Neue technologische Wege in der Ernährung
Vom 15. Oktober bis zum 5. November 2020 fanden im Steinbeis-Haus für Management und Technologie (SHMT) in Stuttgart und online die finalen drei Veranstaltungen zum dritten Schwerpunktthema des #techourfuture Technologie*Begreifen-Projektes statt. Unter dem Motto „Zukunft Ernährung – Blick über den Tellerrand hinaus“ präsentierten führende Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft verschiedene Einsatzmöglichkeiten von Technologie im Bereich Ernährung. Alle drei Veranstaltungen wurden live über den YouTube-Kanal des Ferdinand-Steinbeis-Instituts übertragen. Angeregt diskutiert wurden dabei nicht nur Fragen des Geschmacks, sondern auch Chancen und Risiken für die Gesellschaft.
Welchen Einfluss hat Technologie auf unsere Ernährung? Welche Rolle spielt die Gen-Schere CRISPR in der Pflanzenzucht? Drucken wir unser Mittagessen bald mit dem 3D-Drucker? Wird Fleisch in Zukunft künstlich hergestellt und mit welchen Auswirkungen? Antworten auf diese und weitere Fragen gab das Team des Ferdinand-Steinbeis-Instituts mit #techourfuture, einem vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg geförderten Projekt.
Speiseplan der Zukunft – Essen aus dem 3D-Drucker
Im Fokus des ersten Events stand die Frage, ob es sich bei 3D-gedruckten Nahrungsmitteln nur um eine Spielerei für Hobbyköche handelt oder ob die Anwendung des additiven Fertigungsverfahrens im Bereich der Ernährung einen tatsächlichen Nutzen für die Gesellschaft hat. Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer bestätigte in einer kurzen Umfrage zu Beginn der Veranstaltung, dass sie hinter der Technologie durchaus einen gesellschaftlichen Nutzen vermutet. Dr. Helga Gruber, Managerin Forschung und Entwicklung der Print2Taste GmbH, erklärte nicht nur die Funktionsweise der 3D-Food Printer, sondern führte auch aus, dass Essen aus dem 3D-Drucker beispielsweise Menschen mit Kau- und Schluckbeschwerden eine individuelle und ansprechende Versorgung ermöglichen kann. Ihre Kollegin Teresa Dufter, Leiterin des F&E-Bereichs für Lebensmittel und Anwendungen, zeigte live, wie 3D-gedrucktes Essen auf den Teller kommt. Wie das schmeckt, darüber konnte sich die kleine Anzahl derjenigen, die vor Ort teilgenommen hatten, selbst ein Bild machen. Zu probieren gab es kleine Kostproben aus Schokolade sowie ein Mittagsmenü mit Brokkoli, Karotte und Leberkäse. Die rund 50 online zugeschalteten Teilnehmer interessierte vor allem die Haltbarkeit der 3D-gedruckten Speisen und ob es möglich sei, mit mehr als einer Zutat gleichzeitig zu drucken. Helga Gruber erklärte, dass neben der Reduzierung der Produktionszeit auch daran gearbeitet werde, den Drucker mit mehreren Düsen auszustatten, um das gleichzeitige Drucken mit verschiedenen Zutaten zu ermöglichen. Dass in einer Profiküche zukünftig 3D-Drucker die „Chefs“ ersetzen, hielten beide Expertinnen für unwahrscheinlich. Die Food Printer bieten jedoch bereits nach dem heutigen Stand der Technik gänzlich neue Möglichkeiten, Lebensmittel zu verarbeiten, beispielsweise Schokolade im Bereich des Konditorhandwerks, und mittels 3D-Druck nicht nur neue Formen, sondern auch außergewöhnliche Geschmackserlebnisse zu schaffen.
Pflanzenzüchtung der Zukunft – Von Mendel bis zur Genom-Editierung
Nach den Veränderungen durch neue Technologien im Bereich der Lebensmittelverarbeitung richtete Teil 2 der Veranstaltungsreihe den Fokus auf den Anfang der landwirtschaftlichen Produktionskette. Professor Dr. Thomas Miedaner, Leiter des Arbeitsgebiets Roggen der Landessaatzuchtanstalt an der Universität Hohenheim, nahm die Teilnehmer mit auf eine Reise durch die Pflanzenzüchtung der Zukunft. Er erläuterte, dass in Anbetracht der wachsenden Weltbevölkerung, des Klimawandels und der globalen Verbreitung von Krankheitserregern die Pflanzenzüchtung auch in Zukunft unverzichtbar sein wird. Anhand anschaulicher Beispiele aus der Roggen- und Maiszüchtung erklärte Thomas Miedaner die Funktionsweise neuer Technologien, wie DNS-Markertechniken, Gentechnologie oder Genom-Editierung, die den langwierigen, zwischen sechs und zehn Jahre dauernden Prozess der Züchtung beschleunigen und effizienter machen können. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Methoden besteht darin, dass entweder auf der Basis des gesamten Genoms Auslese betrieben werden kann oder einzelne Gene aus der Natur in Kulturpflanzen eingebracht oder mittels Genom-Editierung gezielt verändert werden können, um beispielsweise die Krankheitsresistenzgene von „anfällig“ auf „resistent“ umzuprogrammieren. Diskutiert wurde unter anderem die Effizienz dieser Verfahren, aber auch ihre Auswirkungen auf die genetische Vielfalt der Pflanzen sowie die Artenvielfalt selbst und deren Rolle im Klimawandel. Das zu Beginn und zum Ende der Veranstaltung über Mentimeter abgefragte Stimmungsbild über die verschiedenen Methoden zeigte, dass die Mehrheit der Teilnehmer die klassische Pflanzenzüchtung weiterhin als zulässigen Eingriff in die Natur einstuft. Rund 50 Prozent der Befragten empfinden auch die neueren Methoden wie die Genom-Editierung ebenfalls als zulässigen Eingriff in die Natur. Dass die Vorbehalte gegenüber neuen Technologien abnehmen, bestätigte auch Thomas Miedaner.
