Steinbeis-Experten setzen künstliche Intelligenz für Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung ein
Ein Zervixkarzinom, besser bekannt als Gebärmutterhalskrebs, verursacht zu Beginn meist keine Beschwerden, die zu einer möglichst frühzeitigen Diagnose führen können. Es kann aber mithilfe der Früherkennung relativ leicht entdeckt werden. Das Steinbeis-Transferzentrum Medizinische Systembiologie entwickelt mit CYTOREADER eine cloudbasierte Künstliche-Intelligenz-Plattform, die Labore bei der Einführung und dem Betrieb eines verbesserten Krebs-Screenings beim Gebärmutterhalskrebs mittels des Dual-Stain-Tests (CINtec® Plus) unterstützt. Auf diese Weise wird die diagnostische Qualität verbessert und die Effizienz des Screenings erhöht.
Ziel des Zervixkarzinom-Screenings ist die Detektion von Krebsvorstufen, die behandelt werden können, was eine Entwicklung von invasiven Karzinomen verhindert. Bei der Prävention des Zervixkarzinoms gab es in den letzten Jahrzehnten wichtige Fortschritte, ermöglicht durch die Entdeckung des humanen Papillomavirus (HPV) als Ursache des Zervixkarzinoms durch Harald zur Hausen. Gebärmutterhalskrebs kann daher mit einer Kombination von Impfung und regelmäßigen Screening-Tests verhindert werden.
Früherkennung mit dem Dual-Stain-Test
Der zytologische Nachweis der veränderten Zellen von Abstrichen im Gebärmutterhals hat entscheidend dazu beigetragen, die Zervixkarzinom-Mortalität in Industrienationen mit Screening-Programmen drastisch zu reduzieren. Bereits 1943 wurde mit der Verwendung der sogenannten „Pap-Tests“ die Grundlage hierfür geschaffen. Allerdings ist deren Auswertung schwierig, zeitintensiv, nicht besonders sensitiv und neigt zu falsch-positiven Ergebnissen. In den letzten Jahren wurde daher mit dem Dual-Stain-Test ein biomarkerbasierter zytologischer Test entwickelt. Dabei wird die gleichzeitige Expression der beiden Proteine p16 und Ki-67 in Zellen nachgewiesen, die hierbei für eine erhöhte Zellteilung (Ki-67) bei gleichzeitiger Fehlsteuerung der Zellteilung (p16) stehen. Im März dieses Jahres wurde dieser Test von der Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten (U. S. FDA) zugelassen, was eine Verbesserung der Früherkennung zur Folge hat. Die manuelle Auswertung des Dual-Stain-Tests ist zwar konsistenter, spezifischer und sensitiver als die des PAP-Tests, unterliegt aber noch einer gewissen Subjektivität. Glasobjektträger mit zellulärem Material des Gebärmutterhalses werden dabei zytologisch unter dem Mikroskop auf das Vorhandensein der beiden Proteine hin untersucht.
Cytoreader automatisiert das Screening
Experten am Steinbeis-Transferzentrum Medizinische Systembiologie in Heidelberg haben daher die Plattform CYTOREADER entwickelt, die diesen letzten, subjektiven Schritt beim Screening des Gebärmutterhalses mit Hilfe von künstlicher Intelligenz automatisiert. Diese Plattform wurde jetzt umfangreich in ersten epidemiologischen Studien in Kooperation mit dem US-National Cancer Institute und dem Gesundheitskonzern Kaiser Permanente Northern California an 4.253 Patienten evaluiert (Journal of the National Cancer Institute, 25. Juni 2020). Dabei konnte eine 30 %ige Reduktion von Kolposkopien (Biopsien) im Vergleich zum Standardverfahren – der Pap-Zytologie – erreicht werden, ohne Einbußen in der Detektion von Krebsvorstufen. CYTOREADER läuft hierbei als vollautomatisches System im Hintergrund und kann die Materialqualität der mikroskopischen Patientenproben beurteilen sowie die diagnostische Entscheidung unterstützen. Das KI-System erlaubt damit eine Verbesserung der diagnostischen Qualität mit höherer Sensitivität und Spezifität und führt zu einer erhöhten Effizienz des Screening-Programms. Mithilfe vollautomatischer Slide-Scanner können zytologische Glasobjektträger vollautomatisch mit mikroskopischer Auflösung digitalisiert werden. Hierbei werden komplexe Bildverarbeitungstechniken wie Deep-Learning-Netzwerke eingesetzt, die mit „guten“ und „schlechten“ Beispielqualitäten trainiert wurden. Anschließend werden die digitalen Abbilder der Patientenproben in die Cloud transferiert, wo sie weiter verwaltet, begutachtet und archiviert werden. Durch die browserbasierte Cloud-Lösung können die Proben weltweit von Experten über das Internet analysiert werden.
