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„Der Mittelstand ist nach wie vor das Rückgrat der deutschen Wirtschaft“

Im Gespräch mit Steinbeis-Unternehmer Dr. Oliver Hettmer

Die Herausforderungen, denen mittelständische Unternehmen gegenüberstehen, sind vielfältig und anspruchsvoll wie selten zuvor. Dr. Oliver Hettmer ist Experte für Mittelstandsthemen und zeigt im Gespräch mit der TRANSFER, wie der Mittelstand für diese Anforderungen gewappnet ist. In seinem Steinbeis-Transferzentrum Managementseminare & Mittelstandsberatung bietet er vielfältige Unterstützung für den Unternehmensalltag.

Herr Dr. Hettmer, seit mehr als 25 Jahren sind Sie in Fragen des Mittelstands aktiv, wie hat sich der deutsche Mittelstand in dieser Zeit entwickelt?

Der Mittelstand ist nach wie vor das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und ein bedeutender Innovator. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Herausforderungen, denen sich mittelständische Unternehmen in den letzten Jahren zu stellen hatten, ist das nicht selbstverständlich. Denken Sie nur an die Finanzierungsprobleme nach der Finanz- und Wirtschaftskrise, an die Corona-Belastungen und an die Widrigkeiten im Außenhandel durch Protektionismus, Sanktionen und Krieg. Hinzu kommen die Notwendigkeit zur Digitalisierung und die Folgen des Fachkräftemangels trotz einer Rezession. All diese Umstände führen dazu, dass nicht alle traditionellen mittelständischen Unternehmen überleben konnten. Aber gemäß dem Nationalökonomen Joseph Schumpeter eröffnet die sogenannte schöpferische Zerstörung auch Chancen für einen Branchen- und Strukturwandel sowie für die Etablierung von Start-up-Unternehmen als kommender Mittelstand.

New Mittelstand – so prägnant wie der Begriff, so vielfältig sind die Erwartungen daran. Was verstehen Sie als Mittelstandsexperte konkret darunter, welche Eigenschaften machen ein New-Mittelstand-Unternehmen aus Ihrer Sicht aus?

Der New Mittelstand ist als Synthese aus klassischem Mittelstand und Start-up-Unternehmen zu verstehen. Hier lassen sich die Vorzüge aus beiden „Welten“ vereinen: Tradition und Zukunft. Ein New-Mittelstand-Unternehmen lässt sich durch eine positive, nachhaltige und authentische Vision charakterisieren. Mit einer ganzheitlich angelegten Innovationsstrategie und einer transformativen Führungskultur ist eine zukunftsweisende Unternehmensentwicklung vorgezeichnet.

Wie kann aus Ihrer Sicht die Transformation zum New Mittelstand gelingen?

Es bedarf einer Kultur der Offenheit mit kurzen Kommunikations- und Entscheidungswegen im Unternehmen. Außerdem ist ein Change Management in den Unternehmen notwendig, das den Wandel begleitet. Hinzu kommt die Möglichkeit für agiles Arbeiten und Remote Work. Denn gerade der Mittelstand ist aufgrund seiner Größe für neue Arbeitsformen prädestiniert. Die Digitalisierung kommt hier wie gerufen. Es bedarf aber auch des Loslassens und des Verabschiedens von der Möglichkeit zur intensiven Kontrolle der Beschäftigten. Eine neue gegenseitige Vertrauenskultur von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist nötig. Vor dem Hintergrund der ökologischen Herausforderungen und des Fachkräftemangels bedarf es eines ganzheitlichen verantwortungsvollen Ressourcenmanagements.

Sie stehen mit zahlreichen Mittelständlern in Kontakt: Mit welchen Themen kommen Unternehmen aktuell vorwiegend auf Sie zu?

Die Gewinnung von Fachkräften ist zurzeit das primäre Anliegen unserer Kunden. Denn inzwischen ist ein branchenübergreifender Verdrängungswettbewerb am Arbeitsmarkt im Gange. Den können nur die Unternehmen gewinnen, die mit einer besonderen Arbeitgeberattraktivität punkten und sich durch die sogenannte Employer Value Proposition, den strategischen Kern einer Arbeitgebermarke, vom Wettbewerb abheben können. Unseren Kunden bieten wir hierzu unternehmensindividuelle Beratung und die Teilnahme an offenen Seminaren an. Employer Branding und die digitale Mitarbeitergewinnung sind hier besonders hervorzuheben. Dazu gehört das Ausschöpfen von Potenzialen bei Google mit Google Ads, Google for Jobs, einem Google-Unternehmensprofil und YouTube. Auch Social Media bietet natürlich vielfältige Möglichkeiten. Aber es bedarf dabei entsprechender Professionalität, um eine hohe Effizienz der Maßnahmen sicherstellen zu können.

Im Zusammenhang mit der Transformation spielt aber auch die neue EU-Maschinenverordnung eine Rolle, die die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ablöst. Hier wird verstärkt dem zunehmenden Einsatz von Software und sogenannten autonomen Systemen mit selbstlernenden Funktionen Rechnung getragen. Das führt unter anderem zu erweiterten Anforderungen an die Risikobeurteilung. Vor diesem Hintergrund haben wir ein spezielles Seminar konzipiert, das seit September buchbar ist: „Die neue EU-Maschinenverordnung 2023 – was ändert sich gegenüber der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG?“

Im Kontext der rezessiven Konjunkturentwicklung stelle ich in verstärktem Maße aber auch Seminaranfragen zu Einkaufsthemen sowie Anfragen zu Maßnahmen der Kundengewinnung fest. Im Kontext der Transformation zum New Mittelstand wird organisatorische Unterstützung nachgefragt, um Mitarbeitende explizit einzubinden. Durch moderierte Workshops zur Unternehmensanalyse und -entwicklung lassen sich aus Betroffenen Beteiligte machen.

Welche Chancen bringt diese Transformation für Unternehmen und welche Hürden sind dabei zu überwinden?

Die Chance liegt nicht nur in der Existenzsicherung in einer sich turbulent verändernden Wirtschaftswelt. Sie besteht auch darin, als attraktiver Arbeitgeber einen Wachstumspfad unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten beschreiten zu können. Die Hürden sind zum einen globaler Natur, was die Unvorhersehbarkeit von Krisen und die zunehmende Intensität des Wettbewerbs anbelangt. Zum anderen liegen sie in finanziellen und planerischen Herausforderungen, wenn man an unklare gesetzliche Rahmenbedingungen denkt.

Verändert der Transformationsprozess zum New Mittelstand auch die Arbeit Ihres Steinbeis-Unternehmens?

Hinter den Kulissen hält die Digitalisierung in verstärktem Maße Einzug. Im sichtbaren Bereich ist es die kontinuierliche Anpassung von Seminar- und Vortragsthemen und die Gestaltung entsprechender Beratungsangebote, um mittelständischen Unternehmen gezielt Unterstützung anbieten zu können. Denn nichts ist so beständig wie der Wandel.

Kontakt

Dr. Oliver Hettmer (Interviewpartner)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Managementseminare & Mittelstandsberatung (Winnenden)
www.stzm.de

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