Clean Meat – Fleisch aus dem Labor
Der dritte und letzte Teil der #techourfuture-Reihe „Zukunft Ernährung“ widmete sich der Frage, welchen Einfluss neue Technologien auf die Fleischerzeugung haben können. 2013 stellte der niederländische Forscher Professor Mark Post den ersten im Labor gezüchteten Hamburger vor – umgerechnet für einen Preis von rund 250.000 Euro. Technisch ist es also möglich, Fleisch in der Petrischale heranwachsen zu lassen. Aber wie wird das sogenannte Clean Meat genau hergestellt? Was benötigt man dazu? Und schmeckt das im Labor gezüchtete Fleisch wie konventionelles Fleisch? Zu Beginn der Veranstaltung ging knapp die Hälfte der Teilnehmer davon aus, dass der Geschmack ähnlich sei. Die verschiedenen Schritte zur Herstellung von Fleisch im Labor erläuterte Professor Dr. Petra Kluger, Vizepräsidentin Forschung und Professorin für Tissue Engineering und Biofabrication an der Hochschule Reutlingen, die mit ihrem Team seit 2019 an der Züchtung von tierischem Gewebe arbeitet und forscht. In ihrem Vortrag ging sie auch auf derzeitige Herausforderungen sowie einen möglichen gesellschaftlichen Mehrwert des Fleischs aus der Petrischale mit Blick auf die Massentierhaltung und den Klimawandel ein. In den YouTube Live-Chat eingebrachte Teilnehmerfragen umfassten Aspekte der gesunden Ernährung, der Marktreife und des Preises, der Verwendung tierischer Stammzellen sowie des Kochverhaltens. Wenngleich in der Diskussion Vorbehalte gegenüber der Verwendung von tierischem Wachstumsserum deutlich wurden, schätzte die Mehrheit der Teilnehmer das Laborfleisch als klimafreundliche Alternative gegenüber der Massentierhaltung ein.
Technologie*Begreifen: Informieren, diskutieren, verstehen
Das durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg geförderte Pilotprojekt nähert sich damit dem Ende seiner Laufzeit (lesen Sie hierzu auch das Editorial auf S. 3). Aus Projektsicht ist es nun an der Zeit, die im Laufe der vergangenen zwei Jahre experimentell umgesetzten Formate noch einmal genauer zu untersuchen und miteinander zu vergleichen, um somit dem Projektziel von #techourfuture Technologie*Begreifen gerecht zu werden: ein Format zu entwickeln, das in einem Vertrauensraum sachlich über Zukunftstechnologien informiert und es gleichzeitig ermöglicht, den Einsatz dieser Technologien kritisch zu hinterfragen, aus verschiedenen Blickwinkeln zu diskutieren sowie eigene Zukunftsvisionen einzubringen. Nach der ganztägigen Präsenzveranstaltung zur Zukunft des autonomen Fliegens (November 2019) und den reinen Online-Veranstaltungen zur Zukunft unserer Gesundheit (Juni/Juli 2020) war es geplant, den dritten Themenblock als Hybridevent zu realisieren, bei dem Interessierte zwischen der Teilnahme vor Ort und der Teilnahme online wählen konnten. Bei Teil 1 und 2 gelang dies, bei Teil 3 dagegen war aufgrund der aktuellen Situation nur die Online-Teilnahme möglich. Die Teilnehmeranzahl ist von Veranstaltung zu Veranstaltung gestiegen. Die #techourfuture-Veranstaltung zu „Zukunft Ernährung“ hatte die bisher größte Reichweite. Wie sich diese Entwicklung erklären lässt und welche Rolle hierbei das jeweilige Thema sowie das Veranstaltungsmedium spielten, gilt es nun auszuwerten. Ein erster Rückschluss kann jedoch bereits jetzt gezogen werden: Die Formatentwicklung wird auch in Zukunft neben der inhaltlichen Ausrichtung und der Zielgruppe die realen aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen berücksichtigen.
Veranstaltung verpasst? Alle Aufzeichnungen der #techourfuture-Veranstaltungsreihe „Zukunft Ernährung“ finden Sie auf dem YouTube-Kanal des Ferdinand-Steinbeis-Instituts: bit.ly/3pdgwNN
Drei Events haben sich im Rahmen von #techourfuture seit Ende 2019 mit drei Zukunftstechnologien befasst. Für die TRANSFER blickt #techoufuture-Macherin Dr. Marlene Gottwald auf das erfolgreiche Projekt zurück:
Kontakt
Dr. Marlene Gottwald (Autorin)
Senior Research Fellow
Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI) (Stuttgart)
www.steinbeis-fsti.de
www.techourfuture.de