Steinbeis-Studierender konzipiert die Digitalisierung von Auftrags- und Rechnungsprozessen
Unternehmen sind heute gezwungen ihre Prozesse so weit wie möglich zu digitalisieren, wenn sie im Wettbewerb bestehen wollen. Das hat vielerlei Gründe: Angefangen dabei, dass Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten eine gute User Experience einer Prozess-Software erwarten, geht es auch darum, komplette Prozesse ohne Medienbrüche abzubilden und das entlang des gesamten Wertschöpfungsprozesses durch das Unternehmen. Darüber hinaus geht es um das Erfüllen von Dokumentationspflichten sowie Themen der rechtlichen und internen Compliance, um jederzeit für Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu sorgen. Dazu kommen Forderungen nach Produktivitätssteigerungen, ohne aber die Mitarbeiter mehr zu belasten. Eine komplexe aber keine unmögliche Aufgabe, das hat Jonas Pospischil in seinem Kompetenz-Projekt im Rahmen seines Studiums zum Master of Business Engineering an der Steinbeis-Hochschule gezeigt.
Die digitale Transformation ist heute in aller Munde, doch wie geht man das Thema Prozessdigitalisierung und -automatisierung strukturiert an? Welche Prozesse eignen sich, um mit der Digitalisierung zu starten? Und welche Anforderungen gibt es an ein Prozessdigitalisierungstool? Vor diesen Herausforderungen stand Jonas Pospischil zu Beginn seines Studien-Projektes. Er hatte sich einiges vorgenommen: Ziel war es, bei einem Zulieferer für Bodenbeläge im Bereich Großschiffe den Prozess von der Arbeitsauftragserteilung an die Kolonnen über die Rückmeldung der real geleisteten Arbeiten bis hin zur automatisierten Leistungs- und Rechnungserstellung und Freigabe durch den Auftraggeber durchgängig zu digitalisieren und so über 3.500 papierbasierte Prozesse digital in einer Plattform abzubilden und neue Auswertungen und Steuerungselemente zu ermöglichen. Das Projekt wurde als Kooperation zusammen mit der Steinbeis-Hochschule, der JobRouter AG und der Smart Solutions for Industry AG als Projektgeber durchgeführt. Die Smart Solutions for Industry AG ist eine gemeinsame Beteiligung der in Filderstadt sitzenden SCMT Steinbeis Center of Management and Technology GmbH und der Esslinger Steinbeis Interagierende Systeme GmbH.
Eine Digitalisierungsplattform hilft bei der Prozessautomatisierung
Eine Digitalisierungsplattform ist eine Software, die viele verschiedene Technologien kombiniert. Dabei ist für die Anwender eine einfache Verständlichkeit der Software wesentlich. Denn das spart Zeit, wenn das System in den Betrieb geht, und erhöht die Akzeptanz der Anwender. Optimal ist eine mögliche Low-Code-Orientierung des Systems. Der Begriff „Low-Code“ beschreibt eine Entwicklungsumgebung für Software, mit der sich Prozesse unter Verwendung visueller und grafischer Modellierungsmethoden erstellen lassen. Klassische, textbasierte Programmiertechniken sind nur geringfügig notwendig. Dadurch wird die Entwicklungs- und Bereitstellungszeit für Geschäftsanwendungen deutlich verringert. Mit einer browserbasierten, grafischen Benutzeroberfläche haben auch Prozessdesigner mit wenig Programmierkenntnissen die Möglichkeit, Prozesse und Apps zu modellieren. Eine Verfügbarkeit der Software als webbasierte Anwendung sowie native Apps für mobile Endgeräte helfen den Anwendern überall und jederzeit anliegende Arbeit zu erledigen. Kurz: Der Zugang und die einfache Bedienbarkeit müssen immer im Vordergrund stehen, da die beste Software keinen Mehrwert erbringt, wenn sie nicht durchgängig von allen Beteiligten genutzt werden kann.
