© Susanne Ferrari Design

Ein Shaolin-Kloster für PLM, Industrie 4.0 und Digitalisierung

Steinbeis-Experten setzen Ausbildungsprogramm für PLM Prinzipal Berater auf

Die Schlagwörter Digitalisierung und Industrie 4.0 sind aktuell in aller Munde. Das ist gut so, denn sollte Deutschland die Digitalisierung versäumen, werden die Auswirkungen für die hiesige Wirtschaft dramatisch sein. Plakative Erfolgsgeschichten erwecken schnell den Eindruck, smarte Produkte und die sich selbststeuernde Produktion seien längst keine Herausforderung mehr. In der Realität ist das mitnichten so. Damit Unternehmen schnell smarte, mechatronische Produkte entwickeln und an den Markt bringen können, ist die sogenannte horizontale Integration notwendig. Um neue, produktbezogene Dienstleistungen anbieten zu können, muss ein Digitaler Zwilling produktbegleitend entstehen. In diesem Zuge müssen das Entstehen und der Fluss der Informationen durch das Unternehmen entsprechend gestaltet und mit modernen Softwaresystemen unterstützt werden: Ein Product Lifecycle Management (PLM) ist notwendig. Um Fachkräfte im Unternehmen fit im PLM zu machen, bietet das Steinbeis-Transferzentrum Rechnereinsatz im Maschinenbau gemeinsam mit der Steinbeis- Hochschule Berlin (SHB) ein Ausbildungsprogramm zum „Certified PLM Principal (SHB)“ an.

Als umfassende digitale Disziplin im Unternehmen definiert und gestaltet PLM das Zusammenspiel zwischen digitaler Technologie und Modellierung, Informationsvernetzung, Softwarefunktionalität und den Prozessen entlang des Produkt- und Produktionslebens. Eine erfolgreiche digitale Transformation setzt die adäquate Umsetzung eines PLM voraus.

Als Qualifikation zur Umsetzung von PLM sind exzellente Kenntnisse aller relevanten Unternehmensprozesse der Produktentstehung, der Auftragsabwicklung und der Produktion erforderlich. Hinzu kommt ein notwendiges breites Fachwissen in Informationstechnik, Softwarearchitekturen und auf dem Markt vorhandener Softwaresysteme. Darüber hinaus ist für die Umsetzung von PLM die Fähigkeit notwendig, zwischen impliziten und expliziten Soll- und Ist-Unternehmensprozessen und deren technischer Realisierung abstrahieren zu können und den beteiligten Fachbereichen und Domänen deren Notwendigkeit interdisziplinär vermitteln zu können. Nicht jeder, der an der Umsetzung von PLM beteiligt ist, muss diesem Qualifikationsprofil entsprechen. Doch jedes PLM-Projekt sollte zumindest von einem Prinzipal Berater begleitet werden, der über das Qualifikationsprofil verfügt. Aktuell gibt es zwar viele gute PLM-Berater am Markt, doch die wenigsten haben die notwendige Befähigung die Prinzipal Berater-Rolle einzunehmen. Das hat zwei Gründe: Zum einen mangelt es an geeigneten Ausbildungsprogrammen, zum anderen ist das benötigte Wissen über Unternehmensprozesse und Vorgehen zur Umsetzung von PLM so umfangreich, dass es mit heutigen Mitteln und Methoden quasi nicht erlernbar ist.

Das Ausbildungsprogramm „Certified PLM Principal (CPP)“ des Steinbeis- Transferzentrums Rechnereinsatz im Maschinenbau geht diese Probleme an. Das Programm fußt auf einer neuartigen Denkweise des PLM, die davon ausgeht, dass Information ganz ähnlich wie Material durch ein Unternehmen fließt und sich dabei vernetzt. Sowohl Fluss als auch Vernetzung kann und muss gestaltet werden. Entwickelt wurde das Steinbeis-Programm in Zusammenarbeit mit der Siemens Industry Software GmbH (SISW), der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft sowie dem Lehrstuhl für Virtuelle Produktentwicklung (VPE) der Universität Kaiserslautern unter Federführung der Professoren Jörg W. Fischer, Martin Eigner und Bernd Langer. Sie führen auch die Module sowie die Betreuung der projektbegleitenden Ausarbeitungen durch.

