Steinbeis-Team entwickelt Software zur Balancesicherung bei Innovationsvorhaben
Die beiden Innovationsformen Exploitation und Exploration sind in ihrer reinen Form für innovationsorientierte Unternehmen keine Alternativen. Für ihre langfristige Lebensfähigkeit müssen Verbesserungsinnovationen und tatsächliche Produktinnovationen in einem guten Verhältnis zueinanderstehen. Beachtliche Innovationsleistungen der Vergangenheit, enge Kundenbeziehungen und allzu gut eingespielte Innovationsteams verleiten jedoch Unternehmen zu vorrangig exploitativen Innovationsvorhaben, die schleichend in die Erfolgsfalle führen und die Marktposition der Unternehmen gefährden. Durch die Förderung individueller Kreativität innerhalb von Innovationsteams lässt sich eine derartige Innovationsschieflage korrigieren oder vermeiden. Prof. Dr. habil. Achim Walter und Gerrit Jochims, zwei Steinbeis-Unternehmer aus Kiel, haben dazu gemeinsam mit zwei Software-Spezialisten eine eigenständige Software entwickelt.
Für Unternehmen stellt sich permanent die Frage, ob exploitatives oder exploratives Innovieren der richtige Schritt in eine gesicherte Zukunft ist. Beides kann zielführend sein, beide Formen des Innovierens lassen sich in gewissem Maße auch parallel verfolgen. Exploitative Innovationsvorhaben zielen darauf ab, die gegenwärtige Lebensfähigkeit eines Unternehmens zu sichern, indem kleinere Innovationsschritte (inkrementelle Innovationen) vollzogen werden, etwa das permanente Verbessern und Optimieren von bereits eingeführten Produkten und Services. Es geht dabei um das Ausschöpfen von im Unternehmen vorhandenen Entwicklungs-, Produktions- und Vertriebsressourcen, oder anders ausgedrückt, es geht um Gewinne auf Basis einer auf Effizienzvorteile bedachten Kreativität. Explorative Innovationsvorhaben sollen die zukünftige Lebensfähigkeit sicherstellen, indem neue Märkte erschlossen werden. Hierfür braucht es Produkte und Dienstleistungen, die einen hohen funktionalen Neuartigkeitsgehalt aufweisen. Man spricht von radikalen Innovationen, wenn neben einem deutlich gesteigerten Kundennutzen auch das dafür eingesetzte Wissen einen hohen Neuartigkeitsgehalt aufweist.
Einseitige Exploitation und Exploration führen in spezifische Kompetenzfallen, denen Unternehmen nur schwer entrinnen können und die sie damit in ihrem langfristigen Bestand gefährden [1]. Zahlreiche empirische Studien der Innovationsforschung [2] belegen, dass eine angemessene Balance zwischen Exploitation und Exploration das richtige Rezept für den langfristigen Erfolg eines innovationsorientierten Unternehmens darstellt. So einfach diese Empfehlung klingt, ihre Umsetzung ist alles andere als selbstverständlich.
Welche der beiden Innovationsformen wie stark und zu welchem Zeitpunkt betrieben werden sollte, muss das Management eines Unternehmens laufend bewerten. Achim Walter und Gerrit Jochims empfehlen Unternehmen bereits bei der Ideenfindung auf einen angemessen ausbalancierten Kurs des Innovierens zu achten. Innovationsorientierte Unternehmen sollten ihren Ressourceneinsatz mittel- bis langfristig keinesfalls exklusiv für exploitative Projekte bereitstellen, sondern zwischen 40% und 60% der Mittel für die Entwicklung explorativer Innovationsvorhaben einsetzen. Langfristig erfolgreiche Unternehmen können ihre Leistungsangebote zu einem Zeitpunkt bereits ersetzen oder innovativ ergänzen, wo sie noch nicht auf die Gewinne der neu geschaffenen Produkte und Services angewiesen sind. Die Ergänzung und Ablösung vormals innovativer Produkte durch neue Problemlösungen geht nicht selten von Nischenmärkten aus, die anfangs von der Mehrheit unterschätzt werden. Exploratives Innovieren muss daher vorausschauend geplant und mit Bedacht geschehen. Investitionen in inkrementelle Produktinnovationen (Produktanpassung, -pflege und -verbesserung) und die daran gekoppelten Einsparungsinnovationen in der Produktion dürfen den Bemühungen eines Unternehmens nach deutlich vom Wettbewerb abgrenzbaren Produktinnovationen (mittels Grundlagenforschung & experimentellen Entwickelns) nicht den Boden entziehen.