Ausgangspunkt für Jonas Pospischils Projekt war ein bis dato sehr langwieriger Auswertungsprozess, der die Erstellung von Arbeitsaufträgen je Tag und Kolonne, rückgemeldete Arbeiten und Sonderleistungen sowie störende Papierdokumente beinhaltete. Im weiteren Prozessverlauf wurden Daten fehleranfällig und nicht revisionssicher in Office-Tabellen übertragen, digitale Dokumente zur Freigabe ausgedruckt und schließlich mehr als 1.000 Rechnungen pro Jahr erst gedruckt und anschließend wieder eingescannt, um sie an Kunden zu versenden oder in eigene Finanzsysteme zu überführen. Über den gesamten Prozess gab es so mehr als 3.500 papierbasierte Einzelprozesse und drei Systembrüche. „In Zahlen ausgedrückt ging es darum, mehrere Tausend Seiten Papier zu sparen, die Bearbeitungszeit von Wochen auf Stunden zu reduzieren und drei Systembrüche zu vermeiden“, fasst Jonas Pospischil zusammen. Sein Ziel: für den gesamten Prozess nur eine Digitalisierungsplattform zu nutzen und jeglichen Systembruch in Form von Ausdrucken zu vermeiden. Außerdem sollten Auswertungen statt nach sechs Wochen nun täglich möglich sein, die Datenqualität erhöht und alle Daten revisionssicher archiviert werden.
Durch Workshops und Einzelinterviews nahm Jonas Pospischil den Ist-Prozess auf, strukturierte die Anforderungen und entwickelte einen groben Soll-Prozess. Im Sinne einer agilen Prozessentwicklung sah er von einer langwierigen Ausformulierung eines Feinkonzeptes ab und begann stattdessen mit agilen Methoden, permanenter Einbindung der relevanten Nutzer und regelmäßigen Kundenreviews schnell mit der Prozessimplementierung. Möglich war dies durch den Einsatz einer Low-Code-Prozessdigitalisierungsplattform, mit der der Soll-Prozess schnell und effektiv in der Software umgesetzt werden konnte. Damit waren zeitnah funktionsfähige Prototypen möglich, die von den Anwendern getestet und bewertet wurden und deren Rückmeldungen direkt in die weitere Entwicklung einflossen.
Digitalisierung von Prozessen
Die Grundlage der digitalen Transformation ist das richtige Verständnis der Digitalisierung von Geschäftsprozessen. Ein Geschäftsprozess umfasst eine Reihe miteinander verbundener Aufgaben, an deren Ende die Bereitstellung einer Dienstleistung oder eines Produkts steht. „Digitalisierung von Prozessen bedeutet aber nicht die Abbildung analoger Prozesse, sondern unter Nutzung der digitalen Möglichkeiten neue, optimierte, also transformierte, Prozesse quer durch das Unternehmen zu entwickeln“, macht Jonas Pospischil deutlich. Erheblichen Mehrwert bringt dabei eine durchgängige Digitalisierung und Automatisierung über Abteilungsgrenzen hinweg und die Vernetzung von verschiedenen Softwaretools. Die Digitalisierung von Prozessen bedeutet damit immer auch eine Veränderung der bestehenden Abläufe und ein neues Rollen- und Verantwortungsverständnis.
In den letzten Jahren hat sich die Frequenz, mit der neue Geschäftsprozesse implementiert oder bestehende modifiziert werden müssen, erhöht. Sie müssen oft innerhalb von Wochen oder projektbezogen neu aufgesetzt oder angepasst werden. Zu starre Prozesse gewöhnen dem Nutzer das Denken ab – agile Prozesse sind Zeichen einer immer agiler werdenden Welt und übergeben Verantwortung an den Nutzer. Starre Vorgaben bis hin zum Stopp eines Vorgangs, weil wenig relevante Voraussetzungen nicht erfüllt sind, sind heute nicht mehr sinnvoll. Das stellt hohe Anforderungen an die Prozessentwickler und die Implementierung von Prozessstandards. Nicht der Prozess gibt den Weg vor, sondern der mitdenkende und verantwortliche Mitarbeiter.
Digitalisierung von Dokumenten und Daten
Ziel ist es, das Papier im Büro auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, um Bearbeitungszeiten zu verringern und die richtigen, aktuellen Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort den relevanten Personen zur Verfügung zu stellen. Digitale Entscheidungsprozesse benötigen verlässliche Daten und daraus erzeugte Informationen.
Datenmanagementsysteme (DMS) ermöglichen es, unterschiedliche Dokumente in zentralen Datenbanken abzulegen und die darin enthaltenen Informationen zu extrahieren und aufzubereiten. Im Fokus steht dabei die Digitalisierung von Daten und Informationen, nicht die Erstellung einer digitalen Kopie eines Papierdokumentes. Dies ermöglicht die situative Steuerung des Zugriffs auf die notwendigen Dokumente oder daraus extrahierter Informationen in Abhängigkeit des jeweiligen Prozessschritts. In einer derartigen Datenbank werden zudem ergänzende Informationen zum jeweiligen Dokument gespeichert, über die es schnell und einfach gefunden werden kann.
