Neue Denkmuster sind gefragt: der Mittelstand im Wandel

Ein Stralsunder Experten-Team liefert Ansätze, damit die deutsche Wirtschaft weiterhin auf einem erfolgreichen Mittelstand fußt

Innovation, Qualität und Wandel sind stete Begleiter des deutschen Mittelstands. Von „Gründerwellen“ zu „Pleitewellen“, vom „Wirtschaftswunder“ zum „Sorgenkind“ der Wirtschaftspolitik durchläuft der deutsche Mittelstand eine Transformation. Dennoch gilt der Mittelstand auch weiterhin als Zugmaschine der deutschen Wirtschaft und sichert sich mithilfe von Konzentration und internationalen Kooperationen den Anschluss an neue Technologien und Geschäftsmodelle. Dadurch sind sogenannte transnationale und multinationale Unternehmungen mit großer ökonomischer Macht und beträchtlichen Innovationspotenzialen entstanden und prägen heute die Unternehmenslandkarte in Deutschland. Ein Experten-team der Hochschule Stralsund und des Steinbeis-Transferzentrums Projektierung und Evaluierung von Netzwerken beschäftigt sich damit, wie der Mittelstand die aktuellen Herausforderungen erfolgreich meistern kann.

New Mittelstand: Kombination aus traditionellem Mittelstand und Start-up

 

Die zentralen Merkmale einer Marktwirtschaft sind ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. Trotz stetiger Konzentrationsprozesse und internationaler Konkurrenz gibt es in Deutschland weiterhin zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die eine hohe gesellschafts- und ordnungspolitische Bedeutung besitzen und einen signifikanten Beitrag für die Wettbewerbskraft und Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sowie der regionalen Daseinsvorsorge leisten. [1] Mit KMU in Deutschland verbindet man vor allem Tradition, regionale Verwurzelung und Stabilität. Eine besondere Rolle als „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“ scheinen dabei bis heute die vielen Familienunternehmen und insbesondere die „Familiendynastien“ zu spielen. Allerdings befinden sich alle Unternehmen in einer zunehmend volatilen Umgebung mit zahlreichen globalen und regionalen Herausforderungen.

Technologien, globale Krisen und instabile Wertschöpfungsketten erfordern ständige Anpassungsreaktionen der Unternehmen. Somit stellt sich die Frage: Müssen wir den Mittelstand neu interpretieren und neu denken? Ja. Und zwar aus zwei Perspektiven. Zum einen im Hinblick darauf, dass eine Innovation ein traditionelles Geschäftsmodell verdrängen kann, und zum anderen, dass die Bedeutung des Mittelstands für die Standortentwicklung und Daseinsvorsorge stärker in den Blickpunkt gerückt werden sollte.

KMU sichern Standort­attraktivität und regionale Lebensperspektiven

Produkt-, Prozess-, Problemlösungs- sowie Partnerinnovationen sind die Grundlage für unternehmerische, regionale und internationale Wettbewerbsfähigkeit. [2] Setzen wir den Fokus auf die Standortattraktivität und regionalen Lebensperspektiven, die von Unternehmen ausgehen, so hat eine quantitative Abgrenzung der KMU zu Großunternehmen [3] in der Wirtschaftspraxis wenig Bedeutung. In den kommenden Jahren gilt es, der Innovationskultur sowie der regionalen und gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen „vor Ort“ unabhängig von der Größe oder gar Konzernzugehörigkeit des Standortbetriebs noch mehr Beachtung zu schenken.

Handwerksunternehmen, Einzelhandelsgeschäfte, Hotels und Restaurants, Standortbetriebe von Konzernen und vor allem Start-ups [4] sowie Co-Working-Spaces als „Revolution“ der Arbeitswelt [5] prägen mit ihren regionalen Aktivitäten die Standortattraktivität und die Zukunftsperspektiven einer Stadt und Region. Die Vielfalt der individuellen Herausforderungen der Unternehmen innerhalb ihrer Wertschöpfungsketten ist groß und dennoch ist die Kooperation eben dieser verschiedenen Geschäftsmodelle, Kulturen und Märkte der Unternehmen eine Antwort auf den stetigen Wandel und die Sicherung von regionaler Wertschöpfung.

Der Blick in die Zukunft ist schon seit einigen Jahren beunruhigend. Laut dem KfW-Innovationsbericht Mittelstand 2019 weist die sogenannte Innovatorenquote in den letzten Jahren einen eindeutigen Trend nach unten auf. Demnach ist „die Innovatorenquote im Mittelstand erneut um 4 % auf nunmehr 19 % gesunken. Damit beläuft sich der Anteil innovativer Mittelständler auf dem niedrigsten Stand seit dem Start der Erfassung der Innovationsaktivitäten mit dem KfW-Mittelstandspanel vor rund 1½ Jahrzehnten. Gegenüber dem Höchststand 2004/2006 hat sich der Anteil innovativer Mittelständler mehr als halbiert (-56 %).“ [6] Zwar kann der Mittelstand durchaus als Nachhaltigkeitschampion mit langfristiger Unternehmensausrichtung bezeichnet werden, aber er läuft Gefahr seinen einstigen Vorsprung und seine Innovationsbereitschaft sowie die Umsetzung marktfähiger und neuer Innovationen einzubüßen.