Jörg W. Fischer, Partner des Steinbeis-Transferzentrums Rechnereinsatz im Maschinenbau, zieht als Analogie zur Erklärung des Nutzens des CPP die Kampfkunst der Shaolin-Mönche heran: „Im PLM gibt es sehr wenige exzellente Berater. Sie haben der Analogie folgend durch langjährige oft schmerzhafte Erfahrung das Kämpfen in Straßenkämpfen gelernt, aber ihnen fehlt die methodische Kampfkunst. Daher können sie ihr Wissen nicht oder nur sehr schwer weitergeben. Junge talentierte Berater, die ihnen folgen, müssen nun das Wissen wiederum über schmerzhafte Erfahrung in einer Vielzahl von Kämpfen lernen.“ Die CPP-Ausbildung bietet eine neue Denkschule, ähnlich wie das Shaolin Kung-Fu. Ein geeigneter Kandidat mit Talent und etwas Erfahrung kann schon nach einem halben Jahr Training im Shaolin Kloster besser als ein Straßenkämpfer mit zwanzig Jahren Erfahrung sein. Mit dem CPP wird dies auch für PLM möglich.

Aktuell wird der CPP in einem ersten Durchlauf exklusiv mit der SISW durchgeführt. Die SISW hat dafür ihre besten Berater als Teilnehmer ins Programm geschickt. Einer von ihnen ist Thorsten Neumann, der nach den ersten Monaten ein positives Zwischenfazit zieht: „Die Ausbildung vermittelt Teilnehmern das Verständnis für Informationsfluss und Vernetzung in einem Unternehmen. Es bringt einen ganzheitlichen Beratungsansatz näher, der zusätzlich zur technischen Kompetenz ein starkes Gewicht auf die methodische Vorgehensweise legt. Das versetzt uns Teilnehmer in die Lage, nicht nur ein technisches Lösungsdesign zu erarbeiten – worin man in der Regel sicher und geübt ist – sondern auch eine systemneutrale Darstellung und Gestaltung von Informationsflüssen vornehmen zu können.“ Für Siemens-Kunden ergibt sich daraus der Mehrwert einer fundierten Beratung aus technischem Know-how plus methodischer Vorgehensweise auf Basis des jeweiligen Industrieprozesses. Und Thorsten Neumann setzt diese neuen Kompetenzen auch direkt in seinen Arbeitsalltag um. Sein aktuelles Projekt zum Thema Dokumentenmanagement bei einem mittelständischen Unternehmen betrachtet er nun aus einem anderen Blickwinkel als lediglich auf Features und Functions fixiert. Auch Kollege und CPP-Teilnehmer Daniel Schnurr profitiert vom bisher Gelernten. „Die Sichtweisen der Ausbilder und ihre praktischen Erfahrungen und Vorgehensweisen lassen sich für die Projektarbeit direkt anwenden und das Einbeziehen realer Fälle lässt über den eigenen Tellerrand blicken“, resümiert der Siemens-Berater. Die vermittelten Methoden und Vorgehensweisen sind für ihn eine wertvolle Ergänzung zur vorhandenen Unternehmensmethodik, den anfänglichen Mehraufwand rechtfertigt ein klares und effizient verwendbares Ergebnis.

Im Rahmen des CPP werden die Kernextrakte der relevanten Industrieprozesse unterschiedlicher Industrien, der systematischen Prozess- und Informationsflussanalyse, des methodischen Lösungsdesigns, die Befähigung zur Persönlichkeitspositionierung sowie das Initiieren notwendiger Veränderungsprozesse im Unternehmen gelehrt.

Als Einstiegsvoraussetzungen ins Programm müssen Bewerber vier Jahre PLM Industrieerfahrung, die Befähigung zum abstrakten logischen Denken, sehr gute Präsentationsfähigkeiten und ein vorhandenes domänenübergreifendes Verständnis von PLM mitbringen. Geprüft wird dies in einem Auswahlgespräch mit einem der Professoren.

Die Zertifizierung im Programm erfolgt über die Steinbeis-Hochschule Berlin (SHB). Das Ausbildungsprogramm zum CPP entspricht einem Studienschwerpunkt an der SHB und hat einen Umfang von 15 ECTS. Die Ausbildung greift das bewährte Steinbeis Projekt-Kompetenz-Konzept auf. Dies basiert auf dem Grundverständnis, dass Wissen zwar ein wichtiges Potenzial darstellt, aber letztendlich die situative, selbstorganisierte Anwendung des Wissens erfolgsentscheidend ist. Den Teilnehmern werden in Präsenzveranstaltungen das Grundwissen sowie die methodischen Fertigkeiten vermittelt, die sie dann in einer bewerteten Ausarbeitung im PLM-Projekt anwenden.

Kontakt

Der nächste Kursbeginn ist für September 2017 geplant. Weitere Informationen erhalten Sie bei:

Prof. Dr.-Ing. Jörg W. Fischer
Steinbeis-Transferzentrum Rechnereinsatz im Maschinenbau (STZ-RIM) (Karlsruhe)