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AUTONOMISIERUNG: REALITÄT ODER (NOCH) FIKTION?

Das Prinzip hinter autonomen Flugobjekten

„Wir wissen, was du willst“ – damit lässt der Autor Marc-Uwe Kling die Einkaufsplattform TheShop in seinem Buchprojekt QualityLand werben: Datenanalysen sagen vorher, was der Kunde bewusst oder unbewusst wohl haben möchte. Eine Drohne liefert das Produkt, ohne dass der Kunde eine Bestellung ausführen muss, und filmt ihn beim Öffnen des Pakets. Das entstandene Unboxing-Video wird sofort auf der Plattform „Everybody“ gepostet. Zum Ende bewertet der Kunde die Drohne über einen Touchscreen. [1] Wir kommen dieser Fiktion mit der hohen Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung immer näher. Folglich arbeiten Unternehmen wie Amazon oder DHL bereits an einem zuverlässigen System, das die Lieferung durch Drohnen ermöglichen soll.

Das Prinzip, das für die Umsetzung solcher Konzepte notwendig ist, nennt sich Autonomisierung. Nach Immanuel Kant wird Autonomie als vernünftige Selbstbestimmung beschrieben, deren Entscheidungsfreiheit an Gesetzlichkeiten gebunden ist. Somit misst sich Autonomie an einer spezifischen Umwelt, in der das Individuum sich selbst definiert, selbstbestimmt zur Erfüllung seines Selbstzwecks handelt und sich dabei an eigenen Normen und Gesetzen orientiert. [2] In Interaktion des Systems mit seiner Umwelt organisiert das System sich selbst, ohne dabei seine Selbstbestimmung zu verlieren. Das System nutzt die Interaktion mit seiner Umwelt zur Vergrößerung des Wirkraums und Schöpfung von Potenzialen unter mehrdimensionalen Verknüpfungen. Hierbei versucht es, durch Selektion von Datenquellen, Aus- und Bewertung von unstrukturierten Daten sowie die Anpassung von Entscheidungsstrukturen die selbstgegebenen Ziele zu erreichen. Es strebt danach, seine Handlungsfähigkeit sicherzustellen und wenn möglich zu erweitern. Die naturwissenschaftliche Begriffsauslegung ergänzt „Autonomie“ um die Fähigkeit in unbekannten Umgebungen weiterhin funktionsfähig zu agieren. Diese Fähigkeit wird Robustheit genannt und stellt eine Anforderung an die Selbstorganisation dar. Das System verfolgt gesamtheitlich betrachtet die Metaziele der Selbstoptimierung und des Selbsterhalts. Drei Charakteristiken eines autonomen Systems lassen sich erschließen: Es agiert selbstbestimmt, selbstorganisiert und ist handlungsfähig. Um diese umzusetzen gibt sich das System eine eigene Identität oder erhält diese vom Systemdesigner. Es interagiert innerhalb eines vertrauensvollen Netzwerks unter globaler Governance zur Systeminteraktion. [3]

Das Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI) definiert Autonomisierung im Bereich der Wirtschaftsinformatik als Umsetzung von (Teil-)Geschäftsprozessen unter Erfüllung der drei genannten Charakteristiken. Für diese Umsetzung werden verschiedene digitale Technologien und Informationssysteme verwendet, die die Implementierung eines Systems aus Agenten zur Durchführung der autonomen Prozesse unterstützen. Beispielsweise führt ein autonomes Smart Home System eigenständig Bestellungen durch, bucht Arzttermine oder regelt die Atmosphäre im Haus zum Wohlbefinden des Besitzers. Das System organisiert die Aufgaben dafür selbst und interagiert mit notwendigen Akteuren im vertraulichen Umfeld des Zuhauses unter eigener Identität. Es führt selbst Werttransaktionen durch und reagiert auf unbekannte Situationen flexibel und im konsistenten Verhalten des Systems.

