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Kontrollverlust in der digitalen Transformation? Einfluss- und Gestaltungsfaktoren von Technologieakzeptanz in Baden-Württemberg

Das Ferdinand-Steinbeis-Institut untersucht in einer Studie den Einfluss von Kontrollverlust auf die Einstellung der Bevölkerung zu neuen Technologien

2018 startete die #techourfuture-Initiative des Ferdinand-Steinbeis-Instituts (FSTI) mit dem Ziel Mitbürgern, vom Schüler bis zum Rentner, technikbegeistert und weniger technikaffin, die Möglichkeit zu geben, sich umfassend über Zukunftstechnologien zu informieren und auszutauschen, um diese besser verstehen und diskutieren zu können. Gut zweieinhalb Jahre später untersucht das Team am Ferdinand-Steinbeis-Institut in einer Studie, inwieweit die gesteckten Ziele erreicht werden konnten.

Kurz vor Abschluss des Initialprojekts blickt das #techourfuture-Team zurück auf eine erfolgreiche Reihe von Veranstaltungen zu drei ausgewählten Technologiethemen (Zukunft Autonomes Fliegen, Zukunft Gesundheit und Zukunft Ernährung), umgesetzt über unterschiedliche Formate und vielfältige Kommunikationswege. Die Teilnehmer der Veranstaltungen waren Zielgruppe einer quantitativ-empirischen Befragung für die wissenschaftliche Begleitstudie des Projekts.

Nimmt die Skepsis zu?

Die Ergebnisse dieser Studie unterstreichen die Relevanz einer differenzierteren Betrachtung von wahrgenommenem Kontrollverlust als Einflussfaktor auf die Akzeptanz neuer Technologien und technischer Systeme. Bisherige Studien zur Technologieakzeptanz in der Bevölkerung beziehen sich meist nur unspezifisch auf Kontrollverlust als einen möglichen Erklärungsfaktor der Einstellung zu neuen Technologien. Die Studie des FSTI zeigt, dass sich die in Deutschland seit Jahrzehnten konstant vorherrschende, mehrheitlich positive, aber ambivalente und nach Technologiearten differenzierte Haltung der Bevölkerung zu Technologien durch die sich intensivierende digitale Transformation und Vernetzung von Wirtschaft und Gesellschaft durchaus in Richtung einer zunehmenden Skepsis entwickeln könnte. Dabei ist die Sorge vor einem zunehmenden Kontrollverlust in Verbindung mit diesen digital vernetzten, immer stärker konvergierenden und autonom gesteuerten Technologien eine der wesentlichen Ursachen.

Bisherige empirische Untersuchungen zeigen, dass die Akzeptanz von neuen Technologien in Baden-Württemberg konstant hoch und die Aufgeschlossenheit gegenüber Technologien in der Bevölkerung allgemein stark ausgeprägt ist. Technologiekritische Positionen werden, meist medial wirksam, insbesondere von interessierten Akteuren, Verbänden und Organisationen in die öffentliche Debatte und den politischen Diskurs eingebracht. Die Ambivalenz in der Akzeptanz neuer Technologien macht sich vor allem an der Unterscheidung verschiedener Technologiearten fest, wobei Alltags- und Produkttechnik sowie Arbeitstechnik von den Anwendern in der Regel positiv angenommen, externe Technik jedoch deutlich kritischer bewertet wird. Es dürfte auch diese Differenzierung von Technologiearten sein, die sich mit zunehmender Digitalisierung, Vernetzung und Konvergenz von Technologien sukzessive auflöst und damit neue Anhaltspunkte für die Sorge vor Kontrollverlust bietet.

