Informationsaustausch in traditionellen Lieferketten

Brot und Daten – regionale Wertschöpfung trifft Digitalisierung

Steinbeis-Experten schaffen unternehmensübergreifende kooperative Datenräume für mehr Transparenz entlang der Lieferkette

Ein Brot, dessen regionale Geschichte sich vom Saatgut bis zum fertigen Produkt digital transparent nachvollziehen lässt? In einem bislang im Agrargroßhandel einzigartigen Projekt haben Unternehmen aus der Landwirtschaft, dem Handel und der Produktion diese Idee erfolgreich umgesetzt. Mithilfe eines kooperativen Datenraummodells wird der Wertschöpfungsprozess am Beispiel des Urgetreides Emmer begleitet: Von der regionalen Aussaat über die Ernte, die Einlagerung und Distribution im Großhandel, den Mahlprozess in der Mühle und die Produktion in der Bäckerei bis in die Einkaufstasche des Verbrauchers. Das vom Ferdinand-Steinbeis-Institut in enger Zusammenarbeit mit dem Verband grosshandel-bw umgesetzte Projekt wurde durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg gefördert.

Skizze eines kooperativen Datenraums

 

Was der Verbraucher auf den ersten Blick nicht sieht, aber über einen auf der Brot-Banderole abgedruckten QR-Code erfahren kann, ist die dahinterliegende transparente Entstehungsgeschichte der Backware: von der Aussaat des zertifizierten Emmer-Getreides im Frühjahr bei regionalen Landwirten, über den Mahlprozess in der Bischoff-Mühle in Landau, die Einlagerung bei der ZG Raiffeisen in Karlsruhe bis hin zur Produktion und zum Verkauf in den beteiligten Bäckereien Härdtner in Neckarsulm und Peter’s Gute Backstube in Bühl. Dabei können auch wertvolle Informationen wie die Wetterbedingungen während des Getreidewachstums oder die Mehlqualität digital erfasst werden und den beteiligten Partnerunternehmen weiteren Mehrwert bieten.

Die ZG Raiffeisen eG, die als Agrargroßhandel für die Einlagerung der Emmer-Ernte, Entspelzung sowie gemeinsam mit den Landwirten für die Distribution zur Mühle zuständig ist, hat in Zusammenarbeit mit den Experten des Ferdinand-Steinbeis-Instituts einen solchen Datenraum für das Transferprojekt Emmer programmieren lassen.

In der Emmer-Wertschöpfungskette steht ganz am Anfang der Agrargroßhandel als Produzent von zertifiziertem Saatgut, der als Vermarktungspartner der Landwirte wichtiges Bindeglied zu den weiterverarbeitenden Abnehmern ist. Der Großhandel erfasst die Ernte vom Erzeugerbetrieb und transportiert das vermahlungsfähige Korn zur Mühle. Diese wiederum produziert das von den beiden Bäckereien bestellte Emmer-Mehl. Die hierfür im kooperativen Datenraum hinterlegten Daten ermöglichen nun Nutzenszenarien für weitere interessierte Partnerunternehmen, beispielsweise für eine lückenlose Rückverfolgbarkeit bei Rückrufen.

Jochen Schneider, der zum Zeitpunkt der Projektentstehung für digitale Aktivitäten der ZG Raiffeisen im Agrarumfeld verantwortlich war, erkannte das Potenzial eines kooperativen Datenraums sofort, als die Steinbeis-Experten an ihn herantraten: „Die lückenlose Darstellung der Wertschöpfungskette, die in unserem Fall auch noch komplett in der Region verortet ist, greift das zunehmende Bedürfnis der Verbraucher nach Transparenz auf. Das Datenraummodell kann auch im Zusammenhang mit den wachsenden Anforderungen von Lieferkettenregularien wichtig werden.“

Die beiden Bäckereibetriebe und die Mühle sehen für die Zukunft interessante Skalierungen des Modells, zum Beispiel wenn regionale Unternehmen sich mit dem Nachweis der regionalen Herstellung vom Feld bis auf den Teller einen Wettbewerbsvorteil verschaffen können.

Lieferkettenzentrierter Datenraum ermöglicht neue Dienstleistungen

Der Großhandel gilt in Deutschland als das Bindeglied zwischen Rohstoffproduzent, Rohstoffweiterverarbeitung, Veredlung und Vermarktung. Bisher verläuft ein Austausch an Informationen innerhalb der Lieferkette meist nur zwischen den vor- und nachgelagerten Unternehmen.

Aus vorangegangenen Transferprojekten des Ferdinand-Steinbeis-Instituts sowie Gesprächen mit Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zeigt sich, dass gerade Großhandelsunternehmen aufgrund ihrer bereits bestehenden Netzwerkstrukturen und ihrer Funktion als etabliertes, systemrelevantes Bindeglied in der Lieferkette durchaus das Potenzial mitbringen, in einem sich zunehmend digital transformierenden Umfeld ganze Lieferketten mittels kooperativer Datenräume darzustellen. Dies stellt eine große Chance für die Branche dar: Aus dem historischen Verständnis erfolgreicher Netzwerkstrukturen und der zukünftigen Verlagerung neuer Wertschöpfung in Unternehmensnetzwerke (digitale Ökosysteme) durch unternehmensübergreifende lieferkettenzentrierte Datenräume lassen sich zukünftig digitale Services für neue Geschäftsmodelle generieren.

