© Jan Walford

„Es zeichnet sich ein Wandel hin zu einer anderen, kollaborativen Arbeitsweise ab“

Im Gespräch mit Professor Dr. Sebastian Feldmann über Automatisierung, KI und die künftige Zusammenarbeit von Mensch und Maschine

Das Potenzial, das Systeme künstlicher Intelligenz mit sich bringen, lässt sich trotz der rasanten Entwicklung heute wohl nur vage erkennen und einschätzen. Was sicher ist: Sie werden unsere Arbeitswelt fundamental verändern. Die TRANSFER hat sich mit Professor Dr. Sebastian Feldmann, Steinbeis-Unternehmer und Studiendekan an der Hochschule Aalen, über Chancen wie Herausforderungen ausgetauscht. Wobei, der Steinbeis-Experte hatte dann doch noch unerwartet Unterstützung bei der Beantwortung unserer Fragen. Aber der Reihe nach.

Herr Professor Feldmann, künstliche Intelligenz und die Automatisierung generell bestimmen die Zukunft der Wirtschaft. Bei KMU, deren finanzielle sowie personelle Ressourcen oft begrenzt sind, erfolgt die Implementierung dieser Technologien häufig später als in Großunternehmen. Wie kann es KMU dennoch gelingen, von solchen Entwicklungen zu profitieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern?

Aus meiner Sicht spielt das Thema Barrierefreiheit die größte Rolle. KI-Systeme ermöglichen es gerade durch die barrierefreie Anwendung und Interaktion mit dem menschlichen Gegenüber neue Synergien zu schaffen. Sie sind in der Lage selbst zu lernen und sich zu optimieren, Beispiele wie ChatGPT verdeutlichen das Potenzial. Davon werden meiner Meinung nach insbesondere KMU profitieren. Mitarbeiter können weiter von unnötigen und zeitraubenden Aufgaben entlastet werden. Außerdem können KI-Systeme helfen, neue Mitarbeiterressourcen für kleine und mittlere Unternehmen zu erschließen. Beispielsweise kann eine KI in Form eines virtuellen Interaktionspartners als Assistenz ältere Mitarbeiter oder Mitarbeiter mit sprachlichen Barrieren bei Handlungsschritten unterstützen. Neue oder auch Mitarbeiter mit Migrationshintergrund können sich mit dieser Assistenz wesentlich schneller im Unternehmen zurechtfinden. Solche Systeme sind multilingual und können Sachverhalte ohne Sprachbarriere vermitteln. Auch Aufgaben am Empfang oder in der Kundeninteraktion können mit virtuellen Assistenten weiter automatisiert werden. So stehen Mitarbeiterressourcen zukünftig vermehrt für kreative Prozesse und Neuentwicklungen zur Verfügung.

Aus meiner Sicht wird die Effizienz von KMU durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz nachhaltig steigen. Um diese Potenziale zu erschließen, hängt aber alles vom Verständnis ab, das die Mitarbeiter eines Unternehmens für den Einsatz von KI-Systemen mitbringen. Hier ist zum einen ein hohes Maß an kontinuierlicher Weiterbildung notwendig, zum anderen ist die Geschäftsführung gefragt, um die persönliche Begeisterung für diese Technologie zu wecken.

Welche Rolle spielt dabei der Wissens- und Technologietransfer aus der Forschung in die Industrie?

Systeme mit künstlicher Intelligenz werden zukünftig als Akzelerator für die Entwicklung von Produkten und Wertschöpfungsprozessen dienen. Dadurch werden völlig neue Produktkategorien möglich, aber auch bestehende Produkte und Prozesse werden nachhaltig angereichert. Die Rechenleistung von KI-Systemen liegt oftmals in der Cloud, das bietet eine hohe Konnektivität zu weiteren Systemen und die Kopplung mit verschiedensten Anwendungen eines Unternehmens. Dass KI-Systeme nur für einen einzigen Zweck verwendet werden, wird es zukünftig nicht mehr geben. Der Trend geht eindeutig hin zur Entwicklung generalistischer KI-Systeme, die unter Einbeziehung von Feedback-Loops aus verschiedenen Datenquellen Kontext generieren. Die Verfügbarkeit und Konsistenz von Informationen aus Sensordaten oder der Benutzerinteraktion spielen hierbei eine immer entscheidendere Rolle. Die Art, wie neues Wissen generiert wird und der Forschungstransfer stattfindet, wird sich grundlegend ändern. Wie wird zukünftig beispielsweise eine in der Forschung entwickelte KI in einen Unternehmensprozess implementiert? Hier kann nicht mehr „nur“ eine mathematische Formel zum Berechnen einer Betriebsfestigkeit weitergegeben werden. Oftmals handelt es sich bei KI-Anwendungen um komplexe Modelle, die autonom bestimmte Entscheidungsprozesse unterstützen und neues Wissen erzeugen. Der Know-­how-Transfer geschieht aktuell größtenteils manuell unter Verwendung von sehr speziellem Expertenwissen. Ich denke, dass gerade hier eine neue Art von Prozess entstehen wird: Er wird Ergebnisse, die Forschungsgruppen mit KI-Systemen erzielt haben, in die Industrie transferieren. Das wird sich auch in den Ausbildungsangeboten an den Hochschulen widerspiegeln – vielleicht entstehen dann Studiengänge für Industrial-KI-Artists oder KI-Kommunikationspsychologen.

Mit welchen konkreten Problemstellungen wenden sich Ihre Kunden an Sie?