Der New Mittelstand als Rezept für eine nachhaltige Zukunftswirtschaft?

Der Mittelstand verliert zunehmend an Strahlkraft und Zukunftsausrichtung. Allerdings ist ein Strategie- und Kulturwandel nicht von heute auf morgen zu realisieren. Wollen die KMU in den kommenden Jahren die Herausforderungen und die Transformation meistern, spricht einiges dafür, das Beste aus traditionellem Mittelstand und Start-ups zu kombinieren. Dazu ist ein Veränderungsmanagement bei den Mittelständlern nötig. Es geht dabei um Themenbereiche wie Innovationsmanagement, Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Leadership und Unternehmensnachfolge.

Obwohl Futurologen gelegentlich schon das Aussterben von KMU ankündigten, bilden sie bis heute gesamtwirtschaftlich betrachtet das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Den mittelständischen Unternehmen wird insbesondere Marktnähe und Vielseitigkeit, Flexibilität, Leistungsfähigkeit und Stabilität, Nähe zu den Kunden und Mitarbeitern sowie eine verantwortliche Unternehmensführung und regionales wie gesellschaftliches Engagement zugeschrieben. Sie sind nicht die „Miniaturausgabe“ von Großunternehmen und Konzernen und haben durchaus ihre Stärken und besondere Erfolgsfaktoren, die für den Transformationsprozess wichtig sind. [7] Es sind Werte und Attribute, die für eine zukunftsfähige Form des Mittelstands und des Familienunternehmertums sprechen. Die zahlreichen anstehenden Unternehmensnachfolgen sind eine Herausforderung, bieten aber auch die Chance, neue Strukturen und zukunftsträchtige Geschäftsmodelle zu etablieren.

Die sinkende Innovatorenquote signalisiert dem Mittelstand, dass die traditionellen Stärken allein nicht mehr ausreichen, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein. Laut Evgeni Kouris (Gründer der New Mittelstand GmbH), Diana Scholl (New Mittelstand Botschafterin und Leiterin politische Netzwerke und Strategie beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft) und Aileen Moeck (Zukunftsforscherin und Botschafterin New Mittelstand) sind die traditionellen Werte der KMU auch im New Mittelstand gefragt. Ausgehend von der New-Mittelstand-Vision der New-Mittelstand-Community zeichnen sich diese Unternehmen durch eine positive, nachhaltige und authentische Vision sowie eine ganzheitliche und flexible Innovationsstrategie aus, die mit einer transformativen und zukunftsgerichteten Führungskultur einhergehen. Im Fokus stehen qualitatives, sinnstiftendes und purpose-orientiertes Wirtschaften sowie die Offenheit zum vernetzten Kompetenzmanagement.

Die Rahmenbedingungen auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft

Patentrezepte gibt es nicht, um innerhalb kürzester Zeit in mittelständischen Unternehmen eine neue, innovative Qualität der Unternehmensführung zu etablieren. Dass aktuell mindestens drei sehr unterschiedliche Generationen aktiv die Gesellschaft und die Organisationen gestalten, stellt bereits eine Herausforderung dar. Kollaboration, also die aktive Zusammenarbeit von Menschen an gemeinsamen Projekten und einer gemeinsam zu lösenden Aufgabe ohne streng definierte Systemgrenzen, hat nicht nur Befürworter. Interdisziplinäres, interhierarchisches und zugleich pragmatisches Handeln hat sich in vielen Unternehmen noch nicht durchgesetzt. Der Weg von einer weit verbreiteten Misstrauens- zu einer Vertrauenskultur ist steinig. Kommunikation und Offenheit nach innen und außen sind wichtige Voraussetzungen für den Aufbau einer Innovationskultur. Dazu gehört auch „Tue Gutes und rede darüber“. In diesem Zusammenhang werden die Digital Natives und Start-ups als treibende Kraft für Innovationen, Wirtschaftswachstum und Wohlstand betrachtet.

Bei all diesen Anforderungen und den damit verbundenen Veränderungen, darf nicht übersehen werden, dass es einer Politik bedarf, die diesen Wandel mitträgt und unterstützt. Viele Mittelständler sagen, dass sie den sinnvollen Wandel interner Projekte unterstützen und vorantreiben würden, allerdings stehen immer noch zu viele bürokratische Hürden und eine mangelnde Versorgung mit schnellem Internet im Wege. Es ist eine gemeinsame Aufgabe von Unternehmen, Politik und Ausbildungsinstitutionen jene Rahmenbedingungen zu schaffen und zu fördern, die den Mittelstand wieder dorthin führen, wo er hingehört – an die Spitze. Der Mittelstand ist die Zugmaschine für Innovation, Kundenorientierung und Wirtschaft auf dem Gleis Richtung Wachstum, Wohlstand und Zukunft.

Kontakt

Prof. Dr. Norbert Zdrowomyslaw (Autor)
Freiberuflicher Projektleiter
Steinbeis-Transferzentrum Projektierung und Evaluierung von Netzwerken (Stralsund)

Prof. Dr. Heiko Auerbach (Autor)
Professor für Entrepreneurship – Marketing – Sales
Hochschule Stralsund

Christian Wulf (Autor)
Standortleitung
Assecor GmbH (Stralsund)

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