwicklungsdienstleister in einer immer globaler agierenden Wirtschaft ist die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern und Kunden heute Standard. Wir haben 2011 unser erstes Transferprojekt mit einem japanischen Partner abgeschlossen und davon auf vielen Ebenen profitiert. Für die NT TOOL Corporation aus Takahama-City haben wir eine intuitive Software für ein optisches Werkzeugvoreinstellgerät entwickelt.

NT TOOL war auf der Suche nach einem Partner für die Entwicklung eines neuen optischen Werkzeugvoreinstellgerätes (englisch OTP) zur berührungslosen Messung und Voreinstellung von unterschiedlichen Werkzeugen gewesen. Projektaufgabe für unser Steinbeis-Team waren Konzept, Entwicklung, Umsetzung und Erreichung der Serienreife einer touchscreenfähigen, intuitiven Bediensoftware für ein OTP.

Die neuartige Softwareoberfläche des von uns gemeinsam mit der design:lab weimar GmbH entwickelten OTP zeichnet sich durch eine klare Struktur aus und spiegelt in fünf sogenannten Paletten die wichtigsten fünf Arbeitsschritte des Bedieners wider. Alle für den jeweiligen Arbeitsschritt wichtigen Informationen stehen genau dann zur Verfügung, wenn sie benötigt werden und unwesentliche Informationen werden ausgeblendet. Eine besondere Funktionsintegration umfasst das entwickelte MagicEye. Es reflektiert logisch die Aktionen eines Bedieners an der Werkzeugspindel.

Dieses Transferprojekt ging in seinem Mehrwert weit über die technische Innovation hinaus. Es ermöglichte mehreren am Projekt beteiligten Studierenden ein Auslandspraktikum bei NT TOOL in Japan, was sich als Win-win-Situation für alle am Projekt Beteiligten herausstellte: Für die Studierenden als Meilenstein während ihrer Ausbildung und wichtige persönliche Erfahrung, für NT TOOL und unser Steinbeis-Team als wesentliche Brücke zwischen der japanischen und deutschen Kultur und eine erheblich vereinfachte Kommunikation. Denn die aktive Kommunikation war aufgrund der großen Entfernung und der Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschland und Japan ein eigenständiges, wichtiges Projektthema. Es umfasste auch den umfangreichen Know-how-Transfer an die japanischen Kollegen, um die fachlichen Grundlagen für zukünftige Entscheidungen zu legen.

Herausforderung Unternehmertum

In der Zusammenarbeit mit und den Anforderungen unserer Kunden zeigt sich wohl eine der zentralen Herausforderungen in der technischen Forschung und Entwicklung sowie Anwendung: Etwas Vorhandenes zu kopieren ist lediglich eine Fleißaufgabe, die am Ende aber kaum am Markt bestehen kann. Gleichzeitig soll auch nicht mit jedem Projekt das Rad neu erfunden werden. Die Herausforderung liegt daher darin, Bekanntes zu hinterfragen und bessere oder neue Lösungen zu finden und diese zur wirtschaftlich anerkannten Anwendung zu bringen – das klingt weit einfacher als es in der Praxis ist.

Der damit verbundene Transfer ist nur dann erfolgreich und von Dauer, wenn mehr als Ordner, Dateien, Publikationen und Produkte den Ort wechseln. Die Herausforderung besteht auf der einen Seite darin, die Know-how-Gebenden zu motivieren und davon zu überzeugen, dass der Transfer keinen Verlust, sondern einen Mehrwert bedeutet. Auf der anderen Seite muss den Know-how-Nehmern bewusst gemacht werden, dass es besser ist, zunächst etwas Fremdes und Neues zu übernehmen, weil dies die Grundlage für das Nächste, dann Eigene, ist. Dafür ist der unternehmerische Prozess hervorragend geeignet: Denn hier sind der Mehrwert und das Eigene prinzipbedingt und wirtschaftlich bewertet wesentlich.

Unseren unternehmerischen Weg bei Steinbeis sind wir klassisch mit einem rechtlich unselbstständigen Transferzentrum im Verbund gestartet. Dieses Transferzentrum bot uns den Rahmen, unseren unternehmerischen Technologietransferprozess erfolgreich zu gestalten und ermöglichte die Fertigung kleinerer Produktserien.

2011 haben wir den Schritt vom rechtlich unselbstständigen Transferzentrum innerhalb der Steinbeis GmbH & Co. KG für Technologietransfer hin zu einem eigenständigen Steinbeis-Unternehmen Qualitätssicherung und Bildverarbeitung gewagt. Dieser Schritt war für uns eine langfristige strategische Entscheidung der Unternehmensentwicklung, auch im Hinblick auf die Nachfolgeregelung.

Wir betrachten sowohl unser initiales Steinbeis-Transferzentrum als auch das Steinbeis-Unternehmen Qualitätssicherung und Bildverarbeitung (SQB) als Elemente einer gelungenen Wirtschaftsförderung durch Steinbeis. Steinbeis war unser Start-up-Mentor und ist heute unser Verbund, dem wir uns insbesondere durch den dezentralen, unternehmerischen Technologietransferprozess im zentralen Steinbeis-Rahmen verbunden fühlen.

