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„Der technische Vertriebs­manager ist die Schnittstelle des Unternehmens zum Kunden“

Im Gespräch mit Stephan Herrmann, Steinbeis-Unternehmer am Steinbeis-Beratungszentrum Technischer Vertrieb und internationale Geschäftsentwicklung

Der durch die Pandemie verstärkte Trend zur Digitalisierung sowie die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen stellen den Vertrieb vor neue Herausforderungen. Davon sind auch der technische Vertrieb sowie der Vertrieb von Transfer- und Beratungsleistungen betroffen. Wie die Verantwortlichen auf die aktuellen Veränderungen reagieren können, darüber hat die TRANSFER mit dem Steinbeis-Experten Stephan Herrmann gesprochen.

Herr Herrmann, Sie beschäftigen sich unter anderem mit dem technischen Vertrieb: Was genau ist damit gemeint?

Vereinfacht gesagt geht es dabei um den Verkauf von technisch erklärungsbedürftigen Produkten, Gütern und Dienstleistungen. Dieser findet zumeist im B2B-Bereich statt und betrifft Investitionsgüter, zum Beispiel Maschinen und Anlagen, Zulieferteile wie spezielle Baugruppen oder Komponenten oder auch Hightech-Leistungen, beispielsweise Software. Dabei kann es sich um projektbezogene Großaufträge handeln oder auch um vergleichsweise günstige Zulieferteile, die aber der Kunde dann in großer Anzahl zur Bearbeitung seiner eigenen Kundenaufträge abnimmt. Der „Verkauf“ – im engeren Sinne des reinen Verkaufsabschlusses und der Auftragsabwicklung – ist strenggenommen aber nur ein Teilbereich des technischen Vertriebs. Zu diesem gehören unter anderem auch die strategische Ausrichtung, die Problemlösungs- und Akquisitionsfähigkeit des Anbieters oder auch die qualifizierte Kundenbetreuung und damit mittel- und langfristige Kundenbindung.

Aufgrund der im Mittelstand meist begrenzten personellen, finanziellen und zeitlichen Ressourcen muss man zwingend in eine eindeutige Fokussierung, zielorientierte Anleitung und entsprechende Durchschlagskraft des technischen Vertriebs kommen. Im Hinblick auf eine klare Ressourcenzuweisung empfehle ich zunächst die grundsätzliche Stoßrichtung festzulegen: Möchte man bestehende Märkte mit bereits verfügbaren Produkten besser durchdringen? Will man bestehende Kunden mit neuen Produkten noch umsatzwirksamer erreichen, also in die Produktentwicklung investieren? Sollen Bestandsprodukte gezielt in neue Märkte gebracht werden oder besteht gar die Notwendigkeit einer Diversifizierung? Die Erfolgsmodelle technologieorientierter mittelständischer Unternehmen belegen, dass sich gerade die Stoßrichtung der „Marktentwicklung“ in den vergangenen Jahrzehnten häufig sehr positiv auf das Unternehmenswachstum ausgewirkt hat. Durch Spezialisierung und langjährig definierte Kernkompetenzen war es möglich, zusätzliche Anwendungsbereiche oder auch internationale Märkte für die eigenen Produkte und Dienstleistungen zu erschließen. Für mich ist daher der Aspekt einer internationalen Marktentwicklung untrennbar mit dem technischen Vertrieb verbunden, denn gerade in diesem Umfeld gab und gibt es für unsere Hersteller auch in schwierigen Phasen nach wie vor gute Möglichkeiten zur Bestandssicherung und Wachstumsorientierung. Kurz gesagt: Technischer Vertrieb bedeutet für mich weit mehr, als nur der Verkauf technisch erklärungsbedürftiger Produkte und Dienstleistungen. Es bedarf im Hintergrund vielmehr einer ausgeprägten Strategie- und Marketingorientierung und betrifft nicht selten auch die Gestaltung des Geschäftsmodells eines vertriebsorientierten Unternehmens.

Welche besonderen Aufgaben und Anforderungen gibt es im technischen Vertrieb?

Der technische Vertriebsmanager ist die Schnittstelle des Unternehmens zum Kunden. Dort arbeitet man auf Kundenseite häufig mit den Entwicklungs- und Produktionsabteilungen zusammen und benötigt dafür das notwendige Problemlösungsbewusstsein und Know-how. Ebenso sind die Kundenwünsche dann im eigenen Betrieb möglichst zielorientiert umzusetzen. In anderen Worten besteht die allgemeine Aufgabe im technischen Vertrieb darin, auf Grundlage von Beratungskompetenzen, guten fachlichen Kenntnissen sowie ausgewogenen sozialen Fähigkeiten den Kundenzugang über eine adäquate Projekt- und Produktakquise nebst Abschlussorientierung auch zu konkreten Verkaufserfolgen zu führen.

