Das Potenzial von KMU ausbauen und fördern ist das Gebot der Stunde
Innovatives Unternehmertum ist der Motor für Veränderungen in sämtlichen Bereichen der betrieblichen Wertschöpfung. Unternehmerisches Denken und marktorientiertes Handeln setzen Impulse für sozioökonomische Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Wie Technologien im Mittelstand entstehen können und welche Rolle staatliche Unterstützung dabei spielt, damit setzen sich drei Experten auf vielseitige Weise auseinander: Professor Dr. Norbert Zdrowomyslaw vom Steinbeis-Transferzentrum Projektierung und Evaluierung von Netzwerken, Professor Dr. Heiko Auerbach von der Hochschule Stralsund und Christian Wulf von der Assecor GmbH.
Megatrends wie die Digitalisierung, die Entwicklung regenerativer Energien oder das Erforschen nachhaltiger Werkstoffe und effizienter Fertigungsverfahren fördern den gesellschaftlichen Fortschritt, wobei gerade der Mittelstand bei diesem „Prozess der schöpferischen Zerstörung“[1] eine tragende Rolle spielt. Kleine und mittlere Unternehmen stoßen allerdings trotz ihres Innovationspotenzials häufig an ihre Grenzen, denn nicht jede Innovation führt gleichsam zum kurzfristigen Markterfolg. Mitunter braucht es einen langen Atem, um von der Forschung und Entwicklung über die Fertigung marktreifer Produkte und anschließendem Vertrieb jene Kunden und Zielgruppen zu erreichen, für die eine Innovation Mehrwert und Kundennutzen bedeutet. Ein erstes Modell dieser Customer Journey beschrieb der Soziologe Everett Rogers bereits im Jahr 1962: Demnach erreicht innovatives Unternehmertum nicht alle Kunden, sondern zunächst eine geringe Anzahl an Pionierkunden und Early Adopters[2]. Die jüngste Auflage dieses Buches stammt aus dem Jahr 2010, was darauf hindeutet, dass diese Theorie noch immer eine inspirierende Quelle für Marketing- und Vertriebsprofis ist. In frühen Stadien des Innovationsprozesses kann also nicht unbedingt von einem großen Absatzmarkt und einer frühzeitigen Ausschöpfung des Marktpotenzials ausgegangen werden. Auf der anderen Seite sieht sich der Mittelstand bereits in frühen Phasen des Innovationsprozesses mit Ressourcenengpässen materieller, finanzieller und personeller Art konfrontiert. Um in einer Welt des Hyperwettbewerbs[3] Chancen nutzen und Gefahren abwehren zu können, sind mittelständische Unternehmen auf Unterstützung aller relevanten Stakeholder angewiesen, staatliche Einrichtungen spielen dabei eine zentrale Rolle.
Staatliche Innovations- und Forschungsunterstützung
Marktnahe Forschung und Entwicklung sind oftmals mit hohen Risiken und Kosten verbunden. Dies hat zur Folge, dass sich viele F&E-Projekte im Mittelstand nur mit öffentlicher Förderung umsetzen lassen. Staatliche und öffentliche Einrichtungen, Institutionen und Förderprogramme nehmen insofern einen beachtlichen Stellenwert ein. Durch Investitionen in Forschung, Innovationen und die Ausbildung von Fachkräften sollen Unternehmen wettbewerbsfähig gemacht werden, um ein langfristiges wirtschaftliches Wachstum, Wohlstand und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ziel ist es, mittels verschiedener Förderprogramme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) den Mittelstand bei Innovationen und Digitalisierung weiter nach vorne zu bringen, Begeisterung für technische und naturwissenschaftliche Berufe zu wecken und den qualifizierten Nachwuchs zu sichern. Über diese Programme wird vor dem Bundestag regelmäßig Bericht abgelegt, um deren Wirksamkeit abzubilden. Die Innovationspolitik stützt sich auf den Grundsatz „von der Idee zum Markterfolg“ mit den vier Fördersäulen Gründung, Innovationskompetenz, vorwettbewerbliche Forschung sowie marktnahe Forschung und Entwicklung.