Ein Unternehmen kam beispielsweise auf mich zu, mit der Frage, ob eine künstliche Intelligenz helfen kann, Fehler und deren Ursachen in einem Produktionsprozess besser zu verstehen. Es handelt sich um ein äußerst komplexes Verfahren eines deutschen Automobilzulieferers, bei dem Kraftstoffleitungen für einen Motor produziert werden. Die Komponenten der Leitungen benötigen ein hohes Maß an Dichtigkeit und müssen in einem Brennofen miteinander verlötet werden. Die von uns entwickelte KI ist in der Lage, verschiedene Daten der Roboter, Sensoren und von Steuerungen cloudbasiert zu analysieren und die Ursachen von Fehlern selbstständig zu finden. Es zeigte sich aber, dass die Konsistenz und Vollständigkeit der Datenbasis ebenso wichtig sind, wie das Modell der trainierten KI selbst. Bestimmte Informationen des Prozesses wurden noch gar nicht über die Sensoren und Steuerungen erfasst oder konnten nicht erfasst werden. Also war ein weiteres System notwendig, das die Informationen der Produktionsmitarbeiter in Echtzeit berücksichtigt. In dem da­raus entstandenen Entwicklungsprojekt konzentrierten wir uns auf die barrierefreie Informationserfassung im Rahmen einer KI-Werkstatt. Ein weiterer typischer industrieller Anwendungsfall liegt in der Erfassung und Auswertung von Qualitätsinformationen direkt im Prozess. Diese Informationen werden zur Adaption der Maschinenparameter genutzt.

KI bietet große Chancen, führt aber bei vielen auch zu Verunsicherung und Angst vor dem Arbeitsplatzverlust. Werden Sie bei Ihren Projekten auch damit konfrontiert?

KI-Systeme sind heute schon in der Lage, Kunst zu erzeugen, Geschichten zu erzählen oder unter Anleitung selbstständig Programmieraufgaben zu übernehmen. Es wird einen massiven Umbruch in der Arbeits- und Bildungswelt geben, der ein grundlegendes Überdenken bestehender Berufsbilder notwendig macht. Und es wird schwierig sein mit der Geschwindigkeit der Entwicklungen in diesem Bereich Schritt zu halten. Ich möchte aus dieser Perspektive einen Denkanstoß geben: Computer wurden eingeführt mit der Begründung, dass der Mensch von einfachen repetitiven Tätigkeiten entlastet wird und dadurch mehr Zeit für das Wesentliche haben wird. Die gleiche Begründung gab es bei der Einführung von Robotern in der Produktion. Tatsächlich ist aber genau das Gegenteil geschehen: Die Aufgabenpakete sind aufgrund der Vorgaben der Maschine sehr einfach gestrickt oder eben sehr komplex geworden. Die Aufgaben in der Arbeitswelt haben sich generell sehr stark verdichtet. Man ist überall erreichbar und es fehlen dringend Fachkräfte, die sich mit den immer komplexer werdenden technischen Systemen auskennen. Meines Erachtens zeichnet sich hier ein Wandel hin zu einer anderen, kollaborativen Arbeitsweise ab. Eine KI wird als wirklicher virtueller Assistent wahrgenommen und vom Menschen begleitet und überwacht werden. Allerdings müssen wir darauf achten, dass der „normale“ Arbeitnehmer nicht noch weiter von diesen Entwicklungen entkoppelt wird.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft von KI und Automatisierung: Wo geht Ihrer Meinung nach die Reise hin, gerade für KMU?

„In Zukunft wird KI und Automatisierung immer stärker in den KMU-Bereich vordringen. Es wird mehr Möglichkeiten für automatisierte Prozesse, Datenauswertungen und Prognosen geben, die Unternehmen dabei unterstützen, ihre Geschäftsabläufe zu optimieren und zu rationalisieren. Die fortschreitende Entwicklung von maschinellem Lernen und anderen KI-Technologien wird es KMUs ermöglichen, ihre Ressourcen effektiver einzusetzen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Es wird jedoch auch eine wachsende Notwendigkeit geben, die ethischen und sozialen Auswirkungen der Technologieentwicklung zu berücksichtigen, um sicherzustellen, dass die Vorteile der Technologie gerecht verteilt werden und dass die Menschenrechte gewahrt bleiben.“ Hätten Sie gedacht, dass diese Antwort auf Ihre Frage nicht von mir gegeben wurde? Nun, ich habe mir hier Hilfe von der KI ChatGPT geholt, von der aktuell viel die Rede ist. Das Unternehmen, an dem auch Elon Musk beteiligt ist, ist ein Vorreiter darin die Anwendung von KI im Jahr 2023 massentauglich zu gestalten. Man sieht deutlich, dass zukünftig eine echte Interaktion mit einer künstlichen Intelligenz nicht nur möglich, sondern nahezu unumgänglich sein wird. Der generierte Text ist von der Antwort eines Arbeitskollegen oder eines Kundenbetreuers nicht mehr zu unterscheiden. Es ergeben sich damit völlig neue Möglichkeiten zur Identifikation von Defekten bei einer Maschine oder zur Kunden- und Mitarbeiterkommunikation. Künstliche Intelligenzen werden in Form von Robotern oder virtuellen Avataren als echte Interaktionspartner des Menschen wahrgenommen und helfen ihm, sich in den immer komplexer werdenden Prozessen des Unternehmens zurechtzufinden.

Kontakt

Prof. Dr. Sebastian Feldmann (Interviewpartner)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Mechatronik und Robotik (NectOne) (Aalen)
www.nectone.com

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