Im Gespräch mit Dr. Daniel Ulmer, Geschäftsführer der Steinbeis Interagierende Systeme GmbH
Innovative Testwerkzeuge für moderne Fahrerassistenzsysteme: Welche Anforderungen diese aktuell erfüllen müssen, wie wichtig dabei die richtige Fragestellung ist und welche Rolle die Nachhaltigkeit bei der Softwareentwicklung spielt – diese und weitere Fragen hat Dr. Daniel Ulmer im Gespräch mit der TRANSFER beantwortet.
Herr Dr. Ulmer, 2015 wurde Ihr Steinbeis-Unternehmen gemeinsam mit der Daimler AG für die Entwicklung einer innovativen Testumgebung und von Softwarewerkzeugen für moderne Fahrerassistenzsysteme mit dem Transferpreis der Steinbeis-Stiftung – Löhn-Preis ausgezeichnet. Was war beziehungsweise ist die größte Herausforderung für Ihr Team bei diesem Projekt und wie sieht die Zusammenarbeit aktuell aus?
Die Lösung, die wir zusammen mit der Daimler AG entwickelt haben und auch weiter entwickeln, basiert darauf, dass wir für umgebungserfassende Assistenzsysteme, die Daimler in Serie bringt, eine Simulation erstellen, die wiederum weltweit von vielen Menschen verwendet wird. Die Herausforderung besteht darin, dass diese Simulation sowohl aus Sicht der Softwareentwicklung als auch später aus der der Anwendung effizient sein muss, so dass ein Testingenieur mit möglichst wenig Aufwand das jeweilige Simulationsziel erreichen kann. Wir unterstützen eine kontinuierlich zunehmende Anzahl von komplexer werdenden Fahrzeugfunktionen. Unser Anspruch dabei ist es die notwendige Simulation so umzusetzen, dass sie effizient auf unterschiedlichen Plattformen ausgeführt werden kann, weltweit genutzt werden kann und die Anwender effizient von unserem Service-Team unterstützt werden können. Was die aktuelle Zusammenarbeit mit der Daimler AG angeht, so entwickeln wir die Technologie gemeinsam weiter, um auch zukünftige Fahrzeugfunktionen kosteneffizient zu testen.
Fahrerassistenzsysteme werden immer komplexer. Wie kann sichergestellt werden, dass diese korrekt funktionieren und welche Rolle spielen dabei die richtigen Testwerkzeuge?
Die Rolle der Testwerkzeuge – insbesondere von hochwertigen Simulationen – steigt gravierend. Es gibt Veröffentlichungen, die aussagen, dass je komplizierter die Assistenzsysteme werden, desto mehr Kilometer in der Entwicklung gefahren werden müssen. So schrieb zum Beispiel die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 04.11.2018: „Über 240 Millionen Kilometer müsste ein Roboterauto getestet werden, damit sich herausstellt, ob es sicherer fährt als ein Mensch.“ Diese Strecke ist für den Nachweis notwendig, „dass das Roboterauto doppelt so gut ist wie das von einem Menschen mit Assistenztechnik gelenkte Fahrzeug… Es müssten 1.000 Roboterfahrzeuge ein Fahrzeugleben lang fahren.“ Bei solchen Zahlen wird klar, dass man diese gar nicht in der Realität komplett fahren kann, sondern dass sie nur durch einen möglichst hohen simulierten Anteil geleistet werden können. Weiterhin entstehen durch die vielen realen und simulierten Kilometer große Mengen an Daten. Mit unseren Werkzeugen und unseren eigenen Entwicklungs- und Promotionsthemen adressieren wir Ansätze, diese Datenflut zu zähmen.
Das impliziert, dass die Simulation eine ausreichende Qualität haben muss. Hierzu gibt es aber wiederum keine eindeutigen Kriterien, welche Qualität erreicht werden muss. Dazu kommt noch, dass eine Simulation für die vorgesehenen Zwecke hervorragend sein kann, aber in anderen Situationen eingesetzt werden soll. Ein fiktives Beispiel, um das zu verdeutlichen: In unserer Simulation haben wir einen Fokus darauf gelegt herauszufinden, ob zwei simulierte Fahrzeuge in bestimmten Situationen einen Unfall miteinander haben werden oder nicht. Mit dieser Simulation ist es allerdings nicht möglich, vorherzusagen wie stark eines der Autos nach dem Unfall beschädigt sein wird. Ich will damit deutlich machen, dass wir qualitativ hochwertige Simulationen erstellen, diese aber kein absolutes Qualitätssiegel besitzen. Einfach formuliert: Jede Fragestellung braucht ein passendes Simulationswerkzeug.