Ebenenmodell Autonomisierung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für die Realisierung autonomer Prozesse ist eine große Anzahl an Daten notwendig, die es zu analysieren gilt. Datengetriebene Ansätze entwickeln Modelle aus den heterogenen, mehrdimensionalen Datensätzen. Diese sind notwendig, um dem System die relevanten Informationen zur Entscheidungsfindung und somit zur Durchführung der autonomen Prozesse zur Verfügung zu stellen. Im Vergleich zu mathematischen Verfahren erlauben diese die Analyse großer und mehrdimensionaler Datenmengen, die beispielsweise durch das Aufkommen des Internets der Dinge entstehen. Im Vergleich zur Automatisierung sind bei autonomen (Teil-)Prozessen unstrukturierte Entscheidungen zu treffen. Hierbei entscheidet das System selbst, welche Faktoren und Datenquellen zur Entscheidungsfindung inkludiert werden. Diese können sich je nach Kontext und Zeit unterscheiden, wobei unterschiedliche Ergebnisse bei unterschiedlichen Auftraggebern und gleicher Maximierungsprämisse erreicht werden. Im Vergleich resultieren bei strukturierten Entscheidungen gleiche Ergebnisse bei unterschiedlichen Auftraggebern unter gleicher Maximierungsprämisse. Technologien, wie Deep Learning oder die Distributed Ledger Technologie, bieten Potenziale das Prinzip der Autonomisierung umzusetzen. Das FSTI untersucht diese Technologien zur Entwicklung von Konzepten mit dem Ziel der Autonomisierung. So interpretieren die Experten am FSTI die drei Charakteristiken der Autonomisierung:

  • Selbstbestimmtheit: Das System definiert seine eigenen Ziele und (Teil-)Prozesse zur Zielerreichung unter Beachtung eigener Gesetze und Normen.
  • Selbstorganisation: Sie umfasst das Selektieren von Faktoren und Datenquellen zum Treffen unstrukturierter Entscheidungen, das Ausund Bewerten mehrdimensionaler und großer Datenmengen sowie das Anpassen eigener Entscheidungsstrukturen (= selbstlernend).
  • Handlungsfähigkeit: Damit ist die Umsetzung von Entscheidungen in Interaktion mit der Umwelt unter Gewährleistung der Robustheit des Systems gemeint.

Das Ziel der Gestaltung von Systemen zur Umsetzung autonomer Prozesse existiert in vielen Bereichen. Ob hier von autonomen, automatisierten oder digitalen Lösungen die Rede ist, ist oft schwer abzuschätzen, da unterschiedliche Definitionen existieren.

DROHNEN: AUTONOM UND AUTOMATISIERT

Drohnen werden ähnliches Disruptionspotenzial besitzen wie Smartphones, so Nicholas Horbaczewski, der Gründer von Drone Racing League. Sie können Objekte über kurze Distanzen und in schwer zugängliche Gebiete transportieren. Von der Paketzustellung bis hin zur Versorgung in medizinischen Notfällen bietet diese Technologie verschiedene Einsatzmöglichkeiten. [4] In Zukunft können kooperierende Drohnen als Teile eines Systems eingesetzt werden, das selbstbestimmt und selbstorganisiert unterschiedliche Aufgaben übernimmt. Drohnen zählen zu den unbemannten Luftfahrzeugen und bilden eine wichtige Ergänzung zu bemannten, da sie in gefährlichen Situationen oder für monotone Aufgaben eingesetzt werden können, wie zum Beispiel in abgelegenen Orten oder Katastrophengebieten, zu Inspektionsarbeiten oder bei schlechten Wetterbedingungen. [5] Künftig liegt das Ziel in der Erhöhung des Automatisierungsgrades von bemannten Luftfahrzeugen zur Unterstützung des Piloten bis hin zur gänzlichen Übernahme der Aufgabe durch unbemannte, autonome Luftfahrzeuge. Folglich wird der zukünftige Luftraum eine Mischung aus bemannten und unbemannten Flugobjekten beinhalten, bedarf neuer Koordinationsmechanismen und wird durch die voranschreitende Technologiereife vorangetrieben.

