So sieht Teamarbeit aus: Daniela Heinl (re.) arbeitet zusammen mit einem Cobot an einem Werkstück.

Mensch und Roboter – ein starkes Team

Das Steinbeis-Team in Friedrichshafen setzt Roboter als Unterstützung für Menschen mit Behinderung ein

Mensch-Roboter-Kollaboration ermöglicht heute, dass ein Mensch und ein Roboter zur gleichen Zeit am gleichen Werkstück arbeiten können. Wer sich näher mit dem Einsatz von kollaborativen Robotern (auch „Cobots“ genannt) auseinandersetzt, erkennt aber schnell, dass sinnvolle kollaborative Ansätze bisher kaum zu finden sind. Das liegt daran, dass sich die meisten potenziellen Anwendungen auch kooperativ umsetzen lassen, Mensch und Roboter arbeiten also abwechselnd am Werkstück. Um einen echten kollaborativen Ansatz zu finden, hat das Steinbeis-Team der IWT Wirtschaft und Technik GmbH in Friedrichshafen einen Blick über den Tellerrand geworfen und die Idee entwickelt, dass Cobots als Unterstützung für Menschen mit Behinderung sinnvoll sein könnten. Roboter könnten Defizite, die durch die Behinderung bei Montagetätigkeiten auftreten, kompensieren.

Werkstätten für Menschen mit Behinderung und die dort arbeitenden Menschen profitieren von der gemeinsamen Arbeit mit Robotern. 2018 gab es in Deutschland 736 Werkstätten für Menschen mit Behinderung mit rund 310.000 Werkstattbeschäftigten. Da die meisten Arbeitgeber die Bedingungen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung derzeit nicht erfüllen, ist der Bedarf an integrativen Maßnahmen hoch. Im Jahr 2017 bezahlten 60% der deutschen Unternehmen Ausgleichszahlungen, weil sie zu wenig Schwerbehinderte beschäftigten. Diese Zahlungen können kompensiert werden, wenn Cobots in bestimmte Arbeitsprozesse mit eingebunden werden.

Mehr als nur Technik: ein Roboter braucht Akzeptanz

Doch diese bisher ungewohnte Zusammenarbeit wirft auch zentrale Fragen auf: Können Roboter für Menschen mit Behinderung wirklich eine sinnvolle Unterstützung bei unterschiedlichen Arbeitsvorgängen bieten und Arbeitsschritte an der ein oder anderen Stelle ergänzen? Wie reagieren Menschen mit und ohne Behinderung auf die Zusammenarbeit mit einem Roboter? Kris Dalm, Projektleiter der IWT, stellte sich diesen Fragen im Rahmen des Forschungsexperiments „Roboter in Kollaboration mit Menschen mit Behinderung in der industriellen Montage“, kurz ROKMI. Tatkräftige Unterstützung bekam er von seinem Projektteam um Rohan Sahuji, Ankita Surgade und Melanie Schirmer. „Bei ROKMI geht es uns weniger um technische Fragen, sondern vielmehr um Themen wie Akzeptanz und Nutzerfreundlichkeit. Es ist nicht zielführend, kollaborative Anwendungen umzusetzen, ohne vorher geprüft zu haben, ob diese Vorgehensweise von der Zielgruppe akzeptiert wird und bedienbar ist“, erläutert Kris Dalm den Fokus des Projekts. Er sieht in der kollaborativen Robotik eine große Chance, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen und lukrativer zu gestalten: „Stellen Sie sich vor, es geht um einen Montageauftrag mit zehn Arbeitsschritten, von denen ein oder zwei für die Beschäftigten mit Behinderung aus diversen Gründen nicht machbar sind. Hier könnte ein Cobot gut ergänzen.“ Bisher mussten Behindertenwerkstätten diese Art von Auftrag ablehnen oder ein Betreuer musste einzelne Prozessschritte bearbeiten. Nun könnte ein kollaborativer Roboter Menschen mit Behinderung ermöglichen, diese Arbeitsschritte zu übernehmen, sodass der bisher problematische Montageauftrag problemlos abgearbeitet werden kann.

