Im Gespräch mit Dr. Philipp Liedl, Geschäftsführer der STASA Steinbeis Angewandte Systemanalyse GmbH
Wir sind umgeben von Daten, beruflich wie privat. Die relevanten Daten herauszufiltern und diese sinnvoll zu verwenden, ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Dabei spielt die Qualität der Daten eine wichtige Rolle. Steinbeis-Experte Dr. Philipp Liedl kennt sich damit aus und hat mit der TRANSFER über die KI in der Datenanalyse, Big Data und die angewandte Systemanalyse in der Medizin gesprochen.
Herr Dr. Liedl, in Ihrem Steinbeis-Unternehmen verwandeln Sie Daten in Wissen. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen aktuell, da die Flut an Daten und Informationen stetig zunimmt?
Eine der größten Herausforderungen besteht darin, aus der Fülle an Daten die tatsächlich relevanten Informationen zu extrahieren. Hier kann der gezielte Einsatz von KI-Methoden zur Datenanalyse helfen. Dabei ist jedoch die geeignete Auswahl der Eingangsgrößen – Features – wichtig, die in die KI-Modelle eingehen, sonst führt die Datenanalyse am Ende zu mehr Fragen als Antworten. Dies kann durch die Einbeziehung von Expertenwissen aus dem jeweiligen Anwendungsgebiet erreicht werden. Damit werden die Wirkungszusammenhänge sicherer erkannt und die Ergebnisse schneller interpretiert. Entscheidend für den Erfolg von Data-Analytics-Projekten ist aus unserer Erfahrung daher die Kombination von KI-Algorithmen und menschlichem Expertenwissen, also von künstlicher und humaner Intelligenz.
Darüber hinaus macht die zunehmende Menge an Daten eine Prüfung der Datenqualität schwieriger. Dies gilt für Daten aus technischen Prozessen und noch viel mehr für Daten aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich. Hier müssen vermehrt automatisierte Testmethoden verwendet werden, um die notwendige Datenqualität sicherzustellen, zum Beispiel, um Ausreißer in den Daten oder Datenfehler zu identifizieren.
Welche Rolle spielt das interdisziplinäre Querdenken bei der Bewältigung der Datenflut?
Es kann helfen, Methoden anwendungsübergreifend zur Verarbeitung und Analyse der Datenflut einzusetzen und darüber hinaus die tatsächlich relevanten Informationen zu filtern, mit dem Ziel die Datenkomplexität zu reduzieren. So haben wir bei STASA beispielsweise Algorithmen, die wir ursprünglich für die statistische Analyse von Massendaten aus Fertigungsprozessen und für die Identifikation von relevanten Größen daraus entwickelt haben, erfolgreich in andere Anwendungsgebiete transferiert, um diese auch dort für die Merkmalsextraktion in Massendaten zu verwenden.
In den vergangenen Jahren haben wir durch unsere interdisziplinäre Herangehensweise Best-Practice-Methoden für eine erfolgreiche Umsetzung von Projekten rund um die Datenanalyse, Modellierung und Prognose gemeinsam mit unseren Kunden aus der Industrie, dem Handel und mit öffentlichen Auftraggebern entwickelt. Dabei zielen wir immer auf eine enge Kooperation mit unseren Auftraggebern ab, um die spezifischen Besonderheiten der jeweiligen Anwendung in unseren Lösungen zu berücksichtigen und in der Diskussion mit unseren Kunden aus unterschiedlichsten Fachbereichen Querverbindungen zwischen den Disziplinen zu schaffen. So kann man Data-Analytics-Projekte in einer Win-win-Situation gemeinsam mit dem Kunden umsetzen.
Welche Potenziale, aber auch Risiken bringt Ihrer Meinung nach der Einsatz von Big-Data-Techniken in der Medizin? Welchen Einfluss haben diese auf Ihre Arbeit?
Im Gesundheitsbereich führen wir regionale Datenanalysen durch und entwickeln Softwaretools. Von diesem Blickwinkel aus besteht ein erhebliches Potenzial in einer stärkeren Vernetzung von Gesundheitsdienstleistungen auf entsprechenden Plattformen für gesundheitsrelevante Themen, zum Beispiel Telemedizin und häusliche Pflege.