Was aber sind für technologieorientierte Anbieter dabei die „echten“ Herausforderungen? Zum einen werden die zeitlichen Abläufe oft unterschätzt: So dauert die Kunden- und Auftragsakquise und letztlich angestrebte Umsatzrealisierung im B2B-Neukundengeschäft nicht selten mehrere Jahre und benötigt daher einen gut geplanten Vorlauf. Beim Aufbau ausländischer Märkte vergehen nach einem Markteintritt durchaus fünf bis zehn Jahre bis man diesen Markt dann schließlich auch gewinnbringend bearbeiten kann. Zudem stehen nur selten genügend Vertriebs- und Projektkapazitäten zur Verfügung, um alle sich bietenden Kundenprojekte mit der notwendigen Intensität bearbeiten zu können. Eine Antwort auf dieses Dilemma besteht darin, die laufenden und künftigen Geschäfte in sinnvolle Produkt-/Marktkombinationen einzuteilen und diese zum Beispiel nach den Kriterien „Marktattraktivität“ und „Wettbewerbsstärke“ zu analysieren. Hierbei verfolgt man den Ansatz, unrentable von rentablen Strategiefeldern zu unterscheiden und letzteren schließlich die notwendigen Vertriebskapazitäten mit klarem Fokus zuzuweisen. Ähnlich würde man auch bei der internationalen Geschäftsentwicklung vorgehen. Hier hat sich im technischen Vertrieb ein gut strukturiertes, phasenorientiertes Vorgehensmodell bewährt, bei dem man ausgehend von der Marktanalyse, einer Marktbewertung, dem Marktaufbau und der Marktentwicklung schlussendlich in eine ertragreiche Auslandsmarktbearbeitung kommt.

Wenn wir vom Vertrieb hochkomplexer technischer Produkte und Dienstleistungen zum Vertrieb von Transfer- und Beratungsleistungen wechseln: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen in diesem Bereich?

Da meine beruflichen Erfahrungen vorwiegend im technischen Vertrieb liegen, möchte ich diese Frage zunächst mit Parallelen zum Vertrieb von Transfer- und Beratungsleistungen beantworten. In beiden Fällen handelt es sich um erklärungsbedürftige Dienstleistungen im B2B-Bereich – mit ähnlichen Gegebenheiten und einem ausgeprägten Beratungsschwerpunkt. Der erfolgreiche technische Vertrieb stützt sich in der Regel auf ein sauberes Vertriebskonzept. Das beinhaltet zunächst die Kompetenzanalyse der eigenen Fähigkeiten, beleuchtet dann die Markt- und Konkurrenzsituation, geht weiter auf angestrebte Kundensegmente oder Zielkunden ein und mündet schließlich in Überlegungen hinsichtlich geeigneter Vertriebskanäle, Vertriebsprozesse und letztlich notwendiger Marketinginitiativen. Auch im Beratungsgeschäft scheint mir dieses Vorgehen grundsätzlich richtig zu sein.

Aktuellen Studien zufolge lässt sich der Beratungsmarkt in Deutschland grob in die folgenden Themen aufteilen: Operativer Bereich (ca. 35 %), Informationstechnologie (ca. 20 %), Transformationsprozesse (ca. 20 %), strategische Planung (ca. 15 %) und Personalentwicklung (ca. 10 %). Von den Zielgruppen her hat der Industriesektor traditionell die größte Bedeutung, der Finanzbereich sowie der öffentliche Sektor sind nachgeordnet und ein großer Anteil entfällt zudem noch auf diverse Kundengruppen wie beispielsweise das Gesundheitswesen oder die Medien- und Tourismuswirtschaft. Dabei ist die Branche aus Kundensicht offenbar in verschiedene Ebenen aufgeteilt, wobei die größeren, international tätigen Beratungsunternehmen an der Spitze der Akzeptanzpyramide stehen. Eine Herausforderung besteht also darin, das eigene Beratungsangebot klar auf die genannten Kompetenzfelder einerseits sowie definierte Kundengruppen andererseits zuzuweisen und sich dabei auch die notwendige Kosten-/Nutzen-Reputation am Markt zu erarbeiten. Darüber hinaus mussten zuletzt in den vormals stärksten Industriekundensegmenten wie zum Beispiel beim Maschinen- und Anlagenbau, bei Automobilherstellern, der Zulieferbranche sowie im Mittelstand insgesamt deutliche Rückgänge bei den Beratungsaufträgen verzeichnet werden, was angesichts des durchaus vorhandenen Beratungsbedarfes kaum verständlich erscheint. Doch auch im Berateralltag macht man immer wieder die Erfahrung, dass zwar einschlägige Themen und Projekte pendent sind, die Entscheidungsträger aber aufgrund tagesaktueller Probleme nicht die Zeit finden, diesen Projekten respektive der externen Abwicklung auch die notwendige Managementkapazität zuzuweisen. Insofern besteht eine weitere Herausforderung beim Neukundenzugang darin, den potenziellen Ansprechpartner im ersten Schritt auch fachlich adäquat mit dem eigenen Dienstleistungsangebot zu erreichen.

Die aktuelle Situation in Wirtschaft, aber auch Gesellschaft ist von vielen Unsicherheiten und Herausforderungen geprägt: Welche Folgen hat diese Entwicklung sowohl auf den technischen Vertrieb, als auch auf den Vertrieb von Transfer- und Beratungsleistungen?