Es ist nachvollziehbar, dass beim Thema Innovation und Technologie häufig große Konzerne mit riesigen F&E-Laboren assoziiert werden. Dabei wird leicht übersehen, dass gerade der Mittelstand über Eigenschaften verfügt, die eine gute Startposition im Innovationswettbewerb verschaffen können: Schnelligkeit, Flexibilität und gelebte Kundenorientierung. Auch wenn KMU in der Regel nicht in „Economies of Scale“-Denkweisen agieren, sondern eher kleinere Produkt-, Prozess- und Sozialinnovationen vorantreiben, so entwickeln sich diese – dem Prinzip der Chaostheorie und des Schmetterlingseffekts vergleichbar – mitunter zu zukunftsträchtigen Wachstumsfeldern. Legt man den Gedanken zugrunde, dass in Deutschland der Mittelstand volkswirtschaftlich betrachtet das Rückgrat der Wirtschaft bildet[4], ist es nur konsequent, ihn in der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit finanziell und durch Wissenstransfer zu unterstützen. In Anbetracht der Tatsache, dass Innovationsfähigkeit durch Wissen, Kompetenz und Innovationsbereitschaft von Individuen, Gruppen, Institutionen oder Netzwerken getragen wird und KMU nur beschränkte Ressourcen für Innovations-, Forschungs- und Entwicklungsprojekte einbringen können, verspricht man sich zum Beispiel von Kooperationen mit Forschungsinstituten und Hochschulen der marktnahen Forschung und Entwicklung bessere Erfolgsaussichten. So werden mit dem zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des BMWK seit 2008 technologie- und branchenoffene marktorientierte F&E-Projekte mittelständischer Unternehmen unterstützt. Gefördert werden Einzelprojekte, nationale und internationale Kooperationsprojekte sowie Innovationsnetzwerke. Die Unternehmen profitieren insbesondere vom Wissenstransfer bei Forschungskooperationen und in Innovationsnetzwerken.
Mit dem Ende 2019 gestarteten Innovationsprogramm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen (IGP) fördert das BMWK marktorientierte nicht-technische Innovationsprojekte und Innovationsnetzwerke. In deren Mittelpunkt stehen Geschäftsideen, die auf neuartige Konzepte, Lösungen oder Dienstleistungen abzielen, neue Prozesse und Organisationsweisen entwickeln oder innovative Marketingkonzepte und Geschäftsmodelle umsetzen. Dies können zum Beispiel moderne Designansätze, neuartige Lern-Apps sowie neue Formen der Technologienutzung sein. Die Projektideen sind geprägt von einem primär nicht-technischen Entwicklungscharakter, gleichwohl können neue technische Entwicklungen genutzt, adaptiert und in neue Zusammenhänge gebracht werden. Spezifische Ausschreibungsrunden adressieren jeweils bestimmte Themenbereiche, wie digitale und datengetriebene Geschäftsmodelle, kultur- und kreativwirtschaftliche Innovationen sowie Innovationen mit besonderem „Social Impact“.
Regionale Innovationsstrategien und globaler Wettbewerb
KMU sind regional verankert und setzen deutliche Akzente bei der Entwicklung ihrer Heimatregion. Zugleich agieren sie auch häufig national und international, insofern ist es nicht erstaunlich, dass Bundesländer sogenannte regionale Innovationsstrategien entwickeln. So will sich beispielsweise das Land Mecklenburg-Vorpommern mit seiner neuen „Regionalen Innovationsstrategie für Intelligente Spezialisierung 2021-2027 (RIS)“ stärker als bisher auf ausgewählte Bereiche konzentrieren, ein Augenmerk wird auf die Aktionsfelder erneuerbare Energien, Wasserstofftechnologien, Medizintechnik, Biotechnologien, Maschinen- und Anlagenbau sowie die Querschnittstechnologien Informations- und Kommunikationstechnologien und Bioökonomie gelegt[5].
Deutschland galt über Jahrzehnte als einer der weltweit führenden Impulsgeber für disruptive und inkrementelle Innovationsschübe. Diese Schlüsselkompetenzen bei Zukunftsbranchen (wie IT, Biomedizin oder künstliche Intelligenz) verlagern sich zunehmend in andere Länder und Regionen. Zwar wird Deutschland beim Global Innovation Index mit Platz 8 unter den Top 10 für das Jahr 2022 gelistet[6]. Es bedarf aber weiterhin verstärkter kooperativer Anstrengungen und effizienter Innovationsnetzwerke, um mit etablierten Ländern wie den USA, der Schweiz und Schweden sowie aufstrebenden Ländern, wie die asiatischen Tiger-Staaten, im globalen Wettbewerb um Standortvorteile mithalten zu können. Dabei wird dem Mittelstand weiterhin eine Schlüsselfunktion zukommen. Daher gilt es, diesen weiterhin zu fördern – und zwar mit staatlichen Programmen und dem Transfer von Wissen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft.
Kontakt
Prof. Dr. Norbert Zdrowomyslaw (Autor)
Freiberuflicher Projektleiter des Projekts „Standort- und Mittelstandsoffensive MV“
Steinbeis-Transferzentrum Projektierung und Evaluierung von Netzwerken (Stralsund)
Prof. Dr. Heiko Auerbach (Autor)
Professor für Entrepreneurship & Sales
Hochschule Stralsund (Stralsund)
Christian Wulf (Autor)
Consultant und Standortleitung
Assecor GmbH (Berlin/Stralsund)