Die demografische Veränderung führt zukünftig zu einem steigenden Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen durch eine immer älter werdende Gesellschaft. Diese Bedarfe werden regional unterschiedlich sein, insbesondere im ländlichen Raum steigt der Anteil der Älteren überproportional, da viele junge Menschen in die Ballungsräume abwandern. Gerade im ländlichen Raum ist auch die gesundheitliche Versorgung schwieriger, da größere Entfernungen zum Arzt zurückgelegt werden müssen. Auch Dienstleistungen in der häuslichen Pflege sind in dünn besiedelten Regionen mit langen Fahrwegen und damit mit einem insgesamt höheren Zeitaufwand für die Pflegekräfte verbunden als in Ballungsräumen. Angebote zu Telemedizin oder Plattformen zur besseren Organisation von Gesundheits- und Pflegedienstleistungen können hier einen Beitrag leisten, dem wachsenden Bedarf besser zu begegnen. Gleichzeitig ist aber gerade für ältere Menschen der Umgang mit den digitalen Medien schwieriger und sie sind weniger geübt darin. Daher müssen entsprechende Lösungen mehr noch als in anderen Bereichen benutzerfreundlich und intuitiv bedienbar gestaltet werden.
Risiken bestehen vor allem im Bereich des Datenschutzes. Das Vertrauen bei den Nutzern muss geschaffen werden. Daher ist die Einhaltung der gängigen Datenschutzrichtlinien extrem wichtig. Außerdem sollten auf derartigen Plattformen nur die wirklich für die Erbringung der Online-Dienstleistung erforderlichen Daten beim Nutzer abgefragt werden. Hier stehen wir als Entwickler, aber auch die Betreiber solcher Plattformen in der Verantwortung.
In Ihrer Arbeit wenden Sie oft die Methoden der angewandten Systemanalyse an. Lassen sich diese auch auf das Gesundheitswesen übertragen?
Die Methoden der Systemanalyse lassen sich gut auf das Gesundheitswesen übertragen und werden dort heute schon angewendet. Auch wir setzen unsere Methoden im Bereich des Gesundheitswesens ein, indem wir zum Beispiel unsere Modelle der kleinräumigen demografischen Bevölkerungsentwicklung mit Fragestellungen aus dem Gesundheitswesen kombinieren.
Hier hilft uns auch die zunehmende Digitalisierung im Bereich des Gesundheitswesens. Aktuell entwickeln wir beispielsweise im Projekt DiCaSa – Digital Care Supply Advisor, einem durch die NBank geförderten und mit den Mitteln des Europäischen Sozialfonds unterstützten Projekt – eine webbasierte Plattform, die unter anderem die Angebote für die häusliche Pflege im ländlichen Raum verbessern soll. Über die Plattform werden die Pflegebedürftigen beziehungsweise deren Angehörige mit den Pflegediensten zusammengebracht und zwar so, dass einerseits für die Pflegebedürftigen eine möglichst gute Pflegelösung gefunden wird und andererseits die Pflegedienste besser planen und ihre Einsätze koordinieren können. So sollen die Kapazitäten der Pflegedienste besser genutzt und optimal für die Pflegebedürftigen eingesetzt werden.
Darüber hinaus sind weitere Ansätze interessant. Auf Seiten der Anbieter im Gesundheitswesen, wie Krankenhäuser, Ärzte, Apotheken, ist die – anonymisierte – visuelle Darstellung von Patientenmerkmalen auf der räumlichen Ebene (Landkarte) für die Angebots- und Bedarfsplanung von großem Wert. So kann beispielsweise auf einer interaktiven Landkarte auf einen Blick erfasst werden, aus welchen Postleitzahlgebieten besonders viele oder wenige Patienten kommen. Reichert man die eigenen Daten mit weiteren sozioökonomischen Daten an, wie zum Beispiel der Bevölkerungszahl nach verschiedenen Altersklassen und Geschlecht, lassen sich daraus schnell Erkenntnisse für die Bedarfsplanung gewinnen. Auf Seiten der Patienten sind Plattformen, die die Angebotsseite des Gesundheitssystems abbilden, interessant, um sich beispielsweise zu informieren, wo die nächstgelegenen Ärzte oder Apotheken ansässig sind und sich darüber hinaus gleich die beste Route zu Fuß, mit dem Pkw oder öffentlichen Verkehrsmitteln anzeigen zu lassen.
Aktuell informieren sich die meisten von uns zu den aktuellen COVID-19-Fallzahlen auf interaktiven Landkarten im Internet, die von verschiedenen Instituten und den Medien bereitgestellt werden. In der geografischen Epidemiologie sind entsprechende Analysen zum Ausbreitungsverhalten von Epidemien, auch modellgestützt, bereits seit Jahren etabliert.
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Dr. Philipp Liedl (Autor)
Geschäftsführer
STASA Steinbeis Angewandte Systemanalyse GmbH (Stuttgart)
www.stasa.de