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„Problematisch ist nicht der Werkstoff, sondern unser Umgang mit dem Endprodukt“

Im Gespräch mit Professor Dr.-Ing. Sven Friedrich, der das Steinbeis-Innovationszentrum Engineering and Technology verantwortet

Kompostierbare Kunststoffe, das klingt beinah zu schön, um wahr zu sein: Ist damit das schlechte Gewissen bei jeder weggeworfenen Verpackung tatsächlich Geschichte? Leider nicht, meint Professor Dr.-Ing. Sven Friedrich. Denn die Problematik rund um Kunststoffe, deren Recycling und innovative Weiterentwicklungen des Werkstoffes ist weitaus komplexer. Der Steinbeis-Unternehmer beschäftigt sich intensiv mit der He­rausforderung, Kunststoffe auch in Zeiten von Klimakrise und Kostendruck insbesondere in KMU ökologisch und ökonomisch sinnvoll einsetzen zu können.

Herr Professor Friedrich, Sie beschäftigen sich intensiv mit der Kunststofftechnik. Da müssen wir direkt fragen: Sind Kunststoffe wirklich so schlecht wie ihr Ruf?

Ganz klar nein! Kunststoff ist der Werkstoff des 21. Jahrhunderts und aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. In keiner Branche gibt es für den Großteil der Anwendungen eine adäquate Substitutionsmöglichkeit durch Alternativwerkstoffe.

Kunststoffen geht ein schlechter Ruf voraus, da wir in den letzten Jahren die großen Herausforderungen erkannt haben, mit denen wir konfrontiert sind. Bei Kunststoffen handelt es sich um eine sehr junge Werkstoffgruppe, wir reden hier von rund 120 Jahren seit ihrer Entwicklung. Im Vergleich zu anderen Werkstoffen fehlen uns hier mehrere hundert Jahre an Wissens- und Erfahrungsaufbau. Die technologische und wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte war so rasant, dass unser Bewusstsein über den notwendigen verantwortungsvollen Umgang mit den entstandenen Produkten nicht Schritt halten konnte. Problematisch ist nicht der Werkstoff, sondern unser Umgang mit dem Endprodukt.

Sind die biobasierten, biologisch abbaubaren und kompostierbaren Kunststoffe die Lösung für das aktuelle Plastikproblem?

Hier muss bei der Verwendung der Begriffe genau unterschieden werden. Biobasierte Kunststoffe sind Kunststoffe, die zumindest teilweise aus Biomasse, wie beispielsweise Mais, hergestellt werden. Diese Kunststoffe sind häufig jedoch nicht biologisch abbaubar oder gar kompostierbar. Biologisch abbaubare Kunststoffe hingegen meinen Kunststoffe, die unter bestimmten Bedingungen zersetzt werden und dabei nur CO2 und Wasser hinterlassen. Diese Kunststoffe sind wiederum häufig nicht biobasiert. Kompostierbare Kunststoffe sind noch einmal eine Steigerung zu den biologisch abbaubaren Kunststoffen und meinen Kunststoffe, die sich unter den Bedingungen einer industriell durchgeführten Kompostierung besonders schnell zersetzen. Das heißt jedoch nicht, dass diese Kunststoffe auf dem heimischen Kompost entsorgt werden dürfen. Häufig sind hierfür spezielle, industrielle Kompostieranlagen notwendig, die im Gegenzug wieder die Ökobilanz verschlechtern.

Sie sehen: Diese Kunststoffgruppen sind auch nicht die erhofften Heilsbringer, die Kunststoff automatisch zu einer nachhaltigen Werkstoffklasse machen. Das zeigt sich auch am Marktanteil der biobasierten Kunststoffe an der Gesamtkunststoffproduktion, nach meinen Kenntnissen liegt er im Bereich von rund einem Prozent. Dennoch gibt es Anwendungsbereiche, wo diese Kunststoffe stark an Relevanz gewinnen werden. Besonders im Verpackungsbereich sehe ich hier großes Potenzial. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass biobasierte Kunststoffe aus Mais, Zucker, Weizen, Kartoffeln, Pflanzenfasern und -ölen hergestellt werden. Somit stehen sie in direkter Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion, was andere gesellschaftliche Herausforderungen mit sich bringt.

Stichwort Kunststoffrecycling: Das soll ressourcen- und umweltschonend sein, stellt im Hinblick auf Qualität und Kosten aber eine Herausforderung dar. Wie können gerade KMU hierbei ihren Beitrag leisten und dennoch wirtschaftlich agieren?