Kontrollverlust hat mehrere Dimensionen

Dimensionen des Kontrollverlusts

Die Studie hat zentrale Dimensionen des Kontrollverlusts in einem heuristischen Modell herausgearbeitet: Das sind die generelle Wahrnehmung von Kontrollverlust, seine Quellen, seine Modi, die Art und Qualität von Interventionsmöglichkeiten, der zyklische Zusammenhang von theoretischem Grundlagen- und praktischem Anwendungswissen, die Datensicherheit, psychologische Aspekte, der Autonomiegrad einer Technologie und ihre soziotechnische Systemeinbettung, sowie normative Aspekte. Die nicht-repräsentative, quantitativ-empirische Analyse im Kontext der #techourfuture-Foren offenbart den relevanten statistischen Zusammenhang der gewählten Dimensionen. Die Studie zeigt außerdem auf, dass die generelle Wahrnehmung von Kontrollverlust zwar weit, aber sicher nicht umfassend vorhanden ist. Dabei macht sich der empfundene Kontrollverlust vor allem an dem Eindruck fest, dass eine neue Technologie nicht ausreichend überwacht werden kann und man selbst diese Technologien nicht ausreichend prüfen, steuern und über deren Ausgestaltung und Funktionsweise nicht ausreichend mitbestimmen kann. Nach soziodemografischen Gruppen differenziert ergeben sich Hinweise darauf, dass die generelle Wahrnehmung von Kontrollverlust mit dem Lebensalter zunimmt, vor allem ältere Personen also häufiger und intensiver wahrnehmen, eine neue Technologie nicht ausreichend steuern und beherrschen zu können. Auch geben Frauen tendenziell häufiger an, dass es ihnen schwerer fällt, neue Technologien zu überblicken.

Als Ursache für einen Kontrollverlust nehmen die Teilnehmer der Befragung eher einen Übergang der Steuerung auf andere Technologien als auf andere Personen wahr, der Kontrollverlust wird eher als unfreiwillig empfunden. Die Sorge vor einem plötzlichen und umfassenden Kontrollverlust ist geringfügig höher als vor einem schrittweisen, hier deutet sich ein positiver Zusammenhang mit dem Alter und dem Familienstand der Befragten an.

Darüber hinaus nimmt die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien und technischen Systemen mit eigenen Steuerungs- und Eingriffsmöglichkeiten der Anwender merklich zu. Liegt die Steuerung bei einem technischen System, nimmt die Zustimmung ab, liegt diese bei anderen Personen, ist die Zustimmung nur noch gering und liegt die Steuerung bei einem digitalen Agenten, erzeugt dies vorwiegend Ablehnung bei den Anwendern. Sicherheit und Zuverlässigkeit sind wesentliche Voraussetzungen für die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien, allerdings vorwiegend für jüngere Personen.

Zudem zeigt sich eindeutig, dass das Verstehen und Überblicken in hohem Maß die Vorbehalte gegenüber einer neuen Technologie verringert und Grundlagen- und Erfahrungswissen sich wechselseitig verstärken. Das Verstehen und Überblicken einer neuen Technologie ist vor allem für ältere Menschen und Personen mit höheren Schulabschlüssen wichtig, während das Sammeln von praktischen Erfahrungen mit der Technologie vor allem für Jüngere relevant ist.

Auch der angenommene Zusammenhang von Datensicherheit und Kontrollverlust bestätigte sich. Die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien und technischen Systemen nimmt mit der Sicherheit der eingebrachten Daten sowie mit der ausgeschlossenen Aneignung oder Nutzung durch Dritte zu.

Negative psychische Empfindungen wie Angst, Wut und Widerstand, wenn eine neue Technologie die Steuerung eines Teils des Handelns übernimmt und Akteure damit in bestimmten Situationen eine passive Rolle einnehmen müssen, lassen sich nicht bei allen Teilnehmern feststellen. Allerdings geben in diesem Zusammenhang ältere Personen deutlich häufiger an, die benannten negativen Empfindungen zu haben, als jüngere.

Ein eher ambivalentes Bild zeigt sich beim Zusammenhang von Kontrollverlust und dem Autonomiegrad neuer Technologien sowie deren Einbettung in soziotechnische Systeme. Die aktive Mitwirkung neuer Technologien an Entscheidungen wird uneinheitlich, die Unterstützung des Anwenders in bestimmten Situationen durch diese Technologien hingegen positiv gesehen. Negativ wird beurteilt, wenn eigentlich hilfreiche und akzeptierte Technologien in kritischen und risikoreichen Bereichen zur Anwendung kommen. Eindeutig bestätigt wird die normative Abwägung, dass in durch Technologien vorgenommenen Entscheidungsprozessen die gleichen Werte gelten sollten wie für den Menschen.

