Digitale Transformation und Vernetzung bringen grundlegende Herausforderungen mit sich
Unternehmen, Wirtschaft und Gesellschaft erleben eine ausgedehnte Phase tiefgreifenden Wandels, angetrieben durch digitale Transformation, durchdringende Vernetzung und konvergierende Strukturen, Systeme und Technologien. Betroffen sind nicht nur die Kernsegmente der Industrie mit ihren Schlüsselbranchen, sondern auch der Öffentliche und der Dienstleistungssektor. Die Marktfelder der technologiebasierten Dienstleistungen, und hierbei insbesondere die Technologie- und Managementberatung, sehen sich in diesem Zusammenhang neuen, fundamentalen Herausforderungen ausgesetzt. Doch worin bestehen diese Herausforderungen einer „Technologie- und Managementberatung X.0“? Dr. Michael Ortiz, Projektleiter des Steinbeis-Pilotprojekts „Expertennetzwerk X.0“, geht dieser Frage nach.
Zum einen wird der Markt von Kundenseite her volatiler und konvergenter. In dem Maße, in dem größere Unternehmen eigene Beratungsexpertisen aufbauen und mit der Akademisierung der Mitarbeiterschaft in KMU das akademische Management- und Technologiewissen zunimmt, setzen mehr Unternehmen als zuvor ihre strategischen Projekte selbst auf und treiben diese voran. Teile des „tradierten“ Beraterwissens werden auf diese Weise von Unternehmen internalisiert, die „Knowledge Gap“ zwischen Berater und Kunde nimmt folglich ab. Das Unternehmen ist mehr als zuvor handelnder Akteur in Strategie- und Technologieprojekten und kauft sich spezifischen Support durch externe Expertise aus verschiedenen Quellen ein. Die Rolle des „Stammberaters/-dienstleisters“ wird zurückgedrängt, die Nachfrage schwerer berechenbar. Gefragt ist dabei zunehmend die gesamte Bandbreite an spezialisiertem Fachwissen zu Digitalisierungsthemen, ebenso wie hochspezialisierte Technologieexpertise, Umsetzungsberatung und vor allem Geschäftsmodellentwicklung. Auch Management- und Technologieberatung konvergieren folglich an dieser Stelle, wachsen also mehr und mehr zusammen, und zwar vorwiegend technologiegetrieben.
Zum anderen verlagern sich in diesem veränderten Nachfrageumfeld zunehmend auch die Rollenbilder und Handlungsfelder der Technologieund Managementberatungen: Sie treten vermehrt als Netzwerker, Knotenmanager und Vermittler auf, oder aber auch als Pioniere, Schnellgründer und -erprober (fail cheap and fast) und Experimentatoren. Netzwerk- und Laborkompetenz werden zu zentralen USP.
In dem Maße, in dem Unternehmen bei der Weiterentwicklung ihrer Technologie- und Strategieprojekte auf hochwertige, spezifische und evaluierte Tools zurückgreifen möchten, nimmt zudem auch die Nachfrage nach wissenschaftlich fundierten Methoden sowie digitalen Beratungsinstrumenten kontinuierlich zu. Vermehrt werden die Entwicklung und der Einsatz solcher Tools zu einem wesentlichen Dienstleistungsund Beratungs„produkt“ und somit zum Geschäftsmodell in der Technologie- und Managementberatung.
Auch weitere Konvergenzen prägen die Schnittstellen von Unternehmen und Beratung. Unter anderem findet technologische Entwicklung im Unternehmen verstärkt unter Einbezug von Digitalisierungs-, Strategieund Managementexpertise statt, auch wesentliche Konvergenzen zwischen Vertrieb und Technologie- und Managementberatung lassen sich beobachten. Unternehmen gehen aus diesem Grund verstärkt selbst in Netzwerke hinein, um die eigene Expertise zu erweitern und Plattformen aufzubauen, die den Anforderungen der benannten Konvergenzen hinsichtlich Interdisziplinarität, Flexibilität und Modularität in „Losgröße 1“ entsprechen. Die „Micro Testbeds“ oder das „Expertennetzwerk X.0“ sind Beispiele dieser Ansätze im Steinbeis-Verbund. Die Herausforderungen in diesen als Plattformen konzipierten Netzwerken ergeben sich insbesondere aus der Heterogenität der beteiligten Akteure aus Unternehmen, Beratungen und weiteren Feldern wie der Wissenschaft. Zu benennen sind beispielsweise die Schaffung von Vertrauensräumen, das Erbringen von Vorleistungen ohne eindeutig kalkulierbare, unmittelbare Gegenleistungen, der Aufbau gänzlich neuer, gemeinsamer Handlungs- und Geschäftsmodelle, das Aufbrechen eigener, zuvor geschützter Geschäftsbereiche, um Netzwerkpartnern Zugang und Mitwirken zu ermöglichen, der Abbau von (auch mentalen) Barrieren, mit anderen Akteuren in Netzwerken zu kooperieren.
Für den Wettbewerb implizieren diese Veränderungen und Herausforderungen eine wesentliche Verschiebung von Parametern. Vorteile werden sich insbesondere für solche Akteure in der Technologie- und Managementberatung ergeben, die kooperationsaffin sind, Netzwerkkompetenz entwickeln und einen hohen Vernetzungsgrad aufweisen. Auch wird der Zugang zu Plattformen, die als Labore und Experimentierfelder für neue Geschäftsmodelle genutzt werden können, von entscheidender Bedeutung sein. Schließlich wird auch die Fähigkeit, (mit anderen zusammen) eigene Beratungsinstrumente zu entwickeln oder aber Zugriff hierauf zu haben, einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil darstellen.
Für den Steinbeis-Verbund in seiner unternehmerischen, dezentralen und kleinteiligen Struktur ergeben sich hieraus immense Chancen, sich im Wettbewerb hochspezialisierter Technologie- und Managementexpertise X.0 aussichtsreich zu positionieren. Wesentliche Bausteine hierzu sind unter anderem die konsequente Wahrnehmung und Nutzung des Verbunds als Plattform und Labor- und Experimentierfläche für neue Geschäftsideen und -modelle, die Erweiterung des unternehmerischen Selbstverständnisses der einzelnen Akteure um eine modular gestaltete Netzwerk-, Verbund- und Kooperationskompetenz sowie die verstärkte zentrale und dezentrale Entwicklung und Diffusion von Beratungsinstrumenten und -werkzeugen.