Beim intensiven Austausch mit drei Werkstätten für Menschen mit Behinderung – der Stiftung Liebenau, den Integrations-Werkstätten Oberschwaben (IWO) in Weingarten und den Lindenberger Werkstätten – entwickelte das Projektteam einen weiteren Ansatz, der im Rahmen von ROKMI verfolgt werden kann. Die Leiter der Werkstätten äußerten in den Projektgesprächen Bedenken, ob die Roboter von den Betreuern der Werkstätten bei einfachen Modifikationen selbst programmiert werden können. Wenn das nicht der Fall wäre, müsste für jede Programmänderung ein Fachmann bezahlt werden und das würde die Nutzung eines kollaborativen Roboters für die Werkstätten weder rentabel noch bezahlbar machen.

Cobots im Einsatz: Prüfung bestanden

Aus dieser Fragestellung sowie dem Grundgedanken heraus, Cobots als Unterstützung für Menschen mit Behinderung einzusetzen, wurde das Forschungsprojekt in zwei Experimente gesplittet: Das erste Experiment untersuchte die Akzeptanz und Benutzerfreundlichkeit von kollaborativen Robotern im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Dabei stellte sich heraus, dass die Probanden auf die maschinellen Assistenten mit Freude reagierten und die Unterstützung sogar als eine Art „Statussymbol“ verstanden. Im Gegensatz zu Menschen ohne Behinderung sahen die Menschen mit Behinderung in den kollaborativen Robotern keinerlei Konkurrenz für ihren Arbeitsplatz, sondern waren dankbar für deren Unterstützung.

Auch das zweite Experiment untersuchte Akzeptanz und Benutzerfreundlichkeit von kollaborativen Robotern, allerdings in erweiterter Form bei Menschen ohne Behinderung. Neben den gleichen Aufgabenstellungen wie beim ersten Experiment untersuchte das Team der IWT hier zusätzlich, wieweit Menschen ohne technischen Hintergrund in der Lage sind einfache Programmänderungen selbst vorzunehmen. Früher wäre dies unvorstellbar gewesen, weil Roboter damals noch viel komplexer waren und somit nur mit Fachwissen aufwendig programmiert werden konnten. Heutzutage sind viele dieser Roboter fast intuitiv und auch für Menschen ohne Fachwissen zu handhaben. Meist findet der Programmierprozess über einen Touchscreen statt und erinnert deshalb eher an die praktische Bedienung eines Smartphones als an die Programmierung eines Roboters. Die Faktoren Akzeptanz und Benutzerfreundlichkeit wurden jeweils mithilfe von Fragebögen untersucht. Das Programmieren der Roboter bereitete dem Großteil der Probanden keine Probleme. In jedem Experiment gab es jeweils 30 Probanden als Versuchsgruppe und 30 als Kontrollgruppe.

Aus dem Projekt entstanden ist der mögliche Einsatz eines kollaborativen Roboters beispielsweise beim Produktionsprozess von Gemüsehobeln in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. In diesem Prozess muss eine Klinge auf ein Kunststoffteil geklebt werden. Die Klinge ist sehr scharf und die Werkstattmitarbeiter verletzen sich oft daran. An dieser Stelle bietet sich der Einsatz von Cobots an: Der Cobot kann den Kleber reproduzierbar auftragen und den Vorgang dabei protokollieren, was im Falle eines Rückläufers hilft. Daneben kann der Roboter die für den Menschen unhandliche und zudem gefährliche Klinge mit dem Kunststoff fügen, sodass die Werkstattmitarbeiter sich dabei nicht mehr verletzen. Zusätzlich gibt es weitere potenzielle Cobot-Anwendungen, wie bei der Lampenproduktion, Pick-by-Light für Kabelmontage, der Fertigung von Aktenvernichtern und bei Verpackungsarbeiten.

Kontakt

Kris Dalm (Autor)
Projektleiter
IWT Wirtschaft und Technik GmbH (Friedrichshafen)

Stefanie Rist (Autorin)
Projektassistenz
IWT Wirtschaft und Technik GmbH (Friedrichshafen)

www.iwt-bodensee.de