Kontrollverlust beeinflusst Technologieakzeptanz

„Aus diesen Ergebnissen lassen sich verschiedene Rückschlüsse für das Management der digitalen Transformation und die begleitende politische Rahmensetzung ableiten: Die Wahrnehmung von Kontrollverlust ist ein relevanter Einflussfaktor auf die Technologieakzeptanz bei der Einführung und Verbreitung neuer Technologien und technischer Systeme. Anbieter und Entwickler dieser Technologien sollten diesen Einflussfaktor verstärkt berücksichtigen und auch die Politik sollte dies in ihre unterstützenden und regulierenden Aktivitäten einbeziehen“, fasst Dr. Michael Ortiz als Autor der Studie zusammen.

So sollte sichergestellt werden, dass neue Technologien und technische Systeme ausreichend, auch institutionell abgesichert und vor allem für die Bevölkerung transparent überwacht werden können. Institutionen und Agenturen sollten sich dieser Herausforderung verstärkt zuwenden. Zudem sollte bereits der Entwicklungsprozess neuer Technologien stärker unter Einbezug der späteren Anwender erfolgen, damit diese bereits frühzeitig deren Ausgestaltung und Funktionsweise mitbestimmen können. Neue, digital und/oder autonom gesteuerte Technologien sollten so konzipiert werden, dass sie vom Anwender in ausreichendem Maße geprüft und mitgesteuert werden können. Breiter angelegte Workshop- und Forenformate in der Entwicklungsphase unter Einbezug von Anwendern, Anbietern, Entwicklern und Forschenden könnten hierzu eine gute Grundlage bieten und auch eine konkrete Gestaltungsmöglichkeit für spezifische, weitere #techourfuture-Formate sein.

Dort wo ein Kontrollverlust vor allem als unfreiwillig und beim Übergang von Steuerungsmöglichkeiten auf andere Technologien wahrgenommen wird, stellt sich die Frage nach erweiterten Markteinführungsstrategien durch die Anbieter sowie einer entsprechenden Begleitung und Förderung durch die Politik. Es gilt nicht nur alternative Steuerungsmöglichkeiten bei der Ausgestaltung neuer Technologien zu prüfen, sondern auch die Sicherheit und die Zuverlässigkeit dieser Anwendungen stärker als bisher herauszustellen. Dabei steht sicher auch der Aspekt der Datensicherheit im Vordergrund sowie die Zielsetzung, den digitalen und virtuellen Raum mit Sicherheitsstandards auszugestalten, die mit dem analogen Raum vergleichbar sind. Dabei wird es nicht nur auf eine erhöhte Regulierungsbreite und -tiefe ankommen, sondern vor allem auch auf eine höhere Regulierungsgeschwindigkeit.

Soziodemografische Aspekte bei der Technologievermittlung berücksichtigen

Die Ergebnisse der FSTI-Studie verweisen auch darauf, dass bei zukünftigen Angeboten für das Begreifen von neuen Technologien auch verstärkt individuelle Anforderungen der verschiedenen soziodemografischen Gruppen zu berücksichtigen sein werden. Denkbar sind spezifische Formate der Technologievermittlung, der Markteinführung sowie des politischen Diskurses, die an den jeweiligen Schwerpunkten der Wahrnehmung von Kontrollverlust ansetzen: Möglich wären beispielsweise spezifische Formate für die Zielgruppe der Senioren, Jugendlichen und Frauen, aber auch für Personen mit hohen und niedrigen Bildungs- und Berufsqualifikationen. Diese Formate könnten individuelle Schwerpunkte auf das theoretische Verstehen, das praktische Erfahren und Testen oder aber auch auf Sicherheits- und Datenschutzaspekte legen.


Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier.

Kontakt

Dr. Michael Ortiz (Autor)
Senior Research Fellow
Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI) (Stuttgart)
www.steinbeis-fsti.de