Bei der gemeinsamen Entwicklung des kooperativ genutzten Datenraums steuert jedes der beteiligten Unternehmen relevante Informationen bei. Die Kombination dieser Informationen ermöglicht allen Beteiligten das Angebot neuer digitaler Dienstleistungen für ihre Zielgruppe, zum Beispiel in Form der Produktionstransparenz und Nachverfolgbarkeit der Ware. Durch die Datentransparenz für alle Partner wird also ein neuer Nutzen zusätzlich zum bestehenden Geschäftsmodell generiert, der einem neuen, gemeinsamen Kundenstamm als digitale Dienstleistung angeboten werden kann. Außerdem können die Informationen durch zusätzliche frei zugängliche Informationen wie Wetterdaten oder Preisentwicklungen angereichert werden. Auch ist vorstellbar, dynamische Daten, zum Beispiel bei einem Partner mit Sensoren gemessene Temperaturen oder Füllstände, zu teilen.

Ein Blick in die Zukunft

Die beteiligten Partnerunternehmen im Emmer-Projekt arbeiten aktuell an zukünftigen Umsetzungsmöglichkeiten an der Schnittfläche Landwirtschaft, Handwerk und (produzierender) Mittelstand, um zu ermitteln, welche weiteren Wertschöpfungsketten zukünftig Nutzen aus dem geschaffenen Datenraum generieren könnten. Eine Variante für eine Skalierung könnte die Anwendung auf andere landwirtschaftliche Erzeugnisse sein: Allein die Erweiterung auf Volumenartikel wie Dinkel oder Roggen oder die Übertragung der Erkenntnisse auf zum Beispiel Braugerste bergen Potenzial: Auf „Brot und Daten” könnte also „Bier und Daten“ folgen. Ein anderes Szenario: Maschinenbauunternehmen könnten von Messdaten aus dem Backprozess profitieren, um Produktverbesserungen an ihren Geräten oder in der Wartung zu erzielen. Aus Forschungsperspektive verfolgt das Ferdinand-Steinbeis-Institut außerdem neue Ansätze zukünftiger Verrechnungskonzepte und Tarifierungsmodelle für die Nutzung kooperativer Datenräume, mit dem Ziel einer transparenten Bewertung und Verrechnung von Leistungsverflechtungen.


Kooperative Datenräume und Business Operandi

Eine zunehmende Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie zukünftig Wertschöpfung entsteht. In Wissenschaft wie Praxis zeigt sich verstärkt, dass sich klassische Wertschöpfungsverläufe auflösen und komplexere Wertschöpfungsnetzwerke und digitale Ökosysteme entstehen. Der Austausch von Daten und Informationen in digitalen Ökosystemen bildet die Basis für die Gestaltung neuer Wertschöpfung. Erkenntnisse und zahlreiche Transferbeispiele des Ferdinand-Steinbeis-Instituts zeigen, dass vor allem kooperativ genutzte Datenbestände eine geeignete Grundlage für die Etablierung neuer digitaler Services und Dienstleistungsangebote bieten.

Gerade in einer mittelständisch geprägten Wirtschaft bieten kooperative Datenräume die Möglichkeit, sich mit anderen Partnerunternehmen zu vernetzen und so auf einem größeren Datenbestand aufsetzen zu können. Das Ferdinand-Steinbeis-Institut hat sich zur Aufgabe gesetzt, den Aufbau, die Ausgestaltung, die Verstetigung sowie eine damit einhergehende Leistungsverrechnung in kooperativen Datenräumen zu erforschen.

Auf Basis von drei Projekten im Großhandel wurde zusätzlich die Methode Business Operandi für Unternehmen zur unmittelbaren Anwendung von Implementierungsstrategien entwickelt. Dieses Programm bietet die Schulung von interessierten Unternehmern, Trainern, Beratern oder Coaches. Die Methode wurde modular aufgebaut und kann somit an die individuellen Bedürfnisse der Unternehmen angepasst werden. Das Konzept und die Methode beinhalten die Module Verifikation des Startszenarios, Partnerselektion, Markenbildung, Konzeption des Prototyps, Finanzierungs- und Geschäftsmodell des Start- und der Folgeprojekte und Einbezug von Mitarbeitern. Die Arbeitskarten der einzelnen Module bauen auf der vom Ferdinand-Steinbeis-Institut entwickelten Methode TOOLBOX auf.

Kontakt

Prof. Dr. Daniel Werth (Autor)
Senior Researcher /Leiter Multilaterale Ökosysteme
Ferdinand-Steinbeis-Institut Heilbronn (Heilbronn)
www.ferdinand-steinbeis-institut.de

Alexander Neff (Autor)
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Ferdinand-Steinbeis-Institut Stuttgart (Stuttgart)
www.ferdinand-steinbeis-institut.de

Claudia Franz (Autorin)
Senior Projektleiterin
Ferdinand-Steinbeis-Institut Heilbronn (Heilbronn)
www.ferdinand-steinbeis-institut.de

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