„ZUKUNFTSFÄHIGE ENERGIEKONZEPTE MÜSSEN DEN EINSATZ FOSSILER ENERGIEN IM BESTEN FALL VOLLSTÄNDIG VERMEIDEN“

Im Gespräch mit Dirk Mangold, Leiter des Steinbeis-Forschungszentrums Solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme (Solites)

Die Energieversorgung der Zukunft hat viele Anforderungen zu erfüllen: Sie muss nachhaltig, sicher und bezahlbar sein sowie sich stetig ändernden Randbedingungen anpassen können. Eine wichtige Rolle spielen dabei die erneuerbaren Energien. Welche Vorteile, aber auch Herausforderungen sie mit sich bringen und wie die Digitalisierung bei der Bewältigung aktueller und zukünftiger Probleme helfen kann, darüber hat Steinbeis-Experte Dirk Mangold mit der TRANSFER gesprochen.

Herr Mangold, 2005 haben Sie Ihr Steinbeis-Unternehmen Solites gegründet und arbeiten seitdem auf den Gebieten der solaren und zukunftsfähigen thermischen Energiesysteme. Wie haben sich Ihre Ziele in dieser Zeit weiterentwickelt?

Solites ist im Prinzip eine Ausgründung aus der Universität Stuttgart heraus. Meine Arbeitsgruppe am Institut für Thermodynamik und Wärmetechnik entwickelte solarthermische Nahwärmenetze mit saisonalem Wärmespeicher, die in Pilotanlagen realisiert wurden. Allerdings ist die Realisierung eines Forschungsprojektes, das nach der Inbetriebnahme ein paar tausend Menschen zuverlässig und zu konkurrenzfähigen Kosten mit Wärme versorgen muss, in der Praxis sehr komplex. Dies führte zu zunehmenden Schwierigkeiten für die Universität Stuttgart, die Brücke von universitären Laborarbeiten zu Pilotprojekten in der doch recht hart agierenden Baubranche zu schlagen. Mit dem Ziel, unsere Technologien langfristig bis zur Marktreife entwickeln zu können, machte ich mich zusammen mit einem Kollegen auf die Suche nach einer passenden neuen Heimat und fand diese 2005 bei Steinbeis. Dieses Ziel haben wir immer noch, in den letzten Jahren kamen aber neue hinzu: Wir haben eine Arbeitsgruppe aufgebaut, die sich mit der Technologieentwicklung für Erdwärmesonden als zentrale Komponente der oberflächennahen Geothermie beschäftigt. Damit kann die Energie aus dem Erdinneren zum Heizen und auch für einfache sommerliche Kühlaufgaben verwendet werden. Des Weiteren entwickeln wir Methoden zur Energieeinsparung durch die Veränderung des Nutzerverhaltens, zum Beispiel im Pflegebereich. All dies entspricht unserem übergeordneten Ziel, die Energieversorgung von großen Liegenschaften, Quartieren, Dörfern und Städten zu einem möglichst großen Anteil durch erneuerbare Energien zu decken. Unserem ersten Ziel sind wir schon sehr nahe gerückt: Durch unsere langjährige Kooperation mit der Fernwärme- und der Solarthermiebranche in Deutschland und Europa konnten wir wesentlich dazu beitragen, dass sich der Markt für solare Wärmenetze nun auch national zu entwickeln beginnt.

Abwärmenutzung aus einem Stahlwerk für das Fernwärmenetz in Hennigsdorf

Sie erstellen für Ihre Kunden zukunftsfähige Energiekonzepte. Nach welchen Kriterien messen Sie die Zukunftsfähigkeit?

Zukunftsfähigkeit kann nach vielen Kriterien gemessen werden. Unserer Erfahrung nach haben drei Kriterien zentrale Bedeutung: Als Erstes müssen zukunftsfähige Energiekonzepte den Einsatz fossiler Energien und damit den CO2-Ausstoß für die Energieerzeugung minimieren, im besten Fall vollständig vermeiden. Noch wichtiger als die Stromversorgung ist hierbei die Wärmeversorgung, da wir in Deutschland im Vergleich zum Stromverbrauch ein Vielfaches an Energie für Wärme aufwenden. Des Weiteren muss die Energieversorgung bezahlbar bleiben. Zum einen muss das wirtschaftliche Interesse der Investoren und Betreiber bedient werden, zum anderen müssen die Energiepreise sozialverträglich sein. Das dritte Kriterium besteht darin, dass neu entstehende Systeme zur CO2-minimierten Energieversorgung vor allem für Quartiere und Städte sich stetig ändernden Randbedingungen anpassen müssen. Diese können sich in 20 Jahren stark verändert haben. Zukunftsfähigkeit bedeutet in diesem Kontext, dass sich das heute zu entwickelnde Energieversorgungssystem an die geänderten Randbedingungen möglichst einfach anpassen können muss.

Sie haben eine nachhaltige Energieversorgung schon als wesentliche Aufgabe angesprochen: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen dabei?