Den Nachwuchs fest im Blick

Potenzielle Nachwuchskräfte kann man nicht früh genug fördern. Unsere unmittelbare Nähe zur Technischen Universität Ilmenau bietet für beide Seiten Vorteile: Studierende haben bei uns die Möglichkeit ihre Praktika, Projektseminare, Abschlussarbeiten in Verbindung mit dem Studium bis hin zu Promotionsarbeiten durchzuführen. Unsere Fachthemen sind die Querschnittsdisziplinen der industriellen Bildverarbeitung, Messtechnik, Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements. Wir profitieren von dieser Form der Zusammenarbeit ebenfalls und bekommen dadurch wertvolle Kontakte zu Nachwuchskräften. Die frühe Nachwuchsförderung ist auch Basis eines Netzwerks, in dem wir gemeinsam mit Partnern aus der Region Schüler- und Studierendenexkursionen zu Fachmessen unserer Branche organisieren.

Gemeinsam mehr erreichen

Im Umfeld der Technischen Universität Ilmenau ist aus diesem Netzwerk heraus das „Vision-Valley“ entstanden, das mit zahlreichen weiteren kleinen und mittelständischen Unternehmen zukünftige Fachleute der Bildverarbeitung gewinnen und fördern möchte.

Die Vernetzung in der Region und auch über die regionalen Grenzen hinaus ist uns ein wichtiges Anliegen und Motor für neue Ideen und Kooperationen, weshalb wir in verschiedenen Netzwerken aktiv mitarbeiten. Das sind insbesondere das Spectronet – International Collaboration Cluster for Photonics and Machine Vision und das Thüringer Zentrum für Maschinenbau (ThZM). Als aktives Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) gestalten wir Standards für die Qualität mit. Weiterhin arbeitet die SQB GmbH aktiv an einer Vielzahl von Forschungsprojekten und in projektbegleitenden Ausschüssen und Industriebeiräten mit, beispielsweise aktuell im Projekt Multimedia Green Tech Bearings (Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt) und im Verbundvorhaben RUBIN-AMI. Verschiedene Mitarbeiter sind auch in die berufsbegleitende Weiterbildung an der Hochschule Schmalkalden eingebunden sowie im Aufsichtsrat des CiS Forschungsinstituts für Mikrosensorik GmbH in Erfurt aktiv.

Das eigene Dach über dem Kopf

20 Jahre nach unseren ersten Schritten im Steinbeis-Verbund haben wir unsere Infrastruktur spür- und vor allem sichtbar unserem Erfolg angepasst. Zwischen 2011 und 2013 entstand unser Firmengebäude nahe dem Campus der Technischen Universität Ilmenau. Seitdem arbeitet unser Team auf 1.100 qm Nutzfläche und mit allen Anforderungen, die an eine moderne Produktion und an moderne Arbeitsbedingungen gestellt werden – eine wesentliche Voraussetzung, um für die Zukunft gewappnet zu sein.


Steinbeis-Unternehmen Qualitätssicherung und Bildverarbeitung (SQB)  – Von der Idee über die Entwicklung zur industriellen Anwendung

Seit 1992 berät das Steinbeis-Team um Prof. Dr.-Ing. habil. Gerhard Linß und Steffen Lübbecke in Ilmenau zur industriellen Bildverarbeitung und Automatisierung von Prüfprozessen. SQB hat seinen Sitz in direkter Nachbarschaft des Campus der Technischen Universität Ilmenau. Dieses innovative Umfeld sichert den permanenten Transfer neuester Forschungsergebnisse in die industrielle Praxis, aber auch der Praxiserfahrungen zurück in Forschung und Lehre.

Für ihre Transferprojekte wurden die Ilmenauer Experten schon mehrfach ausgezeichnet, unter anderem auch mit dem Transferpreis der Steinbeis-Stiftung – Löhn-Preis:

  • 2004: Entwicklung des videooptischen Sensors „ViSCAN“
    Projektpartner: Carl Zeiss Industrielle Messtechnik GmbH
    Mehr über das Projekt: https://bit.ly/3KJYnnl
  • 2008: Entwicklung eines innovativen Bildverarbeitungssystems zur Qualitätskontrolle in der Federnproduktion
    Projektpartner: WAFIOS AG
    Mehr über das Projekt: https://bit.ly/45ajGq9
  • 2011: Entwicklung einer intuitiven Software für ein neues optisches Werkzeugvoreinstellgerät
    Projektpartner: NT TOOL Corporation
    Mehr über das Projekt: https://bit.ly/44ieHCG

 

Autoren

Prof. Dr.-Ing. habil. Gerhard Linß und Steffen Lübbecke
Geschäftsführer der Steinbeis Qualitätssicherung und Bildverarbeitung GmbH (Ilmenau)

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