Schöne neue Arbeitswelt? Ein Erfahrungsbericht

Die bwcon auf dem Weg zu einer neuen Form der Zusammenarbeit

Am Anfang stand eine Überzeugung. Nämlich die, dass das eigene Unternehmen erfolgreicher sein kann, wenn alle Mitarbeitenden teamübergreifend zusammenarbeiten, die Kompetenzen ihrer Kolleginnen und Kollegen kennen und
Synergien zwischen verschiedenen Themen umsetzen. Das brachte die beiden bwcon-Geschäftsführer Alexandra Rudl und Dr.-Ing. Jürgen Jähnert dazu, den Schritt weg von einer traditionellen hierarchischen hin zu einer matrixorientierten Organisationsform zu gehen. Eine der wesentlichen Erfahrungen: Die neue Arbeitswelt ist kein Top-down-Projekt. In der TRANSFER berichtet Alexandra Rudl über ihren Weg dorthin.

Anfang 2022 haben wir uns als Team der Geschäftsführung die Frage gestellt, wie wir eine Organisationsstruktur entwickeln, die eine bessere Zusammenarbeit fördert und fordert. Eineinhalb Jahre später haben wir unsere Organisation inzwischen grundlegend verändert. Von einer klassisch hierarchischen Organisationsform sind wir zu einer Organisationsstruktur übergegangen, die an die Matrixorganisation angelehnt ist. Die Menschen arbeiten bei uns nun funktional, projektbasiert und nicht mehr in starren Teamstrukturen zusammen. Wir befinden uns nach wie vor mitten im Transformationsprozess, wollen aber den Weg beschreiben, den wir bislang gegangen sind. Und auch wenn jedes Unternehmen seinen eigenen Weg finden sollte: Als Innovationsnetzwerk liegt es in unserer bwcon-DNA, unser Wissen frühzeitig mit anderen Menschen und Organisationen zu teilen.

Erste Schritte und erste Ernüchterung

Ausgehend von unserem Kerngeschäft, nämlich die Befähigung und Begleitung von Unternehmen im (digitalen) Transformationsprozess, haben wir die Idee entwickelt, dass wir unsere Zusammenarbeit zukünftig an unseren Kernkompetenzen ausrichten. Daraus entstand zunächst das Konzept der agilen Kompetenzteams. Unsere Grundidee: Jede und jeder im Unternehmen, inklusive der Geschäftsleitung, sollte in mindestens zwei dieser agilen Teams mitarbeiten, damit wir ständig wechselnde Kommunikationsbeziehungen herstellen. Je nach Interesse, Kompetenz und Weiterentwicklungsziel sollten alle selbst entscheiden, wo sie mitarbeiten. Diese agilen Teams sollten zudem selbst eine Person ernennen, die sie koordiniert und Ansprechpartner für die Geschäftsleitung ist, aber keine Vorgesetztenrolle einnimmt, denn die Rolle der Teamleitung würde es in diesem Modell nicht mehr geben. Stattdessen entwickelten wir die Idee der persönlichen Führungskraft: Sie ist in einem 1:1-Verhältnis für mehrere Menschen verantwortlich, für die sie die Rolle eines Coachs einnimmt und die sie in ihrer Weiterentwicklung unterstützt.

Das Feedback der Belegschaft nach der ersten Präsentation des neuen Konzepts war ambivalent. Wir haben sehr viele verschiedene Rückmeldungen bekommen und uns wurde klar, dass es nicht möglich sein wird, diese teilweise sogar gegensätzlichen Meinungen in einem Konzept zusammenzubringen. Gleichzeitig war es uns wichtig, dass wir alle Menschen im Unternehmen in diesem Veränderungsprozess mitnehmen.

Aus diesem Anspruch entstand in Zusammenarbeit mit einer Kollegin, die viele Jahre Erfahrung in der Organisationsentwicklung hat, die Idee des „Kernteams“. In dieses Kernteam wurde aus jedem Team der bisherigen Struktur eine Person entsandt, die das Mandat hatte, gemeinsam mit den anderen Kernteammitgliedern zu überlegen, wie das von uns als Geschäftsleitung vorgestellte Konzept nun tatsächlich umgesetzt werden sollte.