Diese Deep-Learning-Netzwerke zur vollautomatischen Bildanalyse der zellulären zytologischen Patientenproben sind das Herzstück von CYTOREADER. Sie wurden auf Proben zweier Dünnschicht-Präparationsarten zytologischer Objektträger (ThinPrep®, SurePath™) trainiert. Bei einer Analyse zerlegt CYTOREADER das gesamte Bild des digitalisierten Objektträgers in tausende von Kacheln und sortiert diese in Reihenfolge des Krebsrisikos. Dem diagnostizierenden Arzt oder Zytologen werden dann die 30 auffälligsten Krebsvorstufen in einer Galerie präsentiert. Mithilfe weniger Maus- oder Tastatur-Klicks konnte in Studien so eine Diagnose in unter einer Minute gestellt werden.
Bessere Diagnosen, höhere Kapazitäten
Der direkte Vergleich mit der Pap-Zytologie zeigte, dass CYTOREADER die gegenüber Pap-Tests bereits erhöhte Diagnosequalität des Dual-Stain-Tests weiter stark verbessern kann. So konnte die Zahl der falsch-positiven Diagnosen signifikant gesenkt (höhere Spezifität) sowie die Detektion der tatsächlichen Fälle erhöht werden (höhere Sensitivität). Die Zahl der positiven Patientinnen, denen eine Kolposkopie empfohlen wurde (die invasive Gewebe-Biopsie), konnte von 60 % auf 42 % der HPV-positiven Fälle gesenkt werden. Damit übertrifft CYTOREADER den aktuellen Performance-Standard der Pap-Zytologie in der diagnostischen Güte erheblich.
Der Einsatz von CYTOREADER erfordert die Nutzung eines Slide-Scanners. Dies kann lokal im Labor als auch über einen Service erfolgen. Entsprechend muss die Probenlogistik im Labor angepasst werden. Auf der anderen Seite zeigte die Cloud-Implementierung im Projektverlauf deutliche Vorteile. Labore brauchen keine komplexe, wartungsaufwendige eigene IT-Infrastruktur mehr. Die Patientenproben stehen global rund um die Uhr zur Verfügung. Die IT-basierte Analysekapazität für die Deep-Learning-Netzwerke ist nahezu unlimitiert skalierbar durch Rekrutierung von Cloud-Computing-Ressourcen. Durch die Digitalisierung der Labore werden so Wertschöpfungsketten partiell neu arrangiert werden. Dies wird ein wesentlicher Treiber für die Struktur der ökonomischen Landschaft der Labore in den nächsten Jahren sein, möglicherweise komplementär zu Konzentrationsprozessen. Generell beseitigt die Cloud nämlich existierende lokale technische Hürden und erlaubt es Laboren und Fachkräften sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Dieses Aufbrechen von Wertschöpfungsketten, auch über regionale, nationale oder institutionelle Grenzen hinweg, wird auch global gravierende Auswirkungen haben. Da 80 % der Fälle des Gebärmutterhalskrebses in Entwicklungs- und Schwellenländern auftreten, kann die Cloud auch hier einen großen Sprung in Richtung der modernen Gesundheitstechnologie liefern. Nach den positiven Studienergebnissen wird nun für CYTOREADER eine FDA- oder IVD-Zulassung angestrebt.
Mehr Informationen zum CYTOREADER unter www.cytoreader.com
Kontakt
Prof. Dr. Niels Grabe (Autor)
Steinbeis-Unternehmer
Steinbeis-Transferzentrum Medizinische Systembiologie (MSB) (STCMED) (Heidelberg)
www.stcmed.com
Dr. Bernd Lahrmann (Co-Autor)
Computer Scientist
Steinbeis-Transferzentrum Medizinische Systembiologie (MSB) (STCMED) (Heidelberg)
www.stcmed.com
Sehr gut gemacht!