Das Dokumentenarchiv kann einfach an andere Systeme angebunden werden. Die Software erkennt zudem automatisch, um welche Dokumente es sich handelt, und liest die relevanten Parameter aus den Dokumenten aus. Das spart Zeit beim sonst langwierigen Archivierungsprozess, bis hin zu einer möglichen vollständigen Automatisierung. Im Unternehmen wird parallel und gemeinschaftlich mit Daten und Informationen gearbeitet, die abschließend in neue digitale Dokumente, wie beispielsweise einen Vertrag, eingefügt und digital bearbeitet werden. Auch das rechtskräftige Unterzeichnen von Dokumenten ist mithilfe elektronischer Signaturen digital abbildbar.
Erst diese digitale Speicherung, Aufbereitung und Verarbeitung ermöglicht weiterführendes automatisiertes Arbeiten mit diesen nun digital vorliegenden Daten. Verantwortungen können so völlig neu und funktionaler verteilt und gemanagt werden. Die Verringerung von analogen Daten auf Papier durch konsequente Überführung in digitale Datenbestände ist damit die Grundlage der digitalen Transformation.
Das Projekt im Rückblick
Jonas Pospischil als Steinbeis-Studierender und Mitarbeiter der Smart Solutions AG realisierte für den Zulieferer für Bodenbeläge im Großschiffsbau eine erfolgreiche Prozessdigitalisierung. Er konnte die zahlreichen Medienbrüche auf einen einzigen Bruch reduzieren und die mehrfache händische Übertragung von Informationen in Excel-Tabellen sogar gänzlich abschaffen. Hinzu kommt, dass durch die Einbindung von Auftragsdaten Fehlbuchungen auf bereits erledigte oder nichtexistierende Aufträge verhindert werden konnten.
Nach der Abnahme des Soll-Prozesses setzte Jonas Pospischil in Kooperation mit der JobRouter AG den Prozess in deren Digitalisierungsplattform um. Bei der Entwicklung der einzelnen Prozessabläufe und Prozessschritte war es enorm wichtig, den Anwender der Software in den Entwicklungsvorgang miteinzubeziehen – schließlich muss er die Software in der Praxis nutzen. Am Ende von definierten Sprints wurden Anwender und Führungsebene über den Prozessstand informiert und konnten ihr Feedback in der darauffolgenden Sprintphase einarbeiten lassen.
Am Ende der Entwicklungsphase stand der Test aller relevanten Prozessanforderungen des Prototypen-Prozesses. Dieser fand in einem weiteren kleinen Projekt statt, in dem die neuen Prozesse real operativ umgesetzt wurden, parallel zu den alten noch bestehenden Prozessen. Das ist kurzfristig ein sehr hoher Aufwand, der aber für das Gelingen von hoher Relevanz ist. Denn so konnten im praktischen Betrieb noch kleine Anpassungen und Änderungen unter realen Bedingungen umgesetzt werden, um dem Prozess den letzten Feinschliff zu geben und gleichzeitig die Anwender effektiv zu schulen.
Worauf sollte ein Unternehmen bei der Digitalisierung achten?
- Verwenden einer integrativen Plattform für Unternehmensprozesse.
- Der Projektplan sollte ein Big Picture der einzelnen Anwendungsfälle beinhalten.
- Die Handhabung für Anwender möglichst einfach halten.
- Low-Code-Ansatz für eine unkomplizierte Modifikation und Erweiterung der Softwarelösung.
- Prozessdigitalisierung, Dokumentdigitalisierung und Themen wie Robotic Process Automation und digitale Signatur sollten Bestandteil des Projekts sein.
- Die Softwarelösung muss im Hinblick auf Anzahl der Anwender, Vorgänge, Dokumente, Datensätze etc. einfach mitwachsen können.
- Schnittstellen zu anderen Systemen im Unternehmen müssen genutzt werden.
Kontakt
Marcus Nagel (Autor)
Co-CEO
JobRouter AG (Mannheim)
Alexander Wobetzky (Autor)
COO
Smart Solutions for Industry AG (Filderstadt)
Jonas Pospischil (Autor)
Company Designer & Process Consultant
Smart Solutions for Industry AG (Filderstadt)