Eine Belegschaft, die sich neu kennenlernt

Das Kernteam hat mehrere Monate intensiv zusammengearbeitet und unter anderem festgelegt, wie Struktur und Arbeitsweise der Kompetenzteams aussehen können. Außerdem erhielten die agilen Teams einen neuen Namen – wir nennen sie nun Homebases.

Interessant zu erleben war, wie lange sich dieser Kernteamprozess hingezogen hat, auch wenn uns bewusst war, dass ein Veränderungsprozess Zeit braucht. Die Dauer war unter anderem darin begründet, dass innerhalb des Kernteams zuerst ein Verständnis entstehen musste, wer was im Unternehmen macht und wer mit welchen Themen beschäftigt ist. Das hat uns in der Geschäftsleitung in unserer initialen Motivation bestärkt: Die Mitarbeitenden haben in den etablierten Teams bislang zu wenig voneinander gewusst und Synergien untereinander nicht ausreichend genutzt. Es wurde zu viel in Silos gearbeitet, die zwar Sicherheit geboten, aber nicht dazu beigetragen haben, dass wir bestmöglich auf ein gemeinsames Unternehmensziel hinarbeiten.

Gemeinsames Lernen für eine neue Art der Zusammenarbeit

Mittlerweile läuft die Arbeit in den Homebases seit rund einem Jahr. Auch wenn wir schon vor unserem Transformationsprozess verschiedene Austauschformate im Unternehmen hatten, so sehen wir jetzt verstärkt, dass sich ein echtes Interesse untereinander an der Arbeit der anderen entwickelt hat. Die Beschäftigung mit dem, was die Kolleginnen und Kollegen machen, ist notwendig für die eigene Arbeit geworden.

Ein Indikator dafür ist unser wöchentliches Wissenstransfer-Meeting, das es schon mehrere Jahre gibt und in dem jeweils eine Person ein aktuelles Thema vorstellt. Während dieses Meeting früher oft nur aus einem Frontalvortrag bestand und die anschließende Fragerunde sehr knapp ausfiel, sehen wir nun, wie im Nachgang an die Präsentation der Austausch und die Suche nach Synergien deutlich zugenommen hat. Auch die Qualität der Präsentationen ist in den letzten Monaten gestiegen, was wir darauf zurückführen, dass dem Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen ein höherer Wert beigemessen wird. Außerdem fördert diese Art der Zusammenarbeit nicht nur eine synergetische Arbeitsweise, sondern auch die Weiterbildung: Alle kommen nun regelmäßig mit neuen Themen in Berührung und entwickeln und entdecken so neue Interessen und Kompetenzen.

Natürlich haben die Homebases unterschiedlich schnell einen guten Arbeitsmodus gefunden. Denn die Person, die eine Homebase koordiniert, hatte vorher in vielen Fällen keine Vorgesetztenfunktion inne. Das bedeutet, dass viele der Koordinatorinnen und Koordinatoren sich erst einmal mit der Moderation und Koordination einer Gruppe von Menschen vertraut machen mussten. Dafür bieten wir nun regelmäßig interne Schulungen an, um unsere Mitarbeitenden fit in der Vorbereitung und Moderation von Abstimmungsprozessen zu machen. Und auch hier entwickelt sich das Team gerade ständig weiter.

Der Blick nach vorn

Aktuell erarbeitet das gesamte bwcon-Team ein Modell zur Verteilung des Organisationsbonus, denn mit unserer neuen Organisationsstruktur ist ein individuelles Prämienmodell nicht mehr vereinbar. In dem Modell, das gerade in der Abstimmung ist, nimmt die Entwicklung einer Feedbackkultur eine sehr große Rolle ein. Denn: Wenn die Verteilung des Organisationsbonus zukünftig über die Homebases und nicht mehr wie in hierarchisch geprägten Organisationen durch den Vorgesetzten erfolgt, dann wird es umso wichtiger, dass Feedback nicht nur top-down gegeben wird, sondern auch zwischen allen Menschen in einem Unternehmen, losgelöst von ihrer Rolle im Unternehmen.

Allen in der Organisation ist bewusst, dass wir uns immer noch weiterentwickeln müssen. In unserer neuen Struktur ist es enorm wichtig, dass sich alle aufeinander verlassen können, gemeinsam den wirtschaftlichen Erfolg im Blick haben, und sie erfordert ein hohes Maß an Selbstmanagement. Dies sind Kompetenzen, die in einer hierarchisch geführten Organisation nicht im gleichen Maß wichtig sind.