Immer mehr Kunden legen beim Kauf eines Neuwagens Wert auf intelligente Fahrerassistenzsysteme. Was bedeutet diese Entwicklung für die Arbeit Ihres Steinbeis-Unternehmens?
Von diesem Trend sind wir in unserem Steinbeis-Unternehmen indirekt betroffen: Der Kunde erwartet, dass er immer mehr in seiner Fahraufgabe unterstützt wird und sich darauf verlassen kann, dass er auch für längere Strecken die Verantwortung an das Fahrzeug abgeben kann, ohne ständig durch eine Warnung wieder ins Geschehen eingreifen zu müssen. Damit steigt der Anspruch an die Software und mit diesem steigt auch der Anspruch an unsere Simulation. Wir sind somit indirekt mit Ihrer Frage verbunden: Für uns bedeutet dies, dass die Fahrsituationen immer realistischer nachgebildet und deren qualitativ hochwertige Simulation über längere Zeiträume ausgeführt und ausgewertet werden müssen. Es müssen also immer mehr Situationen über einen längeren Zeithorizont mit höherem Detailierungsgrad abgebildet werden. So haben zum Beispiel ältere Assistenzsysteme keine Ampel erkannt, zukünftig aber wird die Kamera diese erkennen. Für uns bedeutet das, dass wir bisher keine Ampeln in der Simulation hatten, sie aber jetzt in die Simulation integrieren müssen. Das ist nicht ganz so einfach wie es klingt, denn es gibt viele Ampelarten: Linksabbiegerampeln, Fußgängerampeln, rechte Ampeln, linke Ampeln, Ampel oben, Ampel unten, Ampeln in Amerika, Ampeln in Deutschland und viele Varianten, wie sich Fahrzeuge dort verhalten können. Für uns bedeutet dies, dass wir in unserer Simulation eine Systematik zur Darstellung von Ampel-Situationen integrieren müssen.
Die nachhaltigen Lösungen stehen für Sie im Vordergrund. Warum ist Ihnen die Nachhaltigkeit so wichtig und wie profitieren Ihre Kunden davon?
Zu „nachhaltig“ fällt mir bei der Software-Entwicklung das Stichwort „Front Loading“ ein. Das bedeutet für uns, dass unsere Software-Architekten sich lieber etwas mehr Zeit nehmen, um die Herausforderung zu verstehen und daraus die notwendigen ersten Schritte für eine tragfähige Architektur abzuleiten. Versetze ich mich in die Rolle des Kunden, würde ich am liebsten die Lösung schon morgen einsetzen. In unserer Entwicklung setzen wir hier konsequent auf Zwischenschritte, um komplexe Software inkrementell zusammen mit dem Kunden aufzubauen. Ziel ist es, dass der Kunde möglichst immer eine lauffähige Simulation mit schrittweise zunehmender Funktionalität zur Verfügung hat. Konkret versuchen wir zunächst die Problemstellung aus dem Anwendungsfall der Simulation zu verstehen und daraus eine technische Architektur abzuleiten, welche wir dann schrittweise über mehrere Prototypen umsetzen. Diese agile Vorgehensweise ist in aller Munde. Manchmal ist es eine Herausforderung, sie zu leben. Oft entsteht initial mehr Aufwand und daher lokal höhere Kosten. Unser Antrieb ist es zusammen mit dem Kunden, diese Vorgehensweise umzusetzen. In der Regel können wir so über iterative Prototypen die langfristig notwendige Funktionalität in die Software und somit in die Simulationsumgebung bringen und gleichzeitig die Anwender schrittweise mit den neuen Funktionen vertraut machen.
Kontakt
Dr. Daniel Ulmer ist zusammen mit Dr. Oliver Bühler geschäftsführender Gesellschafter der Steinbeis Interagierende Systeme GmbH. Das Steinbeis-Unternehmen ist Systemlieferant und Entwicklungspartner für Werkzeuge und Prozesse zum Test von eingebetteten Systemen. Schwerpunkte sind die Konzeption, die Entwicklung, der Aufbau und der Betrieb von Teststrategien und Testplattformen für den Test von Fahrerassistenzsystemen.
Dr. Daniel Ulmer
Steinbeis Interagierende Systeme GmbH (Esslingen)
www.interagierende-systeme.de