Die wahrscheinlichste Kompetenzfalle, in der sich innovationsorientierte Unternehmen oftmals wiederfinden, ist die Erfolgsfalle. Exploitative Innovationsvorhaben, die Unternehmen in der Regel ihren erfolgreichen größeren Innovationsleistungen nachschieben, sind deutlich risikoärmer und führen relativ schnell zu finanziellen Rückflüssen sowie stabilen Kundenbeziehungen. Folglich verführt die einmal eingeschlagene Innovationsrichtung „Exploitation“ zu weiteren Verbesserungen und Anpassungen und leitet einen Prozess des Abrutschens in die Erfolgsfalle ein. Dominieren in Unternehmen für einen längeren Zeitraum exploitative deutlich über explorative Innovationsvorhaben, behindert dies den Aufbau neuer Kompetenzen und Vertriebsmöglichkeiten. Die dabei einset zende Schieflage in der Kompetenzentwicklung wird von Unternehmen häufig nicht gleich erkannt und zudem in ihrer langfristigen Konsequenz verkannt. In der Mehrzahl der Fälle wird die Schieflage sogar bewusst in Kauf genommen („Innovators Dilemma“). Hat sich in einem Unternehmen solch eine Schieflage erst einmal eingestellt, ist dies besonders tückisch, da verantwortliche Mitarbeiter grundsätzlich eher dazu neigen, ihrer bisherigen Erfolgsspur zu folgen.
Etabliertes Vor- und Erfahrungswissen, das sich in den Köpfen der Entwickler und Entscheider befindet, gibt in Unternehmen gewöhnlich die Innovationsrichtung vor. Derartiges Wissen bildet die Grundlage für das, was als wichtig wahrgenommen und in weiteren Schritten dazugelernt wird. Je umfangreicher das Vorwissen und die Erfahrungen mit vergangenen Innovationsaktivitäten, desto wahrscheinlicher wird die bereits trainierte Form des Innovierens fortgeführt. Vor allem in der Frühphase des Innovationsprozesses, in der Ideenfindung, sind Unternehmen besonders anfällig für sich selbstverstärkende Lernprozesse in traditionellen Komfortzonen, an deren Ende nicht selten die Erfolgsfalle steht oder gar erodierende Geschäftsmodelle.
Der strategische Fokus eines Unternehmens bestimmt ebenfalls stark die dominante Form des Lernens und Innovierens. Eine Unternehmensstrategie, die stark auf Effizienz getrimmt ist, belohnt jene im Unternehmen, die spezialisiert und versiert Routinen implementieren, die bereits vorhandenes Wissen und direkt verfügbare Ressourcen wirksam in neue Innovationsideen einbringen. Die besondere Fähigkeit, neuere technologische Entwicklungen und das bei externen Partnern eingebettete Wissen richtig einzuschätzen, gehen peu à peu verloren. Das Auftreten einer Erfolgsfalle ist bei einem strikten Effizienzfokus quasi vorprogrammiert. Besonders ältere und große Unternehmen versteifen sich oftmals auf ihre Kernkompetenzen und spielen ihr einstudiertes Repertoire immer und immer wieder ab, um von Skaleneffekten profitieren zu können. Dieses Vorgehen verstellt den Blick der Mitarbeiter auf neue Entwicklungen außerhalb angestammter Märkte.