Für uns sind diese Kompetenzen nun zur Basis unserer Zusammenarbeit geworden und wir haben hier noch einiges an Trainingsbedarf. Als Ausdauersportlerin vergleiche ich den Transformationsprozess gerne mit einem Marathon: Es ist viel Training nötig, um ihn zu bestreiten, und während eines Marathons durchläuft man sehr viele verschiedene Phasen, in denen mal die Euphorie vorherrscht und es dann auch wieder Durchhänger und Zweifel gibt. Das Wichtigste ist dabei immer daran zu glauben, dass man die Herausforderung meistern kann und in Zeiten der Durchhänger nicht aufgibt. Und dies gilt auch für die Veränderung der Unternehmenskultur.


Mehr Verständnis füreinander und eine enge Zusammenarbeit in agilen Teams

Im Gespräch mit bwcon-Mitarbeiterin Yasmin Lesar

Frau Lesar, wenn Sie sich an die erste Vorstellung des neuen Organisationskonzepts zurückerinnern, was waren damals Ihre Gedanken?

Es waren viele Eindrücke auf einmal. Ich komme aus der Kommunikationsabteilung bei bwcon. In dieser Schnittstellenposition war mir schon länger aufgefallen, dass wir unser volles Potenzial noch nicht ausschöpfen. Wir stießen regelmäßig auf wiederkehrende Anfragen und entwarfen Konzepte, ohne zu wissen, dass ein anderes Team bereits am selben Thema arbeitete. Das führte zu ineffizienten Arbeitsprozessen und anderen Herausforderungen. Da­rüber hinaus hatten wir aufgrund mangelnder Transparenz nicht genügend Einblicke in die Aktivitäten der anderen Abteilungen, um darüber berichten zu können.

Die Aussicht auf ein neues Konzept erschien daher vielversprechend. Wir hofften, dass es helfen würde unsere Arbeitsabläufe zu optimieren und eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Teams zu fördern. Wir waren aber auch besorgt, dass unsere „kleine“ Service Unit inmitten des großen Transformationsprozesses übersehen werden könnte: In diesen Units werden zentrale Leistungen wie Kommunikation und Verwaltung organisiert. Im Gegensatz zur agilen Zusammensetzung der Homebases sind Service Units fixe Konstellationen.

Rückblickend denke ich, dass wir weniger Sorge vor einer Veränderung hatten, sondern mehr Angst vor dem Unbekannten. Eine Organisation ist grundsätzlich komplex, sodass wir gar nicht abschätzen konnten, wie die noch unbekannten Faktoren das eigene Arbeiten beeinflussen werden. Daher war es eine große Erleichterung zu wissen, dass unsere Geschäftsleitung kein fertiges Konzept präsentierte, sondern uns die Möglichkeit gab, unsere Ideen, Bedenken und Wünsche einzubringen – mehr noch: ein völlig eigenes Konzept erarbeiten zu dürfen.

Sie waren Teil des Kernteams, das das initiale Konzept mit Feedback aller Kolleginnen und Kollegen weiter konkretisiert hat. Geben Sie uns einen kleinen Einblick, wie die Arbeit in diesem Kernteam ablief.

Aus heutiger Sicht unterscheidet sich unser Konzept nicht drastisch vom Konzept der Geschäftsleitung. Es war für uns als Kernteam aber wichtig, einen neuen Startpunkt zu haben und unsere Organisation aktiv mitzugestalten.

Dafür war es entscheidend unsere eigenen Prozesse zu verstehen. Wir haben schnell gemerkt, dass wir zu wenig Wissen über die Tätigkeiten und Fähigkeiten unserer Kolleginnen und Kollegen hatten. Es erstaunt mich noch heute, dass wir Steckbriefe über die Abteilungen und die einzelnen Mitarbeitenden erstellen mussten, um zu wissen, welche Potenziale in uns stecken. Diese Ausarbeitungen haben viel Zeit in Anspruch genommen, waren aus meiner Sicht aber entscheidend und unverzichtbar.