In jüngster Zeit beschäftigen uns leider die internationalen Verwerfungen, sei es durch politische Konflikte, zunehmende Handelshemmnisse, die Belastung von Versorgungs- und Zulieferketten oder auch Absatz-/Umsatzeinbrüche bei vormals einträglichen Auslandsgeschäften. Mit Blick auf die internationale Geschäftstätigkeit wird ein Aspekt der Risikodiversifizierung darin bestehen, die Lieferketten und die Markttätigkeit neu zu strukturieren. Hier ist der technische Vertrieb gefordert, systematisch und nach vorne gerichtet auch auf neue, bis dato gegebenenfalls unbekannte Ländermärkte zu blicken. Bei der digitalen Evaluierung entsprechender Informationen werden die Methoden der „Market oder Competitive Intelligence“ an Bedeutung gewinnen.

In den letzten Jahren hat uns im Vertrieb aber vor allem die Corona-Krise stark beeinflusst. In Lockdownzeiten musste die Gesellschaft nicht nur mit Einschränkungen, Kurzarbeit und Existenzängsten zurechtkommen, sondern erlebte in Industrie und Wirtschaft, aber auch im persönlichen Umfeld eine völlig neue Dimension des sozialen Miteinanders. Selbstverständlich wurde bereits vor dieser Krise über die „Digitalisierung im Vertrieb“ gesprochen, aber die nunmehr etablierten, digitalen Werkzeuge sowie die Haltung der Menschen dazu sind jetzt unumkehrbar. Im Vertrieb, insbesondere beim Neukundengeschäft, ist zunehmend eine Umkehr vom früheren Push- zum heutigen Pull-Vertrieb festzustellen. Das Vertriebsgeschäft, teilweise auch Geschäftsmodelle, werden damit neu definiert. Konnte man früher die potenzielle Kundschaft bei Firmenbesuchen, Messeauftritten oder persönlichen Meetings noch aktiv mit einem Beratungsansatz erreichen, kehrt sich die Art und Weise der Kontaktaufnahme mehr und mehr um. Die Ansprechpartner des potenziellen Kunden reagieren unter Umständen abweisend auf Terminanfragen und recherchieren im Bedarfsfall das am Markt verfügbare Produkt- und Dienstleistungsangebot zunächst „online“. Die Anbieter gestalten ihre Internetseiten und Informationsangebote also dergestalt, dass man den Potenzialkunden bei seiner virtuellen „Customer Journey“ bestmöglich aufnimmt, bei seiner digitalen Recherche begleitet und damit seine Kontaktanfrage letztlich als „qualifizierten Lead“ zur nachfolgenden Vertriebsbearbeitung erhalten kann. Daraus folgt, dass zum Beispiel Außendienstkapazitäten bewusst auf die Bestandskundschaft sowie potenzielle A- und B-Kunden zugewiesen und C-Kun­den überwiegend online betreut werden. Entscheidend dabei ist nicht mehr die reine Anzahl der Kundenansprachen, sondern vielmehr die Qualität, Fachkompetenz und Tragfähigkeit derselben. Mit diesem Rollenwandel im Vertrieb geht andererseits ein Bedeutungszuwachs des zentralen Marketings einher, das ein stärkeres, informationstechnisches Profil benötigt und damit für den Anbieter zu einer „digitalen Schaltstelle“ des Neukundengeschäftes wird.

Welche Trends werden Ihrer Meinung nach die Zukunft des Vertriebs bestimmen, vor allem des Vertriebs von Dienstleistungen?

Wie ich schon sagte, halte ich die genannten Entwicklungen für unumkehrbar, so wird sich auch der Trend zur Digitalisierung und „Entpersonalisierung“ des Neukunden-Erstkontaktes im Sinne von Internetpräsenz, Online-Sichtbarkeit oder Social Media weiter manifestieren. Das gilt meines Erachtens auch für den Vertrieb von Transfer- und Beratungsleistungen, bei dem der einzelne Berater für den ersten Kundenzugang ebenfalls dieses „zentrale Back-up“ von Seiten der technischen Marketingabteilung benötigt. Auf der anderen Seite gilt es deshalb den bereits persönlich bekannten Bestandskunden ein noch größeres Augenmerk zu widmen. In der Industrie spricht man von „Cross Selling“, wenn man den bestehenden Kunden zusätzliche oder weiterführende Angebote unterbreitet. Ähnliches ist im Beratungsgeschäft natürlich auch möglich, erfordert aber ein klares Verständnis der unterschiedlichen Leistungspakete, deren Abgrenzung zueinander als auch die Bereitschaft, sich innerhalb des eigenen Unternehmens oder der Gesamtorganisation in einem starken, untereinander abgestimmten Netzwerk zu bewegen.

Kontakt

Stephan Herrmann (Interviewpartner)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Beratungszentrum Technischer Vertrieb und internationale Geschäfts­entwicklung (Singen)

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