Autonomes Fliegen (Konzeptsicht)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Architektur eines unbemannten Luftfahrzeuges besteht aus einem oder mehreren Bordcomputern, die die Flugzeugelektronik durch Softwaresysteme verwalten. Die Anzahl der Bordcomputer hängt von den Anforderungen an Modularität und Partitionierung ab. Sensoren und Aktuatoren ermöglichen die Steuerung sowie Fortbewegung. Dazu interpretiert eine Einheit die Daten der Sensoren. Definierte Aktionen werden anschließend durch die Aktoren ausgeführt. Kommunikationskomponenten gewährleisten die Interaktion mit anderen Objekten oder Bodenstationen. Ein System sorgt für den kontrollierten Flugabbruch in Notfällen. [6] Marc-Uwe Kling erweitert in seiner Romanfiktion die physische Ebene um die digitale Ebene zur unmittelbaren Durchführung von komplexen Entscheidungen unter Verwendung datengetriebener Modelle: Auf digitaler Ebene verwaltet das Flugsystem in QualityLand zur Umsetzung der autonomen Prozesse verschiedene digitale Drohnen-Repräsentanzen sowie weitere Datenquellen, wie zum Beispiel Wetterdaten, die Shop-Datenbank, die Plattform „Everybody“ etc. Die Prozessschritte von der Bestellung bis zur Erstellung des Unboxing-Videos werden dabei selbstbestimmt, selbstorganisierend und handlungsfähig vom System durchgeführt. Die Prozessschritte sind dabei nicht als zeitlich starr zu betrachten, sondern das System entwickelt diese ständig weiter, um sich an neue Gegebenheiten anzupassen – ein „selbstlernendes“ System.

Mit den Projekten Uber Elevate und Uber Air wird sich Uber in den nächsten fünf Jahren auch im Bereich Luftverkehr ausprobieren. Mit Uber Elevate verfolgt Uber das Ziel Flüge zwischen fixen Standorten autonom und elektrisch durchzuführen. Uber Air dagegen stellt einen On-demand-Dienst dar, der Flüge zwischen flexiblen Standorten durchführt. [7] Solche Projekte benötigen jedoch weitere Entwicklungen im Bereich Autonomisierung, um passende autonome Flugobjekte zu realisieren. Tech- nologische Ansätze wie das Internet der Dinge, künstliche Intelligenz und die Datenverarbeitung müssen daher weiterentwickelt werden. Trotzdem herrschen in der Realisierung autonomer Flugobjekte einfachere Bedingungen als bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge, da der Flugraum hoch reguliert ist und weniger unbekannte Variablen, zum Beispiel Passanten, berücksichtigt werden müssen. [8] Worauf sicher Verlass sein wird ist, dass sich manche Dinge wohl nie ändern werden: „Können Sie eventuell noch zwei Päckchen für Ihre Nachbarn annehmen?“ [1]

Kontakt

Daniel Burkhardt (Autor)
Research Assistant
Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI) (Stuttgart)
steinbeis-fsti.de


Quellen
[1] Vgl. Marc-Uwe Kling, QualityLand, Ullstein Buchverlage GmbH, 2018, Seite 18
[2] Vgl. Kant 1968, BA 87, Buss 2011
[3] Vgl. Littlewood 1996, Froese, Virgo and Izquierdo 2007
[4] Vgl. https://medium.com/foursquare-direct/in-ten-years-the-future-of-ai-and-ml-fa68a527f378
[5] Vgl. https://www.dlr.de/ft/desktopdefault.aspx/tabid-1377/1905_read-3360/
[6] Vgl. https://www.dglr.de/publikationen/2018/480238.pdf
[7] Vgl. https://www.adweek.com/brand-marketing/uber-elevate-ambitions-flight-sharing
[8] Vgl. https://www.gartner.com/smarterwithgartner/5-trends-emerge-in-gartner-hype-cycle-for-emerging-technologies-2018/, https://www.itworldcanada.com/blog/5-trends-on-gartners-hype-cycle-foremerging-technologies/423379