Sie greifen die zwei wesentlichen Punkte beim Thema Recycling auf. Zum einen muss es gelingen ein „qualitativ hochwertiges“ Material zu erzeugen und damit ist vor allem eine hohe Reproduzierbarkeit in den Verarbeitungs- und Materialeigenschaften gemeint. Zum anderen muss dieser Prozess wirtschaftlich sein. Das heißt, es darf keine preisgünstigere Alternative bei gleichen Material- oder Produkteigenschaften geben. Und diese beiden Punkte zusammenzuführen stellt häufig eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar, besonders für KMU: Sie haben in der Regel weniger Kapazitäten für Entwicklungstätigkeiten, die über das Tagesgeschäft hinaus gehen. Hier unterstützen wir Unternehmen sowohl bei der Analyse des Optimierungspotenzials als auch bei der Umsetzung von Recyclingansätzen. Nehmen wir beispielsweise einen klassischen Kunststoffverarbeiter, der für die Großindustrie Kunststoffbauteile im Spritzguss herstellt. Während der Produktion solcher Bauteile fällt bereits Kunststoffabfall in Form von Verarbeitungsresten und Ausschussteilen an. Diese können regranuliert und dem Verarbeitungsprozess in einem definierten Mischverhältnis zum Neugranulat beigemengt werden. Dies ist die einfachste Form des Kunststoffrecyclings, da der Verarbeiter die Herkunft des Recyclingmaterials kennt. Dennoch muss er prüfen, bis zu welchem Mischverhältnis er das Regranulat beimengen kann ohne einen signifikanten Qualitätsverlust zu riskieren. Er muss seinen Kunden davon überzeugen, dass das Beimischen des Recyclingmaterials kein Qualitätsrisiko für das Bauteil darstellt, und muss dies auch in Analysen nachweisen. Außerdem steigt sein Aufwand bei der Qualitätssicherung seines Produktionsprozesses, da der Materiallieferant nur für sein Neugranulat die Qualität gewährleistet. Allein diese zusätzlichen Aufwände können unter Umständen dazu führen, dass sich der Einsatz des Regranulats wirtschaftlich nicht rechnet. Und es wird noch deutlich aufwendiger, wenn die Herkunft des Recyclingmaterials nicht bekannt ist, da dann jede Charge auf ihre Eigenschaften hin überprüft und der Produktionsprozess angepasst werden muss.

Mein Fazit: Der Einsatz von Recyclingmaterialien ist aus technologischer Sicht in vielen Bereichen der Kunststoffproduktion bereits möglich. Der Kostenvorteil ist momentan jedoch so gering, dass er das erhöhte Risiko von Qualitätsschwankungen nicht immer aufwiegt. Aber mit jeder Preissteigerung für Kunststoffgranulate steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Einsatz von Recyclingkunststoffen rechnet. Wir haben in den letzten Jahren mehrere Projekte mit KMU zum Einsatz von Recyclingmaterial erfolgreich umgesetzt.

Welche anderen Technologien können aus Ihrer Sicht eine Lösung für das Kunststoffproblem bieten?

Ich tue mich schwer mit dem Begriff „Kunststoffproblem“, aber ich weiß, was Sie meinen. Aus meiner Sicht haben wir kein Technologieproblem, sondern eher ein Organisationsproblem. Somit können Technologien allein nicht die Lösung sein.

Wenn wir ein Kunststoffprodukt betrachten, gibt es sehr viele Parteien, die an der Inverkehrbringung und Nutzung dieses Produktes beteiligt sind – Rohstoffhersteller, Verarbeiter, Produktanbieter, Endkunde und Anwender. Aber es gibt keine eindeutigen Verantwortlichkeiten für die Entsorgung oder das Recycling. Hier müssen dringend Anreize geschaffen werden, damit der Werkstoff Kunststoff einen relevanten Wert bekommt, den man nicht mehr einfach wegschmeißt.

Zwar wurde sowohl mit dem Flaschenpfand für Kunststoffflaschen als auch dem Dualen System, besser bekannt als „Grüner Punkt“, erreicht, dass rund 90 % der Kunststoffverpackungen in Deutschland eingesammelt werden. Davon werden jedoch lediglich 50 bis 60 % einem werkstofflichen Recycling zugeführt. Der Rest wird überwiegend thermisch verwertet, also verbrannt. Technologisch sind wir in der Lage deutlich mehr Kunststoffabfälle einem werkstofflichen Recycling zuzuführen. Nur leider sind die Kosten dafür momentan zu hoch, es ist wirtschaftlicher die Abfälle energetisch zu verwerten.

Was Technologien für den richtigen Umgang mit Kunststoffen angeht: Aus ingenieurtechnischer Sicht gibt es bereits viele Ansätze zum ressourcenschonenden Umgang mit dem Wertstoff Kunststoff. Unter dem Oberbegriff „Leichtbau“ werden stetig Technologien entwickelt, die uns helfen, möglichst wenig Material zur Erfüllung einer Aufgabe einsetzen zu müssen. Das physikalische und das chemische Recycling werden kontinuierlich weiterentwickelt, um die Qualität des Recyclingmaterials zu verbessern und die Kosten dafür zu reduzieren. Und es gibt interessante Ansätze mittels RFID- und Blockchain-Technologien die Rückverfolgbarkeit von Kunststoffprodukten zu ermöglichen und so das Recycling auch außerhalb der Verpackungsbranche zu vereinfachen. Dafür brauchen wir kluge und engagierte Köpfe, die sich dieser Aufgaben und Herausforderungen annehmen wollen.

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Sven Friedrich (Interviewpartner)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Innovationszentrum Engineering and Technology (Dresden)

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