Unternehmen gelangen am ehesten zu explorativen Innovationsvorhaben, indem sie die individuelle Kreativität ihrer Mitarbeiter erhalten und ausschöpfen. In der Praxis hat sich durchgesetzt, dass Mitarbeiter für die Neuproduktentstehung in Innovationsteams zusammengefasst werden. Kreative Ideen entstehen dabei vielfach durch Rekombination individuellen Wissens, das sowohl innerhalb als auch außerhalb eines Innovationsteams zirkuliert. Stärker werdende persönliche Beziehungen zwischen und innerhalb der Innovationsteams und ein hoher Konformitätsdruck verhindern jedoch zunehmend, dass Teammitglieder ihr individuelles Kreativitätspotenzial voll entfalten, sie lähmen individuelle Kreativität [3]. Besonders Unternehmen mit einer überschaubaren Anzahl an Fachleuten und Entscheidern sind davon betroffen. Quasi zwangsläufig arbeiten dort Mitarbeiter wiederkehrend in Innovationsteams zusammen. Dadurch lernen sie sich immer besser kennen und entwickeln enge persönliche Beziehungen untereinander. Durch längere Zusammenarbeit und frühere Erfolge entwickeln Innovationsteams zudem einen gewissen Konformitätsdruck. Kreative Abweichler werden in derartigen Teams in nicht wenigen Fällen stigmatisiert („Das machen wir nie so”, „Das wirst du nie durchbekommen”) oder mittels sozialer Isolation sanktioniert. Für die spätere Umsetzung von innovativen Produktentwicklungen sind starke Netzwerkbeziehungen zwar oftmals vorteilhaft, da sie helfen knappe Ressourcen zu akquirieren und Entscheidungskoalitionen zu bilden. In Bezug auf die Generierung neuartiger und nützlicher Ideen sind enge persönliche Beziehungen zwischen Teammitgliedern per se allerdings eher nachteilig. In Folge entwickelt sich bei ihnen ein Tunnelblick, da redundantes Wissen angehäuft wird. Neuartige Problemlösungsansätze verlangen vielfältige Wissenselemente, um diese miteinander zu kombinieren. Konformitätsdruck führt zu einer routinemäßigen Übereinstimmung des Teams und einer geringeren Risikoneigung, die sich im Konsens offenbart und völlig neuartige Ideen häufig bereits im Keim erstickt. Die hierzu von der Innovationsforschung vorgelegten Erkenntnisse werden vielfach unter dem Begriff „Groupthink“ [4] diskutiert.
Was also können Unternehmen und ihr Management tun, um derartig negative Effekte vertrauter Beziehungen zu verhindern oder zu reduzieren? Achim Walters und Gerrit Jochims sehen einen vielversprechenden Ausweg aus der Erfolgsfalle darin, die Innovationsteams so zu besetzen, dass sie sich durch „Deep-level Diversity“ auszeichnen. Tiefgründige Diversität im Team trägt erheblich dazu bei, dass redundanzfreies Wissen auch innerhalb sehr vertrauter Teammitglieder zirkulieren kann. Zudem gelingt es derartigen Teams deutlich besser, kreative Gedanken zu produzieren und konstruktive Debatten aufrechtzuerhalten. Die Brücke zwischen ihren Empfehlungen und der Innovationspraxis schlagen die beiden Steinbeis-Leiter Achim Walter und Gerrit Jochims mit Hilfe einer Innovations-Software, die sie auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse gemeinsam mit zwei Software-Spezialisten entwickelt haben. Die Software für Ideenmanagement macht die relevanten Entwicklungsprozesse und Ergebnisse bereits in der Frühphase eines Innovationsvorhabens messbar, mit anderen Ideen vergleichbar und somit auch stärker sichtbar. Dadurch wird es für Unternehmen deutlich einfacher, die Balance zwischen Exploitation und Exploration im Innovationsportfolio herzustellen und langfristig zu sichern.
Quellen
[1] vgl. Levinthal & March, 1993, The Myopia of Learning. In: Strategic Management Journal, 14, pp. 95-112
[2] z. B. He & Wong, 2004: Exploration vs. Exploitation: An Empirical Test of the Ambidexterity Hypothesis. In: Organization Science,15, pp. 481-494
[3] vgl. hierzu z. B. Perry-Smith, 2006, Social Yet Creative: The Role of Social Relationships in Facilitating Individual Creativity. In: Academy of Management Journal, 49, pp. 85-101
[4] vgl. Janis, 1972. Victims of Groupthink. Houghton Mifflin, New York
Kontakt
Prof. Dr. habil. Achim Walter
Steinbeis-Beratungszentrum COMMIT (Kiel)