Sobald wir uns als Team und unsere Dienstleistungen besser verstanden hatten, konnten wir das restliche Konzept organisch entwickeln. Wir haben den Blick auf unsere Kundinnen und Kunden gerichtet und überlegt, was für sie am besten wäre. Rückblickend hat das Kernteam ab diesem Punkt selbst einen Transformationsprozess durchlaufen. Anfangs ging es vor allem da­rum, die Bedürfnisse unserer „alten“ Teams zu vertreten. Doch nun konnten wir als Kernteam losgelöst von alten Strukturen diskutieren. Generisch formuliert: Wenn wir uns gesehen und gehört fühlen, sind wir in der Lage unseren eigenen Horizont zu erweitern.

Wir haben daraufhin versucht, ein in jeder Hinsicht perfektes Modell für bwcon zu entwickeln. An einem Punkt griff die Geschäftsleitung ein und schlug vor, dass wir in einem iterativen Prozess einfach anfangen sollten. Ich denke, es war im Nachhinein entscheidend, dass uns der Druck genommen wurde, etwas Perfektes präsentieren zu müssen. Als Organisation konnten wir gemeinsam einen Probelauf starten und kontinuierlich dazulernen.

Für mich war es eine einzigartige Erfahrung Teil des Kernteams zu sein. Es war herausfordernd, da die Teammeetings viel Zeit und zusätzliche Arbeit erforderten. Dennoch hatte ich immer das Gefühl, dass das Kernteam sich seiner Verantwortung sehr bewusst war und gemeinsam auf ein Ziel hinarbeitete. Durch unsere zahlreichen und intensiven Diskussionen habe ich meine Kolleginnen und Kollegen aus einer völlig neuen Perspektive kennengelernt.

Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Monaten nun durch den Transformationsprozess verändert?

Nachdem wir die Homebases aufgesetzt hatten, war es äußerst spannend, die verschiedenen Themen näher kennenzulernen und die Chance zu haben, uns in neuen Feldern weiterzuentwickeln. Durch die interdisziplinäre Zusammensetzung konnte ich mit Kolleginnen und Kollegen arbeiten, mit denen ich normalerweise nur wenig bis keine Berührungspunkte hatte. Dadurch konnten wir uns und unsere Aufgaben auf einer anderen Ebene kennenlernen. Ich habe das Gefühl, dass wir nun mehr Verständnis füreinander aufbringen, durch die engere Zusammenarbeit Synergien erkennen und uns schneller zu agilen Teams zusammenschließen können.

Der Transformationsprozess brachte zu Beginn aber auch Herausforderungen mit sich. Durch die Homebases eröffnete sich eine Vielzahl neuer Beteiligungsmöglichkeiten und beflügelt von meiner Neugier habe ich mir möglicherweise zu viel aufgeladen. Durch Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen weiß ich, dass es auch anderen so ging. Wir mussten uns dann neu fokussieren und auf bestimmte Interessen und Homebases beschränken, um auch einen echten Mehrwert in den Gruppen beisteuern zu können.

Eine weitere Challenge war die neue Doppelrolle, die viele von uns einnehmen mussten. Neben meiner Tätigkeit im Kommunikationsteam bin ich nun auch Mitglied einer Homebase, die nur wenig mit meiner ursprünglichen Rolle zu tun hat. Dadurch ergeben sich viele neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Ich bin Koordinatorin der Homebase und musste mit den wachsenden Aufgaben und dieser neuen Rolle erkennen, dass ich ihr zunächst nicht gerecht werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt erhielt ich auch das Feedback, die Termine strukturierter vorzubereiten und zu leiten. Durch die angebotenen Moderationsschulungen konnte ich viel dazulernen und in meiner neuen Rolle wachsen.

Ich bin dankbar dafür, dass wir die Möglichkeit hatten, unsere Bedenken anzusprechen und aktiv an der Verbesserung der Arbeitsabläufe mitzuwirken. Es war eine wertvolle Erfahrung, die gezeigt hat, wie wichtig offene Kommunikation und Zusammenarbeit sind, um Hindernisse zu überwinden und positive Veränderungen herbeizuführen. Ich bin optimistisch und freue mich auf die zukünftige Entwicklung bei bwcon.


3 Fragen an Alexandra Rudl

 

Kontakt

Alexandra Rudl (Autorin Beitrag)
Geschäftsführerin
bwcon GmbH (Stuttgart)
www.bwcon.de

Yasmin Lesar (Interviewpartnerin)
Mitarbeiterin
bwcon research gGmbH (Stuttgart)
www.bwcon.de

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