Nachhaltigkeit ist ein Begriff mit vielen Bedeutungen. Wenn wir Nachhaltigkeit im Sinne der gerade angesprochenen Zukunftsfähigkeit verstehen, liegt die größte Herausforderung in der Vereinigung der vorab genannten drei zentralen Kriterien: Natürlich wäre ein Energieversorgungssystem das Beste, das ohne CO2-Ausstoß die Strom- und Wärmeversorgung zu Kosten sicherstellt, die den Investoren Spaß machen, auch einkommensschwache Haushalte nur gering belasten, und das dabei noch für alle zukünftigen Eventualitäten gewappnet ist. Hierin liegen jedoch große Gegensätze: Auf alle denkbaren zukünftigen Änderungen der Randbedingungen technisch vorbereitet zu sein, ist in der Regel teuer. Die Nutzung erneuerbarer Energien hat im Vergleich zu CO2-emittierenden klassischen Wärme- und Stromerzeugern meist wesentlich höhere Investitionskosten, die der Investor aufbringen muss. Dafür spart er dann viele Jahre umfangreich Betriebskosten ein, aber die Anfangsinvestitionen müssen zuerst finanziert sein. Und die Wärmepreise müssen sozial und politisch verträglich sein.

Wir bestimmen das technisch-wirtschaftliche Optimum in diesem multidimensionalen Parameterfeld, in dem wir mögliche zukünftige Energieversorgungssysteme in Simulationsmodellen „zum Leben erwecken“ und deren Systemverhalten unter vielen Bedingungen virtuell testen. Schon oft konnten wir dadurch für ein Quartier, ein Dorf oder auch eine ganze Stadt ein System entwickeln, das auf sich ändernde Randbedingungen robust reagiert und dabei schrittweise den fossilen Energieeinsatz minimiert. Es muss nicht immer gleich der große Sprung zur CO²-Freiheit gewagt werden. Auch ein erster Schritt mit zum Beispiel der Realisierung eines Wärmenetzes und einer Solarthermieanlage für die Deckung des sommerlichen Wärmebedarfs ist ein Schritt in die richtige Richtung, dem in den nächsten Jahren dann weitere Schritte folgen können. Dass dieses schrittweise Wachsen hin zur CO2-Neutralität einfach möglich ist, wird zuvor mit Hilfe unserer Simulationsmodelle entwickelt und geprüft.

Solares Wärmenetz mit Multifunktions-Wärmespeicher und Sektorkopplung: Die an ein Wärmenetz angeschlossene Siedlung rechts im Bild wird aus dem Heizkraftwerk mit Wärme versorgt. Dort wird Strom erzeugt oder über eine Wärmepumpe in Wärme umgewandelt, je nach Strompreis an der Strombörse. Der Multifunktions-Wärmespeicher nimmt hierbei Wärme aus dem Heizkraftwerk auf wie auch die Wärme aus der Solarthermieanlage links im Bild. Bei Wärmebedarf im Wärmenetz gibt der Wärmespeicher die gespeicherte Wärme wieder ab.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Gestaltung unserer nachhaltigen Energiezukunft?

Digitalisierung im Sinne einer virtuellen Betrachtung des zu entwickelnden Energieversorgungssystems durch Simulation ist essentiell: Energieversorgungssysteme, die zu einem Großteil erneuerbare Energien nutzen, vereinen mehrere Technologien und sind vielen Randbedingungen ausgesetzt, die sich sehr dynamisch ändern können, wie zum Beispiel der Solarstrahlung, die in Solarkollektoren Wärme erzeugt. Nur durch dynamische, umfangreiche Simulationen können diese Systeme technisch- wirtschaftlich entwickelt werden. Digitalisierung im Sinne des „Internets der Dinge“ kann zum Beispiel bedeuten, dass ein Wärmenetzbetreiber einen sich selbst optimierenden Algorithmus nutzt, der lernt, wann welcher Kunde wie viel Wärme benötigt und dann die Wärmeerzeugungen und das Wärmenetz kostenoptimal und CO2-minimiert regelt. Neben den großen Datenmengen, die zu messen, zu sammeln und zu verarbeiten sind, sind hier zwangsweise Themen des Datenschutzes zu bearbeiten und zu lösen: Das Wissen über den Energieverbrauch von Kunden bringt Wissen über deren Lebenswandel. Hier muss der Datenschutz sicher gewährleistet sein. In der Fachwelt werden hierzu unter anderem Blockchain-Systeme diskutiert. Unsere aktuellen Projekte in den Bereichen der Effizienzsteigerung bestehender Wärmenetze und von Wärmenetze 4.0-Systemen zeigen, dass mit relativ einfachen, smarten, an die Aufgabe gezielt angepassten Technologien sehr gute technische Lösungen entwickelt werden können, die wirtschaftlich realisierbar sind. Somit wird auch die Digitalisierung der Strom- und insbesondere der Wärmeversorgung ein zusätzliches Add-on sein. Die ingenieurstechnische Grundaufgabe, möglichst passende Teilsysteme zu finden und diese zu einem optimierten Gesamtsystem zu kombinieren, wird in Zukunft sogar weitaus mehr benötigt werden als in den vergangenen, fossilen Jahrzehnten.

Kontakt

Dirk Mangold

Dirk Mangold | Leiter
Steinbeis-Forschungszentrum Solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme (Solites)
www.solites.de